„Es gibt eine Zukunft“ … mit Kürzungen, Rassismus – und dem Widerstand dagegen!
Erklärung von „Ma’avak Sozialisti“ („Bewegung für den Sozialistischen Kampf“; Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Israel/Palästina)
Eine schwache israelische Regierung wird versuchen, einen Kürzungshaushalt durchzubringen und mit der Besetzung der palästinensischen Gebiete fortzufahren. Möglicherweise wird dies unter dem Label der „Verhandlungen“ mit den PalästinenserInnen stattfinden. Breiter Widerstand dagegen ist aber wahrscheinlich.
Sieben Wochen nach den Wahlen vom 22. Januar hat Israel nun eine neue Regierung. Premierminister bleibt Benjamin Netanjahu. Auf Druck der herrschenden Klasse und ihres kapitalistischen Systems, das immer mehr von der Krise betroffen ist und im Laufe des Jahres 2012 eine sich abschwächende Wirtschaftsleistung (von im Schnitt 3,1 Prozent Wachstum) zu verzeichnen hatte, muss die Regierung, die somit nur geringe Einnahmen vorweisen kann, ein hartes Kürzungsprogramm umsetzen.
Zur selben Zeit wird in den israelischen Medien die Möglichkeit einer „dritten Intifada“, eines neuen Aufstands der PalästinenserInnen gegen die anhaltende Unterdrückung, diskutiert. Der Widerstand der PalästinenserInnen nimmt zu. Wieder und wieder ist es zu Protesten gegen die Besatzung gekommen. Dazu zählt auch eine gerade erst abgeklungene Streikwelle für höhere Löhne und gegen Preissteigerungen im Westjordanland.
Der Gewinner der israelischen Wahlen ist Fernseh-Showmaster
Als Netanjahu vorgezogene Neuwahlen ausrief, verband er damit eigentlich die Hoffnung, die eigene Position zu stärken. Das hätte es ihm erleichtert, einen drastischen Kürzungshaushalt umzusetzen. Doch sein Plan ging nicht auf. Seine Kandidatenliste, an der sich auch die rechtsextreme Partei „Unser Haus Israel“ unter der Führung von Avigdor Lieberman beteiligte, verlor 11 ihrer bis dato 42 Sitze. Daraufhin musste er eine Koalition mit der vereinten und damit stärkeren und größeren Siedler-Partei „Jüdisches Haus“ eingehen, deren führende Köpfe der Millionär Naftali Bennett sowie der Shootingstar dieser Wahlen, der Millionär Yair Lapid, sind. Yair Lapid ist im Hauptberuf Showmaster eines Mainstream-Fernsehsenders, der es geschafft hat, eine bedeutende Anzahl an Stimmen auf sich zu vereinen. Vor allem unter den WählerInnen aus der Mittelschicht, denen es materiell gut geht, konnte er punkten, indem er sich und seine Partei „Yesh Atid“ (dt.: „Es gibt eine Zukunft“) als loyale Vertreter der „Mittelschicht“ präsentieren konnte. Beide Parteien hatten eine „neue Politik“ versprochen und versucht, vom weit verbreiteten Ekelgefühl der Öffentlichkeit gegenüber der alten Regierung zu profitieren.
Netanjahu und Lieberman sind für ihre Politik der letzten vier Jahre abgestraft worden. Vor allem die massenhafte Protestbewegung vom Herbst 2011 offenbarte die zunehmende Wut und die Frustration in der israelischen Gesellschaft aufgrund von Preissteigerungen, mangelnden Wohnraums, unsicheren Arbeitsplätzen und sozialer Misere. Kämpfe der ArbeiterInnen gegen die Bahn-Privatisierung, Streiks der SozialarbeiterInnen und ÄrztInnen sowie wachsender Unmut in den Betrieben zwang selbst die rechtslastige Führung des größten israelischen Gewerkschaftsbunds „Histadrut“ dazu, Druck abzulassen und Streiks und Proteste zu organisieren.
