Was ist der Hintergrund für die Kontroverse um Internet-Zensur?
von George Martin Fell Brown, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in den USA) Dieser Artikel erschien zuerst auf der Webseite socialistworld.net
Am 26. Oktober 2011 brachte das Repräsentantenhaus mit Unterstützung beider Parteien, der „Demokraten“ und „Republikaner“, eine Gesetzesvorlage ein, die die Bezeichnung „Stop Online Piracy Act“ (Gesetz gegen Internet-Piraterie) trägt und unter der Kurzform „SOPA“ bekannt wurde. „SOPA“ baute auf dem Gesetz auf, das von der zweiten Kammer, dem Senat, unter der Bezeichnung „PROTECT IP Act“ („PIPA“) auf den Weg gebracht wurde und hätte der US-Regierung eine nie dagewesene Macht zur Zensur des Internet gegeben. Angesichts einer wachsenden Protestbewegung, die ihren Höhepunkt in der 24-stündigen Abschaltung prominenter Webseiten hatte, wurden drei Monate später sowohl „SOPA“ als auch „PIPA“ wieder zurückgezogen. Durch „SOPA“ und „PIPA“ gab es eine neue Debatte über geistiges Eigentum, Zensur sowie unternehmerische und staatliche Kontrolle über das Internet. Trotz der Tatsache, dass „SOPA“ und „PIPA“ vom Tisch sind, stehen die Kontrollabsichten weiter im Raum.
Die Zensur des Internet
Wenn „SOPA“ und „PIPA“ durchgegangen wären, hätte die US-Regierung damit weitgehende Machtbefugnisse zur Zensur des Internet gehabt. Und alles wäre unter dem Vorwand abgelaufen, gegen „digitale Piraterie“ vorzugehen. Konkret hätten die beiden Gesetze der Regierung die Möglichkeit gegeben, Suchmaschinen zu verbieten sowie Webseiten, die verdächtigt werden mit „digitaler Piraterie“ in Verbindung zu stehen, in ihre Suchkriterien mit einzubeziehen. Internetprovider hätten gezwungen werden können, solche Webseiten zu blockieren. Während das bestehende Urheberrechtsgesetz der Regierung die Möglichkeit bietet, einzelne Webseiten abzuschalten, hätten „SOPA“ und „PIPA“ sie in die Lage versetzt, ganze Domains abzustellen.
Es ist wahr, dass einige der AktivistInnen gegen „SOPA“ und „PIPA“ deren Stellenwert maßlos übertrieben haben. So wurde der Vergleich gezogen zur Zensur, wie sie in China ausgeführt wird und dass die Annahme der Gesetze umgehend zu „chinesischen Verhältnissen“ führen würde. Der Abgeordnete Zoe Lofgren („Demokraten“ / Kalifornien) ging so weit zu behaupten, dass „SOPA“ „das Ende des Internet, so wie wir es kennen, bedeuten würde“. Aber wie sehr „SOPA“ und „PIPA“ auch überbewertet wurden: für die Bürgerrechte waren diese beiden Gesetze eine echte Bedrohung.
Befürworter von „SOPA“ und „PIPA“ behaupteten, dass nur die „digitale Piraterie“ aus dem Ausland betroffen sein würde. Wie dem auch sei, die beiden Gesetze hätten der Regierung neue Machtbefugnisse eingeräumt, bei wenig Transparenz. Die US-Regierung hat eine ganz eigene Geschichte von der Anwendung von Gesetzen wie diesen beiden zu ganz eigenen Interessen. Als das Gesetz namens „USA PATRIOT Act“ für des Terrorismus Verdächtige die „Habeas Corpus-Akte“ aufhob (das Recht, dass einE GefangeneR vor Gericht gestellt werden muss), meinten die Befürworter, dass Unschuldige ja nichts zu befürchten hätten. Es gibt bis heute aber zahlreiche Fälle von unschuldigen Leuten, die in Guantanamo Bay gefangen gehalten wurden. Ähnlich verhält es sich mit dem „RICO Act“, das ursprünglich gegen organisierte Kriminalität gerichtet war. Es wurde aber auch herangezogen, um gegen die Arbeiterbewegung vorzugehen.
