Landesparteitag der LINKE.NRW in Münster

LINKE NRW auf dem Weg der Anpassung?

Gunhild Böth und Rüdiger Sagel sind die neuen Vorsitzenden der Partei Die LINKE. in Nordrhein-Westfalen. Damit rückt dieser Landesverband einen Schritt nach rechts, Richtung Anpassung an SPD und Grüne. Das Abrücken von klaren antikapitalistischen Positionen ist auch im beschlossenen Leitantrag dokumentiert. Für die LINKE.NRW wird es mit dieser Ausrichtung schwerer, aus der Krise heraus zu kommen.

von Georg Kümmel und Claus Ludwig, Köln

Knapp 200 Delegierte kamen am Samstag aus ganz NRW zum Landesparteitag der LINKEN nach Münster. Es galt, die Ursachen des Wahldebakels bei der Landtagswahl zu analysieren und in einem Leitantrag die politische Ausrichtung für die nächsten Zeit zu diskutieren, die Arbeitsschwerpunkte festzulegen und den neuen Landesvorstand (LaVo) zu wählen.

Nur einen Tag vorher haben bekanntlich Bundestag und Bundesrat dem ESM und Fiskalpakt zugestimmt. Das neue Führungsduo der Bundespartei, Bernd Riexinger und Katja Kipping nahm das zum Anlass, eindringlich daran zu erinnern, dass eine starke LINKE heute wichtige sei denn je. Für ihre Reden auf dem Parteitag bekamen sie stehende Ovationen, ebenso Sahra Wagenknecht, die den Fiskalpakt als „Lügenpakt“ bezeichnete.

Das (Selbst-)Bewusstsein, die einzige Partei zu sein, die geschlossen gegen den „Bankenrettungsschirm“, Sozialabbau und Kriegseinsätze auftritt, aber auch der Wunsch nach neuer Einigkeit, prägten den Parteitag.

Sowohl die beschlossenen Veränderungen des Leitantrages als auch die Zusammensetzung des neu gewählten Landesvorstandes widersprechen jedoch diesen Erkenntnissen in einigen Punkten.

Aus dem Leitantrag wurden Passagen entfernt, welche eine klare Linie zwischen der LINKEN und den etablierten Parteien ziehen. Stattdessen wird betont, dass sich v.a. in der SPD Bündnispartner finden lassen. Die im Entwurf des alten Landesvorstandes geäußerte explizite Kritik an der Führung der Gewerkschaften wurde entfernt.

Bei den Vorstandswahlen setzten sich vor allem die Vertreter gemäßigter, stark auf die parlamentarische Arbeit und die Zusammenarbeit mit SPD und Grünen orientierter Positionen durch. Die Vertreter der Antikapitalistischen Linken (AKL), Karina Ossendorf, Michael Aggelidis und Thiess Gleis, unterlagen bei den Wahlen zu Landesvorsitzenden und deren Stellvertreter gegen die ehemaligen Landtagsabgeordneten Gunhild Böth und Rüdiger Sagel sowie gegen den Kölner Hans Günter Bell von der SL (Sozialistische Linke). Die Delegierten straften damit die AKL ab, die im alten LaVo über eine Mehrheit verfügte.

Auch im erweiterten Vorstand sind mehr VertreterInnen einer gemäßigten Linie, die sich stark an Parlamenten und Parteienbündnissen orientiert, vertreten.

Die Ergebnisse des Landesparteitages stellen eine vorsichtige, aber eindeutige Rechtsverschiebung dar.

Kampagne der SL

Seit der Nominierung der damaligen Landesvorsitzenden Katharina Schwabedissen zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahlen hatte die SL mit Unterstützung von weiter rechts stehenden Kreisen der Partei wie den versprengten FDSlern (Forum Demokratischer Sozialismus) in NRW und den kommunalpolitischen „Realpolitikern“ eine Kampagne gegen die AKL und v.a. Katharina Schwabedissen gefahren.

Ihr durchaus mutiger Schritt, die Verantwortung der Spitzenkandidatur in der für Partei schwierigen Situation zu übernehmen, wurde als „Putsch“ beschrieben, sie wurde, manchmal offen, manchmal hinten herum, als anmaßend und unfähig beschrieben.

Jede ehrliche Analyse der Wahlniederlage in NRW müsste jedoch zum Ergebnis haben, dass die Wahl auf Bundesebene verloren wurde. Tatsächliche oder vermeintliche Fehler des Lavo, sei es die Themenauswahl, die Wahlplakate oder die Zusammensetzung der Liste, hatte einen relativ geringen Einfluss.

