Bernd Riexinger und Katja Kipping sind neue Parteivorsitzende
Spät in der Nacht wählten die rund 500 Delegierten die Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der Partei. In einer knappen Kampfabstimmung setzte sich der linke Gewerkschafter Bernd Riexinger mit 53,5 Prozent gegen Dietmar Bartsch vom Reformer-Flügel (45,2 Prozent) durch. Katja Kipping wurde mit einer deutlicher Mehrheit (67,1 Prozent) gegenüber Dora Heyenn (29,3 Prozent) zur Vorsitzenden gewählt.
von Lucy Redler, Berlin
Bei der Wahl von Bernd Riexinger oder Dietmar Bartsch zum Vorsitz ging es um eine politische Richtungsentscheidung, auch wenn dies nicht offen ausgeprochen wurde. Soll DIE LINKE mit Dietmar Bartsch Kurs auf eine Annäherung an SPD und Grüne nehmen und sich auf die Parlamentsarbeit konzentrieren oder sich mit Bernd Riexinger als Partei der Lohnabhängigen und Erwersblosen und Teil der außerparlamentarischen Bewegung verstehen. Der – wenn auch knappe – Wahlerfolg von Bernd Riexinger ist ein Signal an GewerkschafterInnen und Aktive aus sozialen Bewegungen, dass es möglich ist, DIE LINKE als Partei im Interesse von Beschäftigten, Erwerbslosen und RentnerInnen aufzubauen.
Bekannt ist Riexinger als Gewerkschafter, als Redner bei Blockupy, als Mitorganisator der ersten Demonstration gegen Rot-Grün im Jahr 2003 mit 100.000 Menschen, die den Anfang des Protests gegen Agenda 2010 und Hartz IV einleitete und die Geburtsstunde der WASG darstellte.
Er wies in seiner Rede darauf hin, dass die Krise und der Klassenkampf von oben, den wir heute in Griechenland und anderen Ländern sehen, auch nach Deutschland kommen wird. Gerade in diesen Zeiten sei eine starke kämpferische Linke nötig. Bernd sprach sich für eine demokratische, soziale, sozialistische Gesellschaft und eine Verzahnung parlamentarischer und außerparlamentarischer Arbeit aus. In der zentralen Frage der Regierungsbeteiligung geht jedoch auch Riexingers Position nicht über die Haltung von Oskar Lafontaine hinaus, die eine Regierungsbeteiligung mit der SPD unter bestimmten Bedingungen für möglich hält.
Austrittswelle abgewendet
Katja Kipping ist Vertreterin einer postmodernen Strömung (Emanzipatorische Linke). Kipping hat eine gewisse Ausstrahlung in ein linksliberales Milieu und wird in Teilen als Bewegungslinke wahrgenommen, steht jedoch mit ihrem Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens und pro-Israel-Positionen dem Reformerflügel um Bartsch nahe.
Die Parteilinke hat in Göttingen den Status Quo verteidigt und vor allem die drohende Katastrophe eines Durchmarschs der Parteirechten um Dietmar Bartsch abgewendet.
Man stelle sich vor, eine Spitze auf Bartsch und Kipping hätte das Ruder übernommen. Eine Welle von Austritten im Westen und Abwendung vieler SymphatisantInnen aus sozialen Bewegungen wäre die Folge gewesen.
Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden
Bei den Wahlen zu den stellvertretenden Vorsitzenden wurden Sahra Wagenknecht, Caren Lay, Axel Troost und Jan van Aken gewählt. Nicht gewählt unter anderen Halina Wawzyniak vom FdS. Zu bedauern ist, dass Katharina Schwabedissen, die eine antikapitalistische Rede hielt, auch bei der Wahl zur Stellvertreterin keinen Erfolg hatte. Leider hatte die Strömung Sozialistische Linke dazu aufgerufen, (neben Sahra Wagenknecht) statt Katharina, Caren Lay auf der weiblichen Liste zu wählen.
Zum Bundesgeschäftsführer wurde – ohne Gegenkandidaten – schließlich Matthias Höhn (FdS) gewählt. Bei der Wahl zum Bundesschatzmeister setzte sich Raju Sharma (ebenfalls FdS) gegen Heinz Bierbaum durch. Damit konnte sich der FdS trotz voriger Niederlagen die zwei zentralen Stellen im Parteiapparat sichern.
Für einen politischen Kurswechsel
Die Chance, die politischen Unterschiede zwischen dem Anpassungskurs eines Dietmar Bartsch und der Politik der Parteilinken herauszuarbeiten, wurde in Göttingen vertan. Wenn weiterhin wie in Göttingen politische Differenzen zugedeckt statt politisch ausdiskutiert werden, wird DIE LINKE gelähmt und nicht ausreichend fähig sein, auf die politischen Herausforderungen der Krise des Kapitalismus zu reagieren.
Wenn sich die objektive Lage weiter zuspitzt, werden die gegensätzlichen Positionen zum Thema Regierungsbeteiligung und der strategischen Frage zwischen Annäherung an SPD und Grüne oder Kampf als eigenständige Partei gegen alle anderen neoliberalen Parteien auf die Spitze getrieben.