Plattform für Gesellschaftskritik?
1986 in Chicago entstanden und inzwischen weltweit etabliert – Poetry Slam. Es handelt sich hierbei nicht um eine bourgeoise Kulturszene mit dubiosen Avantgardisten, sondern wird oft selbstorganisiert getragen. Wenn man so will: ein Sprachrohr für die heutige Generation. Linke Künstler wie Marc-Uwe Kling sind beispielsweise durch Poetry-Slam berühmt geworden.
von Carsten Striepe, Bayern
An einem Poetry Slam kann jede und jeder auftreten und vorlesen, der oder die schreibt. Es gibt nur drei Grundregeln, die beachtet werde müssen: 1. Die Texte müssen selbst verfasst worden sein; 2. Es dürfen keine Hilfsmittel (Instrumente, Kostüme, Requisiten oder ähnliches) verwendet werden; 3. Es gibt ein Zeitlimit (meist zwischen fünf bis sieben Minuten).
Meist nehmen pro Abend sechs bis zehn Personen an einem Poetry Slam teil. Jede und jeder liest seinen oder ihren ersten Text und dann muss eine zufällig ausgewählte Jury im Publikum diese mit einer Zahl von eins bis zehn bewerten. Der amerikanische Dichter Bob Holman definierte die Bewertung mit den Worten: „Eine null für ein Gedicht, das nie hätte geschrieben werden dürfen, eine zehn für ein Gedicht, das einen kollektiven Orgasmus im Publikum auslöst.“
Am Ende stehen meist drei Poeten im Finale auf der Bühne und lesen einen zweiten Text, von denen dann einer vom ganzen Publikum per Lautstärke des Beifalls zum Sieger gekürt wird. Was zu Konkurrenz und „Applaushascherei“ ausarten kann, ist aber auch ein Feedback auf Inhalte und die Würdigung guter Kunst und Beiträge. Nicht das Label zählt, sondern die Beliebtheit. Beim Gewinn handelt es sich meist um einen symbolischen Sachpreis wie eine CD, ein Buch, ein T-Shirt oder eine Flasche Sekt.
Alles in allem ist Poetry Slam eine Bewegung mit basisdemokratischen Ansätzen und eine Bühne für gesellschafts- und sozialkritische Vorträge. Das heißt aber nicht, dass jeder Text zwingend politisch ist, auch wenn die Mehrheit der Poeten linke Tendenzen haben. Aber wie Leo Trotzki es 1939 treffend in einem Beitrag für die New Yorker „Partisan Review“ formulierte: „Ganz allgemein gesagt, drückt der Mensch in der Kunst sein Verlangen nach einem harmonischen und erfüllten Leben aus. […] Deswegen enthält jedes echte Kunstwerk immer einen Protest gegen die Wirklichkeit, sei er nun bewusst oder unbewusst, aktiv oder passiv, optimistisch oder pessimistisch. Jede neue künstlerische Richtung hat mit einer Rebellion eingesetzt.“
Weitere Infos auf dem internationalen Poetry-Slam-Portal: www.myslam.net/de