50 Jahre nach dem „Marsch auf Washington für Arbeitsplätze und Freiheit“
Nach dem Gerichtsurteil, mit dem George Zimmerman freigesprochen wurde, war es in mehreren Städten der USA zu Protesten gekommen. Zimmerman hatte auf den unbewaffneten afroamerikanischen Jugendlichen Trayvon Martin, der erst 17 Jahre alt war, geschossen und ihn tödlich verletzt. Die Mitglieder von „Socialist Alternative“ (US-Schwesterorganisation der SAV) haben zu dieser juristischen Farce ein Flugblatt erstellt und verbreitet, das wir im Folgenden wiedergeben.
Wie viele Trayvons müssen noch ermordet werden und wie viele Zimmermans werden weiter frei herumlaufen, bevor sich etwas ändert?
Alle 28 Stunden wird in den USA ein Mensch mit dunkler Hautfarbe von einem Polizisten oder Ordnungshüter getötet. Eines steht zweifelsfrei fest: Wir können den Gerichten und dem US-amerikanischen Rechtssystem an sich kein Vertrauen schenken. Nur wir selbst haben die Macht, etwas zu verändern.
Dass Zimmerman überhaupt vor Gericht gestellt wurde, lag einzig und allein am massenhaften Aufschrei und den Protesten, zu denen es im letzten Jahr gekommen ist, als die Nachricht von Trayvons Ermordung bekannt wurde. Jetzt müssen wir die Empörung der Massen ob dieses Urteils in aktives Handeln der Massen umwandeln. Die Zeit ist gekommen, um eine neue soziale Bewegung aufzubauen, die gegen den tiefsitzenden Rassismus und die Ungleichheit in der Gesellschaft angeht.
Trayvon ist nicht nur ein, sondern gleich zwei Mal ermordet worden: zuerst von Zimmerman und dann von diesem Gericht. Beim ersten Mal handelte es sich um Mord und beim zweiten Mal ging es um Rufmord. Die Wirklichkeit wurde auf den Kopf gestellt und Trayvon zum Aggressor gemacht, gegen das Opfer Zimmerman. Auf diese Weise griff das Gericht die rassistischen Vorurteile von der „typisch afroamerikanischen Kriminalität“ auf, die seit der Zeit der Sklaverei von den Massenmedien verbreitet werden.
Dieses in Amerika systematisch kultivierte Bild von dunkelhäutigen Menschen – mit dem Angst und Misstrauen geschürt und negative Stereotype aufrechterhalten werden – ist für dieses unterdrückerische System existentiell notwendig. Damit werden die „einfachen“ Leute mit ihren unterschiedlichen ethnischen Hintergründen daran gehindert, ihre etwaigen Verschiedenheiten beiseite zu lassen und stattdessen die „Wall Street“, die konzernfreundlichen Politiker und die herrschende Elite als ganze ins Visier zu nehmen. Sie sind die schlimmsten Kriminellen, die diese Gesellschaft zu bieten hat, häufen einen unvorstellbaren Reichtum an, indem der Rest der Welt ausgebeutet wird, und halten ihre Macht aufrecht, indem sie uns spalten.
Das ist der Grund dafür, weshalb Malcolm X einmal sagte: „Es gibt keinen Kapitalismus ohne Rassismus“. Es geht um die Teile-und-Herrsche-Strategie, die die Elite einsetzen muss, damit wir gegenseitig mit dem Finger aufeinander zeigen, statt sie zur Verantwortung zu ziehen. Seit der Zeit der Sklaverei ist der Rassismus in die letzten Winkel des amerikanischen Kapitalismus getragen worden worden. Wenn wir den Rassismus bekämpfen wollen, dann müssen wir uns mit dem ganzen System anlegen!
