Ein Gespräch mit Jens Schmidt (Name geändert), Mitglied der Werder-Fan-Szene
S: Im Vorfeld wurde in den Medien viel über die Nichteinhaltung der Menschenrechte in der Ukraine, die Korruption im Land, Fan-Gewalt und sogar ein Boykott der EM durch die politischen Repräsentanten diskutiert. Was hältst du als Fußball-Fan von diesen Diskussionen und wie beurteilst du die Lage in der Ukraine und Polen?
J: Grundsätzlich halte ich einen Boykott schon für sinnvoll, da diese Länder bei der EM im Fokus des Interesses stehen. Viele Leute haben vor der EM eher nicht wahrgenommen, was in Polen und der Ukraine passiert. Daher wäre es für Fans und Politik sinnvoll ein Zeichen zu setzen.
S: Es wird von den Herrschenden und den angepassten Medien immer wieder suggeriert, dass Fußball und Politik getrennt betrachtet werden müssen und keine Vermischung stattfinden darf. In den letzten Wochen haben sich jedoch selbst Jogi Löw und Phillip Lahm kritisch zu der Situation in der Ukraine geäußert. Wie bewertest du das?
J: Das ist erstmal durchweg positiv. Meiner Meinung nach kann man das nicht trennen. Im Umkehrschluß würde das heißen, dass sich die Politik aus dem Sport heraushalten muss, was ja faktisch nicht der Fall ist.
S: Die Fußballszene in der Ukraine ist durch Oligarchen geprägt, die sich in die EM einmischen und Geld in das Turnier stecken. Sie besitzen ja sogar ganze Clubs wie Schachtjor Donezk, Dynamo Kiew oder Metallist Charkow. In der Fan-Szene stoßen solche Machtstrukturen auf scharfen Widerstand, da so der Ausverkauf des Fußballs hin zu einem rein kommerziellen Event vorangetrieben wird. Was können Fans konkret tun, um diesem Trend entgegenzuwirken?
J: In erster Linie müssen sie immer wieder darauf pochen selbst zu bestimmen, was in den Vereinen passiert und dass sie um Mitspracherecht in Vereinsangelegenheiten kämpfen. Dies ist jedoch nur in gewissem Maße möglich.
S: Was denkst du über die Gewalt-Debatte bei der EM?
J: Mit Ausschreitungen rechne ich nicht. Die Angst ist aber bei vielen da. So hat der ehemalige englische Nationalspieler Sol Campbell englische Fans davor gewarnt zur EM zu fahren. Durch die Sicherheitsvorkehrungen wird wahrscheinlich eher nichts passieren. Die Frage ist aber wie dafür gesorgt wird, dass es nicht zu Krawallen kommt. Kritisch sind zudem die Register über Fans zu betrachten. Hier wird zu wenig differenziert zwischen echten Fans und Gewalttätern.
Die Situation in Polen kann ich schlecht beurteilen. Das hat aber mit Sicherheit mit der sozialen Unzufriedenheit und der Armut im Land zu tun. Diese Unzufriedenheit entlädt sich dann oftmals im Stadion. Natürlich möchte ich damit nicht die Gewalt von Seiten der polnischen Nazis rechtfertigen.
S: Du meinst also, dass rechtsextreme Kräfte die Mehrheit in der polnischen Fan-Szene bilden?
J: Dies trifft absolut so zu.
S: Die Gewalt-Debatte in den bürgerlichen Medien erweckt zudem den Anschein, dass alle Fans in den Kurven nur auf Krawall im Stadion aus sind. Was können deiner Meinung nach Fußball-Fans tun bzw. was ist notwendig, um diesen Vorurteilen entgegenzuwirken?
J: Das ist tatsächlich eine Sache, die an den Fans liegt. Nur die Fans untereinander können beurteilen, wer Stress macht und wer nicht. Nur dazu müssen die unterschiedlichen Fan-Lager auch miteinander kommunizieren. Das findet oftmals nicht statt.
S: Vor kurzem kam es beim Relegationsspiel zwischen Düsseldorf und Hertha BSC fast zu einem Spielabbruch, weil Fans den Rasen stürmten. Innenmininster Friedrich schlug daraufhin vor, die Stehplätze in den Stadien abzuschaffen. Bei der EM werden neben Polizei-Kräften auch Militär und private Sicherheitskräfte eingesetzt um für „Sicherheit“ in den Stadien zu sorgen. Was hältst du von solchen Plänen?
J: Grundsätzlich fand ich den Platzsturm nicht so dramatisch, wie er dargestellt wurde. Die Relegation hat eindeutig eine finanzielle Relevanz. Der Verband hätte ich Vorfeld bedenken müssen, dass es für die beteiligten Vereine um viel geht und daher so etwas leicht passieren kann. Ausschreitungen und Krawalle gab es zudem nicht. Die Fans haben sich einfach nur zu früh gefreut.
