Artikel von der Homepage der „Linkse Socialistische Partij“/„Parti Socialiste de Lutte“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion und Sektion des CWI in Belgien) vom 24. Oktober
Die Botschaft der Konzernleitung von Ford war so einfach wie erbarmungslos: 10.000 ArbeiterInnen und ihre Familien stehen ab 2014 auf der Straße. Ford Genk macht dicht und reiht sich ins soziale Drama ein das in der Autoindustrie um sich geift: Renault-Vilvoorde, VW-Vorst, Opel-Antwerpen und nun auch Ford in Genk. Das ist ein Drama für Limburg, wo Ford bisher der größte Arbeitgeber war. Die Profitlogik führt zu sozialem Kahlschlag. Das werden nicht nicht einfach so hinnehmen, denn wer kämpft, kann verlieren, aber wer nicht kämpft, hat schon verloren.
Die Nachricht, dass Ford Genk 2014 die Tore schließen wird, kam nicht vollkommen unerwartet. Schon früher gab es Gerüchte in dieser Richtung und in den letzten Tagen wurde deutlich, dass schlechte Nachrichten zu erwarten sind. Ende September stellte die Geschäftsleitung noch in Aussicht, dass die neuen Modelle Mondeo, Galaxy und S-Max eventuell in Genk produziert werden sollen. Aber die Krise in der Automobilindustrie ist derart tief, dass es nun doch zur Schließung des Produktionsstandorts kommt. Diente die Ankündigung von Ende September also vielleicht nur dazu, um die Meldung von der Schließung erst nach den Wahlen vom 14. Oktober zu bringen?
Die Schließung von Ford Genk bedeutet ein soziales Drama. Dort sind bisher 3.996 ArbeiterInnen und 268 Angestellte beschäftigt sowie mehr als 5.000 in den Zulieferbetrieben. Insgesamt geht es um rund 10.000 Arbeitsplätze. In der Vergangenheit hat die Belegschaft schon enorme Zugeständnisse gemacht, um die Produktion in Genk zu sichern. So wurde auf 12 Prozent des Lohns verzichtet, was offenbar nicht ausreichte, weil die sinkenden Verkaufszahlen von Automobilen in Europa (von 15 Millionen im Jahr 2007 auf schätzungsweise 12,4 Millionen in diesem Jahr) und die weltweite Krise mit den damit einhergehenden Abschwung zum sozialen Drama führte.
Für die Autobranche ist die Schließung von Produktionsstätten die einzige Option, um Überkapazitäten abzubauen und Rentabilität wieder herzustellen. Dabei wird auf die Belange der arbeitenden Bevölkerung keine Rücksicht genommen, sondern nur auf den Profit geachtet. Dass noch viel weniger Autos verkauft werden, wenn man für ein soziales Massaker sorgt, interessiert die Konzernleitung von Ford nicht, solange das eigene Unternehmen nur ein klein bisschen besser da steht als die Konkurrenz.
Die flämische Regierung hat bei Opel in Antwerpen schon unter Beweis gestellt, dass sie da keinen Unterschied macht. Abgesehen davon, dass für die Geschäftsführung Sonderzahlungen vorgesehen sind und den ArbeiterInnen weitere Zugeständnisse versprochen werden, macht die Regierung nichts. Das Drama in Genk droht noch größere Ausmaße anzunehmen als bei Opel in Antwerpen, weil der Standort Ford Genk größer ist und in der Region um Genk nur wenige größere Industriebetriebe ansässig sind.
Kris Peeters (christdemokratischer Ministerpräsident von Flandern; Erg. d. Übers.) griff das Drama prompt auf, um seine Besorgnis über die hohen Energie- und Lohnkosten zu äußern. Das sind allerdings nicht die Probleme, die bei Ford Genk eine Rolle spielen. Die Produktion in Genk ist nicht teurer als die in Deutschland. Das Problem sind die Überkapazitäten. Wenn Peeters nun das soziale Drama in Limburg aufgreift, um damit alle Löhne und Arbeitsbedingungen in Frage zu stellen, dann ist das ein Beispiel für die zynische neoliberale Schock-Strategie: das Aufgreifen einer Katastrophe, um nur noch mehr neoliberale Maßnahmen durchzudrücken.
