Femen unter der Lupe
Sie nennen sich „Sextremisten“, „neue Amazonen“ und „Soldatinnen“ im Krieg gegen Frauenunterdrückung. Mit „hot boobs, cool head and clean hands“ (also mit „heißen Brüsten, klarem Kopf und sauberen Händen“) katapultieren die halbnackten Aktivistinnen den Feminismus aktuell auf jede Titelseite.
Von Leonie Blume
So auch Ende Juni in Deutschland, als zwei Aktivistinnen mit dem Schlachtruf: „Heidi, wir haben kein Foto für dich!“ das Finale von „Germanys next Topmodel“ stürmten. Auf ihrem nackten Oberkörper stand „Heidi Horror Picture Show“. Oder beim Besuch Putins in Deutschland, als Femen-Aktivistinnen ganz nah an den russischen Präsidenten heran kamen und gegen seine undemokratische Politik und die Inhaftierung der Pussy Riot-Frauen protestierten. Auch bei antifaschistischen Protesten hat Femen sich schon beteiligt.
Nach der #aufschrei-Debatte auf Twitter bringt eine zweite Gruppe von Frauen, frischen Wind in die deutsche und internationale Feminismus-Landschaft. Kein Wunder: In der öffentlichen Debatte wird der Kampf für Frauenrechte mehr und mehr auf die Quotierung von Führungspositionen reduziert. Der „alte“ Feminismus einer Alice Schwarzer hat seine Radikalität verloren und gliedert sich immer stärker in die bürgerliche Gesellschaft ein. Manche denken, angesichts einer weiblichen Kanzlerin sei die Gleichberechtigung weitgehend erreicht. Dabei verdienen Frauen in Deutschland immer noch weniger als Männer, kümmern sich Frauen immer noch mehrheitlich um die Kindererziehung und den Haushalt und sind Frauen immer noch Opfer von sexistischen Anmachen und Übergriffen. Grundsätzlich ist es also erstmal zu begrüßen, dass der Kampf gegen Frauendiskriminierung in Deutschland wieder rebellischer wird.
Aber: Wer oder was ist Femen eigentlich? Wie sieht ihr Programm aus? Und: Kann die von Femen geprägte Protestform tatsächlich eine neue Frauenbewegung stärken und Verbesserungen durchsetzen?
Was ist Femen?
Femen sagt, sie kämpft gegen das Patriarchat, bestehend aus drei Bereichen: Diktatur, Kirche und Sexindustrie. Viel mehr findet sich nicht über ihr Programm. Im Vordergrund stehen allerdings auch keine politischen Diskurse, sondern direkte Aktionen. Die Oben-Ohne-Proteste mit knappen Slogans sollen bewusst provozieren und damit eine hohe Medienaufmerksamkeit schaffen.
Die Organisation wurde 2008 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gegründet. Aktuell hat Femen über 300 Anhängerinnen weltweit, davon etwa dreißig in Deutschland. Die Aktivistinnen sind meist zwischen 18 und 40 Jahre alt, häufig sind es Studentinnen.
Bereits ihre erste Kampagne unter dem Slogan „Die Ukraine ist kein Puff“ erreichte internationale Beachtung. Die Gruppe um Gründerin Anna Guzol wandte sich damit gegen Sextourismus in der Ukraine und forderte die Bestrafung von Männern, die zu Prostituierten gehen.
„Junge Frauen, als Prostituierte gekleidet, bildeten eine Reihe entlang Chretschatik (Hauptstraße der Kiewer Altstadt)“, erläutert Guzol die Aktion in einem Interview. „Damals, in 2008, galt das noch als äußerst skandalös und provokativ. Wir haben bloß begriffen, dass man den Keil mit dem Keil ausschlagen muss. Prostituierte gegen Prostitution! Das sprengte die Gehirne ukrainischer Bürger – wie, Bienen gegen Honig? Nur solche Widersprüche regen zum Nachdenken an.“ Eine große Medienaufmerksamkeit war Femen sicher.
Femen gibt es bisher neben der Ukraine in Brasilien, Tunesien, Frankreich und Deutschland. 2012 gründete die Organisation ein Schulungszentrum in Frankreich und es entstanden Gruppen in Hamburg und Berlin.