Doch der Gewinner war nicht die traditionelle, prokapitalistische und zionistische „Arbeitspartei“ mit ihrer neuen Vorsitzenden Schelly Jachimowitsch, die von einigen führenden Köpfen der sozialen Protestbewegung von 2011 unterstützt wurde. Sie versuchte, eine Stimme für die sozialdemokratische „Arbeitspartei“ einerseits als Stimme für die „Fortsetzung“ der Protestbewegung gegen die Wirtschaftspolitik von Netanjahu darzustellen und andererseits als Stimme für eine „nicht linke“, „verantwortungsbewusste“ Partei der „Mitte“. Das Image der „Protestpartei“ war nicht zu vermitteln: Nur sechs Monate vor den Wahlen deutete eine Umfrage darauf hin, dass die „Arbeitspartei“ rund 20 der insgesamt 120 Sitze in der Knesset erwarten könne. Am Ende kam man lediglich auf 15 Abgeordnete. Die Menschen misstrauen sämtlichen etablierten Kräften. „Kadima“, die in der letzten Legislaturperiode stärkste Fraktion, hatte sich gespalten und schon lange vor den Wahlen wurde erwartet, dass sie schwere Verluste erleiden würde. Das Ergebnis war letztendlich, dass sie von 28 auf gerade einmal zwei Sitze schrumpfte.
Das war der Anlass für die Suche nach einer neuen politischen Kraft. Die kleinere links-liberale Partei „Meretz“ konnte in gewissem Rahmen davon profitieren. Doch der Gewinner war eindeutig der ehemalige Journalist und Fernsehmoderator Yair Lapid mit der Partei, die um ihn herum gegründet wurde. Sie heißt „Es gibt eine Zukunft“ („Yesh Atid“).
Aus dem nichts heraus konnten sie in erster Linie von den Verlusten von „Kadima“ profitieren und kamen insgesamt auf 19 Sitze (14,3 Prozent). In der Hauptstadt Tel Aviv wurden sie noch vor der Allianz aus „Likud“ und „Beytenu“ zur stärksten Kraft. Die „Arbeitspartei“ belegte vor „Meretz“ noch Rang drei. In ärmeren Wahlbezirken, die viel mehr von der Arbeiterklasse geprägt sind, wurde Lapid jedoch so gut wie gar nicht gewählt.
Lapid, der zuvor gesagt hatte, seine Opposition gegenüber der Wirtschaftspolitik habe ihren Ursprung in der sozialen Protestbewegung von 2011, versuchte seine Partei als weder neoliberal noch sozialdemokratisch zu präsentieren. Man habe einfach nichts mit der „alten Politik“ zu tun. Er würde sich um die Belange der „Mittelschicht kümmern, die die Arbeit verrichtet, die Steuern bezahlt, den Militärdienst ableistet und es dabei schwer hat, über die Runden zu kommen“. Sein Wahlkampf entfachte teilweise aufwieglerische Tendenzen gegenüber den ultra-orthodoxen Jüdinnen und Juden, die zu einer der ärmsten Schichten der Gesellschaft gehören. Das war wie die abgespeckte Version der giftigen Demagogie seines verstorbenen Vaters, des Politikers Tomi Lapid. „Wo ist das ganze Geld?“, war einer der ersten Slogans seiner Wahlkampfkampagne und seine Antwort lautete nicht, dass es in den Händen der Tycoons liege und in den Bau der Siedlungen gehe. Er sagte, die Anzahl der MinisterInnen in der Regierung und die ultra-orthodoxen Jeschiwa-StudentInnen an den Talmudschulen seien daran Schuld. Er verband das Versprechen, 150.000 neue Wohnungen bauen zu wollen (was von der neuen Regierung übernommen wurde), mit dem Versprechen, die Zwei-Prozenthürde für Parteien erheblich anzuheben, um die Regierungen in Israel zu stabilisieren (die neue Regierung stimmte einer Gesetzesvorlage zu, mit der eine Verdopplung von zwei Prozent auf vier Prozent vorgenommen werden soll, was kleinere Fraktionen zum Zusammengehen mit anderen Listen zwingen könnte).
Seine Plattform zum Israel-Palästina-Konflikt wurde in der Siedlung Ariel gegründet und war mit vielen nationalistischen Aussagen verbunden und hat das Ziel, die PalästinenserInnen dazu zu bewegen, Jerusulam als Hauptstadt aufzugeben – „Ich kümmere mich nicht darum, was die PalästinenserInnen meinen, ich kümmere mich darum, was die Welt denkt“, um damit zu erklären, weshalb er für erneute Verhandlungen sei. Unmittelbar nach den Wahlen erklärte er auf arrogante Art und Weise, dass er mit den „Zo`abis“ keinen Block gegen Netanjahu bilden würde. Der Begriff der „Zo`abis“ geht auf die israelisch-palästinensische Knesset-Abgeordnete Hanin Zoabi von der arabischen „Balad“-Partei zurück, die Opfer einer rassistisch motivierten Hexenjagd geworden ist.
