Interview mit Kshama Sawant, Seattle
von „Socialist Alternative“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in den USA)
Kshama Sawant, Kandidatin der „Socialist Alternative“ in Seattle, fordert bei den Wahlen im Bundesstaat Washington im 43. Wahlbezirk den Sprecher der „Demokraten“ im dortigen Repräsentantenhaus, Frank Chopp, heraus. Bei den Vorwahlen konnte Sawant nie dagewesene Ergebnisse erzielen: Sie kam in beiden Abschnitten des Wahlbezirks auf Rang zwei. Für ein Interview mit der Zeitung „Justice“ (dt. „Gerechtigkeit“) unterbrach sie kurz ihren Wahlkampf.
„Justice“: Warum trittst du als sozialistische Kandidatin überhaupt an?
Kshama Sawant: Ich glaube, dass wir – wenn wenn wir wirklich einen Wandel wollen, Mut beweisen müssen. Das heißt, dass wir uns nicht hinter falschen Parteiabzeichen verstecken dürfen. Immer mehr Menschen werden – wenn man sie danach fragen würde, antworten, dass sie eher für Sozialismus als für Kapitalismus sind. Und der Grund dafür liegt auf der Hand: Der Kapitalismus ist für „die 99%“ gescheitert. Demgegenüber steht Sozialismus für echte Demokratie und Gleichheit. Eine bessere Welt ist möglich!
Und diese bessere Welt beginnt bei der Arbeiterklasse, den „99%“, die begreifen, dass wir wirklich Macht haben! Ich kandidiere als Sozialistin um zu zeigen, dass es Alternativen zu „Republikanern“ und „Demokraten“ gibt, die beide nur die Interessen der riesigen Konzerne vertreten. Ich fordere unabhängige KandidatInnen der „99%“, um bei jeder Gelegenheit gegen die Unternehmenspolitiker anzutreten! Das ist nur der erste Schritt für uns in einem Aufbauprozess, bei dem es darum gehen muss, Bewegungen zu schaffen, die die Macht des „1%“ herausfordern.
Was hat eine sozialistische Kandidatin zu bieten, das nicht auch die „Democratic Party“ versprechen würde?
Ich werde den „einfachen“ Leuten von Olympia eine Stimme verleihen. Im Gegensatz zum Kandidaten der „Demokraten“ werde ich die Interessen der „99%“ an erste Stelle stellen. Nehmen wir das Thema Finanzen: Mein Wahlkampf wird komplett von „einfachen“ Leuten finanziert. Zur gleichen Zeit kriegt mein Gegenkandidat zehntausende von US-Dollars von Konzernen und Milliardären. Wenn man weiß, woher das Geld für seinen Wahlkampf kommt, dann überrascht es auch nicht, dass er kontinuierlich für die weitere Zerschlagung der im Haushalt vorgesehenen Sozialprogramme wie z.B. der Gesundheitsversorgung und Bildung gestimmt hat. Ich werde nicht nur dafür kämpfen, dass Programme wie das unter dem Namen „Basic Health“ bekannte wieder aufgelegt und ausgeweitet werden. Ich werde auch sicherzustellen versuchen, dass in Washington wirklich eine Gesundheitsversorgung auf die Agenda kommt, über die die einzelnen BeitragszahlerInnen wirklich und angemessen abgesichert sind.
Ich werde dafür kämpfen, dass alle Zugang zu hochwertiger Bildung erhalten, nicht nur die, die es sich leisten können. Ich trete dafür ein, dass der Ausbau des ÖPNV wie auch der grünen Energieträger Priorität bekommen. Im Gegensatz zu den „Demokraten“ werde ich für eine Steuer für Unternehmen und die Super-Reichen im Bundesstaat Washington kämpfen, die momentan von der regressivsten Besteuerung profitieren, die man in den ganzen USA finden kann. Mit den Einnahmen können alle o.g. Programme mit Leichtigkeit finanziert werden.
Ein weiterer Unterschied zwischen mir und den „Demokraten“ ist, dass ich dazu beitragen will, Bewegungen aufzubauen. Als Aktivistin von „Occupy Seattle“ habe ich bereits genau daran mitgewirkt. Die Geschichte zeigt, dass der einzige Weg, echten Wandel erreichen zu können, darin besteht, wenn die Menschen zusammen arbeiten, um diesen Wandel Wirklichkeit werden zu lassen. Die Aufgabe der „Democratic Party“ besteht hingegen darin, diese Bewegungen im Keim zu ersticken. Angefangen bei der Antikriegsbewegung zu Beginn der 2000er Jahre bis hin zum Kampf der Gewerkschaften in Wisconsin im vergangenen Jahr konnten wir genau dies immer wieder erleben.
Was sagst du denen, die meinen, dass man durch Wahlen sowieso nichts verändern kann?
Wenn man sich in der Geschichte umsieht, dann sehe ich nicht, dass dieser Ansatz richtig ist. Nehmen wir das Beispiel der KanadierInnen, die ine Gesundheitsversorgung für alle erreichen konnten. Die kanadischen ArbeiterInnen hatten damit angefangen, unabhängige KandidatInnen aufzustellen und gründeten schließlich die „New Democratic Party“. Diese Partei wurde immer beliebter, stellte für die Konzerne und die großen politischen Parteien in Kanada eine Bedrohung dar. Schnell wurde klar, dass die herrschende Klasse einzulenken hatte, wollte sie ihren Einfluss irgendwie behalten. Das führte in diesem Fall zur Einführung eines allgemeinen Gesundheitswesens.