„PETA für Frauen“
Seit 2011 tritt Femen auch in anderen Ländern mit provokanten Aktionen auf. 2011 posierten zum Beispiel drei Aktivistinnen als Dienstmädchen verkleidet in Paris vor dem Haus von Dominic Strauss-Kahn, um ihn als Sexisten zu outen. In Deutschland demonstrierte Femen 2012 unter der Parole „Fickt die Sexindustrie“ gegen Prostitution und Menschenhandel vor dem Kölner Bordell Pascha und in der Hamburger Herbertstraße. 2013 beteiligte sich die Berliner Gruppe am „Topless Jihad Day“. In Solidarität mit Amina Tyler zogen Aktivistinnen vor die Wilmersdorfer Ahmadiyya Moschee. Die Tunesierin hatte oben ohne gegen islamische Moralvorstellungen protestiert und sitzt seither in dem nordafrikanischen Land in Haft. Ihr droht die Steinigung.
„Angezogen interessiert unsere Botschaft nicht“
Nacktheit ist ihre Strategie, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie wollen mit ihrem Oben-Ohne-Protest den Spieß umdrehen. Die Argumentation: Üblicherweise werden weibliche Brüste vom Patriarchat instrumentalisiert, um Frauen zu schwächen. „Wir erobern unsere Körper zurück. Es ist wie bei einer Waffe“, erklärt eine Aktivistin der jungle world. „Sie kann in den richtigen und den falschen Händen sein. Wir nutzen unsere Körper für feministischen Widerstand.“
Sasha Shevchenko, Mitbegründerin von Femen sagt dazu im Interview mit der Stuttgarter Zeitung: „Angezogen interessiert unsere Botschaft nicht.“ Das Ausziehen mache die Frau vom Objekt zum handelnden Subjekt. „Die Männer sehen uns als Sexualobjekt. Aber jetzt schneiden die Marionetten ihre Fäden durch und handeln.“
Was zählt sind die Bilder
Das Auftreten wird dabei von den Aktivistinnen generalstabsmäßig vorbereitet. In extra Trainingsstunden werden die Frauen körperlich fit gemacht. Sie üben, stark und gefährlich zu wirken, um dem Stereotyp der passiven, hilflosen Frau, dessen sich die Werbung gerne bedient, entgegenzutreten. Das heißt: fester Stand auf beiden Beinen, Hände in die Luft, Fäuste geballt. Und: „In die Kameras schauen; immer in die Kameras, niemals zu den Passanten. Und: schreien, ganz egal, wie viele Leute zuhören. ‚Auf den Fotos wird man eure Schreie sehen’“, wird Irina Khanova aus Hamburg im Spiegel zitiert (Ausgabe 23/2013, S. 61). Die Aktionen selbst dauern dann oft nur wenige Minuten. Sobald die Kameras weg sind, verstummen die Parolen und die Frauen ziehen sich wieder etwas an.
Neben den Massenmedien setzt Femen gezielt auf soziale Medien wie Twitter und Facebook. So hat die ukrainische Femen-Seite über 125.000 Fans und ihr Twitter Account über 17.000 Follower.
Provokation schafft Aufmerksamkeit
Wie ist diese neue Frauenbewegung einzuschätzen? Was man Femen zu gute halten muss, ist, dass sie effektiv und (scheinbar) kämpferisch Öffentlichkeit gegen Frauenunterdrückung schafft. Ähnlich wie Greenpeace oder die Tierschutzorganisation Peta, bekommen ihre Aktionen durch ihr kompromissloses, rebellisches und provozierendes Auftreten eine hohe Aufmerksamkeit. Sie schaffen es, eine Schicht junger Frauen mit Themen wie Sexismus, Prostitution und Menschenhandel zu politisieren. Themen, die jahrelang der Deutungshoheit einer Alice Schwarzer unterlagen, bzw. in Ländern wie der Ukraine jahrelang überhaupt nicht thematisiert wurden. Dabei beweisen sie Mut, insbesondere in Ländern mit autokratischen Strukturen. Für ihren Protest wurden bereits einige Aktivistinnen mit Gefängnis und Folter bestraft, von denen sie sich allerdings nicht einschüchtern lassen. Im Gegenteil: die Inhaftierung von Mitstreiterinnen wird wiederum medienwirksam in Szene gesetzt.
Strippen gegen das System?
Ist es legitim, sich für die gute Sache auszuziehen? Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass die Methode des nackten Protests nichts Neues ist. Erinnern wir uns an Uschi Obermeier und Rainer Langhans’ Kommune 1, Yoko Ono und John Lennon oder an die PETA-Aktion „Lieber Nackt als im Pelz“.
