Ein Überblick über die Ereignisse und Stellungnahmen
Merkel und Samaras, der konservative griechische Ministerpräsident, trafen sich am 9. Oktober 2012 in Athen. Wie der Kölner „Express“ schreibt, war dies „eine ganz heikle Reise“. Für die Griechen sei Merkel zum „Symbol eiskalter Machtpolitik“ geworden, weswegen diese auch so massenhaft gegen Merkel und Samaras demonstrierten.
Von Hubert Schönthaler, Köln
„Merkel und Samaras sollen mit ihren Maßnahmen abhauen“,
„Merkel, geh nach Hause“,
„Sie sind nicht willkommen. Imperialisten raus“, oder
„Nein zum Vierten Reich“,
waren nur einige Parolen auf der Demonstration. Eine weitere Parole machte den Bezug zu den Verbrechen der deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg deutlich:
„Merkel, den Boden, den du betrittst, hat Aris und die EAM/ELAS befreit.“
Mit Aris ist der bekannteste griechische Partisanenführer Aris Velouchiotis gemeint, die EAM war die „Nationale Befreiungsfront“, der politische Arm, die ELAS war die „Nationale Volksbefreiungsfront“, der militärische Arm der linken Widerstandsbewegung.
Wie der „Express“ weiter schreibt, „wurde schon die Fahrt ins Zentrum zum Spießrutenlaufen“. Ärzte und Sanitäter einer am Weg gelegenen Klinik versuchten, die Straße, die der Konvoi Merkels entlangfuhr, zu blockieren. Sie mussten von der Polizei „mit Gewalt zurückgehalten“ werden. Seit Monaten sind die Klinikmitarbeiter nicht bezahlt worden, warten auf ihren Lohn wie viele Arbeitnehmer in Griechenland. Das ist eine konkrete Folge der Sparpolitik und des bewussten Ausblutens des Gesundheitswesens.
Doch Merkel und Samaras spielten Harmonie vor. Merkel sagte: „Ich möchte mich für den freundlichen Empfang bedanken.“
Tsipras Perspektiven
Vor wenigen Tagen veröffentlichte der britische „Guardian“ einen Artikel von Alexis Tsipras, dem Vorsitzenden von SYRIZA, dem „Bündnis der Radikalen Linken“, der zweitstärksten Partei in Griechenland, eine „Botschaft an Merkel“, wie die Zeitung schreibt.
Die Auswirkungen der staatlichen Sparpolitik fasst Tsipras so zusammen: „Diese Politik hat die griechischen Bürger zugrunde gerichtet, insbesondere die Arbeitnehmer, die Rentner, die Kleinunternehmer, die Frauen und natürlich die Jugend.“ So sei die griechische Wirtschaft in den letzten Jahren um 22 Prozent geschrumpft, Arbeitnehmer und Rentner hätten 32 Prozent ihres Einkommens verloren und die Arbeitslosigkeit habe offiziell 24 Prozent erreicht, die Jugendarbeitslosigkeit gar 55 Prozent.
Folgen der Sparpolitik sei weiterhin: „Die Sparpolitik hindert die Rückkehr zu Wachstum. Die Sparpolitik schafft einen Teufelskreis von Wirtschaftsabschwung und Ansteigen der Schulden, der sowohl Griechenland als auch seine Kreditgeber in die Katastrophe führt.“
Ziel der europäischen wie der griechischen Politiker und der Elite, einschließlich Merkels, seien „ähnliche Programme auch in anderen Ländern, die Schuldenproblemen gegenüberstehen, wie etwa Spanien und Portugal“. Ihr Ziel sei nicht, die Schuldenkrise zu lösen, sondern, „einen neuen regelnden Rahmen in ganz Europa zu schaffen, der sich stützen wird auf billige Arbeit, Deregulierung des Arbeitsmarktes, geringe öffentliche Mittel und Steuerbefreiungen für das Kapital.“
Um dieses Ziel zu erreichen, werde „eine Form politischer und wirtschaftlicher Erpressung“ benutzt, um die Menschen zu überzeugen oder zu zwingen, die Sparpolitik widerstandslos zu akzeptieren.
Und Tsipras stellt als Perspektive auf: „Das (die Sparpolitik) muss jetzt aufhören. Europa braucht einen neuen Plan, um die europäische Einigung zu stärken.“ Ein solcher Plan müsse sich dem Neoliberalismus entgegenstellen und die europäischen Ökonomien zum Aufschwung führen.