2010 zog das Justizministerium in Betracht, Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums anzuwenden, um Julian Assange wegen der Veröffentlichung von urheberrechtlich geschützten „Unternehmensgeheimnissen“ auf der Enthüllungswebseite „WikiLeaks“ strafrechtlich zu verfolgen. Wären „SOPA“ und „PIPA“ durchgegangen, so wäre es damit ein Einfaches gewesen, diese beiden Gesetze heranzuziehen, um den Zugang zu „WikiLeaks“ oder anderen politischen Webseiten zu blockieren – unter demselben Vorwand. Mehr noch: „SOPA“ und „PIPA“ hätten den Präzedenzfall für weitere Angriffe auf die Bürgerrechte geschaffen.
Das Problem mit „SOPA“ und „PIPA“ liegt allerdings tiefer. Es geht nicht nur darum, dass diese beiden Gesetze Missbrauch Tür und Tor geöffnet hätten. Die diesen Gesetzesinitiativen zu Grunde liegende Voraussetzung war die Stärkung des „geistigen Eigentums“, der Gedanke, dass Information das Eigentum von Unternehmen ist. Die Gefahr für die Bürgerrechte besteht dabei nicht allein in der übereifrigen Anwendung von Gesetzen zum Schutz des geistigen Eigentums, sondern ist im Grundgedanken vom „geistigen Eigentum“ an sich schon angelegt. Während „SOPA“ und „PIPA“ abgewendet werden konnten, ist beispielsweise das Gesetz „Digital Millennium Copyright Act“ (DMCA) weiterhin in Kraft, das der US-Regierung in begrenztem Maß das Recht einräumt, gegen „Online-Piraterie“ vorzugehen. Zur gleichen Zeit, da „SOPA“ und „PIPA“ abgewendet wurden, führte das FBI unter Anwendung des DMCA eine Razzia gegen die Film-Tauschbörse „MegaUpload“ durch. Das zeigt ganz klar, dass die Abwendung von „SOPA“ und „PIPA“ nicht dazu beigetragen hat, automatisch alle Befürchtungen vor Angriffen auf die Bürgerrechte zu zerstreuen. Um auf diese Befürchtungen angemessen zu reagieren, muss man fortwährend die Frage aufwerfen, was es eigentlich mit dem „geistigen Eigentum“ auf sich hat.
Das „geistige Eigentum“
Das Internet hat den Menschen rund um den Erdball die Möglichkeit des zuvor nie dagewesenen Zugangs zu Informationen gegeben. Zudem ist man damit in die Lage versetzt worden, mit Menschen an fast jedem Ort der Welt kommunizieren zu können. Die Zunahme des freien Austauschs von Information, Musik, Büchern, Filmen und anderen Medien hat aber auch dazu geführt, dass die Profite der großen Medienkonzerne der Welt davon betroffen sind. Um ihre Profite abzusichern, sind diese Medienkonzerne in zunehmendem Maße von Gesetzen zum „Schutz des geistigen Eigentums“ abhängig, die ihr Monopol auf Verbreitung von Information schützt. Die Verletzung dieses Monopols gilt als „digitale Piraterie“ und wird angesichts der bestehenden Gesetze als Diebstahl betrachtet.
Die stärkste treibende Kraft hinter „SOPA“ und „PIPA“ war das Unternehmen „Motion Picture Association of America“ (MPAA). MPAA vertritt sechs große Medienkonzerne: GE, „Disney“, „Newscorp“, „TimeWarner“, „Viacom“ und CBS. Diese sechs Konzerne sind in Besitz der Mehrheit der Medien und haben sich die Politiker beider US-amerikanischer Parteien in Form von großzügigen Spenden eingekauft. Es sind diese Konzerne, wie auch die aus der Musik-, der Fernseh- und der Sport-Branche, die von den Gesetzten zum „Schutz des geistigen Eigentums“ am meisten profitieren. Und es sind ihre Profite, in deren Sinn „SOPA“ und „PIPA“ geschrieben wurden.
