Es ist erst ein Jahr her, dass die Bewegung namens „Occupy Wall Street“ damit begann, in New York City im Zucotti Park ihre Zelte aufzuschlagen. Nach nur zwei Wochen hatte sich die Bewegung auf hunderte Städte in allen US-Bundesstaaten ausgebreitet und sorgte auch dafür, dass der Kampf gegen die so ungerechte Verteilung des Reichtums in der Gesellschaft ungemein beflügelt wurde.
Von Greg Beiter, „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in den USA), der Artikel erschien zuerst am 9 September 2012 auf socialistworld.net
Ein Jahr danach kann man sehen, dass die Bewegung zwar verblasst ist, sie aber dafür gesorgt hat, dass sich das Bewusstsein innerhalb einer breiten Masse von ArbeiterInnen und jungen Leuten aber gewandelt hat. Zehntausende Menschen sind aktiv geworden, davon viele zum ersten Mal in ihrem Leben, und sie haben einen Geschmack davon bekommen, welche kollektive Macht sie doch haben.
Sowohl aus den Erfolgen als auch dem Niedergang der Bewegung können eine ganze Reihe von Lehren gezogen werden. Und obwohl es sich bei „Occupy“ heute nicht mehr um eine Massenbewegung auf der Straße handelt, deutete der Beginn der Bewegung auf noch viel größere Kämpfe hin, die sich in der nächsten Zukunft entwickeln werden.
Der Anfang von „Occupy“
„Occupy Wall Street“ begann als kleiner Protest einiger hundert junger Leute, die damit anfingen, einige Blocks von der Wall Street entfernt eine Blockade zu errichten. Das zog das Interesse vieler Menschen in New York und den ganzen USA auf sich und führte zu breiter Unterstützung. Die Kernaussage war so einfach wie effektiv: Das „1%“, die Super-Reichen, das die Kontrolle über das gros des Reichtums inne hat (und damit die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Macht besitzt), wird auf Kosten der riesigen Mehrheit, den „99%“, immer reicher.
Diese Message viel bei ArbeiterInnen und jungen Leuten auf fruchtbaren Boden, die durch Haushaltskürzungen, Zwangsvollstrekungen, Erwerbslosigkeit und Gebührenerhöhungen gebeutelt sind. Damit wurde Bezug genommen auf die harte Realität, der arbeitende Menschen in der „Großen Rezession“ und während der US-amerikanischen Kapitalismuskrise ausgesetzt sind.
Die Anziehungskraft der Aussagen, die von der „Occupy“-Bewegung ausgingen, führte schnell dazu, dass viele aktive Unterstützung leisteten. Die Gewerkschaften mobilisierten tausende ihre Mitglieder zu Demonstrationen von „Occupy Wall Street“. Und als die im aller Härte durchgeführten Polizeieinsätze – so etwa die Massenverhaftungen und der Einsatz von Pfefferspray gegen DemonstrantInnen – Millionen von Menschen via „youtube“ bekannt gemacht wurden, begannen in mehreren hundert Städten innerhalb der USA und weltweit weitere Besetzungsaktionen. Nachdem die üblichen Massenmedien die Bewegung anfangs noch zu ignorieren versucht hatten, war sie nun gezwungen, über das Phänomen zu berichten, das zu einer gesellschaftlichen Massenveranstaltung geworden war.
Welchen Einfluss die „Occupy“-Bewegung dabei hatte, das Bewusstsein zu verändern, zeigte sich am deutlichsten im Wandel der politischen Debatte in den USA.
Reaktion auf die Politiker des „1%“
Ende des Jahres 2010 erzielten die (ultra-konservative; Erg. d. Übers.) „Tea Party“ und die „Republikaner“ Erfolge, weil sie von der Enttäuschung gegenüber Obama und seiner „Democratic Party“ profitieren konnten, die zuvor noch die Mehrheit sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Kongress inne hatte.
Von diesem Sieg ermutigt begannen die Politiker der „Tea Party“ damit, die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und die Gewerkschaften für die Wirtschaftskrise und das Haushaltsdefizit, dem sich die einzelnen Bundesstaaten ausgesetzt sahen, verantwortlich zu machen. Die „Demokraten“, die, als sie am Hebel waren, auch kein besseres Beispiel abgaben, zogen in Erwägung, ihrerseits ebenfalls die KollegInnen im öffentlichen Dienst und die Sozialprogramme anzugreifen. Ihr Widerstand gegen die Konservativen blieb äußerst gering. Unter diesen rechts-ideologischen Vorzeichen, denen die „Demokraten“ und die herkömmlichen Medien unter dem Strich nichts entgegensetzten, wurden die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes zum Sündenbock.
