Interview mit Tom Adler, Stadtrat der Fraktionsgemeinschaft SÖS/LINKE in Stuttgart und Vertreter von „Gewerkschafter gegen Stuttgart 21“ im Aktionsbündnis. Die Fragen stellte Daniel Behruzi
Die Volksabstimmung gegen Stuttgart 21 hat für die Gegner des Tiefbahnhofs mit einer Niederlage geendet. Was sind die zentralen Ursachen?
Ich würde den Begriff der Niederlage relativieren. Natürlich ist das Ergebnis kein Sieg, aber es ist auch nicht – wie zum Teil von Vertretern der Bewegung kommuniziert – eine „krachende“ oder „verheerende“ Niederlage. Welche außerparlamentarische Bewegung kann von sich, wie in Stuttgart, behaupten, die Hälfte der Bevölkerung der Stadt steht hinter uns? Dass die Volksabstimmung nicht gewonnen werden konnte, liegt vor allem an der gigantischen Medienmacht und den Millionen der Konzerne, die hinter dem Projekt stehen, am immer noch ungebrochenen Einfluss des reaktionären Filzes. Die haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um einen Erfolg der Kritiker zu verhindern.
Es ging eben nicht nur um einen Bahnhof. Die Fakten wurden dabei in ihrer Propagandakampagne unglaublich dreist verdreht, den Demonstranten wurde knallhart bestätigt, wie zutreffend ihre „Lügenpack“-Parole ist.
Welche Fehler haben die Gegner des Projekts gemacht?
Wir als Gewerkschafter waren von Beginn an der Meinung, dass die behauptete „Schaffung von Arbeitsplätzen“ und die bei Rückzug des Landes angeblich verschwendeten 1,5 Milliarden Euro zentrale Propagandafiguren sein würden. Das hat sich gerade in der Endphase bestätigt. Es war sicher eine Schwäche, dass unsere Kampagne das nicht frühzeitig ins Zentrum gerückt hat.
Falsch war auch, die Volksabstimmung zu einem „bedeutenden Fortschritt in Richtung direkte Demokratie“ zu überhöhen. Bis sie von SPD und Grünen be-schlossen wurde, war breiter Konsens: Unter den gegebenen Bedingungen handelt es sich nicht um Erweiterung von Demokratie, sondern um deren Simulation. Damit wurde denen der Weg geebnet, die jetzt mit dem Ergebnis das Herunterfahren der Proteste begründen und herbeiführen wollen.
Und ich behaupte: An der Spitze der Grünen waren die Volksabstimmung und ihr Ergebnis von Anfang an strategisch als Legitimation eines Ausstiegs aus dem Widerstand gegen Stuttgart 21 gedacht. Kretschmanns Äußerungen, dass die Ergebnisse bindend seien und jetzt das Baurecht der Bahn durchgesetzt werden müsse, deuten in diese Richtung.
Wie bewertest du die Rolle, die die Gewerkschaften in dieser Auseinandersetzung gespielt haben?
Es war positiv, dass sich der DGB-Landesbezirk öffentlich zu den Beschlüssen seiner Konferenzen gegen Stuttgart 21 bekannt hat. Um der geballten Macht der Unternehmen und Medien etwas entgegenzusetzen, wäre aber der Einsatz ganz anderer gewerkschaftlicher Ressourcen nötig gewesen als Auftritte auf Demos und Versammlungen. Das hat nur der ver.di-Bezirk Stuttgart geleistet. Die DGB-Gewerkschaften, insbesondere die IG Metall, hätten eine eigene Massenkampagne gegen das unsoziale Projekt Stuttgart 21 führen und die Ausstiegskosten- und Arbeitsplatzpropaganda kontern müssen. Das hätte den Unterschied gemacht.
Wie geht es jetzt mit dem Widerstand weiter?
Die Bewegung ist heterogen, insofern gibt es nach dem Abstimmungsergebnis natürlich auch Verunsicherung. Die ersten Aktionen und Versammlungen haben aber klar gezeigt: Ganz viele Menschen wollen den Protest fortsetzen. Ich bin optimistisch, dass der harte Kern der Aktiven von einigen tausend Leuten meint: Mit der Volksabstimmung ist nicht das letzte Wort gesprochen. Deshalb ist es wichtig, die Proteste und auch die wöchentlichen Montagsdemos zumindest als Kundgebungen fortzusetzen.