Die Frankfurter Rundschau verteidigt diese Protestform: „Nackt ist, wer alles verloren hat, Nacktheit steht für Armut, (…) – schließlich kann, wer nackt dasteht, nichts mehr verbergen. (…) Die barbusige Nacktheit von Femen irritiert nachhaltig, weil sie körpersprachlich beide Motive, also die Übergriffigkeit und die Hilflosigkeit, die totalitäre Geste und die verzweifelte Anklage, ineinander blendet. Somit wird im Akt des Protests ununterscheidbar, was wir für unsere politische Bewertung gewohnt sind, fein säuberlich auseinanderzuhalten. Das verunsichert und verursacht mitunter schlechte Laune: Man vermisst dann die klare Botschaft. Dabei gehört es zum Wesen des politischen Protests zu irritieren (…).“
Auch Spiegel online knüpft positiv an den Nacktprotest an. Hier heißt es: „Lächerlich wirkt dabei nie der, der sich auszieht (egal, wie unvorteilhaft man seine Erscheinung empfinden mag), sondern stets der, der gegen ihn vorgeht. Ein System, das Uniformierte aufbietet, um einen Nackedei zu überwältigen, hat ein Problem.“ Und so birgt die Nacktheit der Femen-Frauen in der Tat eine gewisse Schutzfunktion: Die Hemmschwelle ist höher auf eine unbekleidete Frau einzuschlagen als auf eine bekleidete bzw. gar vermummte.
Dies gilt allerdings eher für die „westlichen Demokratien“ als z. B. für die ehemaligen Ostblockstaaten. So wurden in der Ukraine bereits Aktivistinnen entführt, gefoltert und mit geschorenen Köpfen und nackt im Wald ausgesetzt.
„Bettina, zieh dir bitte etwas an“ (Fettes Brot)
Grundsätzlich ist nichts daran auszusetzen, seine Forderungen auf die nackte Haut zu schreiben. Irritierend ist allerdings, dass Femen nur durchtrainierte, dem westlichen Schönheitsideal entsprechende Frauen ins Rampenlicht ihrer direkten Aktionen stellen. Sie schreiben in ihrem Selbstverständnis: „Activists of FEMEN are morally and physically fit soldiers.“ (Aktivistinnen von FEMEN sind moralisch und physisch fitte Soldatinnen)
Die feministische Gruppe e*vibes aus Dresden fragt zu Recht in ihrem offenen Brief: „Was bedeutet ‚physisch und moralisch fit‘? Können ‚nicht physisch fitte‘ Menschen Femen sein?“ Und #aufschrei-Mitbegründerin Anna-Katharina Meßmer macht sich auf twitter lustig: „Überlege für die Befreiung der Femen-Frauen zu protestieren. Sie sind Sklavinnen des Mediensystems und brauchen unsere Hilfe.“
Mit ihrer Außendarstellung will Femen sich von allem, was Mensch und Medien als die Klischees des Feminismus der 70er Jahre betrachtet, distanzieren. „Wir wollen unsere Weiblichkeit und unsere Sexualität nicht verstecken“, sagt zum Beispiel eine Hamburger Aktivistin. „Frauen müssen nicht wie Männer herumlaufen, um Feministinnen zu sein.“
Das mag sicherlich einer Schicht junger Frauen aus der Seele sprechen. Allerdings setzt Femen ihre eigenen Aktivistinnen dem Druck eines sexistischen Schönheitsideals aus, welches sie eigentlich kritisieren. So wurde der einen oder anderen Anwerberin schon mal nahe gelegt, abzunehmen, wie Aussteigerinnen berichten. Femen nimmt in Kauf, die große Mehrzahl von Frauen, die diesen äußeren Ansprüchen nicht entsprechen, für ihren Kampf abzuschrecken. Und sie spart der Bildzeitung das Seite-3-Girl….
Zum Programm – wenn es denn eines wäre…
Kommen wir aber zum wichtigsten Punkt: dem Programm der Femen. Wie bereits angedeutet, geben die Schlagworte „Gegen Diktatur, Kirche und Sexindustrie“ noch wenig Einblick darüber, wie Femen die Frauenunterdrückung stoppen will. Und auf die blanken Oberkörper passen schließlich auch nur knappe Slogans. Das kürzlich erschienene Buch von Femen ist bisher nicht auf Deutsch erschienen. Es ist zu hoffen, dass man dort nähere Einblicke in die Forderungen von Femen bekommt.
Für diesen Artikel müssen wir uns allerdings auf Aktionen und die wenigen Verlautbarungen beschränken, die Rückschlüsse über die politischen Ansichten und Positionen von Femen zulassen.
Fangen wir mit der Aktion in der Hamburger Herbertstraße an: Hier forderten sie das Verbot von Prostitution und traten für die Bestrafung der Freier ein.
Unabhängig davon, ob die von Femen vertretenen Forderungen den besten Weg im Kampf gegen Prostitution aufzeigen, ist es zu begrüßen, dass Femen einen Beitrag gegen die gesellschaftliche Akzeptanz dieser systematischen sexuellen Ausbeutung von Frauen leistet.