Gesetze zum „Schutz des geistigen Eigentums“ sind verfasst worden, um die Kreativität zu fördern. KünstlerInnen sollte die Möglichkeit gegeben werden, auf ein zeitweise zur Verfügung gestelltes Monopol zurückgreifen zu können, um mit ihrer Arbeit Geld zu verdienen. Doch der erste Effekt der Gesetze zum „Schutz des geistigen Eigentums“ war nicht, dass KünstlerInnen mit ihrem Schaffen auch Geld einnehmen. Der erste Effekt war, dass Medienkonzerne in die Lage versetzt wurden, mit der Arbeit ihrer Beschäftigten Profite zu machen. Die KünstlerInnen wurden in restriktive Langzeitverträge gezwungen, die den Unternehmen das unbegrenzte Eigentum an der künstlerischen Arbeit gaben. Seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts wurden die Gesetze zum „Schutz des geistigen Eigentums“ derart ausgeweitet, dass Konzerne mittlerweile „geistiges Eigentum“ besitzen, lange nachdem die / der entsprechende KünstlerIn bereits tot ist. Darüber hinaus hängt der Profit dieser Konzerne davon ab, den Zugang zu Kunst zu erschweren. Unter dem Strich führt das dazu, dass Kreativität gedrosselt und nicht gefördert wird.
Viele Einzelpersonen akzeptieren zwar die Probleme, die aus dem Aspekt des „geistigen Eigentums“ für sie entstehen, lehnen aber Aktionen gegen das Urheberrecht als unwichtig ab. Letzten Endes scheint die Tatsache, dass man zu viel für Musik bezahlen muss, unbedeutend zu sein. Schließlich sterben gleichzeitig Menschen aufgrund viel schlimmerer Ursachen. Die Widersprüche, die mit dem „geistigen Eigentum“ einhergehen, beschränken sich jedoch nicht nur auf die Bereiche Kunst und Unterhaltung. Ein weiterer bekannter Unterstützer von „SOPA“ und „PIPA“ war der Pharma-Riese „Pfizer“. Die Befürchtung von „Pfizer“ richtete sich nicht dagegen, dass Menschen das Internet nutzen, um Videos runterzuladen ohne dafür zu bezahlen. Man macht sich viel mehr Sorgen darum, dass Menschen das Internet nutzen, um Medikamente aus Kanada zu bestellen. Im Gegensatz zu den USA gilt in Kanada das „single-payer health care system“ (Gesundheitssystem, das aus einem staatlich budgetierten Topf finanziert wird; Anm. d. Übers.), was dazu führt, dass kanadische Medikamente bedeutend günstiger sind als dieselben Arzneimittel aus den USA. Für viele Menschen aus dem arbeitenden Teil der Bevölkerung ist der Zugang zu bezahlbaren Medikamenten eine Frage von Leben und Tod.
Einige der OpponentInnen von „SOPA“ und „PIPA“, wie zum Beispiel „Google“ und „Facebook“, waren für das Gesetz „Online Protection and Enforcement of Digital Trade Act“ (OPEN Act), eine weniger radikale Variante. Auch wenn er weniger eifrig in der Ausführung daherkommt, so beruht der „OPEN Act“ doch auf derselben Annahme, das „geistige Eigentum“ schützen zu müssen. „Geistiges Eigentum“ dient aber dazu, die Großkonzerne reich zu machen, indem der arbeitende Teil der Bevölkerung ausgenommen wird. Deshalb sollte man den Begriff energisch ablehnen.