Teilweise war Lapid deswegen für viele attraktiv, weil er zuvor einfach nicht als Politiker bekannt war. Keine Person, die auf Lapids Wahlliste auftauchte, war jemals zuvor Mitglied des israelischen Parlaments, der Knesset. Dabei sind sie nicht die unschuldigen, lieben, neuen Leute, für die sie sich selbst ausgeben. Ein Großteil ihrer VertreterInnen stand in der Vergangenheit auf lokaler Ebene in Verbindung zu politischen Parteien (von der extremen Rechten bis hin zu „Meretz“) und/oder hatte Beraterfunktion und/oder war GeschäftsführerIn unterschiedlicher Unternehmen etc.
Es ist leider so, dass ihre WählerInnen bei deren Suche nach einer Alternative zu den etablierten Parteien übertölpelt worden sind.
Bevorstehender Kürzungshaushalt
Ironischer Weise ist Lapid nun der neue Finanzminister. Dies bereitet aber selbst den Kapitalisten Sorge, dass eine reiche Person, die politisch unerfahren ist, nun einen Kürzungsplan vorlegen soll. Sie könnten versuchen, ihn als Werkzeug zu benutzen, um eine für sie vertrauensseelige Regierung zustande zu bekommen (verglichen mit einer Regierung, die aus rechten Radikalen und SiedlerInnen besteht und die die herrschende Klasse nur schwer kontrollieren könnte). Wie dem auch sei: Die Auswirkungen des Wirtschaftsprogramms von Lapid, das auf Kürzungen basiert, werden in Verbindung mit seiner neoliberalen Agenda, die einen nur hauchdünnem populistischen Überzug hat, dazu beitragen, dass sich die anfänglichen Hoffnungen, die viele Leute in ihn gesetzt haben, sich beginnen aufzubrauchen.
Ausgerechnet Lapid die Position des Finanzministers zuzuweisen, ist als cleverer Schachzug Netanjahus zu bezeichnen, der ihn damit bloßstellen will. Dies kann jedoch auch den Widerstand gegen die bevorstehenden Kürzungen und Steuererhöhungen anheizen, die dieser reiche und arrogante Fernseh-Showmaster durchziehen will.
Die Debatte über die anstehenden Austeritätspläne hat bereits begonnen, weil sie mit einem Doppelhaushalt in Verbindung stehen. Diesen wird es deshalb geben, weil es jüngst erst dazu gekommen ist, dass für 2013 kein offizieller Haushaltsplan vorgelegt werden konnte. Im Juli/August wird im Parlament das Haushaltsgesetz neu verhandelt und in den kapitalistischen Medien wurden schon Pläne diskutiert, wonach Kürzungen im Umfang von 30 Milliarden Shekel (~ 6,3 Mrd. Euro) sowie Steuererhöhungen von insgesamt 10 Milliarden Shekel (~ 2,1 Mrd. Euro) nötig seien. Die Tarifregelungen im öffentlichen Dienst stehen unter Beschuss, genau wie die Höhe des Kindergelds und die Ausgaben für den öffentlichen Transport und Verkehr. Geplant sind eine Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Studiengebühren. Lapid hat auch gesagt: „Das Bild sieht düsterer aus, als ich gedacht habe. Wir werden auch dort Kürzungen vornehmen, wo es weh tut“.
Das ist das Rezept für soziale Kämpfe, die die organisierte Arbeiterbewegung zu organisieren haben muss. Verbunden ist damit auch die Möglichkeit eines erneuten Aufflammens der sozialen Protestbewegung, die sich 2011 entwickelt hat.
Es mag zwar es zu geringfügigen Zugeständnissen kommen. Doch insgesamt wird diese kapitalistische Regierung aufgrund der düsteren wirtschaftlichen Perspektiven und des Haushaltsdefizits keine große Wahl haben und die Attacken fahren müssen.