„Er (der Plan) muss als Priorität die Bedürfnisse der Arbeitnehmer, der Rentner und der Arbeitslosen zur Grundlage haben und nicht die Interessen der Unternehmer und der Banken.“ Er sei der einzige Plan, der „die europäische Vision von sozialer Gerechtigkeit, Frieden und Solidarität wieder aufrichten kann.“
Doch die Voraussetzung der Verwirklichung dieses Plans sei der Kampf: „Dieser Plan wird nur Erfolg haben, wenn die sozialen Kämpfe radikal das Gleichgewicht der Kräfte verändern.“ Diese Kämpfe hätten bereits begonnen und hätten zum Aufstieg der Linken und der Widerstandsbewegung in ganz Europa geführt. „Sie halten die Demokratie, die Gleichheit, die Freiheit und die Solidarität lebendig, die bedeutendsten Werte der europäischen politischen Tradition.“ Diese Werte müssten sich durchsetzen. Andernfalls werde Europa in eine „dunkle Vergangenheit zurückfallen, von der wir meinten, sie sei ohne Wiederkehr vergangen“. (Die Zitate nach der Webseite der griechischen Zeitung „Ethnos“ vom 9.10.2012.)
Was an den Ausführungen von Tsipras auffällt, ist, dass sie recht unkonkret sind. Es fehlt eine klare Positionierung in der Frage der Schulden. Tsipras verlangt keine komplette Schuldenstreichung. Auch von einer Verstaatlichung des Bankensystems ist nicht die Rede, nicht einmal von einer Bankenkontrolle. Und die Perspektive des Sturzes der bürgerlichen Regierung des Spardiktats und ihre Ersetzung durch eine Regierung der Linken, wie während der letzten Wahlen in Griechenland gefordert, wird völlig ausgeklammert.
Die Haltung der KKE
Die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und die ihr nahestehende Gewerkschaftsfront PAME, die sich typischerweise wieder einmal nicht gemeinsam mit der Bewegung am und um den Syntagma-Platz vor dem Parlament versammelten, sondern auf dem Omonia-Platz, erklärte:
„Alles zeigt, dass das Memorandum (d.h. die Sparpolitik) der Zusammenarbeit, das Merkel und Papandreou unterschrieben haben (schon vor zweieinhalb Jahren im Jahre 2010, Anmerkung d. Verf.) voranschreitet und angereichert wird. (…) Die gemeinsamen Geschäfte zwischen dem deutschen und dem griechischen Kapital „betreffen die Privatisierung, doch auch die Abfall- und die Umweltindustrie, wo es hohe Gewinne gibt.“
Und weiter wird die Perspektive „Raus aus der EU und dem Euro“ entwickelt: „Die Arbeitnehmer, die armen Volksschichten müssen sich loslösen von den Dilemmata und den Illusionen . Der Kampf zur Abschaffung der Memoranden ist untrennbar verbunden mit dem Kampf für die Loslösung von der EU. Alle, die das verbergen, belügen das Volk.“(die Zitate ebenfalls nach der Webseite der griechischen Zeitung „Ethnos“ vom 9.10.2012)
Dass KKE/PAME die Bewegung durch getrennte Versammlungs- und Demonstrationsorte wieder spalten, überrascht niemanden mehr. Was wiederum auffällt, ist das völlige Fehlen einer Perspektive, die über die engen griechischen Landesgrenzen hinausgeht. Dass bereits in ganz Südeuropa, doch auch in Britannien, Irland und Belgien Kämpfe gegen die dortigen Sparprogramme und die Troika aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfond (IWF) stattfinden, ist bis zur KKE-Führung offensichtlich noch nicht durchgedrungen oder diese internationale Dimension der kapitalistischen Krise wird bewusst zugunsten einer nationalen Perspektive ignoriert.
Die Erklärung von Manolis Glezos an die Adresse Merkels
Manolis Glezos, inzwischen 90 Jahre alt, ist ein lebendes Symbol für den Widerstand gegen die deutsch-italienisch-bulgarische Besatzung Griechenlands von 1941 bis 1944. Bereits am 30. Mai 1941, wenige Wochen nach der Eroberung Athens durch die Wehrmacht, holte er gemeinsam mit einem Genossen des Nachts die riesengroße Hakenkreuzfahne von der Akropolis im besetzten Athen. Von den Nazis nie gefasst, wurde er während des griechischen Bürgerkrieges von 1946-1949 und danach von den Rechten mehrmals zum Tode verurteil und hat insgesamt über 11 Jahre im Gefängnis verbracht. Jetzt ist er Parlamentsabgeordneter von SYRIZA und Dauerteilnehmer am Widerstand gegen die Sparpolitik. Manolis Glezos symbolisiert die Generation des antifaschistischen Kampfes.
