Wie können wir Nazis erfolgreich bekämpfen?
von Conny Dahmen
Die Wirtschaftskrise, die Troika- Politik und ihre verheerenden Auswirkungen auf die Lebensumstände der breiten Masse der GriechInnen haben die Gesellschaft radikalisiert und die politische Landschaft völlig umgeworfen. Die Verzweiflung und Wut weiter Teile der Beschäftigten, Jugendlichen und RentnerInnen drückt sich nicht nur in vielen Generalstreiks, Solidaritätsbewegungen und großem Zuspruch für SYRIZA aus, sondern leider auch in steigender Unterstützung für faschistische Kräfte wie Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte), die mittlerweile in Umfrage drittstärkste Partei ist und täglich ImmigrantInnen, Linke, Homosexuelle usw. auf den Straßen terrorisiert.
Doch dieser Terror bleibt nicht unbeantwortet: innerhalb des letzten Jahr haben sich landesweit über 60 antifaschistische Komitees in verschiedenen Städten und Stadtteilen gegründet, in denen sich AktivistInnen verschiedenster Strömungen von AnarchistInnen bis zu SYRIZA- Mitgliedern, AnwohnerInnen, SchülerInnen und MigrantInnen gemeinsam den Nazis entgegenstellen, Aufklärungsarbeit leisten, ihre Aktionen stören, aber auch mit eigenen Initiativen das Wasser abgraben.
Ihre Arbeit besteht zum einen in der Organisation öffentlicher Veranstaltungen in Stadtteilen, an Unis und Schulen, wobei sie in vielen Orten mit der Sekundarlehrergewerkschaft ELME zusammenarbeiten. Bei den Veranstaltungen geht es zum einen um eine Auseinandersetzung mit den Lügen von Chrysi Avgi, um die Rolle der Faschisten in der Gesellschaft, aber auch um Fragen des täglichen Widerstandes gegen Kürzungen und Privatisierung und natürlich die Planung von Aktionen. Neben Demonstrationen und Flugblattverteilungen organisieren die antifaschistischen Komitees auch Konzerte und Festivals gegen Rechts und Solidaritätsaktionen in den Stadtvierteln, um möglichst viele Menschen anzusprechen und zu aktivieren.
Beim 20. antifaschistischen Camp von „Jugend gegen Rassismus in Europa“, was vom 26.Juli bis zum 5. August auf der Insel Thassos tattfand, diskutierten über 300 AntifaschistInnen aus ganz Griechenland über Strategien im Kampf gegen rechts, aber auch im Kampf gegen das Austeritätsdiktat der Troika und die Aufgaben der Linken international. Neben zahlreichen AktivistInnen von Xekinima (Schwesterorganisation der SAV), die das Camp maßgeblich mitorganisiert hatten, nahmen viele AktivistInnen der Antifa-Komittees, verschiedener sozialer Bewegungen, linker Parteien und Strömungen und GewerkschafterInnen teil, außerdem 14 Gäste aus Zypern, Irland, England, Deutschland, der Türkei und Hongkong. Eine besondere Rolle spielten die Beiträge von VertreterInnen von Kampagnen wie „Save Skouries“ gegen eine geplante Goldmine und Umweltzerstörung in Chalkidiki, von LGBT- und MigrantInnengruppen und verschiedenen Solidaritätsbewegungen wie z.B. der Ärzteinitiative „Social Surgery“. Herausragend waren ebenfalls Podiumsdiskussionen zur Rolle der Medien in Griechenland, wo unter anderem Angestellte des Fernsehsenders ERT sprachen und eine Debatte zur Frage von Arbeiterkontrolle, mit Vertretern der selbstverwalteten Fabrik VIOMET bei Thessaloniki, die seit Monaten ohne Bosse und Manager Reinigungs- und Waschmittel produziert.
Auf Thassos hatte Chrysi Avgi im Vorfeld eine Hetzkampagne gegen das Camp gestartet. In ihren Flugblättern warnten sie vor Horden von Chaoten, die in Prinos einfallen, die EinwohnerInnen belästigen und die Strände verschmutzen würden. Am Ende hatte es den Nazis auch nichts genutzt, sich selbst als wahre „Saubermänner“ hinzustellen und den Strand des Campingplatzes aufzuräumen – auf Druck der Bewegung hin mussten sie ihr erst kürzlich eröffnetes Büro auf der Insel wieder schließen und verschwinden. Die EinwohnerInnen von Prinos und anderen Orten der Insel nahmen auf die verteilten JRE- Flugblätter und -plakate hin zahlreich an den Diskussionsveranstaltungen, Konzerten und Partys teil, lokale Bands bereicherten das Kulturprogramm.
