dokumentiert: Stellungnahme des Netzwerks für eine kämpferische und demokratische ver.di zum Tarifabschluss für die Landesbeschäftigten
Streiken und Kämpfen: wann, wenn nicht jetzt?
Die Beteiligung an den Warnstreiks in den letzten beiden Wochen war in vielen Städten größer als von den Gewerkschaften erwartet. In einem Bericht einer TeilnehmerIn aus Nordrhein-Westfalen war zu lesen: In Düsseldorf bot sich ein buntes Bild von streikenden Polizistinnen in Uniform, Beschäftigten der Unikliniken, LehrerInnen, Verdi-Jugend und einem eigens zum Thema angefertigten Karnevalswagen, der die DemonstrantInnen mit stimmungsvoller Musik unterstützte. Die verdi-Jugend forderte lautstark die Übernahme aller Auszubildenden und sorgte mit Sprechchören für kämpferische Stimmung. Auch die Beschäftigten des Aachener Uniklinikums hatten eine eigene kleine Beschallungsanlage mit, so dass PassantInnen ständig über den Grund des Streiks informiert werden konnten.
Insbesondere bei den angestellten Lehrkräften kam die Wut und Entschlossenheit zum Ausdruck, endlich einen Tarifvertrag zu erkämpfen, der die riesigen Gehaltslücken zu den BeamtInnen schließt. Obwohl die Anzahl von angestellten LehrerInnen nicht in allen Bundesländern gleich hoch ist, machten sie rund die Hälfte der Streikenden bei den Warnstreiks aus und war ebenfalls deutlich höher als vor zwei Jahren.
Innerhalb von ver.di wurde viel über den schwachen Organisationsgrad unter den Landesbeschäftigten gesprochen und die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften in Frage gestellt. Niemand kann bestreiten, dass es kampfstärkere Bereiche gibt. Die entscheidende Frage ist aber: wie soll man den Organisationsgrad erhöhen, wenn nicht durch eine entschlossene Kampfstrategie zur Durchsetzung wirklicher, spürbarer Verbesserungen? Oder ist das Ergebnis so gut, dass eine weitere Mobilisierung und eine Orientierung auf einen Streik nicht vermittelbar gewesen wäre?
Was wurde erreicht – und was nicht?
Zweifellos sind viele KollegInnen mit dem Ergebnis bei Lohn und Urlaub zufrieden. Hier stellt sich aber die Frage, warum eine solche Bescheidenheit eingekehrt ist und warum die ver.di-Führung nichts gegen diese Bescheidenheit unternimmt!? Dass es auch anders geht, zeigt das Ergebnis des Arbeitskampfes der Sicherheitskräfte am Hamburger Flughafen. Dort konnten die KollegInnen mit ihrem Arbeitskampf, unterstützt durch ein entschlossenes Auftreten der zuständigen Hamburger ver.di eine Lohnerhöhung von 15% durchsetzen.
Die Lohn- und Gehaltssteigerung für die Landesbeschäftigten ist im Vergleich zu den geforderten 6,5% bei einer Laufzeit von einem Jahr gering. Mit 2,65% rückwirkend zum 1.1.2013 und 2,95% zum 1.1.2014 bei einer Laufzeit von 24 Monaten liegt sie für 2013 mit weniger als einem Prozent über der Inflationsrate, für 2014 kennt man die Preisentwicklung noch nicht, zur Zeit werden 1,8 Prozent prognostiziert. Angesichts erhöhter Steuereinnahmen und der wachsenden Produktivität bedeuten Lohnabschlüsse dieser Größenordnung eine weitere Umverteilung zugunsten der Reichen.
Die Arbeitgeber der Länder haben sich angesichts der Mobilisierungen zu den Warnstreiks immerhin genötigt gesehen, von ihrer Provokation bezüglich der Verringerung der Urlaubstage abzusehen. Selbst wenn sie wahrscheinlich nicht ernsthaft eine Reduzierung auf 26 Urlaubstage im Auge hatten, so war ein Erfolg, dass sie darauf verzichteten, eine Vereinheitlichung auf 29 Tage (wie bei Bund und Kommunen letztes Jahr vereinbart) nachzuvollziehen. Die vereinbarten 30 Tage, die jetzt tariflich für alle gelten, sind ein Erfolg. Für die Beschäftigten in der Psychiatrie wurde ein zusätzlicher Urlaubstag zugestanden. Diese Zugeständnisse waren sicherlich vor allem politisch motiviert: es macht deutlich, dass die Arbeitgeber im Bundestagswahljahr vor allem Angst vor einer längeren Tarifauseinandersetzung hatten, die auf Solidarität in der Bevölkerung stoßen könnte.
Eine tarifliche Begrenzung von Befristungen wurde nicht erreicht. Mit bis zu 80% befristeten Verträgen an Hochschulen, Unikliniken, aber auch Verwaltungen ist das auch im öffentlichen Dienst zu einem massiven Problem geworden, was Unsicherheit für die Betroffenen bedeutet und ein Druckmittel in der Hand der Arbeitgeber ist. Auch bei den Feuerwehrzulagen wurde beim jetzigen Kompromiss nichts rausgeholt.
Die Übernahmeregelung entspricht der bei Bund und Kommunen. Es ist aber keine Garantie, da eine Übernahme nur bei betrieblichem Bedarf vorgesehen ist.
Schlecht ist, dass sich die Praxis von zweijähriger oder sogar längerer Laufzeit in den letzten Jahren durchgesetzt hat, obwohl die Forderung nach einer Laufzeit von 12 Monaten war. Besonders ungünstig ist die Tatsache, dass nun seit Jahren die Beschäftigten der Länder genau ein Jahr zeitversetzt zu den KollegInnen bei Bund und Kommunen in der Tarifauseinandersetzung stehen. Das verhindert die Bündelung der Kampfkraft der Beschäftigten im öffentlichen Dienst.