Keiner verkörperte dies mehr als Scott Walker, der Gouverneur von Wisconsin. Dieser stand an der Spitze, als es darum gehen sollte, nicht nur die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes zu attackieren sondern zu versuchen sie komplett zu zerschlagen. Im Februar 2011 machte Walker den Vorschlag, die Gesetze dahingehend zu ändern, dass den LehrerInnen und anderen KollegInnen im öffentlichen Dienst das Recht auf Tarifverhandlungen entzogen wird. Das löste eine Protestwelle aus und führte zur Monate andauernden Besetzung des Regierungsgebäudes in der Hauptstadt Madison. Walker war nur deswegen in der Lage, sein abstoßendes Gesetz durch die gesetzgebende Versammlung (in der die „Republikaner“ die Mehrheit hatten) zu bringen, weil die Gewerkschaftsführer schließlich mit der Demobilisierung des Kampfes begannen. Walkers Erfolg ermunterte andere republikanische Gouverneure in Ohio, Michigan und Indiana ähnliche Gesetze auch in ihren Bundesstaaten durchzubringen.
Die Aussage der „Tea Party“ und der gesamten politischen Rechten, wonach die Beschäftigten im öffentlichen Dienst und die Gewerkschaften zur Verantwortung zu ziehen seien, blieb unwidersprochen – bis, ja bis „Occupy“ entstand. „Occupy“ ging sehr schnell dazu über, diese reaktionäre „Argumentation“ auf den Müllhaufen zu werfen. Und die Verantwortung für die Krise wurde direkt denen zugeschrieben, die auch wirklich verantwortlich dafür sind: den Bankiers und Milliardären von der Wall Street, die die Krise verursacht haben. „Occupy“ war auch in der Lage, eine reihe von Basismitgliedern der Gewerkschaften anzuziehen, die von ihrem eigenen gewerkschaftlichen und parteipolitischen Führungspersonal nur sehr wenig an Widerstand erleben durften. Sie organisierten erfolgreiche Aktionen wie z.B. den Generalstreik von Oakland im November und die Schließung der Häfen an der Westküste im Dezember.
Die Bewegung erhielt auch massive Unterstützung vonseiten der Öffentlichkeit. In zahlreichen Umfragen stimmte eine große Mehrheit mit den Aussagen der „Occupy“-Bewegung überein. Und die mehrere hundert Zeltlager in öffentlichen Parkanlagen und Stadtzentren waren ein sichtbares Zeichen, das täglich daran erinnerte, dass die Super-Reichen durch uns stets immer reicher werden.
Schwächen und letzlicher Niedergang
Leider hatte „Occupy“ auch Schwächen, die letztlich zum Niedergang der Bewegung führten. Viele, die an der Bewegung teilnahmen, lehnten es ab, Forderungen und Aussagen zu formulieren, für die die Bewegung eigentlich stand. So kam es, dass eigentlich nur der Slogan „Wir sind die 99%“ öffentlich formuliert wurde und andere Aussagen unterlassen wurden. So forderte man zum Beispiel nicht in der Öffentlichkeit, dass Schluss gemacht werden müsse mit den Haushaltskürzungen oder Kriegen und dass man die Wall Street und die Reichen zusätzlich besteuern müsse.
Trotz der enormen Unterstützung, die die Bewegung aus der Bevölkerung erhielt, blieb die Zahl der aktiv Beteiligten vergleichsweise gering. Zwar gab es passive Unterstützung von Millionen von Menschen, aber nur rund zehntausend Leute kamen regelmäßig zu den Demonstrationen, Zeltlagern und Vollversammlungen.
Hätte man mit Bezug auf die täglichen Kämpfe der arbeitenden Menschen und der jungen Leute eindeutige Forderungen formuliert, dann hätte das dazu beigetragen, viel mehr Menschen zu mobilisieren und in Aktion zu bringen. Aber auch nur die Ausarbeitung eines Aktionsplans hätte dazu geführt, dass sich mehr Menschen der Bewegung angeschlossen hätten.
Bald schon wurde „Occupy“ darauf reduziert, einfach nur die Camps und Zeltlager aufrechterhalten zu wollen und sich dabei gegen die Drohgebärden und Versuche von Polizei und Politikern zur Wehr zu setzen, die diese aufzulösen gedachten. Der Kampf begann sich auf die reinen Besetzungen zu beschränken. Diese sollten ein Beispiel für die Art von Gesellschaft sein, die die Bewegung aufbauen wollte. Viele AktivistInnen dachten, dass daraus Beispiele entstehen könnten, die ihre NachahmerInnen finden würden, um von der kapitalistischen Ausbeutung zu einer gerechteren Gesellschaft zu kommen. Doch diese inselartige Vision wurde in den meisten Fällen von den Kräften des kapitalistischen Staates zerstreut, nachdem sie offenbar nicht dazu geführt hatte, dass sich eine ausreichende Zahl an Leuten angesprochen fühlte, um die Besetzungsaktionen zu verteidigen.
