Interview mit Arber Zaimi. Die Fragen stellte Max Brym
Immer wieder tauchen Kurzmeldungen in der westlichen Presse über streikende Bergarbeiter in Albanien auf. Sogar über tote Bergarbeiter wird berichtet. Was steckt dahinter?
Ja – die Bergarbeiter sind die klassische Vorhut der albanischen Arbeiterbewegung. Im Jahr 1991 streikten sie gegen die stalinistische Diktatur. In den Jahren 1995 und 1996 streikten die Bergarbeiter gegen die neue kapitalistische Ausbeutung. Die damalige Regierung unter Berisha investierte nichts in die Bergbauanlagen, speziell meine ich die Bergarbeiterhochburg Bulyziza. Immer wieder fand man tote Bergarbeiter in den maroden Stollen. Damals gab es viele militante Kämpfe gegen die Polizeieinheiten. Es ging um zumutbare Arbeitsplätze, um mehr Lohn und Widerstand gegen die angekündigte Privatisierung.
O.k., das war damals. Wie ist die Situation heute?
Vor sechs Jahren wurden die reichen Minen in Bulyziza privatisiert. Eigentümer wurde die deutsche Firma “ACR- Deco Metal“. Die Haupteigentümerin ist Frau Rohtraut aus München-Grünwald. Durch die Privatisierung wurde alles noch schlechter. Das Arbeitstempo nahm zu, Kollegen wurden entlassen und die Löhne für die verbliebenen Arbeiter stagnierten. Die Sicherheit im Bergwerk verschlechterte sich weiter. Immer wieder starben Minenarbeiter wegen der fehlenden Investitionen in den Sicherheitsbereich der Mine. Die Löhne der Arbeiter erreichten meist keine 300 Euro im Monat. Nach der Meinung unterschiedlicher Experten ist dies ein Armutslohn. Im Januar und Juli 2011 platzte den Arbeitern dann endgültig der Kragen.
Was geschah in diesen Monaten 2011?
Im Januar 2011 streikten die Bergarbeiter für eine Lohnerhöhung von 20 % und für mehr Sicherheit in den Minen. Nach einigen Wochen gab es von Frau Rohtraut entsprechende Zusagen und der Streik wurde abgebrochen. Die Bergarbeiter veranstalteten damals auch einen Marsch durch die Hauptstadt Tirana. Die Bergarbeiter verfügen über den Vorteil, eine unabhägige Gewerkschaft zu haben. In den meisten Betrieben in Albanien gibt es keine wirklichen Gewerkschaften. Die meisten existierenden Gewerkschaften sind nur Unterabteilungen der Demokratischen Partei (DP) oder der Sozialistischen Partei (SP) und damit der Privatisierung und den Clans verpflichtet. Frau Rohtraut brach alle Zusagen von Januar 2011, woraufhin es im Juli zu Streiks und zu einer wochenlangen Besetzung der Mine kam. Die Lage in der Bergarbeiterstadt Bulyziza hatte explosiven Charakter.
Was heißt das konkret?
Die Bergarbeiter streikten, vor dem Zugang zur Mine wurden Barrikaden errichtet und einige Arbeiter schlossen sich in der Mine ein. Sie begannen einen dramatischen Hungerstreik. Die Bewohner der Bergarbeiterstadt mit circa 13.000 Menschen errichteten nach zwei Wochen Streik Kontrollstellen für den Zugang in die Stadt. Frau Rohtraut ließ sich nicht mehr blicken. Sie erwirkte aber ein Gerichtsurteil gegen den Streik und die Besetzung der Mine. Umgehend gewann der Konflikt an Schärfe.
Die Berisha-Regierung richtete an die Streikenden den Appell, ihre Aktion zu beenden. Ende Juli wurde bei Nacht und Nebel Spezialpolizei geschickt. Die Spezialpolizei verletzte hunderte von Bewohnern in der Stadt, gewaltsam wurde der Zugang zur Mine freigeprügelt. Mittels mieser Tricks kamen getarnte Spezialpolizisten zu den Hungerstreikenden unter der Erde. Die Kollegen wurden von der Berisha-Polizei brutal misshandelt.
Die Arbeiter erklärten nach dem Streik, im April 2012 neuerlich in den Streik treten. Ihre Forderungen nach mehr Lohn und Sicherheit am Arbeitsplatz bleiben gleich. Allerdings appellieren die Arbeiter aus Bulyziza an die anderen Sektoren der Arbeiter, ebenfalls in den Streik im gesamten Land zu treten.
Also in den Generalstreik?
Ja, aber ob es dazu kommt, ist nicht sicher. Wir vom Institut Antonio Gramsci unterstützen eine gesamt-albanische Streikbewegung oder einen Generalstreik. Alle Arbeiter in Albanien haben ausreichende Gründe zu rebellieren. Es gibt jeden Tag in Albanien irgendwo einen Streik. Das Problem ist der mangelnde Kontakt zwischen den Arbeitern auf nationaler Ebene. Wir benötigen im gesamten Land wirkliche Gewerkschaften unabhängig von den Clans. Die Bergarbeiter aus Bulyziza sind wirklich entschlossen. Wir müssen in Albanien die Arbeiterbewegung reaktivieren.
