Nur die organisierte Arbeiterklasse kann einen Ausweg anbieten
von Aysha Zaki,Komitee für eine Arbeiterinternationale, dessen Sektion in Deutschland die SAV ist)
Nach dem 25. Januar, dem zweiten Jahrestag der ägyptischen Revolution, ist es in den Straßen des Landes zu tagelang anhaltenden Massenprotesten und Ausschreitungen gekommen. Staatliche Einheiten sind mit brutaler Gewalt gegen die ProtestiererInnen vorgegangen. Vergangenen Montag marschierte die Armee auf, um zu versuchen eine Ausgangssperre durchzusetzen, die als Bestandteil eines Notstandsgesetzes von Präsident Mursi verkündet wurde. Sie sollte einen Monat lang für die Städte Suez, Ismailia und Port Said gelten.
Die Gewalt hat sich auch auf Kairo und andere Städte ausgeweitet. Darunter befinden sich auch viele Ortschaften entlang des Suez Kanals, und seit Freitag, dem 25. Januar, auch Alexandria. Seit dem zweiten Jahrestag der Revolution sind dutzende DemonstrantInnen ums Leben gekommen, hunderte wurden verletzt.
Am Montag, dem 28. Januar, erklärte das Militär, dass man RandaliererInnen zwar stellen, aber nicht mit scharfer Munition auf ProtestiererInnen schießen werde. Die staatlichen Nachrichten berichteten am Montag, dass die Oberbefehlshaber der Marine und der bewaffneten Truppen vor dem möglichen Versuch gewarnt haben, den Suez Kanal „anzugreifen“ und dass sie handeln würden, um strategisch wichtige und lebensnotwendige Einrichtungen zu sichern. Gleichzeitig wurde berichtet, dass Mursi internationale politische Mächte konsultiert hätte, um zu versuchen ein Ende der Krise herbeizuführen. In Wirklichkeit handelte es sich dabei um den Versuch Mursis, WidersacherInnen anderer politischer Gruppierungen zuvorzukommen.
Obwohl sie anfangs als Versuch verstanden wurden, die Revolution „zurückzugewinnen“ und gegen Mursis eiserne Hand zu protestieren, ist aus den Demonstrationen am zweiten Jahrestag der Revolution ein gewaltsamer Zusammenstoß mit der Polizei geworden. Dabei beschuldigten die DemonstrantInnen die islamistischen Kräfte (darunter auch die Milizen der Muslimbruderschaft), mit der Polizei zusammen zu arbeiten und für den Tot von DemonstrantInnen verantwortlich zu sein. SympathisantInnen der Muslimbruderschaft behaupteten ihrerseits, dass sich die Mubarak-treuen Schlägerbanden der „Baltagiya“ unter den Aufwieglern befunden hätten.
Anders als bei den Unruhen anlässlich des ersten Jahrestages der Revolution im Jahr 2011 griffen Teile der Oppositionsbewegung, provoziert von staatlichen Kräften sowie rechtsextremen islamistischen Gruppen, die an die Stelle der Baltagiya getreten sind, dieses Mal viel schneller zu gewaltsamen Methoden. Immer öfter kommt es dazu, dass öffentliches Eigentum zerstört wird. Aber auch Autos werden zerstört und Privatbesitz Dritter wird angezündet, was viele AnwohnerInnen abschreckt. Diese Entwicklungen haben dazu geführt, dass die Medien täglich von Menschen berichten, die „Stabilität“ einfordern.
Der „Schwarze Block“
Bei den jüngsten Zusammenstößen auf den Straßen von Kairo war eine neue Gruppierung mit dabei, die sich selbst „Schwarzer Block“ nennt. Diese jungen Leute vom „Schwarzen Block“, die maskiert auftreten, erzählten gegenüber den Medien, dass sie keiner Organisation oder politischen Partei angehören würden. Sie behaupteten, dass es ihr wichtigstes Ziel sei, die Protestierenden zu schützen. Der „Schwarze Block“ tauchte auf, als es zur brutalen Ermordung von Protestierenden unter Mursis zunehmend autoritärer Herrschaft kam und es keine organisierte, sozialistische Alternative mit Massenanhang gab, die die Millionen von ArbeiterInnen und verarmten Leuten aus allen Landesteilen und Branchen Ägyptens hätte mobilisieren können. Eine Massenbewegung der ArbeiterInnen würde nicht nur protestieren sondern auf das Mittel des Streiks und der Besetzungen zurückgreifen und Mursi sowie die ganze kapitalistische Klasse herausfordern. Auch würde sie dem imperialistischen Einfluss von außen einen Schlag versetzen.
