Was brachte der „historische“ Brüsseler Krisen-Gipfel Anfang Dezember?
Wie ein Brummkreisel dreht sich das EU-Krisenkarussell. Immer schneller und schneller. Los ging es im Frühjahr 2010, als Griechenland vor der Pleite stand. Auf das „einmalige“ Hilfspaket für Hellas folgten flugs weitere für Portugal, Irland, Spanien und erneut für Griechenland. Ein Euro-Rettungsschirm (EFSF) wurde gespannt, ausgeweitet, „gehebelt“, eine Dauereinrichtung (ESM) beschlossen. Am 8. und 9. Dezember blies Kanzlerin Angela Merkel nun zur „Fiskalunion“. Dabei kommt die Demokratie noch stärker unter die Räder. Staaten wie Großbritannien fühlen sich derweil vom deutschen Imperialismus (mit seinem europäischen Hauptkontrahenten Frankreich noch im Schlepptau) an die Wand gedrängt.
von Aron Amm, Berlin
Um Banken, die sich verzockt haben, rauszuboxen, und um ein Umschlagen der Rezession 2008/09 in eine Depression zu vereiteln, häuften die finanziell bereits mächtig angeschlagenen Staaten immer neue Schulden auf. Global. Dass sich aber ausgerechnet der Euro-Raum derzeit im Auge des Sturms befindet, liegt an seiner Besonderheit: der Gemeinschaftswährung. Denn der Euro verlangt von 17 Einzelstaaten eine aufeinander abgestimmte Währungs-, Zins-, Finanz- und letztlich Wirtschaftspolitik – was bei miteinander konkurrierenden Ländern in Krisenzeiten mehr und mehr der Quadratur des Kreises gleicht (eine unlösbare Aufgabe, wie der Mathematiker Ferdinand von Lindemann 1882 nachwies).
Rückfall in die Rezession
Die Gesamtschulden der Euro-Zone (Privathaushalte, Unternehmen und Staat) belaufen sich inzwischen auf 280 Prozent der Wirtschaftsleistung. Die Staatsverschuldung hat Dimensionen angenommen, die Anleger an der Kreditwürdigkeit der Staaten Zweifeln lässt – darum werden immer höhere Risikoaufschläge verlangt. Erst waren Irland und die klammen Südländer betroffen, dann erwischte es im Sommer Italien, mittlerweile frisst sich die Schuldenkrise sogar zur „Kernunion“ durch. Längst hat eine Kapitalflucht begonnen; vor allem Investoren aus Asien ziehen Gelder ab.
Um Banken und Konzerne ungeschoren zu lassen und gleichzeitig Schulden abzutragen, haben sämtliche Regierungen die Weichen auf Austerität gestellt. Mit der Folge, dass drakonische Kürzungen bei Investitionen und Sozialausgaben den stotternden Wachstumsmotor gleich wieder abwürgen. Nicht nur Griechenland oder Portugal, auch Frankreich oder die Niederlande stecken bereits wieder in der Rezession. Was die Defizite nicht schmelzen lässt, sondern zu ihrem weiteren Anstieg führt.
Dazu kommt ein europäischer Bankensektor, der trotz aller Staatshilfen unterkapitalisiert ist. Geschätzt wird der Mehrbedarf auf 115 Milliarden Euro. Das trägt dazu bei, dass die Finanzhäuser, die als größte Gläubiger der Staaten sowieso weitere Verluste fürchten, kaum noch Geld leihen wollen.
Merkozys Auflagen
„In Europa wird wieder deutsch gesprochen“, so CDU-Fraktionschef Volker Kauder. Nachdem der deutsche Imperialismus sich eine Euro-Zone zu seinem Vorteil konstruierte (in dem den schwächeren Staaten zum Beispiel Geld geliehen wurde, damit diese den deutschen Export beförderten) und davon zehn Jahre profitieren konnte, diktierte Merkel – mit dem französischen Präsident Nicolas Sarkozy im Gefolge – beim Krisen-Gipfel Anfang Dezember die neue Linie: einheitliche Schuldenbremsen im ganzen Euro-Raum, mehr Durchgriffsrechte für die EU-Kommission in der Haushaltsaufsicht, automatische Sanktionen für „Haushaltssünder“ und das Vorziehen des permanenten Rettungsmechanismus ESM auf Juli 2012. Zugleich verständigte man sich darauf, private Gläubiger im Fall von einem Schuldenerlass nicht mehr heranzuziehen.
