Interview mit Andros Payiatsos von der sozialistischen Organisation Xekinima
Die griechische Arbeiterklasse hat den scharfen Kürzungsmaßnahmen, die auf sie herabregnen, unglaublichen Widerstand entgegengesetzt. Seit 2010 ist Griechenland von 17 Generalstreiks erschüttert worden, drei davon 48-Stunden-Generalstreiks. Nach einigen ruhigen Monaten war ein eintägiger Streik für den 26. September ausgerufen worden. Wir veröffentlichen hier ein Interview mit dem Generalsekretär der griechischen Schwesterorganisation der SAV, Xekinima, das zuerst auf www.socialistworld.net erschien.
Sind nach einem ruhigen Sommer in Griechenland wieder Kämpfe angesagt?
Am 26. September fanden in Griechenland einer der größten Streiks und die größten Demonstrationen in der jüngeren Vergangenheit statt. Es hat in den letzten Monaten kleinere begrenzte Streiks ein einigen Sektoren gegeben, aber nichts in dieser Größenordnung. Wir schätzen, dass 100.000 in Athen auf der Straße waren, was viele sind, und viele Zehntausende in anderen Städten im Rest von Griechenland.
Die Stimmung auf der Demonstration war gut. Sie war entschlossen und eher optimistisch – das ist eine Veränderung im Vergleich zur vergangenen Periode. Nach dem Sieg der Nia Demokratia im Juni und der Formierung der neuen Regierung hat sich nach den Wahlen eine Stimmung von „Wir können sie nicht loswerden“ breitgemacht, was eine Pause im Klassenkampf bedeutet hat. Aber diese Pause ist durch die Größe der Demonstration bereits wieder teilweise Vergangenheit. Die griechische Bevölkerung beobachtet außerdem mit großem Interesse was in Spanien und Portugal passiert. Das hat ihnen Hoffnung gegeben.
Der Guardian (London) hat über große Wut berichtet:
Penelope Angelou, eine arbeitslose Mutter, sagte, wenn diese Maßnahmen beschlossen würden, wäre das gleichbedeutend mit einem „parlamentarischen Coup“ – eine Ansicht, die viele GriechInnen teilen. „Diese Parteien wurden von uns im Juni gewählt, weil sie versprochen haben, die Bedingungen der Kredite neu zu verhandeln,“ spielte sie auf die desaströsen Bedingungen des Rettungspaketes an, die Athen mit der Troika – EU, EZB und IWF – unterzeichnet hatte. „Wir sind alle müde,“ sagte sie. „Das ist das dritte Jahr von permanenten Kürzungen und Steuererhöhungen, die uns arm gemacht und als Gesellschaft gespalten haben. Und sie haben unsere Probleme nicht gelöst. Die Rezession wird immer schlimmer.“
Angesichts dieser Situation haben die Menschen bestimmt wenig Vertrauen in die Regierung?
Nia Demokratia ist in einer tiefer Krise und ihre Unterstützer verlassen das sinkende Schiff. Samaras war gewählt worden unter der Voraussetzung, dass er die Bedingungen des Memorandums mit der Troika neu verhandelt. Aber de facto geht er sogar in die entgegengesetzte Richtung.
Ist die Auswirkung der Sparmaßnahmen auf das Leben der Menschen ein Faktor?
Es ist eine verzweifelte Situation für die Massen, weil die Situation bereits sehr schlimm ist. Laut EU-Statistiken vom Juli leben bereits 68 Prozent der Menschen unter der Armutsgrenze – das ist eine unfassbare Zahl. Aber sie ist realistisch – wir wissen das, weil wir hier leben. Es ist das erste Mal dass sie Zahlen veröffentlichen, die die Ergebnisse ihrer Politik belegen. Die Arbeitslosigkeit liegt nun offiziell bei 23,6 Prozent. Das ist natürlich nur die offizielle Zahl, und jene die bereits aufgegeben haben, nach einem Job zu suchen, tauchen in dieser Statistik nicht auf. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei unglaublichen 55 Prozent. Das ist eine absolute Katastrophe für die griechische Gesellschaft. Und dann, in dieser Situation, wollen sie weitere Kürzungen von 11,5 Mrd Euro innerhalb von zwei Jahren umsetzen – das sind mehr als 5 Prozent des BIP.
Es ist daher nicht überraschend dass es Massenemigration und eine Flucht zurück aufs Land gibt; zurück in die Dörfer wo die Menschen überleben können, indem sie bei ihren Familien leben und vielleicht ein wenig Ackerbau betreiben können. Alle Jugendlichen überlegen, das Land zu verlassen. Es ist ein Massenphänomen – es gibt keine Jugendlichen, vor allem nicht unter Studierenden, die einen Sinn darin sehen, in Griechenland zu bleiben – obwohl sie gerne bleiben würden. Sogar linke AktivistInnen die bleiben und kämpfen wollen – sie haben keine andere Wahl als zu gehen. Denn das hier ist nicht nur Armut – es ist völlige Verelendung.
Es gibt Berichte, dass die Oppositionsbewegung bereits die Polizei und die Armee erreicht hat – kannst du etwas dazu sagen?
