„Den Kampf um die ganze Straße führen“

Rede von Lucy Redler bei den Sozialismustagen 2012

 

Liebe Genossinnen und Genossen,

Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben eindrücklich geschildert, welche Tragödie diese Krise für Millionen von Arbeitern und ihre Familien bedeutet.

Ein 77-jähriger Rentner erschoss sich am Mittwoch in der Innenstadt Athens, weil er nach 35 Jahren Einzahlung in die Rentenkasse nicht von seiner Rente leben konnte. Er schrieb in seinem Abschiedsbrief: „Ich sehe keine andere Lösung als ein würdiges Ende, bevor ich den Müll nach Lebensmitteln zu durchsuchen beginne.“

Genossinnen und Genossen: Wenn sich Menschen in Griechenland aufgrund der Schuldenkrise erschießen; wenn sich Menschen absichtlich mit HIV infizieren in der Hoffnung dadurch bessere staatliche Leistungen zu erhalten; wenn Mütter ihre Babies weggeben müssen, weil sie sie nicht mehr ernähren können: Dann enthält dieser Kapitalismus Elemente von Barbarei.

Marx schrieb, dass das Kapital von Kopf bis Zeh aus allen Poren blut- und schmutztriefend sei.

Dieses Blut klebt heute an den Rüstungskonzernen: Je tiefer die Krise wird, desto größer werden offenbar die Profite mit dem Tod: Die Umsätze der 100 größten Rüstungskonzerne sind im letzten Jahrzehnt um 160% angestiegen. Und während Merkel Krokodilstränen wegen der Menschen in Syrien und Libyen vergießt, erreichen die deutschen Rüstungsexporte neue orgasmatische Höhepunkte.

Eigentlich könnte der Bundestag das Geld für die sogenannten griechischen Rettungspakete gleich an die deutschen und französischen Banken oder eben direkt an Thyssen und Heckler & Koch überweisen.

Doch weiter wird uns das Märchen erzählt, wir würden die Griechen, Portugiesen und Iren retten.

Dabei verschlechtert jedes einzelne Sparpaket und jede einzelne drakonische Sparmaßnahme die Lage der Menschen in diesen Ländern.

Letztes Jahr wurden die Griechen gezwungen, Staatseigentum im Wert von 50 Milliarden Euro zu privatisieren. Übertragen auf Deutschland entspricht das dem Wert von zwei Dritteln aller DAX-Unternehmen, darunter Konzerne wie Allianz, BASF und Deutsche Bank.

Genossinnen und Genossen, die erste Pflicht jedes Antikapitalisten und jeder Antikapitalistin ist heute, Solidarität mit den ArbeiterInnen und Armen in Griechenland zu organisieren und innerhalb der Gewerkschaften und Betriebe darüber aufzuklären, dass Griechenland Testfeld für die Herrschenden international ist. Nach dem Motto: Heute Griechenland, morgen Spanien und Italien, übermorgen wir. Aber Griechenland ist nicht nur Testfeld für die Herrschenden, sondern auch für die Beschäftigten und Jugendlichen international.

Das sehen heute nicht alle so. Ich war vor ein paar Wochen bei einer Kundgebung von verdi im Rahmen der Tarifrunde des Öffentlichen Dienstes. Dort betonten zwei Redner auf der Bühne unabhängig voneinander, dass es hier und jetzt um die Interessen der Kollegen in Deutschland gehe und eben nicht um die Spanier und Griechen. Manche Kolleginnen und Kollegen schüttelten wie ich den Kopf. Aber eine größere Schicht von KollegInnen applaudierte,

Nicht weil sie Nationalisten sind, sondern weil ihnen seit Monaten erzählt wird, dass wir für die Griechen zahlen würden. Diesen Kollegen müssen wir geduldig erklären, wer von der sogenannten Griechenlandrettung profitiert.

Wir müssen den Kampf innerhalb der Gewerkschaften dafür aufnehmen, dass über die wahren Hintergründe der Eurokrise aufgeklärt und Solidarität organisiert wird.

