Zum Streik der Schleusenwärter
Dieser Artikel erschien zuerst am 5. August in der Tageszeitung „junge Welt“
von Daniel Behruzi
In vielen Branchen hat die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ein Problem. Zum Beispiel im Einzelhandel. Dort legen die Verkäuferinnen seit Wochen immer wieder die Arbeit nieder, um den Angriff auf den Manteltarifvertrag abzuwehren. Dennoch bleiben die Läden zumeist geöffnet, der ökonomische Schaden ist gering. Ganz anders ist die Ausgangslage in der Wasser- und Schiffahrtsverwaltung (WSV), wo es um die Absicherung der rund 12.000 Beschäftigten im Zuge des Behördenumbaus geht. Wenn hier gestreikt wird, heißt es sofort: Nichts geht mehr. Ein längerer Ausstand könnte sich auch auf die Industrieproduktion auswirken. Die Beschäftigten verfügen damit über enorme Machtmittel.
„Unsere Kolleginnen und Kollegen werden den Ministern nicht die Gelegenheit geben, die Sicherung der Existenz von 3000 Beschäftigten bis nach der Wahl auszusitzen“, erklärte Michael Kötzing, ver.di-Landesfachbereichsleiter Bund/Länder in Nordrhein-Westfalen. Die Gewerkschaft befürchtet, dass der Neustrukturierung ein Viertel der rund 12.000 Jobs an Schleusen, Bauhöfen und in den WSV-Verwaltungen zum Opfer fallen könnte. Ende Juli/Anfang August hatte sie den Arbeitskampf vorübergehend ausgesetzt. „Mit unserer Streikpause wollten wir Bundesverkehrsminister Ramsauer und dem tarifpolitisch zuständigen Innenminister Friedrich Gelegenheit geben, auf uns zuzukommen“, erläuterte Kötzing. Das ist nicht geschehen, weshalb die Arbeitsniederlegungen nun wieder anlaufen.
Er gehe davon aus, dass die Güter- und Personenschiffahrt auf den Ruhrgebietskanälen erneut zum Erliegen kommt, so Kötzing. In Niedersachsen und Bremen, wo der Ausstand erneut drei Tage andauert, ist ver.di ebenso optimistisch. Die Arbeitsniederlegung sei frühzeitig angekündigt worden, um Binnenschiffern, Industrie und Hafenbetreibern Planungssicherheit zu geben, so die dortige Landesfachbereichsleiterin Regina Stein. Zuvor hatte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Achim Meerkamp erklärt, die Streikpause sollte „auch dabei helfen, die Streikfolgen für die betroffenen Wirtschaftsunternehmen in Grenzen zu halten“. Man wolle das öffentliche Verständnis und die Unterstützung nicht riskieren.
Noch setzt ver.di also nicht darauf, größeren ökonomischen Schaden zu verursachen. Möglich wäre das aber durchaus. Denn Deutschlands Wasserstraßen spielen insbesondere beim Transport von Groß- und Massengütern eine bedeutende Rolle. Jährlich werden 33,5 Millionen Tonnen Kohle, Rohöl und Erdgas sowie 35,8 Millionen Tonnen Kokerei- und Mineralölerzeugnisse auf ihnen transportiert – ein Anteil von rund 15 beziehungsweise 16 Prozent am Gesamtverkehr (Zahlen von 2011). Bei Erzen, Steinen und Erden wird über ein Viertel der Güter verschifft. Allein das Kanalsystem des Ruhrgebiets befahren jährlich 37.000 Schiffe, die fast 40 Millionen Tonnen Güter transportieren. Werden zum Beispiel die Eingangsschleusen in Duisburg und Friedrichsfeld dicht gemacht, bleiben täglich 100 Schiffe liegen oder werden gar nicht erst losgeschickt. Pro Schiff und Tag liege der Umsatzausfall bei bis zu 2.000 Euro, so eine Sprecherin des Bundesverbands der Deutschen Binnenschifffahrt.
Bei einem länger andauernden Ausstand könnten vor allem Kraftwerke und Stahlproduzenten, aber auch andere Industriebetriebe und die Baubranche Probleme bekommen. Mitten im Bundestagswahlkampf würde das den Druck auf Verkehrsminister Peter Ramsauer und Innenminister Hans-Peter Friedrich (beide CSU), auf ver.di zuzugehen, deutlich erhöhen. Wenn sie das bislang nicht getan haben, könnte das auch mit Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteifreunden zu tun haben. Während Friedrich womöglich fürchtet, ein guter Tarifvertrag könnte für andere von Umstrukturierungen betroffene Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes zum Vorbild werden, dürfte Ramsauer eher an einer baldigen Beilegung des Konflikts gelegen sein.
„Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich der Konflikt noch weiter verschärft“, sagte ver.di-Sprecher Jan Jurczyk. Die bisherige Taktik, die Streiks immer wieder zu unterbrechen, begründete er zum einen mit der Verzögerung infolge des Hochwassers, wodurch die Arbeitsniederlegungen in die Ferienzeit gefallen sind. Zum anderen müsse man steigerungsfähig sein, betonte Jurczyk. Die Streikbereitschaft schätzt der Gewerkschafter als sehr hoch ein. „Die Kolleginnen und Kollegen sind jederzeit bereit, wieder voll einzusteigen.“