Arbeiterbewegung reaktivieren – was heißt das?
In Albanien gibt es zwei große Parteien, die sind beide für die Privatisierung. Auch die Sozialistische Partei ist keine Arbeiterpartei. Jetzt in der Opposition schlagen sie einiges zugunsten der Massen vor. Ihre grundsätzliche Ausrichtung ist jedoch auf die Privatisierung unseres Reichtums fixiert. In der SP geben, genauso wie in der Partei von Berisha PD, Geschäftsleute den Ton an. Eine linke Massenpartei gibt es nicht.
Der Aufbau einer solchen Partei wäre doch eine Möglichkeit?
Ja, wenn es in der SP zu weiteren Differenzierungen kommt. Es gibt innerhalb der SP einige, welche mit dem Gedanken spielen, nach dem Vorbild aus Deutschland eine Linkspartei zu schaffen.
Wärt ihr da vom Institut Antonio Gramsci dabei?
Ich glaube ja, aber momentan ist unser konkretes Vorhaben in Albanien, wirkliche Gewerkschaften zu installieren. Dies wird begleitet von der Gründung von politischen linken Gruppen im ganzen Land. Natürlich brauchen wir in Albanien mittelfristig eine revolutionäre Partei. Diese kann durch verschiedene Wege erreicht werden.
Erzähl uns noch was zur Lage der Arbeiterklasse in Gesamt-Albanien.
Es gibt einen gesetzlichen Mindestlohn in Albanien in der Höhe von umgerechnet 150 Euro pro Monat. Dieser Armutslohn wird aber nur selten in den privatisierten Ausbeutungshöhlen bezahlt. Die italienischen Textilkapitalisten verlagerten viel Kapital nach Albanien. Hauptsächlich werden dort Frauen für 70 Euro pro Monat beschäftigt. Der Arbeitstag beträgt meist 12 Stunden. Nach ein bis zwei Jahren sind die Hälfte der Frauen und Mädchen kaputt. Sie erhalten oft keine Handschuhe und sind ungeschützt den chemischen Stoffen ausgesetzt. Die Betriebe genießen den Status der diplomatischen Immunität. Ihnen wurde dies vor der Investition in Albanien zugesagt. Ergo kein Arbeitsschutz und keine Kontrolle bezüglich der Arbeitsbedingungen und der Umweltverschmutzung. Offiziell sind etwas mehr als 30 % der Menschen arbeitslos.
Die Statistik müsste jetzt sprunghaft ansteigen, denn unsere Arbeiterklasse war bis vor kurzem in ihrer Masse im Billiglohnbereich Griechenlands beschäftigt. Die Krise in Griechenland treibt die Menschen jetzt zurück. Mittellos erwarten sie hier neue Arbeitsplätze durch weitergehende Privatisierungen in Albanien. Dieses Warten ist vergeblich, denn jede Privatisierung vernichtete Arbeitsplätze.
Was soll in nächster Zeit privatisiert werden, was lockt ausländisches Kapital nach Albanien?
Albanien hat sehr viele Rohstoffe. Hier gibt es sogar Öl. In Albanien existieren große Wasserfälle mit der Möglichkeit zur Stromerzeugung. Die ausländischen Kapitalisten zahlen hier keine Steuern auf ihre Gewinne, letztere können sie frei transferieren. Vom Armutslohn und den fehlenden Sozialabgaben habe ich bereits berichtet.
Grundsätzlich ist unser Land sehr reich und alles ist gegen Bakschisch auf Kosten der Bevölkerung günstig zu erwerben. Albanien hat zusammen mit Kosova die drittgrößten Chromvorkommen der Welt. Die Kapitalisten stehen also Schlange, um zu rauben und auszubeuten. In Vlora will ein italienisches Konsortium ein Atomkraftwerk errichten. Dagegen formiert sich massiver Widerstand. Die herrschende politische Kaste um Sali Berisha feiert dieses Vorhaben jedoch als einen Schritt in Richtung Europa.
Was können wir tun, um euch zu helfen?
Macht die Zustände in Albanien bekannt. Wir benötigen dringend internationale Solidarität. Besucht uns mit Gewerkschaftsaktivisten und linken Abgeordneten aus Europa im April 2012. Die Bergarbeiter in der Bergarbeiterstadt Bulyziza wollen ab April bis zum Ende streiken. Es besteht die Möglichkeit, dass sich der Streik auf andere Sektoren ausdehnt, vielleicht erleben wir es einen Generalstreik für höhere Löhne, Arbeitszeitverkürzungen und für den Abgang der Regierung.
Anmerkung: Arber Zaimi ist Mitglied des Instituts Antonio Gramsci in Tirana. Die Organisation gibt die Zeitung Жazettaw wöchentlich heraus. In der Zeitung steht sehr viel Konkretes zur Lage in Albanien. Daneben gibt es viele Berichte über internationale Proteste. Die Zeitung hat auch einen umfassenden Theorieteil mit Artikeln u.a. von Slavjo Zizek. Das Institut greift den Namen einer italienischen Partisanenbrigade im zweiten Weltkrieg auf. Die Brigade führte den Namen Antonio Gramsci. Zudem war der marxistische italienische Theoretiker Gramsci albanischer Abstammung.