Wann wenn nicht jetzt ist es an der Zeit – wie auf Initiative von AKL- und SAV-Mitgliedern von der LINKE Rostock beschlossen wurde – die Gewerkschaften und die Europäische Linkspartei aufzufordern, endlich ernsthafte Schritte zur Koordinierung des europaweiten Widerstands zu ergreifen von Aktionstagen, internationalen Demonstrationen bis zu einem europaweiten Generalstreik.

Genossinnen und Genossen, es ist unsere Aufgabe die internationalen Protesttage vom 17.-19. Mai in Frankfurt zu einem Erfolg zu machen und das folgende Signal an Arbeiter und Jugendlichen in anderen Ländern zu senden:

Hier, im Zentrum der deutschen Banken und EZB und der Regierung Merkel: Hier sind Zehntausende auf der Straße und sagen: Wir lassen uns nicht gegen euch aufhetzen!

Wir – im Herzen der Bestie – unterstützen die Forderung nach einem Nein zu jeder einzelnen Kürzung und nach sofortiger Schuldenstreichung gegenüber privaten und institutionellen Gläubigern.

Doch nicht nur in Griechenland, auch in Spanien führen die Arbeiterinnen und Arbeiter einen heroischen Kampf. Zehn Millionen Menschen haben sich am Generalstreik in Spanien vor einer Woche beteliligt. Der neue Präsident ist noch nicht mal hundert Tage im Amt und die Arbeiter skandieren, dass er den Sommer als Präsident nicht überstehen werde.

Wir haben den Generalstreik in Portugal gesehen und die Massenproteste in Italien gegen die Abschaffung des Artikel 18. Hierbei geht es um eine Aufweichung des Kündigungsschutzes und um Flexibilisierung. Berlusconi hat schon einmal versucht, den Artikel 18 abzuschaffen und ist damit gescheitert.

Ich weiß, dass einige von euch denken, ja, das ist so mit den Südeuropäern, die haben doch eine ganz andere Kampftradition.

Aber ich frage euch: Wer von euch hat damit gerechnet, dass es 2011 zu Massenprotesten von Hunderttausenden in Israel gegen Mietsteigerungen und die Politik der Regierung kommen würde?

Wer von euch hat damit gerechnet, dass es in Großbritannien – einem Land, in dem der Arbeiterbewegung in den letzten dreißig heftige Schläge verabreicht wurden – zu den wahrscheinlich größten Protesten seit den zwanziger Jahren kommen würde?

Wer von euch hat mit einem Generalstreik in Belgien oder Massenprotesten in Polen gerechnet?

Genossinnen und Genossen, die ganze Welt ist in Aufruhr. An erster Stelle standen 2011 die Revolutionen im arabischen Raum, die uns den Atem verschlagen haben.

Brett Hoven hat von der occupy-Bewegung in den USA und von einer tiefgreifenden Bewusstseinsänderung in der us-amerikanischen Gesellschaft im Zuge der Krise und des Widerstands gesprochen.

Diese Krise – die tiefste seit Ende der 20er – ist nicht vorbei. Der Economist schrieb vor kurzem: „Die Krise geht in Wirklichkeit von einer akuten Phase in eine chronische Phase über.“

Es gibt auch für die deutsche Wirtschaft kein Entkommen aus dieser Krise. Es ist richtig, dass sich die Lage der deutschen Wirtschaft heute von griechischen und spanischen Verhältnissen unterscheidet. Das deutsche Kapital konnte bisher von der Krise profitieren.

Das kann sich aber schlagartig ändern, wenn die jetzt gebaute sogenannte Brandmauer um den Euro neue Löcher bekommt oder ganz abfackelt und deutsche Exporte in Folge einer Verschärfung der Eurokrise einbrechen.