Foivos, Aktivist eines Antifa-Komitees in Thessaloniki und Mitglied von Xekinima, schilderte seine Eindrücke aus Gesprächen mit Menschen vor Ort: „Anstatt einer geschlossenen Veranstaltung haben die Leute ein großes Camp vorgefunden, offen für jede und jeden, für Jugendliche genauso wie für Familien. Viele waren beeindruckt davon, wie gut die Veranstaltungen, die Bar, die Küche und auch die Kinderbetreuung organisiert sind und wie solidarisch alle hier mithelfen. Obwohl hier an manchen Abenden bis zu 500 Menschen waren, vor allem beim Rembetiko-Konzert und dem kleinen Festival, und es sehr viel zu tun gab, hat alles hervorragend geklappt.“
Auch in ihrer alltäglichen Arbeit sind Solidaritätsaktionen wie Lebensmittelverteilungen, Volksküchen, Tauschbörsen, Umsonstflohmärkte usw. für alle (anstatt „nur für Griechen“, wie es die Rechten anbieten) ein nicht wegzudenkender Bestandteil. Wo Massen von Menschen täglich ums Überleben kämpfen müssen, leisten die AktivistInnen praktische Hilfe und zeigen praktisch, dass das täglich Elend nur gemeinsam und solidarisch bekämpft werden kann, und dass die Spaltung und Hass, wie er von den Rechten propagiert wird, keine Lösung sind.
Beim täglichen Erfahrungsaustausch waren viele Erfolge im Kampf gegen Chrysi Avgi zu verzeichnen. Maria, aktiv in der antifaschistischen Bewegung in Thessaloniki berichtet:
„Es ist uns gelungen, die Aktivitäten und die Versuche zur Verankerung von Chrysi Avgi empfindlich zu stören. Die Faschisten hatten in den letzten zwei Jahren Büros in über 50 Städten und Stadtvierteln eröffnet, mussten allerdings eine Reihe davon aufgrund des entschiedenen Widerstandes dagegen wieder schließen. Im Oktober 2012 zum Beispiel wollte Chrysi Avgi ein Büro im Athener Stadtviertel Peristeri eröffnen, in direkter Nachbarschaft zum Vereinslokal des traditionell eher alternativen AEK-FC- Fanclubs „Originals“. Die trugen dann bei der Gegendemonstration ein Transpi: „Denkt nicht mal dran!“, und das haben die Rechten sich wohl zu Herzen genommen und sind nicht mehr aufgetaucht. Aber nicht nur linke AktivistInnen protestieren, auch viele normale AnwohnerInnen sehen Chrysi Avgi einfach als kriminelle Gefahr, die sie nicht in der Nachbarschaft haben wollen. In Thessaloniki konnte sich Chrysi Avgi nur in wenigen Stadtvierteln ansiedeln, wegen des antifaschistischen Widerstands, der ihnen entgegen schlägt.“ Sie kritisiert allerdings die mangelnde Vernetzung der Antifakomitees in einzelnen Orten: „ Zumindest bei größeren Mobilisierungen und Kampagnen sollten sich die Komitees besser abstimmen. Bisher läuft eine Koordination über Antifa-Blogs wie Anti-Nazi-Zone.“
Christina und Giannis, VertreterInnen der Antifakomitees von Thassos und Kavála berichteten von der erfolgreichen Arbeit gegen die Nazis vor Ort. Beide Zusammenschlüsse hatten sich anlässlich einiger Übergriffe auf MigrantInnen vor Ort gegründet und leisten bereits seit längerer Zeit sehr gute Arbeit. Zusammen mit den AnwohnerInnen der Gegend konnten sie die Faschisten am Ende in die Knie zwingen und von der Insel vertreiben. Unter anderem wurden mehrfach Lebensmittelverteilungen von Chrysi Avgi gestoppt und stattdessen kleine antifaschistische Feste etabliert, bei denen MigrantInnen und Einheimische gemeinsam feiern. Die Behörden untersagten ein geplantes Nazi-Festival in Kavála auf Druck der Bewegung hin, die zuvor eine Protestdemonstration von 3000 Menschen veranstaltet hatte.
In den Diskussionen wurde hervorgehoben, wie wichtig überzeugende Argumente gegen die Propaganda der Faschisten sind, die sich nicht auf moralisches Verurteilen von Rassismus beschränken, sondern sie klar als Lügner entlarven. Chrysi Avgi macht sich die ausgeprägte Ablehnung von Parteien,besonders unter Jugendlichen, zu nutze und versucht, eine faschistische Diktatur als Alternative für Griechenland zu verkaufen. Die Rechten geben sich radikal und antikapitalistisch, sind es aber keinesfalls. Chrysi Avgi wettert zum Schein gegen Großkonzerne, spricht sich aber für Kleinunternehmertum aus. AktivistInnen aus Chalkidiki berichteten, dass Chrysi Avgi versucht, sich an die Bewegung gegen die geplante Goldmine zu hängen, aber klar auf Seiten des Konzerns „El Dorado“ steht, unter dem Vorwand, es würden Jobs geschaffen . Ebenso waren sie für die Schließung von ERT und unterstützen jedes Privatisierungsvorhaben. Zum Teil werden sie sogar von Unternehmen und bürgerlichen Politikern als Rammbock gegen linke Bewegungen eingesetzt, wie z.B. bei Protesten gegen ein geplantes Einkaufszentrum in einem Park in Katos Patissia (Athen).
