Wie weiter für die „Linksfront“?
Jean-Luc Melenchon ist der Vorsitzende der „Parti de Gauche“ und war bei den Präsidentschaftswahlen der Kandidat der „Front de Gauche“ (deutsch:Linksfront), einem Wahlbündnis aus „Parti de gauche“, der „Kommunistischen Partei“ (PCF) und der „Gauche Unitaire“ (deutsch: „Einheitslinke“). Nachdem er einen Achtungserfolg von 11,9 Prozent der Stimmen verbuchen konnte, tritt Melenchon nun auch bei den Parlamentswahlen an; und zwar im selben Wahlbezirk wie die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen.
von Tiphaine Soyez, „Gauche Revolutionnaire“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Frankreich)
Das vergleichsweise gute Abschneiden des Kandidaten Melenchon von der „Front de Gauche“ bei den Präsidentschaftswahlen zeigt welche Wut nach Jahren anti-sozialer Politik in der Arbeiterklasse herrscht. Dieses Ergebnis macht auch deutlich, dass die Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus kämpfen und sich verweigern will, wenn es darum geht, den Preis für die derzeitige Krise zu bezahlen. Mit einer radikalen Rhetorik und antikapitalistischen Reden brachte Melenchon zehntausende von ArbeiterInnen und junge Leute bei Massenveranstaltungen sowie während einer Demonstration am 18. März zusammen, die unter dem Motto stand „Übernehmt die Bastille!“. In Arbeitervierteln kam er auf 14 Prozent bis 15 Prozent. Im Norden von Marseilles erreichte er sogar 20 Prozent.
Viele der Forderungen Melenchons – wie etwa zur Anhebung des Mindestlohns auf 1.700 Euro, der Übernahme des Energiesektors in öffentliches Eigentum und seine Haltung gegen sogenannte Sparpakete, Arbeitsplatzverluste und soziale Ungleichheit – richten sich an ArbeiterInnen und junge Leute, die von der kapitalistischen Krise besonders hart betroffen sind. Dieser Teil der Bevölkerung sucht nach einer radikalen linken Herausforderung für das herrschende Establishment.
Bei Melenchons Programm handelt es sich allerdings nicht um eine umfassend sozialistische Alternative zum Kapitalismus. Der Rahmen, in dem seine Vorschläge stehen, bleibt das derzeit bestehende System. Um die Auswirkungen der Krise auf die ArbeiterInnen zu reduzieren will Melenchon innerhalb dieses Rahmens soziale Reformen einführen. Es unterscheidet zwischen einem „Finanzkapitalismus“, gegen den man demnach etwas tun muss, und einem „produktiven Kapitalismus“, den Melenchon als „guten Kapitalismus“ betrachtet, der Arbeitsplätze schafft und so weiter. Die „6. Republik“, für die er eintritt, bricht nicht mit dem kapitalistischen System, soll aber weniger autoritär sein und den Beschäftigten mehr Rechte einräumen. Was die ArbeiterInnen allgemein dazu bringt, zu den Veranstaltungen von Melenchon zu kommen, ist die Verzweiflung über das System als ganzes.
Eine linke Opposition zum „Front National“
Ein weiterer positiver Aspekt hinsichtlich des Wahlkampfes von Melenchon war, dass er sich aus der Perspektive der Arbeiterklasse gegen die rechtsextreme Kandidatin Marine Le Pen stellte. Seit sie die Vorsitzende der „Front National“ ist, hat Marine Le Pen eine Strategie einzuführen versucht, als Verteidiger der Interessen der Arbeiterklasse angesehen zu werden. Die „Linksfront“ kämpfte gegen sie, indem man den Charakter ihres gegen die ArbeiterInnen gerichteten Programms aufzeigte. Dazu gehören die Einschränkung des Streikrechts, Maßnahmen gegen Tarifverhandlungen, die Deregulierung der Arbeitszeiten und so weiter.
Melenchon setzt seinen Kampf gegen sie fort, indem er bei den Parlamentswahlen in ihrem Wahlbezirk Henin-Beaumont, in der Provinz Nord-Pas-de-Calais, gegen sie antreten wird. Diese Region war bis zur Schließung der Bergwerke und anderer Betriebe in den 1990er Jahren stark industriell geprägt. Die Arbeitslosigkeit liegt in Henin-Beaumont mittlerweile bei 19,4 Prozent und das durchschnittliche Haushaltseinkommen liegt bei nur 12.505 Euro im Jahr. 2009 wurde der Bürgermeister der Stadt, der der sozialdemokratischen „Parti Socialiste“ (PS) des neuen Präsidenten Hollande angehört, wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder verurteilt. Als Kandidatin zieht Marine Le Pen in dieser Stadt auf opportunistische Art und Weise ihren Vorteil aus der Wut der EinwohnerInnen von Henin-Beaumont gegen die korrupte Elite und aus dem Fehlen einer linken Alternative, die die ArbeiterInnen verteidigen würde.
Die Tatsache, dass Melenchon in dieser Stadt seinen Wahlkampf führt und Le Pen herausfordert, kann die beschriebene Gemengelage verändern und einen Schritt in Richtung Wiederaufbau einer Arbeiterbewegung in der Region bedeuten. Ein Wahlerfolg Melenchons wäre ein Schlag gegen Marine Le Pen und ihre Partei, und würde die Zuversicht der politisch linken ArbeiterInnen, jungen Leute und aller antifaschistischen AktivistInnen heben. Allerdings wäre damit die Gefahr, dass solch eine Partei aufgrund ihres demagogischen Profils und wegen der anhaltenden gesellschaftlichen Krise weiter in den Wohnvierteln an Boden gutmacht, nicht gebannt. Aus diesem Grund könnte ein erfolgreicher Wahlkampf der „Linksfront“ in Henin-Beaumont als erster Schritt in Richtung einer weiteren, landesweiten Kampagne zur Mobilisierung gegen die rassistische Politik des FN im ganzen Land genommen werden und eine echte und kämpfende Alternative für die Arbeiterklasse bieten.