Allerdings konnte die SL den Frust über die Wahlniederlage und den Mitgliederverlust im Landesverband nutzen und diesen gegen den alten Vorstand und die AKL wenden. Viele Delegierte hatten anscheinend das dringende Bedürfnis, nicht nur die Bundesebene, sondern konkret greifbare GenossInnen dafür verantwortlich zu machen.

Absurd ist allerdings, dass Mitglieder der Landtagsfraktion, die für das Standing auf Landesebene mindestens genauso viel Verantwortung tragen wie der Landesvorstand, sich als neue Hoffnung präsentieren konnten.

Die bisherigen Landessprecher, Katharina Schwabedissen und Hubertus Zdebel vom linken Flügel sowie die Schatzmeisterin Nina Eumann und die stellvertretende Vorsitzende Silvia Gabelmann waren nicht mehr angetreten. Dieser Rückzug sollte wohl als Signal für einen gemeinsamen Neuanfang dienen. Doch seitens der SL wurde er eher als als „Schuldeingeständnis“ interpretiert, ein Kölner Vertreter der SL sprach triumphierend von einer „kampflosen Kapitulation“.

Personell und inhaltlich trat der linke Flügel beim Landesparteitag sehr zurückhaltend auf. Anstatt dem Parteitag die klaren Unterschieden zwischen den Strömungen und Personen zu präsentieren, beschränkten sich viele parteilinke RednerInnen darauf, sich für „die Einheit“ auszusprechen.

Letzteres widerspiegelte sich in der Debatte um den Rechenschaftsbericht, in der es insbesondere um die Ursache der dramatischen Wahlniederlage bei den Landtagswahlen ging.

Fast jede/r Delegierte/r beschwor, wie wichtig ein solidarischer Umgang der Parteimitglieder untereinander sei, wie schädlich die Art und Weise gewesen sei, in der Meinungsverschiedenheiten zumindest teilweise ausgetragen worden seien, insbesondere auf Bundesebene. Trotzdem wäre es richtig gewesen, die inhaltlichen Differenzen herauszuarbeiten. Die von der Antikapitalistischen Linken (AKL) nach der Wahl schriftlich formulierte Analyse für das schlechte Abschneiden kam in der Aussprache leider viel zu kurz.

Die SL und andere gemäßigte Kräfte nutzen dies und riefen, „Jawoll, Einheit, und zwar am Besten unter unserer Leitung und zu unseren Bedingungen“.

Absurde Anbiederung an Kraft

Die nach wie vor bestehenden Differenzen in der Partei traten deutlicher in der Debatte über den Leitantrag zu Tage und hier vor allem bei der Frage, wie man es mit SPD (und GRÜNEN), halten soll.

Zwar wurde ein hauptsächlich von Vertretern der Sozialistischen Linken (SL) eingebrachter Alternativantrag zum Leitantrag des ausgehenden Landesvorstands zurückgezogen. Die Begründung lautete, dass der überarbeitete Leitantrag kein „weiter so“ mehr propagiere und man sich deshalb auf konkrete Änderungsanträge beschränken wolle. Doch die Änderungsanträge aus der Richtung SL veränderten den Leitantrag bis hin zur peinlichen Anbiederung an die SPD (siehe auch: http://www.dielinke-nrw.de/fileadmin/kundendaten/www.dielinke-nrw.de/Landesparteitag_Juni_Juli_2012/Antraege/Leitantrag%20beschlossene%20Fassung_Stand30062012%2018Uhr12.pdf).

„DIE LINKE hat sich im Landtag als kritische Opposition verstanden. Zugleich haben wir mitgeholfen, Hannelore Kraft an Stelle von Jürgen Rüttgers zur Ministerpräsidentin zu wählen und die Kraft / Löhrmann-Regierung zu etablieren. Wichtigen Vorhaben der Landesregierung haben wir zum Durchbruch verholfen.“

Dieser in den Leitantrag hinein gestimmte Abschnitt entspricht nicht der Realität und könnte von Hannelore Kraft selbst geschrieben worden sein. Die Landtagsfraktion hat Kraft lediglich zur Ministerpräsidentin gewählt, um Rüttgers loszuwerden, sie hat die Regierung (zum Glück!) nicht „etabliert“. Und was soll das Lob mit den „wichtigen Vorhaben der Landesregierung“? Tatsächlich hat die LINKE. dadurch, dass ihre Stimmen gebraucht wurden, die Landesregierung dazu drängen können, die Studiengebühren abzuschaffen. Die LINKE. war ein Faktor dafür, dass Kraft nicht schon 2010 von ihren Wahlversprechen abrücken konnte.