Natürlich haben DemonstrantInnen das Recht, sich gegen feindselige Übergriffe der Polizei und von Seiten rechtsgerichteter islamistischer Kräfte zu verteidigen. Viele weibliche Protestierende sind auf dem Tahrir Platz Opfer von gewaltsamen sexuellen Übergriffen geworden. Eine relativ kleine Anzahl von maskierten Jugendlichen ist nicht in der Lage, solche Attacken vollkommen auszuschließen. Das kann nur die organisierte Bewegung der ArbeiterInnen und Jugendlichen gemeinsam leisten. Das CWI plädiert für den Aufbau von Selbstverteidigungskomitees der Massen, die demokratisch organisiert sein müssen, um sicherzustellen, dass die Protestierenden sich auf funktionierende OrdnerInnen-Dienste verlassen können. Die Gründung dieser Selbstverteidigungskomitees sollte mit einem Programm verbunden sein, mit dem die Gesellschaft verändert werden kann.
Seit Mursi an der Macht ist, ist die Opposition gegen ihn immer stärker geworden. Ihm wird angelastet darin versagt zu haben, irgendeine Art von Lösung für die sich immer weiter verschlechternden Lebensbedingungen angeboten zu haben, von denen die Masse der Bevölkerung, die ArbeiterInnen und verarmten Massen, betroffen ist. Im Gegenteil zieht Mursi aber noch seinen Nutzen aus dem Chaos, das von den bewaffneten Kräften seines eigenen Regimes zu verantworten ist. Nun ruft er zum Dialog mit der Opposition auf und versucht sich selbst als politischen Führer darzustellen, der in der Lage ist, die „Ordnung“ in Ägypten wieder herzustellen.
Viele ÄgypterInnen sehen keinen Ausweg aus der fortwährend instabilen und konfusen Situation. Einige fürchten sogar, dass Mursi und die OppositionsführerInnen das Land in einen Bürgerkrieg stürzen könnten. Die US-amerikanische und die britische Botschaft haben aufgrund der gewaltsamen Übergriffe ihre Arbeit eingestellt, und ein „Sicherheitsvakuum“ umgibt den Tahrir Platz im Zentrum von Kairo.
Die Fangruppe „Ultras-al-Ahlawy“ des Fußballvereins al-Ahly, die bekannt geworden ist, weil sie sich den repressiven Kräften der Konterrevolution während und nach der Herrschaft Mubaraks couragiert entgegen stellte, haben Vergeltung gegen das Innenministerium und den Obersten Militärrat angekündigt, wenn nicht „Gerechtigkeit einkehrt und all jene verurteilt werden, die an dem Blutbad von Port Said beteiligt waren“. Letzten Samstag hatte ein Richter in Kairo 21 Personen aus Port Said zum Tode verurteilt, weil sie vor einem Jahr an dem dort verübten Massaker beteiligt waren. Viele ÄgypterInnen glauben aber, dass es sich dabei eher um Schlägertrupps gehandelt hat, die von der Polizei dazu beauftragt worden waren. Letztere hätten dann Rache an den Fußballfans üben wollen, für deren Rolle in der Revolution 2011.
Regime und kapitalistische Klasse fürchten die Arbeiterklasse
Das derzeitige Regime gewährt dem Militär – genau wie ihre Vorgänger – weitläufige Machtbefugnisse. Was das Regime und die herrschende kapitalistische Klasse am meisten fürchten ist die Möglichkeit, dass die Arbeiterklasse als organisierte Kraft auftritt, massenhaft in Aktion tritt, zum Mittel des Streiks greift und dadurch in die Lage versetzt wird, die Wirtschaft zum Erliegen zu bringen.
Ein Indiz dafür ist die jüngst erfolgte Ablehnung des Finanzministers Hegazy, dem Innenministerium den neuen Haushalt vorzulegen, weil dies der Arbeiterbewegung neuen Schub verliehen hätte. Die Arbeiterklasse und die verarmte Bevölkerung werden für die Wirtschaftskrise des Landes bereits zur Kasse gebeten, und – wenn auch immer noch begrenzte aber hart erkämpfte – gewerkschaftliche Rechte stehen unter Beschuss. Und wenn die Lage in Ägypten weiterhin derart instabil bleibt, dann könnten weitere unbeliebte Maßnahmen im Namen der „erneuten Stabilisierung des Landes“ durchgeführt werden.