Am 3. Juni organisiert die „Linksfront“ eine Demonstration gegen den „Front National“, die auch in Gedenken an den Bergarbeiterstreik von 1941 stattfindet. Damals kämpfte man für bessere Arbeitsbedingungen und gegen die Besatzung durch die Nazis.
Haltung gegenüber der sozialdemokratischen Regierung
Andererseits unterlässt Melenchon es bisher, Stellung gegen die pro-kapitalistische Agenda der sozialdemokratischen PS zu beziehen. Diese wird nicht alle Kürzungen, die unter Sarkozy durchgeführt wurden, wieder zurücknehmen: Zwar sollen 60.000 Arbeitsplätze im Bildungsbereich geschaffen werden, aber das wird einhergehen mit weiteren Streichungen in anderen Teilen des öffentlichen Dienstes. Sarkozys Regierung jedoch tilgte 100.000 Lehrerstellen. Das Renteneintrittsalter wird wieder zurück auf 60 abgesenkt, aber nur für eine begrenzte Anzahl an Beschäftigten…
Nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen rief Melenchon ohne vorherige Verhandlungen dazu auf, im zweiten Wahlgang Hollande zu wählen. Jetzt setzte er sich in einem offenen Brief an den Premierminister („Lieber Genosse,…“) lediglich dafür ein, Gesetze gegen Entlassungen und für protektionistische Maßnahmen zu erlassen. „Alles ist an einem Tag machbar“, sagte er.
Innerhalb der „Linksfront“ gibt es zwischen der „Kommunistischen Partei“ und der „Linkspartei“ Unterschiede darüber, was man als nächstes tun und wie man sich der PS gegenüber verhalten soll. Die „Kommunistische Partei“ wird einen Parteitag durchführen, um zu entschieden, ob man sich an einer von der PS geführten Regierung beteiligen will oder nicht. Die „Linkspartei“ von Melenchon hat dies bereits richtiger Weise ausgeschlossen. Fakt ist, dass sich die PCF, als sie vor fünfzehn Jahren mit der PS in die Regierung ging, an einer neoliberalen Agenda beteiligte, die auf Massen-Privatisierungen und anderen Maßnahmen beruhte, die sich gegen die Arbeiterklasse richteten. Trotzdem wäre ein Aufbrechen der „Linksfront“ nicht im Interesse einer der daran beteiligten Parteien.
Die wirtschaftliche Lage und der Druck der EU lassen nicht genug Flexibilität zu, um es der PS zu erlauben, auf Grundlage des Kapitalismus soziale Reformen durchzuführen. Nach den Parlamentswahlen werden sie gezwungen sein, sogenannte Spar- also Kürzungsprogramme durchzuführen, um den Interessen der Konzernchefs genüge zu leisten. Das bedeutet nicht, dass die PS im Falle massenhaften sozialen Drucks und konfrontiert mit einer entschiedenen Haltung in der Arbeiterklasse kämpfen zu wollen, sowie angesichts der instabilen wirtschaftlichen Lage, nicht zu einigen begrenzten Schritten nach links bereit wäre, nur um eine noch schwerere Krise zu verhindern oder eine soziale Explosion oder einer Kombination aus beidem. Doch am Ende besteht der einzige Weg für die Arbeiterklasse in Frankreich, das, was Sarkozy ihnen während seiner Legislaturperiode gestohlen hat und womit die Krise bezahlt wurde, zurückzuholen, darin, den Gegenschlag zu organisieren und zu streiken.
Was kommt jetzt?
Es besteht dringender Bedarf an einer Massenpartei der Arbeiterklasse, die kämpft und ihre Interessen vertritt. Diese Partei müsste den Raum dafür bieten, den ArbeiterInnen brauchen, um eine Strategie für den Kampf gegen die sogenannten Sparprogramme diskutieren und den Kampf gegen Betriebsschließungen und Entlassungen organisieren zu können, indem sie die noch isoliert und in verschiedenen Betrieben stattfindenden Streiks miteinander vereinen. Den UnterstützerInnen, SympathisantInnen und Menschen, die Erwartungen an die „Linksfront“ hegen, aber auch jenen, die sich noch im Dunstkreis der „Neuen antikapitalistischen Partei“ (NPA) aufhalten wie auch den vielen ArbeiterInnen und jungen Leuten „ohne Stimme“ sollte der Raum zur Verfügung gestellt werden, den es braucht, um demokratisch eine Alternative zum Kapitalismus diskutieren zu können. Einem System, das von den Beschäftigten geführt wird, um den eigenen Bedürfnissen gerecht werden zu können und nicht geführt von einer Elite, die im Interesse einer handvoll Reicher und Bankiers agiert. Damit diese Partei erfolgreich sein kann, muss sie die Fehler und auch die Erfolge früherer Versuche analysieren, um neue Kräfte der Arbeiterklasse aufzubauen – in Frankreich gemeinsam mit der NPA wie auch in anderen Ländern.
Eine derartige Partei könnte aus der Dynamik, die hinter der „Linksfront“ steckt, profitieren. Zur Zeit steht das jedoch nicht auf der Tagesordnung der „Linksfront“. Entscheidend ist, welche Orientierung und welchen Charakter die „Linksfront“ in der bevorstehenden Phase haben wird. Schließlich kann sie zu einer bedeutsamen politischen Kraft für die Arbeiterklasse werden.