Am bittersten ist: Ausgerechnet die Lehrkräfte, die die Warnstreiks wesentlich getragen haben, schauen bei ihrer zentralen Forderung nach einheitlicher Eingruppierung (L-EGO) in die Röhre. Hier haben die Arbeitgeber skandalöserweise auf stur gestellt. Dass sie sogar auch Angebote der Gewerkschaften, eine solche Eingruppierung durch einen niedrigeren Lohnabschluss zu kompensieren, ausgeschlagen haben, zeigt ihren Willen, in diesem Bereich weiter nach Gutsherrenart agieren zu können und die Tarifautonomie zu missachten.
War mehr drin?
Es gibt nie eine Garantie für einen Erfolg. Doch einige Voraussetzungen, mehr rauszuholen, waren in diesem Jahr gegeben: die Stimmung unter vielen Gewerkschaftsmitgliedern war kämpferisch, die LehrerInnen so kampfbereit wie noch nie, parallel finden viele weitere Tarifauseinandersetzungen statt, die man hätte verbinden können. Vor allem hatten die Arbeitgeber im Jahr der Bundestagswahl großes Interesse, die Kuh schnell vom Eis zu kriegen. Von 800.000 Landesbeschäftigten streikten 150.000, was eine sehr gute Beteiligung ist. Das ver.di Tarifsekretariat berichtet, das nicht nur die Beteiligung höher war als 2009 und 2011, sondern es auch mehr Neueintritte gab. Diese Voraussetzungen hätten genutzt werden können, um in die Offensive zu kommen und den Landesbeschäftigten deutlich zu machen, dass die Gewerkschaften diesmal für spürbare Verbesserungen konsequent kämpfen wollen. Das wäre die beste Basis, um viele neue Mitglieder zu gewinnen, den Organisationsgrad und die Durchsetzungsfähigkeit so zu erhöhen. Dass es auch möglich ist, in schwächer organisierten Bereichen Erfolge zu erzielen, hat gerade ver.di in den letzten Jahren erfahren.
Bei Fortsetzung des Arbeitskampfs durch Urabstimmung und Streik, hätte die Chance bestanden, wesentlich mehr Geld für alle herauszubekommen und den politischen Druck weiter aufzubauen, um die Arbeitgeber bei der Entgeltordnung für die angestellten LehrerInnen zum Einlenken zu bringen.
Einmal mehr wurde eine Chance vertan, politisch in die Offensive zu kommen und Tarifauseinandersetzungen als gesellschaftliche Umverteilungskampagnen zu führen Ein Zusammenführen der Streiks und Kundgebungen von Beschäftigten, die von ver.di organisiert werden, wäre mögich gewesen. So waren in Berlin am Mittwoch, den 6.3. 12.000 KollegInnen auf der Warnstreikkundgebung der Landesbeschäftigten und genau einen Tag später demonstrierten 4.000 Beschäftigte von Vattenfall. In Düsseldorf waren am 6.3. mehr als 10.000 auf der Straße, doch der Streik der Flughafensicherheit wurde erst einige Tage später wieder aufgenommen. Gemeinsame Proteste sind aber das, was viele Beschäftigte sich wünschen, um gemeinsame Stärke zu demonstrieren. Da insgesamt im Frühjahr neun Millionen Beschäftigte in Tarifauseinandersetzungen stehen, gäbe es viele Möglichkeiten für gemeinsame Protestkundgebungen, um die Dynamik der Forderung nach mehr Geld in eine breite Bewegung zu verwandeln. All diese Möglichkeiten werden mit dem voreiligen Kompromiss und der Empfehlung der Tarifkommissionen der jeweiligen Gewerkschaften, diesem Abschluss zuzustimmen, außer acht gelassen.
Nun wird es zu einer Mitgliederbefragung kommen. Nach der Zustimmung der Gewerkschaftsführungen und der Tarifkommissionen zu dem Ergebnis, fehlt für die Kolleginnen und Kollegen aber eine realistische Option auf eine Wiederaufnahme des Kampfes. Deshalb ist mit einer mehrheitlichen Zustimmung zu rechnen, auch weil Gegenargumente schwer zu verbreiten sind. Das „Netzwerk für eine kämpferische und demokratische ver.di“ empfiehlt trotzdem, bei den bis Anfang April laufenden Mitgliederbefragungen mit „Nein“ zu stimmen. Auch, wenn das Ergebnis besser ist als von einigen befürchtet, sollte so ein klares Signal gesendet werden: 1. Für alle wäre mehr drin gewesen, 2. die Ablehnung der Arbeitgeber einer tariflichen Eingruppierungsregelung für die angestellten LehrerInnen und die damit verbundene Fortschreibung des Prinzips der drastischen Lohnunterschiede darf nicht akzeptiert werden.
Für die angestellten LehrerInnen ist der Kampf nicht vorbei. Die GEW Vorsitzende Ilse Schaad schreibt in einem Brief als Reaktion auf enttäuschte und wütende Mitglieder: „In der Frage der Lehrkräfte-Eingruppierung stehen der GEW weiterhin alle Streikoptionen offen. Das reicht von Streiks in einzelnen Bundesländern bis zu einem unbefristeten bundesweiten Streik.“
Da die Arbeitgeber sich bisher geweigert haben, wird ein Arbeitskampf der angestellten LehrerInnen eine harte Auseinandersetzung. Aus den anderen Gewerkschaften ist die Organisierung von größtmöglicher Solidarität nötig, damit dieser Kampf erfolgreich sein kann.