Das Militär hat im Stadion nichts verloren. Es verunsichert zudem die Menschen zusätzlich. Der Militär-Einsatz wird auch nur von Leuten gefordert, die von der Materie keine Ahnung haben. Niemand will beim Fußball neben Soldaten in der Kurve stehen.
Stehplätze abschaffen macht überhaupt keinen Sinn. Berlin hat nur Sitzplätze. Beim Pokalfinale zwischen Bayern und Dortmund wurden trotzdem in beiden Fan-Blöcken Pyros abgebrannt. Stehplätze abschaffen würde zudem bedeuten, die echten Fans, die oftmals wenig verdienen, aus den Stadien zu verbannen. Die Preise für Sitzplätze sind oftmals horrend teuer. Würde es zu einem Verbot kommen, könnte ich mir keine Dauerkarte mehr leisten. Das Gleiche gilt für SchülerInnen, StudentInnen und Erwerbslose. Die Stimmung würde massiv darunter leiden, da die Anfeuerung von den Stehplätzen kommt.
S: In der Debatte um mehr Sicherheit in den Stadien wird auch immer wieder über den Einsatz von Pyrotechnik und verschärfte Einlasskontrollen diskutiert. Fans werden in Register der Sicherheitsbehörden aufgenommen und immer öfter werden ungerechtfertigte Stadionverbote erteilt. Dabei werden Fans generell als gewalttätig dargestellt. Ist dies ein rein deutsches Phänomen oder wie wird damit im Ausland verfahren?
J: Erst einmal ist der Einsatz von Pyro-Technik nicht gleich Gewalt, obwohl Pyros auch gefährlich sein können. Beim Bundesliga-Spiel Bochum- Nürnberg vor zwei Jahren zum Beispiel, erlitten acht Fans Verletzungen, zwei davon wurden lebensgefährlich verletzt. Ich bin klar pro Pyro-Technik. Sicher wäre es sinnvoll eigene Bereiche im Stadion für das Abbrennen von Pyros zur Verfügung zu stellen oder ähnlich wie bei den Fahnen Pyro-Pässe auszugeben. Die Gefahr entsteht jedoch erst durch das totale Verbot, denn die Pyros kommen trotzdem ins Stadion und dadurch steigt auch das Risiko. Ein deutsches Phänomen ist es sicherlich nicht.
S: In den letzten Jahren haben Nazis und Rassisten zunehmend Einfluss in den deutschen Fan-Szenen gewonnen und versuchen bei großen Turnieren auf der „Deutschland-Welle“ zu schwimmen um ihren menschenverachtenden Rassismus und Nationalismus unter die Leute zu bringen. Wie groß ist die Gefahr von Rechts in den Stadien und gelingt es den Nazis ihre Ideen unter die Fans zu bringen?
J: Das ist schwierig zu sagen. Das hängt von der jeweiligen Fan-Szene ab. In Bremen, St. Pauli und Düsseldorf ist so etwas sicher nicht möglich. Es gelingt zum Beispiel in Chemnitz. Hier hat sich eine der führenden Gruppen sogar New Society (NS) – in Anlehnung an den Nationalsozialismus – genannt.
Aber selbst in Bremen gibt es rechte Tendenzen mit dem „Nordsturm“, der von rechten Werder-Fans dominiiert wird. Im Grunde hängt es von den Vereinen ab. Es gibt deutschlandweit eher keine rechte Tendenz.
S: Was kann man, deiner Meinung nach, aktiv gegen Nazis tun?
J: Hier sind insbesondere die antifaschistischen Fan-Projekte wichtig. Die Bayern-Fans veranstalten den Kurt-Landauer-Pokal, ein Fußball-Turnier für Fans(benannt nach dem ehemaligen jüdischen Vereinpräsidenten) verbunden mit einem antifaschistischen Stadtrundgang. In Italien gibt es das wohl größte antifaschistische Turnier „Mondiali antiracisti“, wo antifaschistische Fans aus aller Welt zusammenkommen. Das sind konkrete Beispiele wie man gegen Nazis vorgehen und ihren Einfluss gering halten kann.
S: Jetzt noch abschließend eine Frage, die uns brennend interessiert: Wie geht es nächste Saison bei Werder Bremen weiter?
J: Ich hoffe, es geht bergauf. Aber nach der schwachen Rückrunde in der letzten Saison, muss sich jetzt echt was tun. Der Abwärtstrend hat sich bereits in den letzten Jahren abgezeichnet. Es wurde dann jedoch vom Management einfach zu wenig getan. Vielleicht wäre es doch besser, wenn Thomas Schaaf den Trainer-Posten räumt und für einen neuen Trainer Platz machen. Werder spielt momentan keinen modernen Fußball. Wenn gute Neueinkäufe getätigt werden, sollte Werder unter die ersten Sechs kommen.
S: Ich bedanke mich für das Interview!
J: Sehr gern.