„Wir haben tatsächlich als soziales und demokratisches Korrektiv gewirkt, diese Funktion aber nicht deutlich genug herausgestellt und unseren Wahlkampf – zumindest anfangs – ausschließlich auf eine künftige Oppositionsrolle abgestellt, Dass hat dazu beigetragen, dass die überwiegende Zahl der Wählerinnen und Wähler uns im Landtag für entbehrlich gehalten … Ohne diese „Machtperspektive“, die für uns immer auch an einen radikalen Politikwechsel geknüpft bleiben muss, würden wir für einen Teil unserer möglichen Wählerinnen und Wähler auch bei der Bundestagswahl keinen „Gebrauchswert“ haben – und damit unsere Wahlchancen beträchtlich schwächen.“

Falscher kann man es nicht analysieren. Allein wahlarithmetisch war klar, dass die Rolle des „sozialen Korrektivs“ im Landtag nicht mehr besetzt werden würde, weil SPD/Grüne eine Mehrheit haben würden. Warum sollten die Menschen also die LINKE. wählen? Die Partei hätte stattdessen viel deutlicher erklären müssen, dass eine antikapitalistische Opposition nötig ist, hätte die Verbindung zwischen der Euro-Krise und NRW ziehen müssen, hätte den Eindruck widerlegen müssen, dass sie in erster Linie eine parlamentarische Ergänzungspartei für die SPD ist. Denn eine solche wird manchmal gebraucht, manchmal nicht.

Die vorhandenen, aber geringen Möglichkeiten einer 5%-Partei im Parlament als „Machtperspektive“ zu beschreiben, und sei es auch nur verschämt in Anführungszeichen, lässt tief blicken. Wirkliche „Macht“ in der Gesellschaft hat nicht einmal eine Koalition in einem Bundesland, die über 50% hat. Eine kleine linke Opposition im Parlament und Stadträten sollte sich von der Illusion befreien, man hätte Macht und verstehen, dass diese Institutionen vor allem dazu taugen, sie als Bühne für die Verbreitung von Ideen und zur Unterstützung und Beförderung von sozialen Kämpfe zu nutzen.

Zu begrüßen ist immerhin die neue Offenheit, die Eingang in den Leitantrag gefunden. Dort wird von der strategischen Notwendigkeit gesprochen, die SPD nach links zu rücken, wahrscheinlich verfasst von Leuten, die es noch bis Mitte des letzten Jahrzehnts in dieser Partei ausgehalten haben.

Deutlich heißt es, „nur“ mit „vielen SozialdemokratInnen“ könne man den „Sozialstaat erneuern“ und die „Herrschaft der Finanzmärkte beenden“. Die LINKE. wird in diesem Konzept zu einer ausgelagerten pressure group für eine linkere SPD mit begrenzter Haltbarkeit – entweder erfüllt sie ihre Aufgabe und macht sich selbst überflüssig oder die Aufgabe erweist sich als illusionär, was zum selben Ergebnis führt – und nicht zu einer Partei, die darum kämpft, zur neuen Klassenpartei der abhängig Beschäftigten zu werden und mitzuhelfen, die SPD auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen.

„Um aber diese Forderungen – etwa nach einem gesetzlichen Mindestlohn, nach einer Mindestrente oder nach der Regulierung der Finanzmärkte – auch tatsächlich durchsetzen zu können, werden wir Bündnispartner brauchen. Die Menschen wissen das und haben uns daher auch im Wahlkampf immer wieder gefragt, wie wir es mit den anderen, von vielen auch als links wahrgenommenen Parteien, also mit SPD und Grünen halten. Darauf nur mit schroffer Ablehnung und der Pose „Wir gegen Alle“ zu antworten, reicht nicht … Zu unseren potenziellen Bündnispartnern gehören auch viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, mit denen wir in den Gewerkschaften, in den Stadtteilen oder bei vielfältigen Protestaktionen für kurzfristige und teils auch weitreichende Veränderungen streiten. Nur mit ihnen gemeinsam lassen sich Lohnerhöhungen erreichen, lässt sich der Sozialstaat erneuern und werden wir erfolgreich die Herrschaft der Finanzmärkte beenden. Auf diesem Wege des gemeinsamen Kampfes muss auch die SPD nach links gedrückt und verändert werden. Es reicht also nicht aus, nur zu beschreiben, wo die SPD heute steht – und damit zu dem Ergebnis zu kommen, dass nichts geht. Die scharfe Grundsatzkritik an SPD und Grüne muss verknüpft werden mit konkreten Angeboten und Vorschlägen wie in den Kommunen, im Land und im Bund ein Politikwechsel im Interesse der abhängig Beschäftigten, der Erwerbslosen, der Rentnerinnen und Rentner, der Jugend erreicht werden kann.“

Perspektivisch falscher liegen kann man nicht. Die Zukunft der Sozialdemokratie auf internationaler Ebene heißt Angelos Venizelos, Chef der PASOK und Exekutor des Terrors gegen die griechische Arbeiterklasse und nicht Willy Brandt 2.0. Der Verfall der SPD im imperialistischen Zentrum Deutschland mag anders vonstatten gegen als der von PASOK, langsamer, vielleicht weniger dramatisch, widersprüchlicher, weil auch die Krise hier anders verläuft als in der europäischen Peripherie, aber die Richtung ist gleich. Noch 2009 war PASOK verbal „linker“ als die SPD und holte über 40%, heute hat sie massiv an Unterstützung verloren und ist verhasst.

