Alles Energiewende oder was?

Ein Jahr nach dem sogenannten Ausstiegsbeschluss
 

Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima und nach Massenprotesten gegen den Betrieb von Atomkraftwerken hatte die Merkel-Regierung im letzten Sommer eine „Energiewende“  ausgerufen: Acht von 17 AKWs wurden sofort abgeschaltet, Energiesparmaßnahmen und die verstärkte Förderung von erneuerbaren Energien geplant. Ihr Anteil am  Gesamtenergieverbrauch sollte bis 2050 auf 80 Prozent steigen.

Ein Jahr danach liegt der Anteil an der bundesweiten Stromerzeugung mit 20 Prozent    ungefähr vier Prozent höher als 2010 und steigt weiter. Er könnte jedoch noch wesentlich höher sein, wenn von dieser Energieleistung nicht all das wieder verloren ginge, was die
unzureichenden Stromnetze nicht aufnehmen können.

von Conny Dahmen, Köln

Der Atomstrom-Anteil ist dagegen um fast ein Viertel auf 17,5 Prozent Anfang diesen Jahres gesunken (junge Welt 11.04.2012). Obwohl Deutschland Stromexporteur geblieben ist und mit derzeit nur vier laufenden AKW immer noch enorme Überkapazitäten vorhanden sind, sollen die restlichen Reaktoren erst bis 2022 komplett abgeschaltet sein und bis dahin weiterhin tonnenweise Müll produzieren.

Energieeinsparmöglichkeiten in der industriellen Produktion wurden nicht genutzt, so dass der  Stromverbrauch nach Angaben der AG Energiebilanzen im vergangenen Jahr nur 0,3 Prozent niedriger war als zuvor. Kein Wunder, denn Stromsparen lohnt sich nicht. Es sind die fast 100.000 „stromintensiven“ Unternehmen, die Strom zu günstigeren Preisen bekommen und von vielen Sonderabgaben befreit sind (Wirtschaftswoche vom 28.3.12), welche auf die Privathaushalte umgelegt werden. Laut Bundesumweltministerium haben die privaten Stromverbraucher 2011 allein dadurch zwei Milliarden Euro mehr für die EEG-Umlage (Umlage der Einspeisevergütung für Solarstrom, mit der jede  Anlage für 20 Jahre bezuschusst wird) zahlen müssen.

Anfang vom Ende der Sonnenallee

Die Kürzung staatlicher Subventionen, schrumpfende Exportmärkte, die erheblichen Überkapazitäten auf dem Weltmarkt und der damit einhergehende Preisverfall für Solarmodule im letzten Jahr treiben immer
mehr Solarunternehmen wie zuletzt die beiden einstigen deutschen Weltmarktführer Solon und Q-Cells, aber auch zahlreiche US-Firmen, in die Pleite. Opfer sind die 130.000 Beschäftigten des Sektors, die  unter miesen Arbeitsbedingungen, untertariflichen Löhnen, befristeten Verträgen und  Arbeitsplatzverlust leiden. Einer Umfrage zufolge planen 62 Prozent aller Solarunternehmen in  Deutschland Entlassungen (Spiegel online 2.4.12).

Aber auch die vier großen Energie-konzerne machen Druck auf die Bundesregierung, die staatlichen   Subventionen für erneuerbare Energien zu kürzen, wie zum Beispiel zuletzt die Gelder für Solarstrom. Denn nach dem Abschalten der AKW im letzten Jahr fuhren sie im Vergleich zu 2010 niedrigere Gewinne  oder sogar Verluste ein: Vattenfalls Gewinn sank 2011 um ein Fünftel auf „nur noch“ 1,18 Milliarden Euro, der von Europas größtem Klimakiller RWE um ein Drittel (Focus 19.4.12), Eon und EnBW stecken in den roten Zahlen. Auch wenn diese Konzerne mittlerweile in regenerative Energien investieren, werfen die AKW und Braunkohlekraftwerke mit Abstand die größten Gewinne ab, weswegen sie alles daran setzen, wenigstens die verbleibenden Kraftwerke so lange wie möglich ausbeuten zu können. So sind zurzeit 150 Millionen Euro für die Förderung neuer fossiler Kraftwerke eingeplant. Bis Juni beraten die
EU-Politiker sogar über EU-Subventionen für den Bau neuer AKW als „emissionsarme“ Energieform!

Energiewirtschaft in öffentliche Hand

Die stockende „Energiewende“ und die Krise der Energiebranche sind das Ergebnis des kapitalistischen Konkurrenzsystems. Auch wenn viele Unternehmen heute auf „grüne“ Energien setzen, wird unter diesen
chaotischen Umständen eine Welt ohne Klimaschäden und radioaktive Verseuchung eine Utopie bleiben.

Jetzt schreien die Chefs der deutschen Solarindustrie nach dem Staat, um sie durch Zölle und Zuschüsse vor der chinesischen Konkurrenz zu schützen, die mittlerweile 57 Prozent der Solarzellen weltweit
herstellt. Aber anstatt der Mehrheit der Gesellschaft die Kosten für die Verluste (oder Gewinne) privater Unternehmen aufzubürden, gehört die gesamte Energiewirtschaft in öffentliche Hand und unter demokratische Kontrolle und Verwaltung. Alle Reaktoren müssen sofort stillgelegt und alle Atommülltransporte gestoppt werden. Statt riesiger Windparks im Meer ist ein öffentliches Investitionsprogramm zur Energieeinsparung und ein Ausbau dezentraler erneuerbarer Energiegewinnung nötig.