Momentan tut die Regierung so, als habe sie alles (außer der FDP) unter Kontrolle. Aber vergesst nicht, dass noch vor ein paar Wochen der Euro am Abgrund stand und Horrorbotschaften die Runde machten, denen zu Folge die deutsche Wirtschaft bei einem Zerfall der Eurozone um 25 Prozent einbrechen und dass eine Million Jobs gefährdet sein könnten.

Unabhängig davon dürfen wir aber auch nicht vergessen, dass für viele Kolleginnen und Kollegen, die seit zehn Jahren Reallohnverlust hinnehmen, schon seit Jahren Krise in ihrem Portemonnaie ist. Für all jene, die Leiharbeiter sind oder Werkverträge haben. In der Schlachtindustrie haben heute 90 Prozent Werkverträge.

Vor diesem Hintergrund ist der Abschluss der Tarifrunde im Öffentlichen Dienst zu bewerten. 300.000 Beschäftigte haben sich eindrucksvoll an Warnstreiks beteiligt und für eine Erhöhung der Löhne um mindestens 200 Euro gekämpft. Verdi schloss bereits nach der dritten Verhandlungsrunde mit einem Ergebnis von 6,5 Prozent auf zwei Jahre gerechnet ab, also ungefähr drei Prozent jährlich, ohne einen Sockelbetrag durchzusetzen. Der Tarifabschluss bedeutet zudem für viele Kollegen einen Urlaubstag weniger.

Nun könnte manch einer argumentieren, dass es in der Vergangenheit schon schlechtere Abschlüsse gegeben habe. Das ist aber kein guter Maßstab der Bewertung. Angesichts steigender Benzin- und Strompreise ist die Gefahr gegeben, dass dieser Tarifabschluss eine Fortsetzung des Reallohnverlusts bedeuten wird. Noch problematischer ist jedoch, dass der Niedriglohnbereich mit diesem Abschluss weiter abgehängt und zementiert wird.

Dieser Abschluss hat aber noch eine andere Dimension. Wenn es in Deutschland, vor dem Hintergrund eines angeblichen Aufschwungs, nicht gelingt, reale Lohnerhöhungen durchzusetzen und der Prekarisierung Einhalt zu gebieten, wie soll das dann in Griechenland, Spanien und Italien möglich sein?

In dieser Tarifrunde wurde auf eine politische Zuspitzung verzichtet. Der Verdacht liegt nahe, dass die führende Kräfte in verdi, die Parteibücher von SPD und Grünen in der Tasche haben, im NRW-Wahlkampf aber auch im Jahr der Bundestagswahl 2013 für Ruhe sorgen wollten, weswegen es zur Laufzeit von zwei Jahren kam. Dadurch wird eine Zuspitzung im Bundestagswahljahr vermieden und die Länderbeschäftigten, bei denen 2013 Verhandlungen anstehen, werden isoliert.

Dieser Kampf hätte gewonnen werden können, wenn Hunderttausende Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes gemeinsam mit Hunderttausenden aus der Metallindustrie und der Telekom gestreikt hätten und die Gewerkschaften gemeinsam ausgerufen hätten: Uns wird seit Jahren gesagt, die Kassen seien leer, aber es sind Milliarden da für die Rettung der Banken. Wenn Wulff mit einem Ehrensold von zusammengerechnet einer halben Million Euro verabschiedet wird, wer will uns da weismachen, es sei kein Geld da?

Wenn sie Geld sparen wollen, sollten sie beim Bundespräsidentenamt anfangen und das Amt des Bundespräsidenten, das völlig überflüssig ist, ganz abschaffen! Wir brauchen weder – wie es ein Autor vor kurzem treffend formulierte – einen Ersatzmonarchen noch einen Grüßonkel.

Wir brauchen niemanden der uns etwas von Freiheit vorgauckelt und dabei vor allem die Freiheit der oberen Zehntausend meint.

Die Freiheit, die Schleckerfrauen vor die Tür zu setzen.

Die Freiheit, uns weiter zu überwachen und auszubeuten.