Die „Arbeitspartei“ mag versuchen, sich als eine Alternative darzustellen und auf der Wahlebene wieder zulegen. Einige bekannte VertreterInnen der sozialen Protestbewegung sind nun Parlamentsabgeordnete für die „Arbeitspartei“ in der Knesset und versuchen Schritte zu verhindern, mit denen die Partei in einer Regierungskoalition landen könnte. Allerdings hat die Parteiführung der „Arbeitspartei“ keine wirkliche Alternative zu den Haushaltskürzungen und ist entschlossen, diese Mitte-Rechts-Regierung zum Beispiel bei den „Verhandlungen“ mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zu unterstützen.
Neue Verhandlungen mit den PalästinenserInnen?
Vor dem Hintergrund stärkerer Protestwellen im Westjordanland diskutieren die israelischen Medien die Wahrscheinlichkeit einer „dritten Intifada“, eines neuen Massenaufstands gegen die Besatzung und Unterdrückung. So führten Proteste hunderter PalästinenserInnen in verschiedenen Ortschaften zum Beispiel schon zu neuen Zusammenstößen mit der IDF, der israelischen Armee. Der Anlass war, dass im März im Westjordanland ein palästinensischer Häftling gefoltert worden ist und und im Gewahrsam verstarb. Immer wieder ist es zur Entwicklung von Protesten gegen die Besatzung gekommen und in einer jüngst zu verzeichnenden Welle von Streiks und Protesten für höhere Löhne und gegen Preissteigerungen, wurden energische Forderungen laut gegen die wirtschaftspolitischen Vereinbarungen mit Israel sowie die kollaborierende Rolle, die die PA bei der Frage der Besatzungen spielt.
Ein neuer Massenaufstand nach Art der ersten Intifada mit Massendemonstrationen, Streiks und Generalstreiks wäre durchaus gerechtfertigt. Dies ist nötig, um das palästinensische Volk gegen die fortdauernde Besatzung und Unterdrückung zu verteidigen. „Ma’avak Sozialisti“, die Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Israel/Palästina, kämpft für ein Ende der Besatzung und der Siedlungen, das Ende der Diskriminierung, Enteignung und die Repression von PalästinenserInnen auf beiden Seiten der „Grünen Linie“. Wir treten ein für eine sozialistische Föderation im Nahen Osten. Nur dann ist es möglich, die Frage der Lebensbedingungen, das Wohnungsproblem, das Problem der unsicheren Arbeitsplätze, der Wasserversorgung anzugehen und die Unterdrückung, den Nationalismus und Rassismus zu beenden. Der Kampf für eine solche Föderation setzt ein vollkommen unabhängiges und sozialistisches Palästina neben einem sozialistischen Staat Israel mit vollen demokratischen Rechten für alle Minderheiten voraus. Darüber könnte den ArbeiterInnen und den verarmten Schichten eine Strategie geboten werden, die das gleiche Recht auf Selbstbestimmung anbietet, das Bedürfnis nach Sicherheit und Frieden auf beiden Seiten der Trennungslinien befriedigt, um zum gemeinsamen Kampf und der Kooperation mit den jüdischen ArbeiterInnen gegen die israelische kapitalistische und nationalistische Herrschaft zu kommen, die sich diese Trennung definitiv zunutze macht.
Die Zwei-Staaten-Lösung, von der die kapitalistischen Mächte und Teile der israelischen herrschenden Klasse sprechen, hat allerdings nichts mit einer derartigen Lösungsstrategie zu tun. Tzipi Livni, die ehemalige Vorsitzende von „Kadima“ (der sie nun nicht mehr angehört) und frühere Außenministerin im Kabinett Olmert, ist nun Regierungsmitglied und wurde mit der Aufnahme von Verhandlungen mit der PA beauftragt. Ihr Ansatz besetht allerdings nur darin, die internationale Gemeinschaft zufriedenzustellen, indem sie versucht, Israel aus der teilweise als isoliert zu bezeichnenden Position herauszukommen, ansonsten aber mit der Unterdrückung fortzufahren. Natürlich kann es sein, dass ihr ein paar symbolische Zugeständnisse vorschweben. So etwa die Anerkennung der PA als formaler Staat oder die Freilassung einiger der mehr als 5.000 palästinensischen politischen Gefangenen. Es wäre aber weiterhin ein „Staat“ unter der Kontrolle des israelischen Regimes, der gezwungen ist, unter nicht hinnehmbaren wirtschaftlichen Bedingungen zu existieren, welche vom Imperialismus und dessen in der Region präsenten Kräften definiert werden. Und Livni ist nur eine unter mehreren KoalitionspartnerInnen. So ruft die Partei von Bennett, die ebenfalls zur Regierung gehört, offen dazu auf, eine umfangreiche Annektierung weiter Teile des Westjordanlands vorzunehmen.
