Verdient Obama eine „Zweite Chance?“

Unterstützung für die Demokraten hat so oft den Tod für progressive Bewegungen bedeutet.

SLP-Bundesleitungsmitglied Sebastian Kugler von der österreischischen Schwesterorganisation der SAV bereiste vier Wochen die USA, um über die Krise des Kapitalismus und sozialistische Alternativen zu referieren. Eingeladen wurde er von Socialist Alternative, der US-Schwesterorganisation von SAV und SLP. In Minneapolis führte er mit dem Socialist Alternative-Aktivisten Brandon Madsen ein Interview über die kommenden Präsidentschaftswahlen und die Frage, ob Linke Obama unterstützen sollen.

Was für ein Zeugnis würdest du Obama nach vier Jahren Amtszeit ausstellen?

Ein katastrophales. Obamas Wahlkampf 2008 erzielte Rekordspenden von Banken und Konzernen – und hat dementsprechend gehandelt. Sein Budget für 2011 bedeutete die größte Kürzung der öffentlichen Ausgaben in der Geschichte der USA. Das traf besonders das Bildungs- und Gesundheitssystem. Obama hat Militärausgaben erhöht, den Krieg in Afghanistan intensiviert und mehr Drohnen-Angriffe bewilligt als jeder andere Präsident, z.B. in Jemen, Pakistan und Somalia. Er hat die Ostküste und die arktische Küste für Ölbohrungen geöffnet und die Produktion von Atomenergie und fossilen Brennstoffe durch schädliche Methoden wie „Fracking“ erhöht. Guantanamo ist noch immer in Betrieb.

Kann die Demokratische Partei trotzdem eine Stütze für fortschrittliche Bewegungen sein?

Keine große Errungenschaft in der Geschichte der USA wurde durch die Strategie erreicht, die Demokraten zu unterstützen, im Gegenteil: Sie waren immer schon ein Hindernis für größere Fortschritte, haben soziale Bewegungen bei der erstbesten Möglichkeit verraten und Kapitalinteressen durchgesetzt.

Frauenwahlrecht, der 8-Stunden-Tag, mehr Gleichberechtigung – alles wurde durch Massenkämpfe gewonnen, die durch revolutionäre AktivistInnen einen starken Einfluss hatten. Sie wurden nicht durch Unterstützung der Demokraten durchgesetzt, sondern durch das Schaffen einer Situation, in der die Herrschenden nachgeben mussten, um keine Massenrevolte zu provozieren.

Erst vor kurzem haben die Demokraten wieder bewiesen, auf welcher Seite sie stehen, als sie mit aller Macht versuchten, das Bildungssystem in Illinois anzugreifen. Aber die LehrerInnengewerkschaft CTU konnte die Angriffe durch einen kämpferischen unbefristeten Streik der LehrerInnen Chicagos abwehren. Wir sehen: ArbeiterInnenrechte werden nicht von den Demokraten beschützt, sie müssen vor ihnen beschützt werden!

Sind die Demokraten wenigstens ein Garant für die Rechte von ethnischen Minderheiten und Frauen?

Hat sich die soziale Situation der ethnischen Minderheiten seit Obama verbessert? Nein. Unter Afro-AmerikanerInnen ist die Arbeitslosigkeit am schnellsten angestiegen, der rassistische „War on Drugs“ und massenhaft grundlose Verhaftungen wüten weiter. Außerdem hat Obama mehr ImmigrantInnen abgeschoben als jeder seiner Vorgänger.

Die Demokraten haben sich auch als unfähig erwiesen, die landesweite konservative Offensive gegen Frauen zu stoppen. 2011 wurden 135 Attacken auf Frauenrechte in 36 Staaten durchgesetzt – ein trauriger Rekord.

Steht nicht zu viel auf dem Spiel, um nicht Obama zu wählen?

Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen und sozialen Bewegungen war immer schon entscheidender als die Frage, wer am Präsidentenstuhl sitzt. Vergleichen wir die Amtsperioden von Nixon und Clinton: Nixon, ein Republikaner, hat Reformen durchgeführt, die heute wohl als sehr fortschrittlich gelten würden – unter dem Druck der Antikriegsbewegung. Der Demokrat Clinton andererseits regierte in den 1990ern, am Tiefpunkt des sozialen Widerstands. Er hat den Balkan bombardiert, hat NAFTA durchgesetzt, das Sozialsystem ausgehöhlt und homophobe Gesetze unterschrieben.

„Das kleinere Übel“ zu unterstützen, bedeutet den Verrat der Demokraten zu verschleiern oder gar zu rechtfertigen und berechtigten Protest zurückzuschrauben, um sie nicht zu verschrecken. Deswegen ist es so wichtig, einen breiten Kampf gegen das Zwei-Parteien-System und dessen konstante Rechtsdrift zu führen und eine klare Alternative anzubieten. Gerade weil so viel auf dem Spiel steht, müssen wir das tun.

Dass es möglich ist, das Zwei-Parteien-System herauszufordern, zeigt die Kampagne „VoteSawant“ im Staat Washington. Kshama Sawant, Mitglied von Socialist Alternative, Gewerkschafts- und Occupy-Aktivistin, kandidiert in einem Wahlbezirk gegen den Sprecher des Repräsentantenhauses, einen Demokraten, und liegt laut Umfragen bei bis zu 25 % – Obwohl sie anfangs nicht einmal auf dem Wahlzettel stand!

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