Merkels Schuldenbremse auf europäisch
In 25 von 27 EU-Ländern stehen die Weichen auf die Einführung des sogenannten Fiskalpakts. Das ist nichts anderes als eine Vereinbarung zur Umsetzung und Verschärfung der deutschen Schuldenbremse in den entsprechenden EU-Ländern.
von Fabian Thiel, Hamburg
Mit den Regierungschefs der 17 Länder der Euro-Zone und acht weiteren EU-Staaten hat bis auf Großbritannien und Tschechien die gesamte EU den Pakt unterschrieben. Jetzt müssen die jeweiligen nationalen Parlamente diese Vereinbarung noch separat beschließen, in einigen Fällen ist das schon geschehen. Bis zum 1. Januar 2014 soll der Pakt überall eingeführt sein.
Eine Ausnahme stellt Irland dar, dessen Verfassung Volksabstimmungen über verfassungsändernde EU-Verträge vorsieht. Der Ausgang der Abstimmung am 31. Mai war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Es ist aber klar, dass eine Ablehnung des Fiskalpakts einen wichtigen Erfolg für die irische Arbeiterklasse darstellen würde. Dies würde dort den aktuellen Kampf gegen die verschiedenen Kürzungspakete und gegen die geplante neue Haushaltssteuer stützen. Der Widerstand in Irland könnte auch europaweite Ausstrahlungkraft entwickeln.
Worum geht es?
Der Fiskalpakt sieht vor, dass jeder Staat sich eine Neuverschuldungsgrenze von 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) pro Jahr setzt. Einmalige oder befristete Einnahmen und Ausgaben sowie konjunkturelle Effekte werden dafür herausgerechnet, so dass man auf diese Weise auf das sogenannte strukturelle Defizit kommt. Dieses strukturelle Defizit ist ein Schätzwert, es basiert auf Untersuchungen des Produktionspotenzials oder der natürlichen Arbeitslosigkeit. Das heißt, die Neuverschuldung wird nicht an den realen Zahlen gemessen, sondern erst werden konjunkturelle Schwankungen und die Arbeitslosenquote, die der natürlichen Arbeitslosigkeit entspricht, berechnet, um dann daraus die strukturelle Neuverschuldung abzuleiten. Allein die Wortwahl einer natürlichen Arbeitslosigkeit sollte klarmachen, dass die Schätzung des strukturellen Defizits einen ideologischen Hintergrund hat.
Nicht gewählte Kommissare bekommen das Sagen
Da das strukturelle Defizit in allen EU-Ländern deutlich über 0,5 Prozent liegt (für 2013 wird es auf 3,7 Prozent geschätzt), soll es eine rasche Annäherung an dieses neue Ziel geben. Die Europäische Kommission legt für die einzelnen Staaten entsprechende Zeitpläne fest. Die EU-Kommission setzt sich aus jeweils einem Vertreter für jedes EU-Land zusammen. Dabei nominiert allein die jeweilige Regierung ihren Vertreter. Das Europäische Parlament bestätigt die Kandidaten in einer Blockabstimmung. Die Bevölkerung wird also nicht gefragt.
Jeder Staat soll die Neuverschuldungsgrenze in der jeweiligen Verfassung fixieren mit automatischen Korrektur- beziehungsweise Kürzungsmechanismen beim Überschreiten der Grenze. Der Europäische Gerichtshof kontrolliert diese Umsetzung und kann gegebenenfalls auch Strafgelder von bis zu 0,1 Prozent des BIP verhängen.Wird die Neuverschuldungsgrenze nicht eingehalten, oder die rasche Annäherung nicht rasch genug erreicht, müssen die betroffenen Staaten der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat (Treffen der Regierungschefs der EU-Staaten) einen (Kürzungs-)Plan vorlegen, um die Neuverschuldung entsprechend zu senken. Die Umsetzung der geplanten Maßnahmen und des Haushaltsplans werden von der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat direkt kontrolliert. Sollte ein Staat sich mit mehr als drei Prozent des BIP (die Höhe, die in den Maastrichter Verträgen als Obergrenze festgelegt war) neu verschulden, tritt automatisch das sogenannte Defizitverfahren in Kraft. In diesem Fall können Strafgelder von 0,2 bis 0,5 Prozent des BIP verhängt werden. Das angelaufene Defizitverfahren lässt sich nur von einer Mehrheit der Mitgliedsstaaten aufheben.
Ein Knebelvertrag
Formal rechtlich ist für die Vereinbarung keine Kündigungsmöglichkeit einzelner Staaten vorgesehen. Das heißt, dass sich der Pakt nur mit Zustimmung aller Mitglieder aufheben lassen würde. Für die bürgerlichen Parteien ein bequemer Weg, auf die Sachzwänge, die sich durch diesen Pakt ergeben, zu verweisen und sich als Getriebene der EU-Kommission darzustellen.