Marx schrieb diesbezüglich treffend: „Gleiche Ausbeutung der Arbeitskraft ist das erste Menschenrecht des Kapitals“

Genossinnen und Genossen. Wir brauchen Gewerkschaften, die Kampforganisationen sind und nicht welche, die den Kollegen wie am Frankfurter Flughafen in den Rücken fallen. Gewerkschaften, die auch unter schwierigen Bedingungen in den Kampf ziehen, wie László H. das am Beispiel CFM und Charite deutlich gemacht hat. Das wird in der jetzt vor uns vorliegenden Phase, wenn die Krise Deutschland in anderer Qualität trifft und in größerem Ausmaß Stellen abgebaut werden, von hoher Bedeutung sein. Wir sehen schon heute den Arbeitsplatzabbau bei Nokia Siemens Network, bei Leiser in Berlin, den geplanten Stellenabbau bei Opel Bochum. In der Solarindustrie – mit der ankündigten Pleite von Qcells – sehen wir gerade unter kapitalistischen Bedingungen den Anfang vom Ende der Sonnenallee.

Der bisherige Höhepunkt in Deutschland ist aber Schlecker. Nach Jahren von Lohndumping, Korruption und Überwachung der KollegInnen bei Schlecker werden die 11.200 Schleckerfrauen jetzt auf die Straße gesetzt werden. Und der Vorsitzende der radikalen Splitterpartei FDP ist so dreist, sich hinzustellen und zu sagen, es seien „erhebliche Zweifel angebracht, ob dieses auf Niedriglöhnen basierende Geschäftsmodell Zukunft hat“.

Er, dessen Partei immer gegen Mindestlöhne und für den Niedriglohnsektor gestritten hat! Es wurde noch krasser, als Rösler zynisch von der möglicher „Anschlussverwendung“ der Schleckerfrauen sprach, als wären Menschen etwas was man wie Rohstoffe verwenden könnte. Wir werden Rösler nach der nächsten Bundestagswahl an den Begriff der Anschlussverwendung erinnern!

Wobei das tragische ist, dass in dieser Zwei-Klassen-Gesellschaft im Gegensatz zu den ehrlichen Schleckerfrauen Leute wie Rösler immer Anschluss in der kapitalistischen Wirtschaft finden werden.

Genossinnen und Genossen, wir brauchen nicht nur eine Kampfstrategie, sondern wir müssen die Herren und Damen da oben politisch herausfordern. Und dabei geht es nicht nur um die Banken. Die LINKE NRW schreibt in ihrem Wahlprogramm treffend: „Die aktuelle Krise ist mehr als nur eine Bankenkrise, sie ist eine Krise des herrschenden Wirtschaftssystems. Sie markiert den wirtschaftlichen Bankrott des Kapitalismus.“

Aber gerade weil sie das ist, brauchen wir eine fundamentale, eine umfassende Antwort auf diese Krise. In Griechenland liegt die Macht heute auf der Straße und sechzehn Generalstreiks in den letzten zwei Jahren haben nicht ausgereicht, um den Kapitalismus zu stürzen. Es gab in den letzten Monaten verschiedene Situationen, in der es mit einer entschlossenen Führung in der Bewegung die Möglichkeit gegeben hätte, die Regierung zu stürzen und die Macht zu übernehmen.

Das zeigt, dass Bewegungen allein dieses bis an die Zähne bewaffnete System nicht zu Fall bringen werden. Aber genau darum geht es: Um eine Änderung der Machtverhältnisse, um den Sturz eines Systems, dass Jugendlichen und Arbeitern weltweit keine Zukunft zu bieten hat. Ein System, dass in Spanien eine Arbeitslosenquote von 24 Prozent zu verantworten hat.

Die großen Linksparteien in Griechenland, SYRIZA und die KKE, sind unfähig, eine politische Antwort – ein Programm und Strategie zum Sturz der Regierung und des Kapitalismus –zu formulieren. Sie sind nicht bereit, ein gemeinsames Wahlbündnis, geschweige denn eine Arbeiterregierung zu bilden.

Wir müssen uns organisieren, um die nötigen politischen Antworten zu geben.

