Wir dokumentieren hier eine Erklärung von Heidrun Dittrich (MdB), Heino Berg und Nicolas Lehrke, die auf der Webseite antikapitalistische-linke.de erschienen ist:
Zum Wahlergebnis in Niedersachsen
von Heidrun Dittrich (MdB) Heino Berg und Nicolas Lehrke
Das Ergebnis der Landtagswahlen in Niedersachsen ist zunächst eine weitere, wenn auch knappe Niederlage für die schwarz-gelbe Regierung Merkel und ihre Politik des europaweiten Lohn- und Sozialabbaus.Dass die FDP mit Leihstimmen von der CDU und den Konzernmedien aufgepäppelt wurde, macht die Bedeutung der FDP für das deutsche Kapital deutlich. Aus den Verlusten der niedersächsische LINKEn sollte der Landesparteiag am 9.2.13 in Hameln ein ein klares Bekenntnis zu antikapitalistischer Oppositionspolitik ableiten.
Ein Regierungs-, aber kein Politikwechsel in Hannover
Die Stimmengewinne von Rot-Grün fielen deutlich niedriger als erwartet aus, wofür der Kanzlerkandidat Steinbrück am Wahlabend öffentlich die Verantwortung übernehmen musste. Sogar viele ihrer WählerInnen verbinden mit der neuen rot-grünen Landesregierung in Niedersachsen und der SPD unter Steinbrück wenig Hoffnungen auf soziale Verbesserungen oder gar einen grundlegenden Politikwechsel, sondern haben sie als „kleineres Übel“ gewählt. Die sozialen Versprechungen, mit denen Rotgrün aus der (Schein)Opposition heraus punkten konnte, werden mit kaum verhohlener Skepsis zur Kenntnis genommen.
Der äußerst knappe Wahlsieg verschafft Rot-Grün eine Blockademehrheit im Bundesrat. Dies eröffnet der Bevölkerung die Gelegenheit, politische Versprechungen an der Regierungspraxis zu überprüfen. Da sich Rot-Grün mit dem Fiskalpakt und den Bankenrettungspaketen auf eine Fortsetzung der Kürzungs-, Hartz- und Kriegspolitik festgelegt hat, dürften die ohnehin niedrigen Erwartungen schnell enttäuscht werden.
Verluste für die LINKE
Für die einzige Partei, die im Land- und Bundestag die Agendapolitik der Konzernparteien abgelehnt und sich programmatisch zur Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung bekannt hat, also für Die LINKE, ist der Wahlausgang in Niedersachsen eine herbe Enttäuschung. Sie hat mit 3.1% mehr als die Hälfte der WählerInnen (130.000) verloren, die ihr vor vier Jahren als Oppositionspartei in den Landtag verholfen hatten.
Die Ursachen für diese Verluste in NRW, Schleswig-Holstein und jetzt in Niedersachsen müssen wir sachlich diskutieren, wenn wir aus Fehlern lernen und sie bei den Bundestagswahlen vermeiden wollen. Ein einfaches „Weiter so“ darf es nicht geben. Auch der niedersächsische Landesvorsitzende Manfred Sohn „bekennt“ nun in seiner Wahlauswertung, daß sich „alle Hoffnung auf die Bildung eines linken Lagers unter Einschluss der LINKEN (…) als verträumte Illusion erwiesen“ und den „Aufbau einer eigenständigen, von der SPD unabhängigen Struktur und Identität geschwächt“ hätten.
Koalitionsangebote
Die niedersächsische Parteiführung hatte sich in der Tat mit ihren spektakulären Verhandlungs- und Koalitionsofferten zur Mehrheitsbeschaffung für eine rot-grüne Regierung angeboten und Sahra Wagenknecht für Ministerposten vorgeschlagen. Dies steht in Zusammenhang zur bundesweiten Linie der LINKEn, bei jeder Gelegenheit zu betonen, dass es für SPD und Grüne einen Politikwechsel nur mit der LINKEN geben könne. Diese bundesweite Ausrichtung, die nun auch in Niedersachsen entgegen des Willens des Landesparteitags in den Wahlkampf eingebracht wurde, hat den Eindruck erweckt, die LINKE biedere sich an. Manfred Sohn hatte im Gespräch mit der „jungen Welt“ am 17.1. zumindest den Landesorganisationen von SPD und Grünen sogar ausdrücklich die Bereitschaft unterstellt, „nicht nur einen Regierungs-. sondern auch einen Politikwechsel zu vollziehen.“ Damit wurden die scheinheiligen Versprechungen dieser Parteien, die sogar in der Opposition entsprechende Anträge der LINKEN regelmäßig abgelehnt hatten, ausgerechnet durch die Linkspartei als bare Münze und ausreichende „Schnittmenge“ für eine gemeinsame Regierungsverantwortung ausgegeben. Anstatt an die praktischen Erfahrungen mit Rot-Grün in der Regierungsverantwortung und bei der Stützung der Merkel’schen Bankenrettungspolitik zu erinnern und ihre eigenständigen, systemkritischen Ziele zu betonen, hat die LINKE in der Hoffnung auf ein Mitte-Links-Bündnis viel zu stark auf Wahlslogans gesetzt, die sich von den rot-grünen kaum unterschieden.
Nach dem Verlust der Landtagsmandate in NRW und Schleswig-Holstein und angesichts schlechter Umfragewerte konnte es am 20.1. kaum noch überraschen, daß viele früheren WählerInnen der LINKEN lieber gleich eine „sichere Stimme“ für die Ablösung der schwarzgelben Regierung abgeben wollten (13.000 wanderten im Saldo zur SPD und16.000 zu den Grünen) oder – noch mehr- enttäuscht über die Anbiederung an prokapitalistische Parteien bei den Wahlen zuhause geblieben sind (-36.000).