Glezos erklärte:
„Wir haben nicht vor, die Kanzlerin zum Essen einzuladen. Dagegen laden wir sie zum gemeinsamen Besuch des Schießplatzes in Kaisariani ein, damit sie sieht, dass noch heute, 67 Jahre nach Ende des Krieges, dort, wo soviel Blut (durch die deutschen Besatzer, Anm. d. Verf.) vergossen worden ist, kein Gras wächst. Die Erde vergisst nicht. Die Menschen haben auch nicht das Recht, zu vergessen.“
Desweiteren erklärte er: „Es ist an der Zeit, dass wir dem Vorsitzenden der deutschen Partei DIE LINKE Bernd Riexinger zustimmen, der Angela Merkel aus Anlass ihres Besuches in Griechenland aufgefordert hat, die Stimmen derjenigen zu hören, die gegen die brutalen Einschnitte Widerstand leisten (…) und der vor einer drohenden humanitären Katastrophe in Griechenland gewarnt hat.“
Zu den möglichen Folgen einer Fortsetzung des Spardiktates sagte er: „Werden wir den Folgen der humanitären Katastrophe untätig zuschauen? Dann wird es nicht nur für Griechenland zu spät sein, sondern für ganz Europa.“
„Wir machen das Kontrastprogramm zu Frau Merkel“ (Bernd Riexinger)
Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei DIE LINKE, der in Athen zur Eröffnung einer Niederlassung der Rosa-Luxemburg-Stiftung der Partei weilte, nahm gemeinsam mit Alexis Tsipras und dem Bundesabgeordneten Andrej Hunko an der Demonstration auf dem Syntagma-Platz teil. „Die Demonstranten wissen, dass auch die deutschen Linken anwesend sind“, sagte er.
Es ist entscheidend, dass die griechischen Arbeitnehmer, Erwerbslosen, Jugendlichen und Rentner sehen, dass sie nicht allein stehen, sondern dass auch im Lande Merkels Arbeitnehmer, Gewerkschafter und Linke auf ihrer Seite stehen und internationale Solidarität praktizieren.
„Wir wollen, dass die Politik der Troika aufhört, die Knebelung der Beschäftigten und Rentner. Wir wollen, dass die Verantwortlichen, also die Reichen dafür bezahlen“, erklärte Riexinger der „Süddeutschen Zeitung“. Man hört gleichsam die Parole der Anti-Krisen-Demonstrationen vor einigen Jahren: „Wir zahlen nicht für eure Krise.“
Während Merkel sich mit Samaras, nach Riexinger „einer der Verursacher dieser Krise“, Staatspräsident Papoulias sowie deutschen und griechischen Unternehmern trifft, spricht Riexinger mit Leuten aus dem Gesundheitswesen und Gewerkschaftern. Somit „kriege ich eine ganz andere Realität von Griechenland mit als Frau Merkel“.
Die deutschen Kapitalisten, die bürgerlichen Politiker und Medienzaren reagierten hysterisch. Gerda Hasselfeld (CSU) sagte, es sei „beispiellos und empörend“, dass der Vorsitzende einer im Bundestag vertretenen Partei die „anti-deutschen Proteste in Athen als Bühne nutzt, um Politik gegen die Interessen des eigenen Landes zu machen“. Die Stuttgarter Zeitung nannte Riexinger sogar „vaterlandslosen Gesellen“. Umso mehr gilt es, diesem richtigen Besuch bei den DemonstrantInnen in Athen weitere Aktionen der internationalen Solidarität folgen zu lassen – und zu gemeinsamem europaweitem Widerstand überzugehen. In den Gewerkschaften Spaniens und Portugals wird über einen zeitgleichen Generalstreik am 14.11. diskutiert. Das sollte zu einem Streik- und Kampftag in ganz Europa ausgeweitet werden. Mit Generalstreiks auch in Griechenland, Italien und anderen Ländern, in denen ein solcher möglich ist und mit entschlossenen Solidaritätsdemonstrationen in anderen Ländern, wie Deutschland.