Den ganzen September haben wir Protestaktionen von Kräften des Staatsapparats gesehen. Teile der Polizei sind im Streik und protestieren sogar gegen die Teile der Polizei die gegen die Proteste eingesetzt werden. Gestern gab es ein Pressestatement der Feuerwehr, in dem sie sagten, sie weigern sich, vom Staat gegen Demonstrationen eingesetzt zu werden. Die Krise der Gesellschaft und der Wirtschaft erfasst auch die Sicherheitskräfte und wir haben auch Demonstrationen von Armeeoffizieren gesehen.
Was schlägt Xekinima als nächste Schritte vor?
Wir sagen, dass es einen klaren Plan und und ein klares Programm von wiederholten sektoralen und Generalstreiks braucht, mit Massenbesetzungen der Betriebe mit dem konkreten Ziel die Regierung zu stürzen.
Das ist ein Slogan den wir in den letzten Wochen und besonders gestern nach vorne gestellt haben. Er kommt sehr gut an. Er ist überall zu hören.
Wir appellieren besonders an die Gewerkschaften der öffentlichen Versorgung, die im Zentrum des Sturms stehen.
Die GriechInnen haben den Aufruf zu einem 24-Stunden-Streik zu Beginn als lächerlich empfunden – „Das ist gar nichts, wir können die Regierung nicht mit einem 24-Stunden-Generalstreik zu Fall bringen und nicht einmal ein 48-Stunden-Streik wird reichen. Wir brauchen viel mehr als das.“ Es gibt eine Tendenz in Richtung unbegrenzter Generalstreik. Wenn die GewerkschaftsführerInnen ihn ausrufen würden, würde er massenhaft befolgt werden – aber sie werden davor zurückschrcken. Sie wollen nur Dampf ablassen.
Man kann auch sagen, dass fast die gesamte Linke nun – abgesehen von der Mehrheit der Führung in Syriza – das Programm akzeptiert (das wir ursprünglich von Anfang 2010 an vorgeschlagen hatten, zu Beginn der Krise), dass die Schulden nicht bezahlt werden dürfen, dass die Banken verstaatlicht werden müssen, dass die Schlüsselbetriebe verstaatlicht werden müssen, und dass die Wirtschaft unter demokratische Kontrolle der Gesellschaft gestellt werden muss. Das wird von Millionen von Menschen akzeptiert, ob sie nun an den Streiks und Demonstrationen teilnehmen oder nicht.
Die Frage ist nun, wie man eine Bewegung von unten aufbauen kann, um die Regierung zu stürzen und mit einer linken Regierung zu ersetzen, die von der Massenbewegung in Richtung Umsetzung dieses Programm gedrängt werden kann.
Wir erklären auch die Notwendigkeit, ganz Südeuropa in gewaltigen, unbesiegbaren Kämpfen zu vereinen.
Goldene Morgenröte hat in den Umfragen zugelegt. Wie ist das zu interpretieren?
Die Goldene Morgenröte hat nicht an den gestrigen Demonstrationen teilgenommen – sie nehmen nie an den Demonstrationen von ArbeiterInnen teil, nur manche von ihnen auf Seiten der Polizei, die gegen die DemonstrantInnen eingesetzt wird. Aber das bedeutet nicht, dass sie kein Faktor sind, sie sind die einzige Kraft in der Gesellschaft, die in den Umfragen zulegt. Alle anderen Parteien verlieren in den Umfragen. In manchen Umfragen ist Syriza nun die beliebteste Partei, weil Nia Demokratia stärker verloren hat. Aber auch die Linke verliert in den Umfragen – das sollte eine Warnung sein!
Aber man kann auch sagen, dass die Goldene Morgenröte ihre „goldene“ Periode hinter sich hat. Sie haben seit den Wahlen am 6. Mai jeden Tag Gewalt eingesetzt, gegen MigrantInnen, gegen Linke, gegen Schwule und Lesben etc. Das hat den Eindruck erweckt, dass sie eine sehr entschlossene Kraft sind, was dazu beiträgt, dass sie Leute hinter ihrem Banner versammeln und in Umfragen gewinnen. Aber der Widerstand gegen sie konsolidiert sich. Zum ersten Mal hat es eine Reihe von Gegendemonstrationen gegeben, die sie zurückgedrängt haben – was sehr wichtig ist. Das ist das erste Mal, dass sie beginnen, Niederlagen zu erfahren. In einem Fall haben MigrantInnen gegen sie mobilisiert und sie zurückgedrängt, als sie sie attackieren wollten. Das ist sehr wichtig, muss aber mit einer breiteren Bewegung verbunden werden.
Die landesweite Initiative von Xekinima eine Massenbewegung von antifaschistischen Nachbarschaftskomitees aufzubauen ist sehr erfolgreich, mit einigen fantastischen Resultaten. Wir glauben, dass die Bewegung beginnt, darauf zu reagieren. Wir hoffen, dass wir die Rechten zurückdrängen können, aber schlussendlich hängen die Perspektiven für die Goldene Morgenröte und die extreme Rechte von der Rolle der linken Parteien ab. Wir kämpfen dafür, diese Parteien nach links in Richtung eines entschlosseneren Programms zu drängen, während wir gleichzeitig versuchen, Unterstützung für Xekinima und die Ideen des revolutionären Sozialismus aufzubauen – das ist der einzige Ausweg aus der Krise.