Die Gewerkschaft AFL-CIO
Mit der Bedrohung der Bürgerrechte und der Profitgier der Großkonzerne konfrontiert, hätte man annehmen können, dass die Arbeiterbewegung geschlossen und fest gegen „SOPA“ und „PIPA“ Position bezogen hätte. Tatsächlich aber unterstützte der Gewerkschaftsbund AFL-CIO die Gesetzesinitiativen. Am stärksten war die Unterstützung durch sechs Einzelgewerkschaften, die KünstlerInnen, MusikerInnen, BühnenarbeiterInnen und andere Beschäftigte der Unterhaltungsbranche vertreten. Diese Gewerkschaften repräsentieren ArbeiterInnen, die von genau der Branche ausgebeutet werden, welche „SOPA“ und „PIPA“ vorantrieben.
Paul Almeida, Vorsitzender des Fachbereichs „Professionelle Beschäftigte“ der AFL-CIO, wies die Befürchtungen hinsichtlich der Bürgerrechte zurück und argumentierte:
„Mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung ist nicht Gesetzlosigkeit im Internet gemeint. Es ist kein Widerspruch, für den Schutz eines offenen Internets einzutreten und gleichzeitig das geistige Eigentum zu gewährleisten. Der Schutz des geistigen Eigentums ist keine Zensur. Der erste Verfassungszusatz [Teil der US-Verfassung, der das Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigt] erlaubt nicht, Waren von einem LKW zu klauen“, („Statement Before Committee on the Judiciary, United States House of Representatives“, 16. November 2011).
Die „Onlinepiraterie“ beschrieb Almeida als „Warenraub“. Dabei wird der wahre „Warenraub“ von genau den Konzernen betrieben, die „SOPA“ und „PIPA“ überhaupt erst ausgearbeitet haben. Während die Vorstände der großen Medienkonzerne zynischer Weise so tun, als sprächen sie im Namen der armen KünstlerInnen und RegisseurInnen und damit an innerste Gefühle appellieren wollen, machen sie gleichzeitig auf dem Rücken eben jener KünstlerInnen enorme Profite.
Die Scheinheiligkeit der Medienkonzerne hinsichtlich der Rechte der KünstlerInnnen kam eins zu eins zum Vorschein, als die DrehbuchschreiberInnen in den Jahren 2007 und 2008 in den Streik traten. Es kam zu diesem Ausstand, weil die Unternehmen der „Alliance of Motion Picture and Television Producers“ Profite machten, indem sie Streams ins Internet setzten und Filme sowie Fernsehsendungen zum Download anboten. Gleichzeitig wurden die DrehbuchautorInnen von tragischen Filmen und Fernsehproduktionen übers Ohr gehauen. Dieselben Mediengesellschaften, die ihre Beschäftigten vor vier Jahren noch schamlos ausnutzten, behaupten jetzt, ihre Interessen zu vertreten.
Ein noch härteres Beispiel für wirklichen „Warenraub“ bieten die miserablen Vertragstexte, die man gewerkschaftlich nicht organisierten Fantasy-AutorInnen bei Verlagen wie etwa „Full Fathom Five“ aufzwingt. Dieser Verlag bringt z.B. die Jugend-Reihe „Lorien Legacies“ heraus.
„Der Autor ist im Falle jeglicher rechtlicher Schritte gegen das Buch finanziell verantwortlich, hat aber kein Urheberrecht. Full Fathom Five darf ohne Einwilligung den Namen des Autors oder ein Pseudonym verwenden, auch wenn der Autor nicht mehr an der Reihe beteiligt ist, und das Unternehmen darf zu jeder Zeit den vollen Namen des Autors durch ein Pseudonym ersetzen. Dem Autor wird untersagt, Verträge zu unterzeichnen, die in >Konflikt mit der Reihe stehen. Was das bedeuten soll, wurde nicht weiter ausgeführt. Werbung, Bilder oder biographisches Material können ohne Zustimmung des Autors veröffentlicht werden. Dafür, dass der Autor ohne Erlaubnis öffentlich erklären würde, mit >Full Fathom Five zusammenzuarbeiten, wurde eine Strafzahlung von 50.,000 US-Dollar festgelegt.“, (aus: „Inside Full Fathom Five, James Frey’s Young-Adult-Novel Assembly Line“, New York Magazine, 12. November 2010).