Statt die Öffentlichkeit aufzurufen, sich an ihrem Mikrokosmos einer besseren Gesellschaft zu beteiligen, hätte „Occupy“ besser auf die Eskalationsstrategie setzen sollen. Die Leute hätten auf der Grundlage klarer Forderungen in Aktion gebracht werden müssen. So wurden während des Höhepunkts der Bewegung beispielsweise Aktionen organisiert, um gegen die Großbanken zu protestieren. Dabei sollte es dann auch zu Bankbesetzungen und zu deren Schließung kommen. Die meisten dieser Proteste blieben aber rein symbolisch. Es blieb bei Einzelaktionen, bei denen – was die Banken angeht – keine Forderungen aufgestellt wurden.
Diese Aktionen – und die Bewegung insgesamt – hätten wesentlich mehr Zuspruch und Zulauf gefunden, wenn direkt am Anfang und mit Blick auf die Banken ein Forderungspaket aufgestellt worden wäre. So hätte man z.B. ein Ende der Zwangsvollstreckungen fordern können oder dass Steuern auch wirklich bezahlt werden müssen oder ein Ende der Bonuszahlungen für Bankiers, um nur einige Beispiele zu nennen. Wenn die Banken diesen Forderungen dann nicht entsprochen hätten – und das hätten sie mit größter Wahrscheinlichkeit nicht getan! – , dann hätte die Bewegung eine Reihe von öffentlichen Aktionen organisieren können, die zur Eskalation der Lage geführt hätten – bis die Banken zum Einlenken gebracht worden wären.
Wenn man die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Unnachgiebigkeit der Banken, auf die Ausbeutung durch die Konzerne oder auf die Politiker lenkt, die die Forderungen der Bewegung ignorieren und mit der Ungerechtigkeit weiter machen, dann kann das häufig dazu führen, dass viel mehr Menschen in Aktion treten. Und wenn wir Erfolge erzielen, wenn wir es schaffen, dass man aufgrund unserer Zielvorgaben einlenkt und auf einige unserer Forderungen eingeht, dann kann das enorme Wirkung haben. Das würde zeigen, dass der organisierte Druck der Massen in der Lage ist, den Wandel zu erzwingen.
Bleibender Eindruck
Obwohl „Occupy“ als aktive Massenbewegung nicht mehr existent ist, ist ein bleibender Eindruck auf das Bewusstsein in den USA zu verzeichnen. Millionen von Menschen verstehen nun, dass sie vom Amerika der Konzerne und Super-Reichen ausgebeutet werden. Dies wird die Grundlagen schaffen, auf denen die nächsten Massenbewegungen aufbauen können.
„Occupy“ hat auch dazu geführt, dass zehntausende von AktivistInnen in der Auseinandersetzung auf der Straße ihre Erfahrungen sammeln konnten. Viele dieser AktivistInnen werden sich die Frage stellen, warum die Bewegung nicht in der Lage war, für grundlegenden Wandel zu sorgen. Aus dieser Erfahrung werden sie ihre Schlussfolgerungen ziehen und ganz vorne mit dabei sein, wenn es darum geht, in der Zukunft die Kämpfe mit zu entwickeln.
Und selbst heute ist „Occupy“ noch nicht vollkommen verschwunden. Teile der Bewegung haben sich neu aufgestellt, was auf ganz konkrete Angriffe zurückzuführen ist: Die Bewegung namens „Occupy Homes“ (dt.: „Besetzt die Wohnhäuser!“) gegen die Zwangsvollstreckungen in Minneapolis und in anderen Städten ist ein Beispiel. Diese Kampagne war erfolgreich darin, einige Familien davor zu bewahren, dass sie von den Banken aus ihren Häusern geworfen wurden. Das ist ein ganz hervorragendes Beispiel dafür, wie zielgerichtete Forderungen und Aktionen zu nötigen Erfolgen führen, um die Stärke der Bewegung unter Beweis zu stellen und noch mehr Menschen zum Mitmachen zu bringen.
Ähnlich verhält es sich mit der Studierendenbewegung, die überall im Land entsteht. Der Grund dafür ist die Anhebung der Studiengebühren und die zunehmende Verschuldung der Studierenden.
Die Gründe dafür, weshalb „Occupy“ überhaupt entstanden und in so kurzer Zeit so groß geworden ist, sind im Wesentlichen immer noch existent. Der US-Kapitalismus befindet sich weiterhin in der Krise und wird sich in absehbarer Zeit nicht merklich erholen. Die Lebensstandards der arbeitenden und jungen Leute werden kontinuierlich Angriffen ausgesetzt sein. Wenn die Wirtschaft wieder in die Rezession rutscht, werden diese Angriffe an Intensität nur weiter zunehmen. Derlei Maßnahmen werden dazu führen, dass in naher Zukunft dann abermals massenhafte Kämpfe losbrechen.