„Nachholbedarf” – Diesmal ernst machen!
Dokumentiert: Stellungnahme des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische Ver.di vom 22. Januar 2012
Die Stellungnahme ist hier als PDF zu finden.
Laut ver.di Vorsitzendem Frank Bsirske gibt es in der vor uns stehenden Tarifrunde einen „deutlichen Nachholbedarf“. Das ver.di-Tarifinfo Nr.1 bezieht sich vor allem auf die schlechtere Entwicklung von Löhnen und Gehältern im Öffentlichen Dienst im Vergleich zur Privatindustrie. Das ist richtig, aber eigentlich geht es um viel mehr. In den letzten zehn Jahren sind die Reallöhne aller Beschäftigten in Deutschland in der Tendenz durchschnittlich gesunken – ganz im Gegensatz zu den Gewinnen der Konzerne und Banken. Die Reichen zahlen immer weniger Steuern. Das ist das Geld was für notwendige öffentliche Dienstleistungen und angemessene Bezahlung fehlt.
Deutschland ist das Land der arbeitenden Armen geworden – bezüglich der Einkommensentwicklung war es in den letzten Jahren das Schlusslicht. Nur im letzten Jahr ist Deutschland in Europa auf Platz 9 gerückt. Dies ist nicht auf eine bessere Lohnentwicklung hierzulande zurückzuführen, sondern auf die Kürzungsprogramme in anderen krisengeschüttelten Ländern. Auch vom letzten Aufschwung haben also weder die Beschäftigten in der Privatindustrie noch im Öffentlichen Dienst ihren Teil abbekommen. Dazu haben auch die mehr als bescheidenen Tarifabschlüsse beigetragen. Das muss geändert werden. Mit einer starken Tarifbewegung kann auch eine Veränderung dieser Politik im Interesse der Banken und Konzerne durchgesetzt werden.
Allerdings stehen nun die Zeichen schon wieder auf Abschwung. Das darf aber nicht bedeuten, dass wieder verzichtet wird! Die Arbeitgeber werden auf die Eurokrise und die Verschuldung der öffentlichen Haushalte, insbesondere der Kommunen, verweisen. Bsirske sagt „Die Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst sind aber nicht bereit, für eine falsche Steuerpolitik der Bundesregierung die Zeche zu zahlen.“(ND 02.01.12) Das muss bedeuten, dass es diesmal kein Einknicken geben darf. Geld ist genug da, es ist nur in den falschen Händen. An dieses Geld kommt man aber nur, wenn Druck durch Arbeitskampf erzeugt wird.
Mobilisierende Forderungen aufstellen
Für eine gute Mobilisierung müssen Forderungen aufgestellt werden, für die es sich lohnt zu kämpfen. Dabei reichen 6 bis 7 Prozent, wie in der Presse verlautbart wird, nicht aus. Wenn schon 2008 die ver.di Forderung nach 8 Prozent aber mindestens 200€ nicht ausreichte, um den Trend umzukehren, warum sollte diesmal noch weniger den „Nachholbedarf“ ausgleichen?! 2010 wurden die Erwartungen von vornherein heruntergeschraubt, indem die Forderung nur 5 Prozent „Gesamtvolumen“ betrug. Das Ergebnis, 1,2 Prozent ab Januar 2010, 0,6 Prozent ab Januar 2011 und 0,5 Prozent ab August 2011 bedeutete bei einer Inflationsrate von durchschnittlich 2,3 Prozent im Jahr 2011 Reallohnverluste! Es ist ein Fortschritt, wenn über Sockelbeträge versucht wird, die unteren Lohngruppen verhältnismäßig anzuheben. Jedoch sind deutlichere Erhöhungen nötig, um zu verhindern, dass die Schere sich weiter öffnet. Das Netzwerk plädiert seit Jahren für monatliche Festgelderhöhungen. Ein Beispiel für eine solche Forderung war die der Charite Beschäftigten, die 300 Euro monatlich mehr forderten.
Die Vertrauensleute im Klinikum Kassel haben als ihre Forderung beschlossen: 100 Euro Sockelerhöhung für alle plus 6 Prozent Tabellensteigerung. Das geht in die richtige Richtung. Das Netzwerk hat sich bereits in der letzten Tarufrunde für eine Festgelderhöhung von 300 Euro monatlich eingesetzt und hält unter den momentanen Bedingungen diese Größenordnung für weiterhin richtig, um die es mindestens gehen muss. Die Löhne im öffentlichen Dienst sind deutlich unter denen in der Privatwirtschaft, der TVÖD hat das Lohnniveau um bis zu 20 Prozent abgesenkt. Dass muss aufgeholt werden. Zudem muss, anders als in den Vorjahren. eine Laufzeit von maximal 12 Monaten vereinbart werden. Denn gerade in Anbetracht der Eurokrise kann es schnell zu Entwicklungen kommen, die wiederum eine finanzielle Mehrbelastung für ArbeitnehmerInnen bedeutet.