Unsere Sektion in Griechenland, Xekinima, war die erste, die die Forderung nach Schuldenstreichung thematisiert und dafür gekämpft hat. Heute wird diese Forderung massenweise unterstützt. Wir brauchen ein Programm, das die Verstaatlichung aller Banken und Großkonzerne fordert. Eins der Themen, das in der griechischen Linken heute heiß diskutiert wird, ist die Frage des Austritts aus dem Euro. Unsere GenossInnen in Griechenland warnen davor, diese Forderung heute offensiv aufzustellen, weil es weder mit der Drachme noch mit dem Euro eine Lösung im Rahmen des Kapitalismus für die griechische Arbeiterklasse gibt.

Stattdessen ist eine Strategie nötig, wie eine Regierung aus Arbeitern und verarmten Volksmassen die Macht übernehmen und wie ein Bruch mit dem Kapitalismus aussehen kann. Eine Strategie, wie der Kampf international geführt werden kann und wie eine sozialistische Perspektive von demokratischer Planung möglich wird.

Für diese Positionen kämpfen wir als Teil einer internationalen marxistischen Organisation, dem CWI. Wir kämpfen dafür aber auch täglich in Gewerkschaften und in der Partei die LINKE.

DIE LINKE bleibt bei allen Unzulänglichkeiten der Ansatzpunkt – wie es in der neuen Erklärung der Antikapitalistischen Linken heißt – um eine sozialistische Massenpartei aufzubauen.

Und damit meine ich nicht, dass sich DIE LINKE geradlinig zu einer sozialistischen Massenpartei entwickeln wird. Aber die Diskussionen darüber, wie eine solche Partei aussehen kann und wie wir dahin kommen, finden heute vor allem in der LINKEN statt und Sozialistinnen und Sozialisten sollten Teil von diesen Debatten sein.

Ich habe gestern das neue Plakat der LINKE NRW zu den explodierenden Benzinpreisen gesehen. Es fordert: „Mineralölkonzerne enteignen. Spritpreise runter. Für kostenlosen Personennahverkehr“. Das fand ich ziemlich gut.

Wir wissen alle, dass Wahlen nichts grundlegendes verändern, liebe Genossinnen und Genossen.

Trotzdem hat die Frage, ob der antikapitalistisch geführte Landesverband der LINKE in NRW erneut den Einzug in Landtag schafft, erstens eine Relevanz für die Lohnabhängigen und Erwerbslosen in NRW, zweitens aber auch für das Gewicht der antikapitalistischen Kräfte innerhalb der LINKE.

Wir werden diese Partei nicht den Bartschs und Ramelows überlassen und wünschen allen Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfern in NRW Erfolg!

Die LINKE kommt gerade auch unter Druck durch die Wahlerfolge der Piraten, die in den Umfragen vor allem aufgrund von Proteststimmen zulegen können. Wobei offenbar viele Menschen gar nicht wissen, wofür die Piraten politisch stehen. Wie beispielsweise für die Erhöhung der Diäten in NRW und die Schuldenbremse im Saarland!

Die Piraten können trotz ihres inhaltlichen Programms punkten, weil sie einem wichtigen Wunsch Ausdruck verleihen: Dem Wunsch nach einer Partei, die vor allem eins ist: anders! Eine Partei, die eben nicht einfach linkes Korrektiv ist, sondern die nichts mit den etablierten Parteien zu tun haben will. Für eine solche Partei streiten wir in der Linkspartei und haben uns der AKL angeschlossen, um das mit anderen GenossInnen in der Partei gemeinsam zu tun.

Genossinnen und Genossen,

Wenn ich sage, dass wir die Gewerkschaften zu Kampforganisationen machen, eine sozialistische Massenpartei aufbauen und der Kapitalismus gestürzt werden muss, dann sagen ja viele: Diese Aufgaben sind viel zu groß; man kann ja eh nichts ändern.