Warnungen der AKL
Mitglieder der LINKEN, die auch in der AKLaktiv sind, hatten in Niedersachsen frühzeitig vor den Gefahren eines solchen Koalitionswahlkampfs gewarnt. Auf Antrag der AKL wurde ein Wahlprogramm verabschiedet, das die Unterstützung oder Tolerierung einer rotgrünen Regierung ausdrücklich abgelehnt und die Mitwirkung der LINKEN auf die Abwahl von McAllister sowie anschließend auf sinnvolle Einzelmaßnahmen beschränkt hatte. Damit hätte die LINKE den Wunsch nach einem Sturz der schwarzgelben Landesregierung berücksichtigen können, ohne Mitverantwortung für die Kürzungspolitik ihrer rotgrünen Nachfolgerin zu übernehmen oder ihr wider besseres Wissen die Bereitschaft zu einem Bruch mit den Konzernen anzudichten. Die vom Geschäftsführenden Landesvorstand lancierten Bündnisangebote standen in klarem Widerspruch zu diesen Beschlüssen des Landesparteitags und zu den Forderungen nach einem wirklichen Politikwechsel. Die LINKE wurde darauf hin von vielen – gerade jungen – Menschen nicht mehr als glaubwürdige Alternative zum herrschenden Politikbetrieb wahrgenommen… und das Opfer ihrer eigenen Wahlmanöver.
Erreichtes betonen und aus Fehlern lernen
Außerdem gab es auch in der Arbeit von Fraktion und Landesorganisation Versäumnisse, die in wenigen Wahlkampfwochen nicht ausgeglichen werden konnten. Jeder Antrag im Parlament ist nur dann den Bürgern nützlich, wenn eine Bewegung dahinter steht. Die Linke hat die Aufgabe als Partei vor Ort und mit ihren Abgeordneten die Interessen der Bürger, sei es in Inititativen, Bewegungen wie Antifa und Anti- AKW, Migrantenverbänden, Erwerbsloseninis und Gewerkschaften, aufzunehmen und den Widerstand zu stärken. Die Schwäche der Basisorganisationen wurde zuletzt bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen deutlich. Der Landesvorstand benötigt ein Konzept, die Parteimitglieder zu stärken, so dass sie die Interessen der Menschen ins Parlament tragen können und unsere Abgeordneten die Bevölkerung über die Partei informieren, welche Skandale anstehen. Von der bürgerlichen Presse haben wir wenig zu erwarten.
Nicht zuletzt misst sich der Erfolg von Wahlen an der Gewinnung von Mitstreitern für gemeinsame Ziele. Wahlkampfzeiten sind immer auch Möglichkeiten, unsere Forderungen verstärkt in die Öffentlichkeit zu tragen, um Wähler und Mitglieder zu gewinnen. Der Einzug ins Parlament an sich ist nicht das vorrangige Ziel (vgl. unser Landtagswahlprogramm), sondern die Frage, wie wir als Partei mit Abgeordneten die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verändern können, um unserem Ziel einer selbstverwalteten Gesellschaft näher zu kommen.
Die Kampagne mit der Volksinitiative für eine zweite Erzieherin in den Kitas hatte der Landesvorstand per Beschluss unterstützt, es wurde hierzu im Landtagswahlkampf jedoch nicht mobilisiert.
Auch wenn die Rahmenbedingungen für den Wiedereinzug einer antikapitalistischen Partei in den Landtag schwierig waren, weil der außerparlamentarische Widerstand hier im Gegensatz zu vielen anderen Ländern Europas noch sehr schwach entwickelt ist und durch die Gewerkschaftsführung zusätzlich blockiert wurde: Die LINKE hat zu wenig aus ihren verbleibenden Möglichkeiten gemacht. Gerade weil die Parteiführung die Verteidigung der Landtagsmandate und die Überwindung der 5%-Hürde in den Mittelpunkt gerückt hat, besteht nach dem Verfehlen dieser parlamentsfixierten „Klassenziele“ die Gefahr einer Demoralisierung der Partei und ihrer Mitglieder. Dagegen hilft nur eine solidarisch geführte Debatte über eine Konzentration auf die außerparlamentarischen und gewerkschaftlichen Bewegungen, eine konkrete Verbindung von Abwehrkämpfen und -forderungen mit den programmatischen Zielen unserer Partei und vor allem eine intensivere Beteiligung der Mitgliederbasis an ihren Entscheidungsprozessen.
Schlussfolgerungen
In den politischen Konsequenzen der niedersächsischen Landtagswahlen ist einer Presseerklärung des Kreisverbandes Hildesheim vom 21.1. zuzustimmen, welche die bisherigen Vorschläge der AKL in Niedersachsen folgendermaßen zusammenfasst:
„1. DIE LINKE muss im Westen als Protestpartei dem berechtigten Zorn der Menschen
über Sozialabbau und Kürzungspolitik Gesicht und Stimme verleihen.
2. DIE LINKE darf sich nicht durch Anbiederung und Koalitionsangebote an SPD oder Grüne unglaubwürdig machen.
3. DIE LINKE muss zum einen in den außerparlamentarischen Bewegungen auf der Straße aktiv
sein, zum anderen durch konkrete politische Arbeit vor Ort sich als antikapitalistisch wirksame Partei den Menschen als Alternative zum Einheitsbrei der Kriegs- und Kürzungsparteien präsentieren.“
4. Die Parteitagsbeschlüsse müssen eingehalten und umgesetzt werden
5.Die Kreisverbände und Basisorganisationen sind zu stärken und ihre Einbeziehung in Politikentwicklung in den Parteistrukturen ist zu nutzen.