Wegen Verträgen wie diesem brauchen die Beschäftigten in der Unterhaltungsindustrie starke und kämpferische Gewerkschaften. Die Gewerkschaften müssen für bessere Verträge ihrer Mitglieder und der nicht gewerkschaftlich organisierten KollegInnen wie den AutorInnen bei „Full Fathom Five“ kämpfen, damit auch sie bessere Vertragsbedingungen bekommen. Das bedeutet, dass das Urheberrecht, so wie die Unternehmen davon gegen das Interesse der SchriftstellerInnen Gebrauch machen, offen angeprangert werden muss. Das würde für die KünstlerInnen bei weitem mehr bewirken als hinter „Onlinepiraterie“ her zu jagen.
Hätte die AFL-CIO gegen „SOPA“ und „PIPA“ Position bezogen, so wäre es möglich gewesen, die Heuchelei der Mediengesellschaften aufzudecken. Das hätte die Gewerkschaften in der Unterhaltungsbranche auch im Hinblick auf zukünftige Arbeitskämpfe und Verhandlungen um Bezahlung und Arbeitsbedingungen in eine weit bessere Lage gebracht. Sie hätten das Recht der Arbeiterklasse auf Zugang zu Musik, Fernsehen, Filme und Literatur anstandslos verteidigen können, ohne dabei von den großen Konzernen ausgenutzt zu werden. Außerdem hätte das unter breiten Schichten der Arbeiterklasse auch zur Unterstützung für organisierte ArbeitnehmerInnen geführt.
Stattdessen hat die AFL-CIO ihr Ansehen unter den AktivistInnen beschädigt, die gegen Zensur und Urheberrecht sind, indem sie sich mit den Arbeitgebern verbündet und „SOPA“ und „PIPA“ befürwortet hat. So aber wird die gesamte Unterhaltungsbranche vom Konzernvorstand bis runter zur Bühnenarbeiterin dargestellt als handele sich sich dabei um eine reaktionäre Masse. Erst dadurch wurde es möglich, dass die Bewegung gegen „SOPA“ und „PIPA“ von anderen Teilen der Großkonzerne als gut bezeichnet werden konnte, die die Kampagne nach ihrem Bild formte. Statt zu einer Auseinandersetzung zwischen den Beschäftigten und den Kapitalisten kam es somit zu einem Kampf der Kapitalisten aus Hollywood gegen die Kapitalisten aus dem Silicon Valley.
Abgeschaltete Internetseiten
Die Proteste gegen „SOPA“ und „PIPA“ fingen damit an, dass Einzelpersonen Briefe an den Kongress schrieben und bei „Facebook“ virtuelle Figuren anlegten, die sich gegen „SOPA“ richteten. Am 18. Januar erfuhr die Kampagne mit der 24 Stunden dauernden Abschaltung des Internet allerdings eine Wendung, als ganze Webseiten ihre sonst üblichen Inhalte durch Aufrufe ersetzten, die sich gegen „SOPA“ aussprachen. Initiiert wurde diese Idee von „Reddit“, einer Tochtergesellschaft der Mediengesellschaft „Advance Publications“.