Die Wiederaufnahme von Verhandlungen würde nicht bedeuten, dass die unter den PalästinenserInnen bestehenden großen Hoffnungen eine neue Grundlage bekommen. Diese Hoffnungen resultierten aus dem Oslo-Abkommen von 1993. Doch selbst damals hatten diese Erwartungen nur eine kurze Halbwertszeit, da der „Friedensprozess“ am Ende für die meisten PalästinenserInnen zu einer tiefgreifenden Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen geführt hat. Dazu gehören auch die strengen Beschränkungen des Rechts auf Freizügigkeit und Beschäftigung oder das noch raschere Anwachsen der Siedlungen im Westjordanland. Deren Anzahl hat sich seither verdreifacht und liegt bis dato bei rund einer halben Million (einschließlich Ost-Jerusalem). Neue Verhandlungen könnten das Aufkommen einer breiteren palästinensischen Protestbewegung kurzfristig verzögern. Sie werden aber dennoch zu keinerlei substantieller Lösung führen und sind deshalb zum Scheitern verurteilt.
Neue Kriege
„Die Welt um uns herum hat sich zum Schlechten verändert“, so die Sichtweise von Netanjahu angesichts des „Arabischen Frühlings“, des Massenaufstands gegen die Diktatoren und für Demokratie. Nach Dafürhalten des unterdrückerischen israelischen Regimes hat sich deren Position verschlimmert. Damit wird eine Position in Frage gestellt, zu der auch gehört, dass man die einzige Atommacht im Nahen Osten ist und die wichtigste und schlagkräftigste Militärmacht. Es geht hierbei um die Diktatoren in den Nachbarländern, die ihre jeweilige Bevölkerung in Schach hielten, Proteste und die Opposition unterdrückten. Zu dieser Opposition sind übrigens auch die Forderungen der palästinensischen Flüchtlingsorganisationen nach grundlegendem Wandel hinsichtlich ihrer Lebensbedingungen zu zählen. Sie wurden mit Füßen getreten oder ihr Status wurde weiter verschlechtert. Während die Regime-Wechsel beispielsweise in Ägypten keinen substantiellen Wandel gebracht haben, mit dem die Bedürfnisse der Menschen aus der Arbeiterklasse hätten befriedigt werden können (sondern vielmehr dazu geführt haben, dass neue Werkzeuge der kapitalistischen Herrschaft aufrechterhalten werden), so sind diese bedeutend schwächer darin, den Wut der Massen niederhalten zu können. Dasselbe gilt für die Wut und Aufregung über die anhaltende Unterdrückung der PalästinenserInnen.
Der letzte Krieg gegen Gaza, der im vergangenen Jahr von Netanjahu begonnen wurde, um diese Entwicklungen zu bremsen und um die Stärke Israels unter Beweis zu stellen (in gewissem Maße auch, um Netanjahus Wahlkampf zu beflügeln) hat definitiv zur Stärkung der „Hamas“ geführt. Während die kapitalistischen KommentatorInnen in Israel – für israelische Verhältnisse – sehr skeptisch gegenüber dem Gaza-Krieg auftraten (der Grund war in erster Linie das schlechte Timing und die Art und Weise, auf die er geführt wurde), war die Regierung gezwungen, ihre Position zu festigen und zu versuchen, gegen alle Entwicklungen des „Arabischen Frühlings“ die Uhr zurückzudrehen.
Dies deutet auf neue Kriege und eine erneute Eskalation in der Zukunft hin. Sogar ein umfassender Feldzug gegen den Iran ist möglich, sollte es nicht zu neuen Massenbewegungen kommen und sich nicht gleichzeitig eine stärkere, organisierte Kraft der arbeitenden Massen in der Region herausentwickeln, die das verhindern könnte. Auch dies, der Aufbau einer solchen Kraft, gehört zum Kampf gegen diese neue Regierung.
Vorbereitung auf bevorstehende Auseinandersetzungen
Mit der Möglichkeit konfrontiert, dass es in Israel und den besetzten Gebieten zu neuen Protesten kommt, bereitet sich die Regierung auch darauf vor, weitere Attacken auf die demokratischen Rechte zu fahren.