Die Annahme des Fiskalpakts ist außerdem mit dem Zugang zum Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) verbunden. Der ESM ist der neue 700 Milliarden Euro schwere Euro-Rettungsschirm. Die Staaten, die den Fiskalpakt nicht unterschrieben haben, sollen keine Gelder aus dem ESM bekommen können.
Es kann teuer werden
Laut dem ifo-Institut haftet die Bundesrepublik bislang mit 668 Milliarden Euro für die Euro- beziehungsweise Banken-Rettung, das ist mehr als das Doppelte des jährlichen Bundeshaushalts. Das tut die Regierung im Konsens mit allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien mit Ausnahme der LINKEN nicht aus Europafreundlichkeit, sondern aus dem Bewusstsein heraus, welch katastrophalen Folgen ein Ende der Euro-Zone für die deutschen Kapitalisten haben könnte. Die Gemeinschaftswährung hat die deutschen Exporte jahrelang befeuert. Die Schweizer Bank UBS rechnet bei einem Ende des Euro mit einem Rückgang des deutschen BIP um 20 bis 25 Prozent.
Die deutschen Kapitalisten versuchen nun, aus der Not eine Tugend zu machen. Wenn sie schon den Euro mit Milliardenkrediten für andere Euro-Länder stützen müssen (wobei an den Zinsen gut verdient wird), dann kann man diese Darlehen als Hebel nutzen, um die anderen Staaten stärker an die Kandare zu nehmen. Durch die Verbindung von ESM und Fiskalpakt verschafft man sich die Mittel dazu. Welche Reformen die Europäische Kommission und ihre Wirtschaftsberater den Ländern auftragen, die die Neuverschuldungsgrenze nicht einhalten, kann man in Griechenland beobachten. Die Bundesregierung diskutiert schon weitere Maßnahmen für die Krisenländer. Dazu zählen laut SPIEGEL die Einführung von Sonderwirtschaftszonen mit besonders niedrigen Steuern und Regulierungen, Treuhandanstalten zur Privatisierung von Staatseigentum wie in der ehemaligen DDR, Arbeitsmarktreformen entsprechend der Hartz-Gesetze, der Abbau des Kündigungsschutzes und der Aufbau eines Niedriglohnsektors.
Wachsende Spannungen
Die Widersprüche zwischen den einzelnen Nationalstaaten treten offen auf. Spanische Großbanken wie BBVA und Santander lehnten Ende Mai trotz einer Verschärfung der spanischen Banken- und Staatsschuldenkrise eine EU-Intervention ab, um zu verhindern, dass sie ihre Geschäftsbücher und Praktiken vor EU-Institutionen offenlegen müssen. In Griechenland kann EU-Intervention bald vielleicht schon militärisch gemeint sein. Jedenfalls hat die FAZ das am 18. Mai bereits angedeutet: An internationale Schutztruppen, wie sie weiter nördlich zur Stabilisierung taumelnder Staaten stationiert sind, wird man hoffentlich nicht denken müssen.
Für uns ist der Fiskalpakt vor allem der Versuch der herrschenden Klassen in Europa, die kapitalistische Krise auf Kosten der Arbeiterklasse zu lösen. Wir lehnen das ab, so wie wir alle Verschlechterungen ablehnen. Schließlich ermöglicht das Produktionspotenzial unserer Arbeitskraft theoretisch allen Menschen international ein gutes Leben.
Nein zum Fiskalpakt
l Allein 2013 würde die vorgesehene Begrenzung der Neuverschuldung europaweit zusätzliche Kürzungen von schätzungsweise 161 Milliarden Euro bedeuten
l Wenn die Neuverschuldungsgrenze nicht erreicht wird, gehen automatisch Entscheidungen über die nationale Defizitpolitik an die EU-Kommission und den EU-Rat über n
Forderungen der SAV
l Solidarität mit den griechischen ArbeiterInnen
l Schulden streichen
l Banken in öffentliches Eigentum überführen bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung
l Nein zu ESM, Fiskalpakt und Spardiktat
l Ran an die Gewinne der Unternehmen und die Vermögen der Reichen für öffentliche Investitionen in Arbeit, Bildung, Wohnen und Soziales
l Gegen das Europa der Banken und Konzerne
l Für ein sozialistisches Europa
Protest bei Fiskalpakt-Abstimmung im Bundestag
Nach Blockupy Frankfurt kann der nächste Schritt beim Widerstand gegen das europaweite Spardiktat ein Protest vor der Abstimmung über Fiskalpakt und ESM im Bundestag sein. Noch im Juni will Merkel ihre Vorhaben durchs Parlament jagen. Da sollten die GegnerInnen der Bankenmacht Flagge zeigen.