Weitere Angriffe auf die ArbeiterInnen wurden vom Regime auch immer damit begründet, dass die fortdauernden Proteste für die wirtschaftliche Lage verantwortlich seien. Diese Woche verzeichnete die ägyptische Börse einen Verlust von 2,7 Milliarden ägyptischen Pfund (~ 0,29 Mrd. Euro; Erg. d. Übers.) und im Verhältnis zum Dollar fiel das ägyptische Pfund weiter.
Die ägyptische Zentralbank griff mit 75 Millionen US-Dollar ein, um zu versuchen den rapiden Währungsverfall aufzuhalten. Es handelt sich dabei um einen Rettungsversuch von Seiten des Staates gegenüber den Konzernen und hat zur Folge, dass öffentliche Gelder genutzt werden und der Reichtum, der aus der harten Arbeit der Masse der Bevölkerung in Ägypten resultiert, eingesetzt wird, um die Profite der Reichen zu sichern. Eine organisierte, sozialistische Bewegung der Arbeiterklasse würde zur Verstaatlichung der großen Konzerne und der Schlüsselindustrien aufrufen, unter der demokratischen Kontrolle und Geschäftsführung der Beschäftigten.
Die sich entwickelnde unabhängige Arbeiterbewegung und die linken Kräfte müssen mit den Kapitalismus-freundlichen und konterrevolutionären Kräften brechen, zu denen auch die Liberalen gehören, die bereit sind, mit jedem möglichen Regime in Dialog zu treten. Das gilt vor allem für den Fall, wenn sie die Möglichkeit sehen, Sitze im Parlament zu ergattern. Die Führung der „Nationalen Heilsfront“ wird von sehr reichen Einzelpersonen unterstützt. Das zeigt sich allein schon an den äußerst vagen, liberalen Forderungen, die in erster Linie die Verfassung und demokratische Rechte betreffen. Der Begriff der „sozialen Gerechtigkeit“ wird dabei allzu häufig außen vor gelassen.
Für eine revolutionäre Massenpartei
Linke Kräfte müssen angesichts der derzeit herrschenden aufständlerischen Stimmung vor der Führung der „Nationalen Heilsfront“ warnen, die die Opposition nur in die Sackgasse führen wird. Die sozialistische Linke trägt die Verantwortung für den Aufbau einer wirklich revolutionären und sozialistischen Alternative. Sie muss folglich gegen die kontraproduktiven anarchistischen Methoden argumentieren, indem sie auf die organisierten ArbeiterInnen und unabhängigen Gewerkschaften orientiert und diese dazu aufruft, sich am Aufbau einer eigenen Arbeiter-Massenpartei zu beteiligen.
Eine derartige politische Struktur, auf der die Massen aufbauen können, würde sich an die ArbeiterInnen sowie die verarmten und unterdrückten Massen richten, damit diese sich am Kampf gegen das durch und durch verrottete kapitalistische System beteiligen. Damit würde auch den konfus agierenden und entfremdeten jungen Leuten ein Ausweg aufgezeigt, von denen viele fälschlicher Weise denken könnten, dass Massendemonstrationen schon ausreichen, um einen Systemwechsel herbeizuführen.
Eine revolutionäre Massenpartei der ArbeiterInnen müsste die Massen dazu aufrufen, sich über religiöse und sektiererische Grenzen hinweg zu vereinen, weil sie sich selbst auf den Kampf für gewerkschaftliche und demokratische Rechte, auf den Kampf für einen Mindestlohn, Bildung, öffentlichen Wohnungsbau, Gesundheitsversorgung und Transport für alle gründet. Außerdem wäre die Verstaatlichung aller größeren Bankhäuser und Unternehmen unter demokratischer Planung der Arbeiterklasse das Ziel.
Diese Ansätze wären nicht nur ein Appell an die ArbeiterInnen im ganzen Nahen Osten und in Nordafrika sondern auch darüber hinaus und über Landesgrenzen und die Kontinente hinweg. Die Solidarität der Beschäftigten untereinander und die Formierung einer demokratischen, sozialistischen Arbeiter-Regierung in Ägypten wäre eine unglaubliche Motivation für die arbeitenden und verarmten Massen. Das würde einen Ausweg weisen aus Elend, Krieg und Armut.