„Demokratie-Kurzschluss“
Wie weit Deutschland schon in die anderen Länder reinregiert, zeigte sich Ende 2011, als der jüngste irische Haushaltsentwurf plötzlich im Deutschen Bundestag kursierte, noch bevor ihn im irische Parlament überhaupt jemand zu Gesicht bekam.
Die Rücktritte von Silvio Berlusconi und Georgios Papandreou (dessen angedachte Volksbefragung sofort unterbunden wurde) sowie die Installierung „technokratischer“, nicht gewählter Regierungen in Italien und Griechenland gingen ebenfalls maßgeblich auf das Bestreben der führenden kapitalistischen Kräfte Europas zurück.
Ausgerechnet 1929 beschrieb der russische Marxist Leo Trotzki anschaulich, was sich gerade vollzieht: „Analog der Elektrotechnik könnte man die Demokratie als ein System von Sicherheitsschaltern und Stromunterbrechern zur Sicherung gegen durch nationale oder gesellschaftliche Kämpfe überlastete Stromleitungen definieren. (…) Die Überlastung von Leitungen tritt an verschiedenen Stellen des europäischen Stromnetzes immer häufiger auf. Unter der Belastung von übererhitzten Klassen- und internationalen Widerständen brennen die Sicherungen der Demokratie durch.“
Kurs auf „Fiskalunion“
Merkel lehnt (um beim Spardruck nicht nachzugeben) einen Aufkauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank (EZB) im großen Stil rigoros ab. Ein Aufkauf, der von Sarkozy und anderen gefordert wird, um die Last der Zinsaufschläge zu senken. Auch Euro-Bonds erteilt sie – noch – eine Absage.
Entschieden verfolgt sie jedoch nunmehr das Ziel einer sogenannten „Fiskalunion“. Eine solche Union, in der politische Entscheidungen zentral getroffen werden, liegt in der Natur der Sache. Schließlich zeigt sich gegenwärtig in aller Schärfe der Widerspruch einer Währungsunion ohne vereinheitlichte Wirtschafts- und Finanzpolitik.
Aber Merkel rennt die Zeit davon. Die aufgrund der Brüsseler Entscheidungen geplanten zwischenstaatlichen Abkommen (die noch längst keine Fiskalunion bewirken) sollen erst im März abgeschlossen sein. Abgesehen davon, dass Wirtschaftsturbulenzen und Klassenkämpfe Merkel und Co. einen Strich durch die Rechnung machen können, treten die divergierenden Interessen innerhalb Europas täglich deutlicher zu Tage. Nationalismus wächst. Der Streit in der EZB findet zwar hinter verschlossenen Türen statt, aber immer öfter werden Dispute kolportiert – als die Senkung des Zinssatzes auf ein Prozent beschlossen wurde, sollen laut FAZ die Fetzen geflogen sein.
Euro vor dem Crash?
Die ersten Finanzinstitute bereiten sich schon auf einen möglichen Zerfall der Euro-Zone vor. So ließ der weltgrößte Devisen- und Staatsanleihen-Händler ICAP seine elektronischen Systeme einen solchen Zusammenbruch durchspielen.
Für Deutschland prognostiziert die Allianz im Fall eines Scheiterns des Euro einen Einbruch des Inlandsprodukts um drei Prozent und einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen um eine Million.
Ein Ende des Euro könnte sogar ein Ende der EU mit sich bringen. Großbritanniens Veto beim letzten EU-Gipfel unterstreicht diese Möglichkeit.
Da eine europaweite Rezession im Winterhalbjahr bereits eingesetzt hat, das Risiko einer Kreditklemme wächst und die Gefahr von Staatspleiten keineswegs gebannt ist (allein Italien muss im ersten Quartal 2012 100 Milliarden Euro an Krediten und Zinsen zurückzahlen), bleibt die Euro-Krise akut. Und abgesehen davon, dass die Brüsseler Beschlüsse einen neuen Schlag gegen die arbeitende Bevölkerung bedeuten, sehen sich auch Merkel und Sarkozy weit von einer Lösung der Krise entfernt. Letztendlich drehen sie sich im Kreis. Wie ein Brummkreisel eben, der kommt auch nicht vom Fleck.