Dieselben Delegierten aus dem Lager der SL, die zuvor noch applaudiert hatten, als die Zustimmung der SPD zu ESM und Fiskalpakt von Riexinger, Wagenknecht und anderen scharf kritisiert worden war, plädierten nun dafür, SPD und GRÜNE als potenziellen Bündnispartner zu sehen. Man müsse eben differenzieren, zwischen den Teilen der SPD, die dem Fiskalpakt zugestimmt hätten und denen, die ihn ablehnen. Man sei schließlich auf Bündnispartner angewiesen, weil ansonsten die eigenen Forderungen unrealistisch seien und folgenlos bleiben würden.

Als positives Beispiel wurde die Koalition der LINKEN mit der SPD in Brandenburg angeführt. Katja Kipping hatte bereits in ihrer Rede lobend darauf hingewiesen, dass dies die einzige Landesregierung gewesen sei, die den Fiskalpakt abgelehnt habe. Tatsächlich hat das rot-rot regierte Brandenburg bei der Abstimmung nicht gegen den Fiskalpakt gestimmt, sondern sich nur enthalten

Die eigentliche, bittere Ironie der Geschichte besteht jedoch darin, dass die Enthaltung der Brandenburg-SPD im Bundesrat folgenlos ist, der von der SPD-LINKE-Regierung in Brandenburg gemeinsam verfolgte Abbau von über 5.000 Stellen im öffentlichen Dienst des Landes dagegen höchst real.

Fazit

Weder der beschlossene Leitantrag noch das gewählte Personal sind den Aufgaben der LINKE.NRW in den nächsten 1-2 Jahren angemessen.

Die Euro-Krise und die Debatte um den Fiskalpakt, Bankenrettungen und der Angriff auf die arbeitenden Menschen in Südeuropa werden auch die nächsten Jahre bestimmen. Die LINKE. sollte klar für die Überwindung des Kapitalismus eintreten und nicht für die Illusionen, diesen reparieren zu können. Ein gezähmter Landesverband NRW wird bundesweit keine Hilfe dabei sein, diese klare Position zu vertreten.

Gleichzeitig wird die Kraft-Regierung von ihren Wahlversprechen abrücken und zur neoliberalen Politik zurückkehren. In vielen Kommunen fällt dies zusammen mit einer Kaputtkürzen der sozialen Infrastruktur.

Es gibt genug Ansätze für die LINKE. in NRW, Initiativen für den Widerstand zu ergreifen, Kämpfe anzustoßen und weiterzuentwickeln, vor Ort zu einem Faktor zu werden – wenn man dies wirklich will und Abschied nimmt von den Träumen, man könne mit rund 5% in Kommunen oder Land die Politik mit parlamentarischen Methoden mitbestimmen und wenn man realisiert, dass nur radikale Opposition in klarer Abgrenzung von der bürgerlich-etablierten Parteien einen echten Gebrauchswert hat.

Der Parteitag von Münster markiert keinen tiefgehenden Rechtsruck. Vielen Delegierten war wohl der Schock in die Knochen gefahren und hatte das dringende Bedürfnis geweckt, es müsse sich was ändern.

Im sinnvollsten Abschnitt des beschlossenen Leitantrages wird darauf hingewiesen, dass es nichts nützt, wenn die Partei x Kampagnen gleichzeitig führen will und alle ihr Steckenpferd reiten können. Stattdessen will man sich auf zentrale Themen konzentrieren.

Wenn das vor Ort umgesetzt wird, verbunden mit einer kämpferischen Haltung, können die wenig positiven Ergebnisse des Münsteraner Parteitages in der Praxis ausgebügelt und korrigiert werden.

Dabei ist vor allem die Antikapitalistische Linke (AKL) gefragt. Einerseits ist es Aufgabe der Linken in der LINKEN, der Anbiederung an die SPD entgegen zu treten. Bündnispartner im Kampf gegen kapitalistische Krisenpolitik können naturgemäß nur die Opfer dieser Krisenpolitik sein, niemals deren Vollstrecker. Gleichzeitig sollte die AKL versuchen, vor Ort zu einem Motor konzentrierter Kampagnearbeit, z.B. zur Euro-Krise und für das „Recht auf Stadt“, gegen steigende Mieten und Wohnungsnot, zu werden.