Wenn ich als Kind mal entmutigt war, sagte mein Vater immer zu mir, ich solle es machen wie Beppo Straßenkehrer aus Momo. Ich weiß nicht, wer sich von euch an Beppo Straßenkehrer erinnert. Beppo hat jeden Tag das Gefühl, dass die Straße, die er kehren muss, endlos lang ist und er gar nicht weiß, wie er es schaffen soll. Irgendwann lernt er sich vorzunehmen, nie die ganze Straße auf einmal, sondern immer nur den nächsten Besentrich zu sehen und den nächsten. Ich fand das als Kind sehr beruhigend, wenn ich mal dachte, das schaffe ich ja nicht alles auf einmal. Hat ja auch psychologisch was, wenn man sich auf Dinge konzentiert, plant, bilanziert.

Aber leider hat die Strategie von Beppo und meinem Vater einen ziemlichen Haken. Denn wir werden diese einzelnen Besenstriche und Kämpfe dauerhaft nur gewinnen, wenn wir sie als Teil des Kampfes um die ganze Straße führen. Wenn man die Straße aus dem Blick verliert und nur noch am kehren ist ohne aufzuschauen, ist die Gefahr hoch, dass man in die falsche Richtung kehrt.

Dass man die Sachzwänge dieses Systems akzeptiert. Dann landet man bei einer Politik wie sie die Führung von SYRIZA in Griechenland oder wie sie manche in der Linkspartei in Berlin und Brandenburg betreiben.

In diesem System ist aber nichts sicher. Wir können Arbeitsplätze und demokratische Rechte nur verteidigen, wenn wir entschlossen sind, mit dem Profitprinzip zu brechen und die Spielregeln der Herrschenden nicht mitzuspielen. Wenn wir ihre Spielregeln akzeptieren, landen wir bei einer Politik des kleineren Übels.

Rosa Luxemburg hatte Recht, als sie schrieb, die Revolutionäre seien die besten und entschlossensten Kämpfer für Reformen – eben weil sie keine Angst haben vor einem Bruch mit dem System.

Genossinnen und Genossen,

Auf dieser Straße von Beppo, Momo und Cassiopeia stehen wir gemeinsam mit den Arbeitern und Entrechteten aus Griechenland, Spanien, USA, Israel, Iran und vielen anderen Ländern.

Wir können die Straße nur erobern, wenn wir zusammen voran schreiten, die großen Steine gemeinsam aus dem Weg räumen und uns nicht spalten lassen.

Ich behaupte nicht, dass das leicht ist angesichts des Erstarken des Rechtspopulismus und der Nazis in vielen Ländern. Es ist nicht leicht angesichts des Zustands der Gewerkschaften und der Linksparteien in Europa.

Aber wir haben keine andere Möglichkeit als diesen unseren Kampf um unsere Straße zu führen – wenn wir nicht wollen, dass das tragische Beispiel des griechischen Rentners die verzweifelte Antwort vieler wird.

Lasst uns voneinander lernen und gemeinsam kämpfen. Und an das erinnern was Bertolt Brecht in „An die Nachgeborenen“ schrieb:

In den alten Büchern steht, was weise ist:

Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit

Ohne Furcht verbringen

Auch ohne Gewalt auskommen

Böses mit Gutem vergelten

Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen

Gilt für weise.

Alles das kann ich nicht

Brecht konnte sich nicht aus dem Streit der Welt halten. Er konnte seine Wünsche nicht vergessen und die Zeit ohne Furcht verbringen.

Wir sollten hinzufügen, dass wir das nicht können, aber auch nicht wollen.

Die Ereignissen in Nordafrika 2011 haben Revolutionen zurück auf die Tagesordnung gebracht, wir sehen Elemente einer revolutionären Situation in Griechenland.

Ähnlich wie Momo führen wir einen Kampf gegen die Zeit.

Lasst uns nicht mit diesen Verhältnissen abfinden.

Lasst uns die Machtverhältnisse grundlegend ändern und für sozialistische Alternative zu diesem verrotteten System kämpfen.