Wie schon beschrieben gehört dazu auch der Plan, die bisher geltende Zwei-Prozent-Hürde für die Parteien heraufzusetzen, was es kleineren Oppositionsparteien und vor allem den arabisch-palästinensischen Parteien schwieriger macht, überhaupt ins Parlament zu kommen. Dabei wird die Frage nach einer politischen Alternative zur Regierung und all den etablierten Parteien weiter auf der Tagesordnung stehen.
„Hadash“, ein Koalitionsbündnis rund um die „Kommunistische Partei Israels“ (Maki) mit überwiegend arabisch-palästinensischer Wählerschaft, hat im Wahlkampf auf einen Gutteil an sozialistischer Rhetorik zurückgegriffen und Wert gelegt auf die Forderung nach Verstaatlichung der Banken. Sie hat aber darin versagt, mutig für ähnliche Slogans in der sozialen Protestbewegung zu sorgen und sich hinter prokapitalistischen „Arbeiter-Parteien“ und rechts-konservativen Elementen aus der Gewerkschaftsbewegung versteckt. Im Ergebnis hat sie nur 1000 Stimmen hinzugewonnen und musste in den urbanen Zentren doch tatsächlich einen prozentualen Rückgang ihrer Wählerschaft hinnehmen. Damit blieb sie bei ihren vier Abgeordneten in der Knesset und stagnierte, was ihren prozentualen Stimmenanteil von drei Prozent angeht.
In der vor uns liegenden Phase besteht die Möglichkeit, dass der Kampf für eine neue Massenpartei der ArbeiterInnen, die sowohl für die jüdischen als auch die palästinensischen ArbeiterInnen attraktiv ist, sich unter wesentlich günstigeren Bedingungen weiterentwickeln kann. So entfalten sich auf der sozialen wie auch der betrieblichen Ebene neue Kämpfe. Der Gewerkschaftsbund „Histadrut“, die Lehrerverbände und Zusammenschlüsse der ÄrztInnen haben bereits Streiks angedroht, sollten sie von der Regierung attackiert werden. „Die ArbeiterInnen sind nicht der Geldautomat von Netanjahu. Er kann ihnen nicht in die Tasche greifen und sich einfach das Geld nehmen, um sein Haushaltsdefizit zu decken“, so Ofer Eini, führender Histadrut-Funktionär.
Die Studierenden haben damit begonnen, Möglichkeiten zu diskutieren, wie man gegen eventuelle Kürzungen im Hochschulbereich oder eine Anhebung der Studiengebühren vorgehen kann. Obwohl die führenden Köpfe der Studierendenbewegung momentan auf Lapid setzen, derlei Angriffe nicht in Erwägung zu ziehen, bleibt ungewiss, was in diesem Bereich noch zu erwarten ist. Und selbst wenn Lapid auf eine solche Teile-und Herrsche-Taktik zurückgreifen sollte, so gibt es eine potentielle Schicht unter den Studierenden, die sich angemessen darauf vorbereitet, kämpferisch gegen etwaige Kürzungen vorzugehen. „Ma’avak Sozialisti“ ist Teil dieser und weiterer Debatten und beteiligt sich an den ersten Protesten. Wir treten dafür ein, diese einzelnen Auseinandersetzungen miteinander in Verbindung zu setzen und die Kämpfe gemeinsam zu führen. Was wir brauchen ist eine Strategie, mit der die Studierenden, die ArbeiterInnen und die soziale Protestbewegung miteinander vereint werden können, um gegen die Austeritätsabsichten aber auch gegen diese Regierung an sich anzugehen.
Die tiefe nationale Spaltung und neue Trennungslinien aufgrund des Konflikts mit dem Iran sind bereits vorhanden und könnten bald schon dafür genutzt werden, um genannte Bewegungen weiter in die Ecke zu manövrieren. Zu den wichtigsten Aufgaben gehört es daher weiterhin, die Hintergründe für die Teile-und-Herrsche-Taktik klarzumachen und den Kampf gegen die Besatzung innerhalb der jüdisch-israelischen Arbeiterklasse weiter zu forcieren. Die neue Regierung wird in jedem Fall nur eine kurzweilige Schonfrist haben, da neue Kämpfe unausweichlich sind.