Die bedeutendsten Teilnehmer an dieser Abschaltungsaktion waren Unternehmen wie „Google“, „Craigslist“ und „Reddit“ aber auch Non-Profit-Organisationen wie die „Wikimedia Foundation“ sowie „Mozilla“. Tausende kleinerer Webseiten schlossen sich an. Einige davon, wie z.B. „Wikipedia“, sorgten für eine vollständige Abschaltung ihrer Dienste. „Google“ blockierte lediglich das eigene Firmenlogo, nutzte die Abschaltungsaktion aber auch, um eine gegen „SOPA“ gerichtete Petition zu unterstützen, bei der mehr als 4,5 Million Unterschriften zusammen kamen. Alles in allem gingen „mehr als 14 Millionen Namen, darunter mehr als zehn Millionen Wählerstimmen“ bei den Gesetzgebern ein. Diese Aktionen waren für die Politiker Überzeugung genug, um ihre Unterstützung für „SOPA“ und „PIPA“ zurück zu nehmen, was am Ende zum Scheitern dieser beiden Gesetzesvorlagen führte.
Die Internet-Abschaltung sandte ein Signal an die Politiker, dass es hierbei nicht um ein Gesetz wie jedes andere ging. Die Unruhe stiftenden Auswirkungen der Abschaltung von Internetseiten waren ähnlich denen eines Streiks, und viele Menschen beschrieben die Aktion auch als „Internet-Streik“. In Wirklichkeit ähnelte die Aktion eher einem Streik des Kapitals als einem echten Streik oder einer tatsächlichen Arbeitsniederlegung. Die entsprechenden Internetseiten waren ja nicht abgeschaltet worden, weil ArbeiterInnen ihre Arbeitskraft verweigerten, sondern weil Konzerne und privat geführte Non-Profit-Organisationen ihre eigenen Inhalte blockiert hatten. Historisch betrachtet handelt es sich bei einem Streik des Kapitals um eine unverfrorene und reaktionäre Maßnahme, bei der Unternehmen ihre Güter zurückhalten, um Regierungen wirtschaftlich zu lähmen, wenn diese zu viele arbeitnehmerfreundliche Maßnahmen durchführen. Zwar erfolgte die Abschaltung der Internetseiten in diesem Fall nicht wirklich und bis ins letzte Detail dieser Maßgabe. Sie wurde aber von Unternehmen initiiert, die ihre Dienstleistungen vorenthielten, Einfluss auf die Politik der Regierung zu nehmen. Dabei wurde diese Abschaltung durch zwei wesentlich Faktoren verkompliziert: Es kam zum Konflikt zwischen zwei Segmenten der Konzern-Seite, und es kam zur breiten Unterstützung für dieses Vorgehen von Seiten großen Teilen der Bevölkerung.
Während die Unterhaltungsindustrie in hohem Maße abhängig von den Gesetzen zum „Schutz des geistigen Eigentums“ ist, um die eigenen Profite aufrecht zu erhalten, so sind andere Segmente unter den Konzernen nicht in der Lage, diese Profitmargen zu erreichen. Internet-Unternehmen, die stark von Inhalten abhängen, welche die UserInnen selbst zur Verfügung stellen (z.B. Suchmaschinen und soziale Netzwerke), kommen durch übermäßig strenge Auflagen hinsichtlich des „geistigen Eigentums“ in Unannehmlichkeiten. Schließlich ist es für sie schwierig, die Inhalte, die auf ihren Seiten stehen, zu kontrollieren. Deshalb mobilisierten diese Unternehmen auch gegen „SOPA“ und „PIPA“. Das heißt aber dennoch nicht, dass „Google“ – ein Unternehmen, das für Steuerhinterziehung, das Sammeln von persönlichen Kundendaten und bei der Begrenzung des Informationsflusses für seine Zusammenarbeit mit Diktaturen bekannt ist – grundlegend auch das Interesse hat, dass die Öffentlichkeit hat. Niemand kann sagen, wie die Einbindung von „Google“ auch die Richtung der Proteste gegen „SOPA“ beeinflusst hat.