Übernahme verbindlich regeln
Zur Übernahme der Auszubildenden muss endlich eine verbindliche Regelung erstritten werden – und zwar nicht etwas, wo die Arbeitgeber sich herauswinden können, sondern eine tarifliche Regelung zur unbefristeten Übernahme aller Auszubildenden im erlernten Beruf, und zwar in volle Stellen. Denn es darf nicht hingenommen werden, dass sich immer mehr Jugendliche in prekären und schlecht bezahlten Arbeitsverhältnissen wiederfinden. Deshalb muss im Öffentlichen Dienst ausgebildet und übernommen werden.
Arbeitsdruck, Arbeitszeit, mehr Stellen im Öffentlichen Dienst
Die meisten Beschäftigten leiden unter immer größerem Arbeitsdruck. Viele fühlen sich am Ende ihrer Kräfte.Während die einen sich kaputt arbeiten, haben die anderen keine Arbeit. Mit einer Verschärfung der Krise drohen Stellenabbau und Entlassungen. Daher muss ein gewerkschaftlicher Kampf für mehr Stellen geführt werden. Es ist ein Fehler, dass das Thema Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich in den letzten Jahren von den Gewerkschaften nicht auf die Tagesordnung gesetzt wurde – ganz im Gegensatz zu den Arbeitgebern, die mit ihrer Forderung nach Arbeitszeitverlängerung immer wieder ein Stückchen weiter kommen. Ein erfolgreicher Kampf in diesem Jahr für eine deutliche Einkommensverbesserung wäre eine hervorragende Voraussetzung, um in Zukunft auf einen Kampf für eine deutliche Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich vorzubereiten.
Vorbereitung
Wie einen Erfolg für diese Tarifrunde organisieren? In den Tarifrunden 2008 und 2010 haben die Beschäftigten von Bund und Kommunen mit massiver Beteiligung an Warnstreiks gezeigt, dass sie zum Kämpfen bereit sind. Diese Bereitschaft würde mit einer mobilisierenden Forderung gesteigert.
Von Vertrauensleute- und Mitgliederversammlungen muss ein klares Signal ausgehen: Diesmal wird ernst gemacht. Die Mitglieder müssen darauf eingeschworen werden, dass nur mit einem konsequenten Arbeitskampf etwas zu holen ist – das heißt Warnstreikwellen wie 2008 und 2010 als Vorbereitung. Wenn die Arbeitgeber sich nicht bewegen, was zu erwarten ist, dann muss zügig eine Urabstimmung erfolgen. Dann darf vor einem bundesweiten Vollstreik nicht zurück geschreckt werden.
2012 zum Jahr der gewerkschaftlichen Kampfkraft machen
2012 ist das Jahr der Tarifrunden. Fast zeitgleich stehen die Beschäftigten der Telekom, der Metallindustrie, der Chemieindustrie und einige andere in Tarifauseinandersetzungen. Und 2012 wird das Jahr der Eurokrise sein, in der wie seit der Finanzkrise Politiker dafür sorgen werden, dass die Kosten der Krise auf die Beschäftigten abgewälzt werden sollen, während Banken und Konzerne weiter ihre Gewinne scheffeln. 2012 sollte aber das Jahr werden, in dem die Gewerkschaften für eine Wende sorgen.
Für über neun Millionen Beschäftigte stehen in diesem Jahr Tarifauseinandersetzungen an. Der Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie endet nur einen Monat nach dem TVÖD. Dies wäre DIE Chance, durch zeitgleiche Streiks, gemeinsame Demonstrationen und Kundgebungen den Druck aus den Betrieben aufzubauen, um tatsächlich die massiven Reallohnverluste aus den letzten zehn Jahren zurückzuholen. Mehr noch – es wäre eine Möglichkeit, gemeinsam Stärke zu zeigen, Kampfkraft zu erproben. Die Bedeutung der Gewerkschaften als Kampforganisationen würde wieder aufgezeigt und viele Beschäftigte würden wieder einen Sinn darin sehen, sich zu organisieren. Noch wichtiger: die Beschäftigten würden ihre eigene Stärke spüren und die Arbeitgeberseite in ihre Schranken verwiesen. Es würde die Ausgangsposition für die Masse der Beschäftigten in zukünftigen Auseinandersetzungen, die in Anbetracht der Krise des Kapitalismus sehr hart werden, enorm verbessern. Es wird also Zeit, Alleingänge und Konkurrenzverhalten der Einzelgewerkschaften abzuschaffen und stattdessen dafür zu sorgen, dass an einem Strang gezogen wird. Davon profitieren letztlich alle Einzelgewerkschaften und ihre Mitglieder.
Für eine solche Politik muss Druck von unten organisiert werden. Das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ ist ein Angebot für KollegInnen, sich darüber auszutauschen, wie für einen kämpferischen Kurs in der kommenden Tarifauseinandersetzung gesorgt werden kann.