Mit Antworten wie den Sonderzahlungen an die „Limburgse Reconversiemaatschappij“ (LRM; Finanzdienstleister für Unternehmensgründungen) kommen wir da nicht viel weiter. Nach der Schließung der Bergwerke in den 1980er Jahren sorgte gerade Ford Genk für einen Lichtblick in Limburg. Vor 15 Jahren arbeiteten bei Ford noch 13.000 Beschäftigte. Heute sind es kaum mehr als 4.000. Sonderhilfen für die LRM werden da nicht mehr viel ausrichten, weil jedeR weiß, dass die Umstrukturierung nach der Schließung der Bergwerke fehlgeschlagen ist. Sollen wir das einfach nochmal wiederholen?
Kann man denn nichts gegen dieses soziale Drama tun? Wenn wir Leuten wie Kris Peeters das Feld überlassen, dann wird sicher nichts geschehen. Das haben wir im Falle Opel schon erlebt. Aber warum sollten wir die Initiative überhaupt anderen überlassen? Die Arbeiterbewegung muss selbst das Heft in die Hand nehmen und in die Auseinandersetzung gehen. Der Schock, unter dem die Belegschaft steht, darf nicht zur Lähmung führen. Die Wut muss im Rahmen der gesamten Arbeiterbewegung zu gemeinsamem Widerstand organisiert werden.
Dabei dürfen wir nicht zum Opfer der Teile-und-Herrsche-Politik werden, wenn verschiedene Betriebe gegeneinander ausgespielt werden. Auf diese Weise würden wir eins nach dem anderen ins Schlachthaus getrieben. Nötig ist hingegen eine gemeinsame Strategie, um den Kampf für den Erhalt aller Arbeitsplätze zu organisieren und so auch eine Erfolgsaussicht zu haben. In den Bereichen Transport und Verkehr wird es weiterhin zu Notlagen kommen. Um diese Situation zu beheben, schlagen wir die vollständige Verstaatlichung des Automobilsektors vor.
Als Auftakt, um die Produktion in öffentliche Hand zu überführen, dürfen wir nicht zulassen, dass Ford diese Fabrik leer räumt. Wenn Ford aus Genk weg will, dann ist das ihre Sache. Aber alles, was in Genk hergestellt wurde, gehört den ArbeiterInnen dieser Fabrik. Eine Besetzung der Produktionsanlagen kann verhindern, dass Ford sich mit der Produktion und den Maschinen einfach so aus dem Staub macht. Eine Besetzung in Verbindung mit einer aktiven Solidaritätskampagne in der Region und bis in die gesamte Arbeiterbewegung hinein kann die Kampfkraft der Ford-ArbeiterInnen verstärken, um die Betriebsanlagen schließlich in die öffentliche Hand zu übernehmen.
Eine Verstaatlichung dient nicht dazu, die Verluste zu vergesellschaften und die Gewinne nach dem sozialen Blutbad erneut zu privatisieren. Das ist in der Praxis die momentane Politik in den USA, wo die Autobranche Stück für Stück zum Niedriglohnsektor ohne soziale Rechte für die Beschäftigten verkommt. Nein, wir wollen diese Branche in die öffentliche Hand überführen, um die Kenntnisse und Möglichkeiten, die in diesen Betrieben stecken, dazu zu nutzen, dass wir zu einem sicheren und umweltfreundlichen Transport- und Verkehrswesen kommen.
Eine Verstaatlichung kann mit einer Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnverlust einhergehen. Und damit, dass das untragbare Arbeitspensum, das immer mehr in die Höhe getrieben wurde, um die Produktivität zu steigern, auf ein menschliches Maß zurückgefahren wird. Auch müssen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um nach alternativen Mobilitätsformen zu forschen. Mit Nachdruck müssen neue Wege für den öffentlichen Nahverkehr und ein umweltfreundliches Transportwesen gesucht werden. Heute sorgt die Überproduktion dafür, dass nicht in Alternativen investiert wird, sondern dass es nur die Logik des Plattmachens gibt.
Im Zuge der Verstaatlichung dürfen wir die Kontrolle über diese Branche nicht denjenigen überlassen, die in der Regierung für die Krise verantwortlich sind. Verstaatlichung muss unter der Kontrolle der Beschäftigten vonstatten gehen, um Arbeitsplätze zu retten und an Lösungen für das Mobilitätsproblem zu arbeiten – für uns alle in der Zukunft.
Nach dem Schock und der Empörung müssen wir die Wut in Widerstand verwandeln. Gemeinsam können wir den Kampf gewinnen. Eine Erfolgsgarantie gibt es nicht, aber was wäre die Alternative? Uns einer nach der anderen abschlachten zu lassen bis die jungen Leute gar keine angemessene Arbeit mehr finden können? Wer nicht kämpft, hat im vorhinein schon verloren.