Die Regierung wankt, die Arbeiterklasse lässt ihre Muskeln spielen
Im viertgrößten Land der Euro-Zone spitzt sich die Krise fast stündlich zu. Spanien sitzt nicht nur auf einem Pulverfass, sondern sogar auf einer ganzen Reihe von Pulverfässern, die jederzeit explodieren könnten. Die Regierung unter dem Konservativen Mariano Rajoy, die vor wenigen Monaten noch mit einer üppigen Mehrheit ausgestattet wurde, verliert rapide an Boden. Der 65 Tage dauernde militante Bergarbeiterstreik im Sommer war sehr wahrscheinlich nur der Auftakt zu einer neuen Runde im Klassenkampf. Auch die organisierten Plünderungen großer Supermarktketten in Cádiz und Sevilla durch Hunderte von LandarbeiterInnen der andalusischen Gewerkschaft SAT unter der Führung des regionalen Abgeordneten Sanchez Gordillo (von der Vereinigten Linken) stieß auf enorme Resonanz. In diesem Herbst bietet sich die Chance einer verallgemeinerten, radikalen Bewegung der arbeitenden Bevölkerung gegen die Regierung und die kapitalistische Krisenpolitik.
von Danny Byrne
Auch wenn nach dem Desaster von PSOE und dem Wahlsieg von Rajoy und seiner Partei PP im November 2011 alles andere als eine enthusiastische Stimmung existierte, so drückte das klare Ergebnis doch aus, dass ein substanzieller Teil der Bevölkerung damals Zuversicht hatte. Zuversicht darin, dass die Krise nur vorübergehend ist und sich mit einem Regierungswechsel die Dinge schon wieder zum Besseren wenden könnten.
Aber kurz darauf kam es zu gewaltigen ökonomischen Verwerfungen. Das „Griechenland“-Gespenst ging um. In den vergangenen Monaten geriet die spanische Wirtschaft dann immer tiefer in die Rezession. Die Zahl der Erwerbslosen wächst unaufhörlich und nähert sich der Marke von sechs Millionen (25 Prozent aller im erwerbsfähigen Alter).
Regierung ist angezählt
Das neue Kabinett mochte sich ein paar Monate in der Sicherheit wiegen, eine große parlamentarische Mehrheit hinter sich zu wissen. Aber die Zustimmung der Öffentlichkeit zerrinnt ihnen wie Sand zwischen den Fingern. Die Tageszeitung El Pais berief sich im Juli auf eine Studie, wonach nie zuvor eine neue Regierung in einem solch atemberaubenden Tempo an Unterstützung einbüßte. Viele sehen in Rajoy und Co. nur noch „Lügner“, da sie eine Wahlankündigung nach der anderen in ihr Gegenteil verkehrten (wie zum Beispiel das Versprechen, die Mehrwertsteuer nicht zu erhöhen).
Die politischen Repräsentanten der herrschenden Elite stecken mittlerweile in heftigen Konflikten. Wie unsicher und zerstritten die Regierung geworden ist, zeigte sich unlängst daran, dass Rajoy seinen Ministern einen Maulkorb verhängte und ihnen verbot, überhaupt öffentlich für das Kabinett zu sprechen.
Die nationale Frage – eine Zeitbombe
Der mit hohen Sparauflagen verbundene, konfrontative Kurs der Zentralregierung gegenüber den autonomen Provinzen wird die nationalen Spannungen deutlich verschärfen. Das Baskenland und Katalonien, zwei Regionen Spaniens, in denen die Menschen seit jeher großen Wert auf ihre eigene Tradition und Kultur legen, stehen an der Spitze der Opposition mehrerer Provinzen gegen Madrid.
Gerade Katalonien und das Baskenland, die beiden industriell stärksten Regionen Spaniens, sind erzürnt über das neue „Stabilitätsgesetz“, das der Zentralregierung ähnliche Möglichkeiten gegenüber den Provinzen eröffnet wie sie die „Troika“ gegenüber überschuldeten Euro-Ländern besitzt. Allerdings ist es eine Sache, solch ein Gesetz zu beschließen, und eine andere, dies auch in die Praxis umzusetzen.
Im Baskenland stehen im Oktober Neuwahlen an, nachdem die dortige PSOE/PP-Regierung geplatzt ist. Hier liefern sich zwei nationalistische Kräfte ein Kopf-an-Kopf-Rennen: zum einen die rechte PNV, zum anderen die neue linksnationalistische Amaiur.
Wie in den dreißiger Jahren stellt sich für die Linke die Aufgabe, das Selbstbestimmungsrecht aller Nationen zu verteidigen – als Voraussetzung dafür, die Arbeiterklasse in Spanien zusammenzubringen und einen gemeinsamen Kampf gegen die Herrschenden zu erreichen.
Im Baskenland besteht eine Herausforderung darin, der Stimmung unter großen Teilen der benachteiligten Massen, die momentan im Zuwachs für Amaiur zum Ausdruck kommt, eine antikapitalistische, internationalistische Richtung zu geben. Gesetzt den Fall, dort kommt es zu einer linksnationalistischen Regierung, dann könnte sie, sollte sie sich der Sparauflagen von Madrid erwehren und einen sozialistischen Kurs verfolgen, für ArbeiterInnen und Jugendliche landesweit zu einem leuchtenden Beispiel für Widerstand werden. Wenn die Arbeiterklasse den spanischen Imperialismus ernsthaft herausfordern will, dann muss sie ihre Reihen schließen und alle linken Kräfte und Arbeiterorganisationen, einschließlich der Gewerkschaften in Galizien und im Baskenland, im Kampf vereinigen.