Trotz ihrer arbeiterfeindlichen Haltung schaffen es die Rechten, sich in den Belegschaften einiger Branchen zu verankern, nicht nur bei der Polizei, wo mittlerweile mehrheitlich Chrysi Avgi gewählt wird. Auch bei den Beschäftigten im ÖPNV in Athen können sie 13% Wahlunterstützung verzeichnen, unter Taxifahrern und Reinigungskräften konnten sie sich ebenfalls eine Basis schaffen.
Eine Kollegin, die in einer Einrichtung für Jugendliche mit Behinderungen in Volos beschäftigt ist, erzählt: „Selbst an meinem Arbeitsplatz unterstützen einige KollegInnen in voller Überzeugung die Faschisten – obwohl diese fordern, alle psychiatrischen Einrichtungen sofort zu schließen, da das rausgeworfenes Geld sei, obwohl der Chrysi Avgi-Vorsitzende Kassidiaris dafür ist, alle psychisch Kranken und behinderte Menschen zu sterilisieren. Sie halten die Nazis für die einzige Kraft, die durchgreift und was verändern kann.“
Daher drängten AktivistInnen darauf, im nächsten Schritt Antifastrukturen auch auf betrieblicher Ebene zu gründen und zu vernetzen. Viele Komitees arbeiten erfolgreich mit sozialen Bewegungen zusammen, wie zum Beispiel der Kartoffelbewegung (kleine Lebensmittelerzeuger, die ihre Produkte ohne Zwischenhändler verkaufen), sind Teil von Kampagnen gegen Sozialabbau und Privatisierung. Bei einer bisher sehr erfolgreiche Kampagne gegen den Verkauf des schönsten Strandes von Thassos, „Golden Beach“, an einen bulgarischen Hotelkonzern, in die viele AnwohnerInnen und Inhaber kleiner Läden vor Ort eingebunden werden konnte, haben die AntifaschistInnen die Faschisten und ihre verlogene Propaganda aus der Auseinandersetzung heraus halten können. Auch Arbeiterkämpfe und Streiks unterstützen sie, durch Teilnahme, aber auch durch Solidaritätsaktionen, wie z.B. bei der Besetzung von ERT oder der selbst verwaltete Fabrik von VIOMET der Fall ist.
Solche Bewegungen sind wichtige Ansätze, reichen aber nicht aus, um die Angriffe auf die Lebensstandards der Menschen zurück zu schlagen oder gar die Regierung zu Fall zu bringen. Daher drehte sich eine der wichtigsten Diskussionsveranstaltung auf dem Camp um die Aufgaben der Arbeiterbewegung und vor allem der griechischen Linken. Dort war man sich weitgehend einig, dass 24- oder 48-stündige Generalstreiks – „Kämpfe mit Verfallsdatum“, wie sie Eleni, eine der ReferentInnen, bezeichnete – unwirksam geworden sind. Unbegrenzte Streiks und Generalstreiks stünden auf der Tagesordnung, welche direkt die Frage aufwerfen, wer die eigentliche Macht in der Gesellschaft hat und das kapitalistische Wirtschaftssystem in Frage stellen. Große Kritik äußerten viele nicht nur an der unverändert sektiererischen Politik der KKE, sondern auch an der größten linken Partei SYRIZA, die bei den Wahlen im Mai 2012 nahe daran war, die meisten Stimmen zu bekommen. Dort versuchen Tsipras und andere Führungspersonen, die Positionen der Partei weiter zu verwässern, anstatt sich als radikale Alternative zu den Troika- Parteien zu präsentieren. Auch von dieser Anbiederung ans Establishment profitiert Chrysi Avgi mit scheinbar antikapitalistischen Parolen.
Xekinima hat mit der „Initiative der 1000“ bereits Ende letzten Jahres begonnen, Strömungen und Einzelpersonen in- und außerhalb von SYRIZA und ANTARSYA um ein Programm zu sammeln, das auf einem revolutionären Ausweg aus der Krise beruht und auf der Überwindung des Kapitalismus.
Eine Schlussfolgerung aus den Diskussionen auf dem Camp, aber auch der täglichen Arbeit der Antifakomitees ist: Proteste gegen faschistische Aktionen und Gegenargumente gegen rechte Parolen reichen am Ende nicht aus. Die Menschen suchen nach Antworten, nach Auswegen aus der kapitalistischen Krise und ihren Folgen. In einem System, was auf Konkurrenz und Diskriminierung beruht, was der Mehrheit der Menschheit nichts als Armut zu bieten hat, werden faschistischen Ideen immer wieder aufkommen und Gehör finden. Der Kampf gegen Rechts ist daher untrennbar verbunden mit dem Kampf gegen den Kapitalismus selbst und eine gesellschaftliche Alternative ohne Klassenunterschiede und Ausbeutung.