Wie düstere Schatten hängen die Unruhen von Los Angeles und Cincinnati über diesem Gerichtsurteil. Damals hatten rassistische Morde zu tagelangen Massenunruhen geführt. Doch solche explosionsartig entstehenden Ereignisse liefern den Konzernen und ihrer Polizei, dem Gefängnis- und Überwachungsapparat nur die Begründung, um gegen Arbeiter und junge Leute in die Offensive gehen zu können – vor allem, wenn sie dunkle Haut haben. Was der herrschenden Elite wirklich Angstzustände versetzt, ist nicht der spontane Straßenkampf oder „Krawall“, sondern eine starke Bewegung, die klare Forderungen formuliert, die Massen organisiert und eine kämpferische Führung hat.
Die Frage, die sich für unsere Wohnviertel und Nachbarschaften stellt, lautet: Werden wir eine Wiederholung der Ereignisse von Los Angeles und Cincinnati erleben, oder können wir die berechtigte Wut nutzen, um darüber zu einer mächtigen Freiheitsbewegung zu kommen? Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass der Tod von Emmett Till im Jahr 1955 der Anlass zur Gründung der Bürgerrechtsbewegung war.
Im August dieses Jahres ist der 50. Jahrestag des „Marsches auf Washington für Arbeitsplätze und Freiheit“, der 1963 stattfand. Heute ist es an der Zeit, für unabhängige Organisationsstrukturen zu sorgen, die gegen Unterdrückungsmechanismen vorgehen werden, welche auf ethnischen Unterschieden und/oder einer gesellschaftlichen Klasse basieren. Wohnblock für Wohnblock, Schule für Schule, Stadt für Stadt müssen organisiert werden, um im ganzen Land für eine gemeinsame Einheit zu sorgen.
Wir müssen den Tod von Trayvon zum Anlass nehmen, um hier und jetzt für Gerechtigkeit und Gleichheit aufzustehen. Unser Ziel muss es sein, das ganze System des amerikanischen Kapitalismus und Rassismus zu entlarven und für eine sozialistische Zukunft zu kämpfen, die auf Freiheit, Gleichheit und allgemeinem Wohlstand basiert.
Programmvorschlag zur Beendigung von Polizeigewalt, außergerichtlicher Gewalt und des Rassismus:
- Aufhebung der rassistischen „Stand Your Ground“- Gesetze (mit denen individuelle Gewaltanwendung und Schusswaffengebrauch legitimiert werden)
- Beendigung des rassistischen „Krieg gegen Drogen“. Freilassung aller Gefangenen, denen geringfügige Drogendelikte vorgeworfen werden
- Beendigung der Polizeigewalt, des rassistischen Profiling und anderer rassistischer Praktiken wie dem System des „Stop and Frisk“ (Recht der Polizei, Personen spontan anhalten und durchsuchen zu dürfen)
- Einrichtung demokratisch gewählter Ermittlungsausschüsse in den Wohnvierteln, die die uneingeschränkte Befugnis haben, die Umsetzung des Rechts und der öffentlichen Sicherheit zu beaufsichtigen, mit der Vollmacht Amtsträger auch abberufen zu können
- Investitionen in Jugendeinrichtungen und Stadtteil-Zentren, Ausbildungsprogramme und Arbeitsplätze, von denen man leben kann – nicht in Gefängnisse oder Erziehungslager!
- Schluss mit Massenarbeitslosigkeit, Armut und Ungleichheit, die die Ursache sind für die meisten Kriminaldelikte. Dazu bedarf es der Schaffung angemessener Beschäftigungsverhältnisse, von denen man leben kann, für alle. Geschehen muss dies durch ein umfassendes Programm für Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst und eine umfänglich finanzierte Bildung, Gesundheitsversorgung und soziale Dienste
- Kein Vertrauen in die Partei der „Demokraten“, die wenig bis gar nichts getan hat, um den Ist-Zustand zu verändern, der sich in Amerika durch Ungleichheit und Rassismus auszeichnet. Wir müssen dafür sorgen, dass wir eine eigene politische Stimme haben, die unabhängig ist von den Konzerninteressen und den damit einhergehenden beiden politischen Parteien
- Für den Aufbau einer Bewegung, mit der der Kapitalismus, der auf Ungleichheit und Rassismus basiert, herausgefordert werden kann. Für den Kampf für eine sozialistische Zukunft, die auf Freiheit, Gleichheit und allgemeinem gesellschaftlichen Wohlstand basiert