Streiks: Wegweisende Initiativen von unten
Die Misere ist so verheerend, dass selbst die rechteste Gewerkschaftsspitze sich schwer tun muss, militante Gegenwehr zu verhindern. Aber die Führung der spanischen Gewerkschaften versuchte hierbei ihr Bestes. Alle bedeutsamen Ansätze für Widerstand wurden von unten angestoßen – von der Indigandos-Bewegung 2011, über den Generalstreik am 29. März hin zu dem massiven Ausstand der Beschäftigten des Öffentlichen Dienstes.
Die Bergarbeiter (vor allem aus Asturien), die 65 Tage gegen die Streichung von Subventionen und drohenden Arbeitsplatzverlust streikten und sich mit Feuerwerkskörpern und Autobahnblockaden verteidigten, stehen in den Startlöchern, im Herbst erneut loszulegen. Ihr Marsch nach Madrid von Zehntausenden fand landesweit ein mächtiges Echo. Jetzt könnte eine Neuauflage ihres Arbeitskampfes die Initialzündung für eine breite verallgemeinerte Bewegung werden.
Auch die Landbesetzungen in Andalusien und die organisierten Plünderungen von Supermärkten unter der Führung der Gewerkschaft SAT und des regionalen Abgeordneten Sanchez Gordillo (Vereinigte Linke) waren ungemein populär. Die Chance für einen kämpferischen linken Pol in den Gewerkschaften ist gegeben.
Gordillo spielte auch eine bedeutende Rolle in der Oppositionsbewegung gegen den Eintritt der Vereinigten Linken (IU) in die von der bürgerlichen PSOE geführten Kürzungsregierung in Andalusien. Der Proteststurm führte zu Dutzenden von Basisversammlungen der IU und der Kommunistischen Partei. Dort wurde intensiv über die Krise und linke, sozialistische Alternativen gestritten. Ähnliches sollte jetzt über Andalusien hinaus in ganz Spanien organisiert werden.
Für den Aufbau einer Bewegung zum Sturz der Regierung
Bislang kam es zu zwei einzelnen eintägigen Generalstreiks und einer anschließenden Demobilisierung durch die Gewerkschaftsspitze. Socialismo Revolucionario, die spanische Gruppe des CWI, warnte genau davor und schlug zur Zeit der Kampagne für den Generalstreik im März vor, dafür zu kämpfen, dass auf diesen ein zweitägiger Generalstreik folgt und die Bewegung weiter aufgebaut wird. Ein solcher 48-stündiger nationaler Ausstand sollte in eine Kampfstrategie eingebettet werden, die weitere, längere Generalstreiks, Betriebsbesetzungen und die Organisierung von Versammlungen am Arbeitsplatz und in den Stadtteilen beinhaltet.
Eine solche Bewegung könnte die ohnehin angeschlagene PP-Regierung in die Enge treiben. Bei einem Sturz von Rajoy muss aber klar sein, dass es kein Zurück zu einer weiteren PSOE-Regierung geben darf. Vielmehr braucht es eine Regierung im Interesse der arbeitenden Menschen, die das Profitsystem überwinden will und für Forderungen eintritt wie „Nein zu allen Kürzungen“, „Einstellung der Schuldenzahlungen“, „Verstaatlichung der Banken“, „Kapitalverkehrskontrollen und staatliches Außenhandelsmonopol“, „Konfiszierung der Vermögen der Reichen“, „ein öffentliches Investitionsprogramm für Bildung und Soziales“ und die „Überführung von Konzernen in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die arbeitende Bevölkerung“. Solche Maßnahmen stehen im Widerspruch zur kapitalistischen Zwangsjacke Euro und Europäische Union (EU). Sie wären vielmehr Schritte hin zu einem internationalen Kampf für eine sozialistische Umwälzung.
Unabdingbar ist deshalb der Brückenschlag zu den Kämpfen in Griechenland und anderswo: Ein erster Schritt könnte ein koordinierter Generalstreik in den Ländern der „Peripherie“ sein. In diesem Kontext ist auch die Forderung nach einer sozialistischen Föderation, angefangen mit den Ländern Südeuropas, wichtig – als Alternative zum Europa des Kapitals.
Die Vereinigte Linke liegt in den Umfragen derzeit bei zwölf Prozent. Ihr kommt in dieser Situation eine historische Verantwortung zu. Zwar teilt die Führung der IU Forderungen wie nach der Verstaatlichung der Banken. Ihre unmittelbaren Vorschläge sind aber leider völlig unzureichend. So plädiert sie für Euro-Bonds oder Interventionen der Europäischen Zentralbank (EZB), um zu verhindern, dass die Zinsen für die Staatsanleihen von Spanien und anderen Euro-Staaten weiter steigen. Solche Maßnahmen, die höchstens Atempausen in der Krise bedeuten würden, zielen de facto darauf ab, die kapitalistische Wirtschaft bloß zu stützen. Stattdessen besteht das Gebot der Stunde darin, auf eine internationale Bewegung gegen Kürzungspolitik und Kapitalherrschaft hinzuarbeiten.