„Google“ hat auf jeden Fall die konzernkritischen Aspekte der Kampagne abgeschwächt. Anstatt grundsätzlich Stellung gegen die Gesetze zum „Schutz des geistigen Eigentums“ und die Konzerngewinne zu beziehen, trieb „Google“ den zahmen und unternehmerfreundlichen Slogan „Ende der Piraterie, nicht der Freiheit“ voran. Zusammen mit der o.g. Petition verbreitete „Google“ auch ein Schreiben gegen „SOPA“, das von acht weiteren Internetunternehmen mit unterzeichnet war, darunter „Facebook“ und „Twitter“. In diesem Brief wurde die Notwendigkeit zur „Wahrung von Innovation und Dynamik, die das Internet zu solch einer wichtigen Kraft für wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze gemacht hat“ hervorgehoben. Auch der DMCA wurde darin verteidigt, der „OPEN Act“ angepriesen und versichert, dass die UnterzeichnerInnen „gewissenhaft handeln (würden), um gesetzeswidrige Inhalte von ihren Seiten zu entfernen“, (http://boingboing.net/2011/11/16/internet-giants-place-full-pag.html). Auf diese Weise wurde die Kampagne gegen „SOPA“ und „PIPA“ von einer Kampagne gegen profithungrige Medienmonopole umgeformt in eine Kampagne zur Unterstützung profithungriger Internetmonopole.
Freies und offenes Internet?
Während der Abschaltung der Internetseiten wurde auf der Ersatz-Homepage von „Wikipedia“ gewarnt, dass diese Gesetzgebung „das freie und offene Internet gravierend beschädigen“ könne. Der größte Teil der auf große Zustimmung gestoßenen Opposition gegen „SOPA“ und „PIPA“ ging genau davon aus: der Hoffnung auf ein freies und offenes Internet. Um dieser Hoffnung gerecht werden zu können, ist allerdings weit mehr nötig, als „nur“ das Ende von „SOPA“ und „PIPA“ oder das Ende aller Gesetze zum „Schutz des geistigen Eigentums“.
Der ganze Aufruhr um „SOPA“ und „PIPA“ demonstriert, dass Politiker beider Parteien die Interessen der Konzerne vertreten. Die Gesetzesinitiative ging von den „Demokraten“ und den „Republikanern“ aus, die dabei zusammenarbeiteten. In Wirklichkeit traten die „Demokraten“, die traditionell als die weniger konzernfreundliche Partei angesehen wird, noch vehementer für die Vorlagen ein als die „Republikaner“. So lange die Politik von zwei Parteien der Konzerne dominiert wird, besteht die Möglichkeit, dass die Regierung eingreift und das Internet im Interesse der Großkonzerne zensiert.
Dabei lässt sich sich die Bedrohung für ein freies und offenes Internet nicht allein auf direkte Zensur durch eine Regierung begrenzen. So etwas kann auch von den Internetunternehmen selbst ausgehen. Am Tag vor der Abschaltung der Internetseiten griff der Firmenchef von MPAA, Chris Dodd, die Idee als „einen Missbrauch der Macht, die den Unternehmen am Markt heute gegeben ist“ an („MPAA’s Chris Dodd takes aim at SOPA strike“, LA Times, 17.01.2012). Das ist die komplette Heuchelei des Herrn Dodd, deutet aber nicht weniger auch auf die rechtlichen Gefahren hin, die bestehen, wenn man das Internet in den Händen der Unternehmensmonopole und der großen, privat geführten Non-Profit-Organisationen belässt.
Unter der Ägide des Kapitalismus konzentriert sich die Kontrolle über das Internet in den Händen einiger weniger Großkonzerne. „Google“ besitzt momentan 70 Prozent des Suchmaschinen-Marktes und wie 2010 gehen 75 Prozent der Zugriffe auf Webseiten in den USA auf zehn 10 Webseiten zurück. Die Abschaltung der Internetseiten hat auch die Macht gezeigt, die diese Unternehmen haben, um den Informationsfluss zu beherrschen. Die meisten Leute haben wohlwollend über diesen Umstand hinweg gesehen, weil die Unternehmen ihre Macht benutzten, um eine in höchstem Maß unbeliebte Gesetzgebung zu verhindern. Doch diese Webanbieter sind genauso im Stande, Seiten abzustellen, wenn es um ihre weit weniger sympathischen Interessen geht; so etwa im Falle von Steuerhinterziehung und dem Sammeln und Verkaufen von Kundendaten.