Letztendlich sind es doch die Massenbewegungen, die zu grundlegendem Wandel führen. Im Verlauf eines Jahres, in dem die Präsidentschaftswahlen stattfinden, beschäftigen sich wesentlich mehr Menschen mit Politik als sonst. Wenn wir bei Wahlen kandidieren, haben wir die Möglichkeit, viel mehr Leute mit unseren Ideen zu erreichen und und die Bewegung tatsächlich aufzubauen. Das gilt vor allem dann, wenn es so viel Frust und Wut in der Bevölkerung auf beide Parteien – „Demokraten“ und „Republikaner“ – gibt wie im Moment.
In der Geschichte gibt es viele Beispiele, die zeigen, dass es möglich ist, Parteien der Arbeiterklasse aufzubauen, die nicht einfach als Wahlapparate dienen. Die beiden großen Parteien in den USA hingegen sind Wahlapparate der Konzerne. Stattdessen brauchen wir Parteien, die im Interesse der „einfachen Leute“ funktionieren, für Arbeitsplätze kämpfen, in denen man einen angemessenen Lohn bekommt, für kostenlose und allen zugängliche Gesundheitsversorgung eintreten, für bezahlbare Wohnungen, Renten verteidigen und die Umwelt schützen. Wir brauchen eine Partei der arbeitenden Menschen, die KandidatInnen aufstellt, die die Unternehmenspolitiker herauszufordern verstehen. Das ist der erste Schritt in Richtung Aufbau einer solchen Partei.
Was sagst du denen, die auch darüber nachdenken, die beiden großen Parteien herausfordern zu wollen?
Dass jetzt genau der richtige Zeitpunkt dafür ist! Die Idee, sich von den beiden großen Parteien abzuwenden, findet immer mehr an Unterstützung. Diese Wut – vor allem auf die „Demokraten“ – zeigt sich ja auch ganz offensichtlich im Ergebnis, dass wir Anfang des Monats bei den Vorwahlen erreichen konnten. Im ersten Abschnitt des Wahlbezirks gewannen wir mehr als neun Prozent der Stimmen gegen einen eigentlich ganz beliebten Kandidaten von den „Demokraten“, Jamie Pederson. Im zweiten Abschnitt schafften wir sogar elf Prozent mit einer write-in-Kandidatur (Vorzugsstimme, bei der man selbst eineN eigeneN KandidatIn eintragen kann; Anm. d. Übers.) gegen den weitaus angreifbareren Sprecher der „Demokraten“ im Repräsentantenhaus des Bundesstaates Washington, Frank Chopp. Diese Wahlergebnisse zeigen, wie wütend die Leute auf die beiden Unternehmensparteien sind und nach einer Alternative suchen, mit der der Ist-Zustand bei Wahlen in Frage gestellt werden kann.
Allein, dass wir in beiden Abschnitten so gut abgeschnitten haben, hat dazu geführt, dass die mediale Aufmerksamkeit und die Zahl der Leute, die unseren Wahlkampf aktiv unterstützen wollen, erheblich zugenommen. Das durchaus nicht ganz übliche Wahlergebnis bot uns im Wahlkampf die Möglichkeit, den Fokus von einem Wahlkreis auf den anderen zu verlagern und so gegen den zweitwichtigsten „Demokraten“ im Bundesstaat Washington anzutreten. Dass wir gegen die Sprecher im Repräsentantenhaus kandidieren, wird unserem Wahlkampf noch viel größere Aufmerksamkeit bescheren. Und auf diesem Wage können wir unsere politischen Ansätze in die abgedroschene Diskussion darüber einbringen, wie man die Wirtschaftskrise am besten in den Griff bekommt, von der die Vereinigten Staaten so sehr in Mitleidenschaft gezogen werden.
Wenn ich auf der Straße bin und mit den Leuten im 43. Distrikt rede, dann höre ich, dass Erwerbstätige, die Erwerbslosen, junge Leute und ältere Menschen zunehmend auf die Idee kommen, dass der Kapitalismus nicht in ihrem Sinne funktioniert. Nachdem diese Leute mich dann über Lautsprecher sagen hören wir ich rufe: „Schluss mit den Haushaltskürzungen – wählt eine sozialistische Kandidatin!“, kommt ein Typ zu mir und meint, als er zurück an unseren Stand kommt: „Haushaltskürzungen sind zum K*****! Ich brauche sofort eins von diesen [Flugblättern].“
Es gibt wirklich eine Offenheit gegenüber sozialistischen Idden. Viele junge Menschen und Erwerbstätige haben wörtlich gesagt: „Sozialismus? – Ja!“, als sie uns auf der Straße antrafen. Von daher ist es ganz offensichtlich, dass die „einfachen Leute“ Energie aus einem Wahlkampf ziehen, der nicht im Sinne der Unternehmen von Amerika gemacht wird, sondern im Sinne der Bedürfnisse der „99%“. Wir müssen eine Massenbewegung aufbauen, die unabhängig ist von den beiden großen Parteien der Konzerne. Das muss der erste Schritt sein, um mit der Kontrolle der Unternehmen über die Politik der USA zu brechen und mit der Transformation des Landes und der ganzen Welt zu beginnen!