Die Non-Profit-Struktur „Wikipedia“ hat uns einen Geschmack davon gegeben, wie ein freies Lern- und Informationsmedium selbst unter kapitalistischen Bedingungen aussehen kann. Und obwohl es sich in Privatbesitz befindet, werden die meisten Inhalte auf „Wikipedia“ kollektiv von Menschen überall auf der Welt nicht für Geld zur Verfügung gestellt, sondern weil sie Wissen austauschen wollen. Die Tatsache, dass so etwas nicht nur überleben kann sondern zu einer der wichtigsten und führenden Informationsquellen geworden ist, wirft die Frage nach der grundlegenden kapitalistischen Konzeption auf. Welchen Wert haben Profitinteressen und individuelle Kompetenzen für wen? Dennoch muss festgestellt werden, dass Unternehmen keine „Wikipedia“-Artikel bearbeiten und sich selbst in ein besseres Licht rücken können, ohne Anspruch auf Objektivität. Darüber hinaus ist „Wikipedia“ zunehmend von finanzstarken Spendern wie „Google“, der „FORD-Stiftung“ und Finanzmagnaten wie George Soros abhängig, um unter kapitalistischen Bedingungen bestehen zu können. Vor allem für Organisationen, die sich in Privatbesitz befinden, stellt dies einen gefährlichen Interessenkonflikt dar.
Um ein freies und offenes Internet zu haben, ist es zweifellos notwendig, gegen Gesetze wie „SOPA“ und „PIPA“ zu kämpfen, die das Internet zensieren. Das heißt aber auch, dass man sich sowohl gegen moderatere Gesetze wie den „OPEN Act“ wenden muss als auch gegen bestehende Gesetze gegen „Piraterie“ wie den DMCA. Es ist aber auch nötig zu berücksichtigen, was nach der direkten Bedrohung noch lauern kann, die die Zensur durch eine Regierung bedeuten würde. Das heißt, dass man gegen die Kontrolle des Internets durch die Konzerne kämpfen muss.
Um die Konzerne davon abzuhalten, selbst die Anfänge offener und freier Medien zu zerstören, ist es erforderlich, dass wir die Wirtschaft aus ihrem Würgegriff befreien. Es ist vonnöten, die Konzerne und auch die, die im Besitz der Medien sind, unter der demokratischen Kontrolle unserer Gemeinschaft in öffentliches Eigentum zu überführen. Um sicherzustellen, dass es freie Information im Internet gibt, sollte die Kontrolle über das Internet und die Werbung den großen Unternehmen genommen werden, und alles sollte in der Hand von gewählten VertreterInnen liegen.
Statt sich auf „Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums“ zu stützen, wäre den Menschen in einer demokratischen sozialistischen Gesellschaft der freie Zugang zu Information möglich während gleichzeitig die Rechte der KünstlerInnen wirklich gestärkt würden. Ein „Arbeiterstaat“ würde den KünstlerInnen, ProgrammiererInnen und ForscherInnen angemessene Löhne und soziale Sicherheit garantieren. Gleichzeitig wäre es erlaubt, auf sämtliche Forschungsergebnisse – z.B. im Bereich der Medizin – sofort und weltweit zurück zu greifen, ohne, dass man durch Profitinteressen daran gehindert wird, die sich hinter dem Begriff vom „geistigen Eigentum“ verstecken. Kunst und Information wären für alle frei zugänglich, befreit von der Kontrolle durch die Reichen und Mächtigen. Das kapitalistische System hingegen muss beendet werden, um Raum zu schaffen für einen echten offenen Fluss an Information, Austausch und Debatte.