Über die Frage, ob Prostitution gewöhnliche Lohnarbeit und deswegen zu legalisieren sei, gab und gibt es immer wieder Diskussion – auch unter Linken. BefürworterInnen einer Legalisierung der Prostitution argumentieren, dadurch die Situation für Prostituierte durch Arbeitsverträge und soziale Absicherung zu verbessern. Dies war unter anderem auch die Begründung für die 2001 von der rot-grünen Bundesregierung verabschiedete „Reform“ des Prostitutionsgesetzes.
Statt das Leben der Prostituierten jedoch leichter zu machen, hat die Legalisierung der Prostitution dazu geführt, dass Zuhälter und Menschenhändler für selbst sklavenhafteste Formen von Prostitution ungeschoren davon kommen, während die wenigsten Prostituierten die Möglichkeit einer sozialversichungspflichtigen Anmeldung ihrer Tätigkeit wahrgenommen haben, weil sie sich davon keine Verbesserung ihrer Situation erhoffen. Die Wirkung des neuen Prostitutionsgesetzes ist, dass Zwangsprostitution unter dessen Deckmantel sich ausbreiten konnte. Insbesondere der Menschenhandel mit Frauen aus den ehemaligen Ostblockstaaten hat in den letzten Jahren massiv zugenommen und die betroffenen Frauen leben zum Teil unter sklavenartigen Umständen, schaffen für einen Hungerlohn an, werden erpresst und sind durch Vergewaltigungen sowohl seelisch als auch körperlich versehrt (s. Titelthema im Spiegel Ausgabe 22/2013).
Verharmlosung von Faschismus
Allerdings ging die Aktion von Femen am 27.01.2013 in der Hermannstraße zu weit. So verglich Femen die Sexindustrie mit faschistischen Konzentrationslagern. Da wurde das „x“ durch ein Hakenkreuz ersetzt, der Slogan „Arbeit macht frei“ an das Eingangstor geschrieben und der Zeitpunkt – bewusst oder unbewusst – in die Nähe des Holocaust-Gedenktages gelegt.
Auch wenn Prostitution und Sexhandel eine der brutalsten Formen der Ausbeutung darstellt, so kann man diese nicht mit dem industriellen Völkermord an den Juden und der systematischen Verfolgung und Ermordung von KommunistInnen, SozialdemokratInnen, GewerkschaferInnen und Andersdenkenden gleichsetzen. Femen verharmlost damit den Faschismus. Auch hier wird das Mittel der Provokation über alles gestellt.
Anders gelagert, aber ähnlich unkritisch geht Femen mit der Verwendung nationaler Symbole um. So posieren sie gerne auf Veranstaltungen mit T-Shirts, auf denen ihr Logo in schwarz-rot-gold Optik prangt. Da verwundert es nicht, dass eine der Heidi-Klum-Störerinnen aktives Mitglied der CDU ist und sich anscheinend voll mit der Femen-Politik identifizieren kann.
Muslima Pride: „Danke, wir befreien uns lieber selbst“
Was uns zum so genannten „Topless Jihad Days“ vor Moscheen führt. Femen forderte in Berlin und anderen Städten am 4. April 2013 lautstark und barbusig die Freiheit der Frau in islamischen Ländern und die Freilassung von Amina Tyler (s. oben). Hier führte die Protestform dazu, dass sich Tausende muslimischer Frauen gegen Femen wandten.
Bereits einen Tag nach der Aktion starteten muslimische Feministinnen den „Muslimah Pride Day“. Sie wehrten sich in einem offenen Brief dagegen, dass sie von Femen als hilflose Gruppe dargestellt werden, die es von außen zu emanzipieren gelte. „Muslimische Frauen sind selbst in der Lage, sich zu verteidigen“, heißt es in dem Brief, „wendet euch gegen männliche Dominanz, aber nicht gegen den Islam.“ Hunderte Frauen luden von sich Bilder hoch auf denen stand: „Nudity does not liberate me and I do not need saving“ (Nacktheit befreit mich nicht und ich muss nicht gerettet werden) oder schlicht „I am free“. (Süddeutsche.de)
Femen-Mitbegründerin Shevchenko verteidigte die Aktion in der englischen Huffington Post: „In der gesamten Menschheitsgeschichte leugnen Sklaven, dass sie Sklaven sind.“ Und wer Sklave oder Sklavin ist, das zu definieren will sich die Femen-Mitbegründerin nicht nehmen lassen: „Sie schreiben auf ihren Postern, dass sie nicht befreit werden müssen, aber in ihren Augen steht ‚Helft mir‘ geschrieben.“
Kein Wunder, dass muslimische Frauen bei soviel Arroganz und Überheblichkeit auf die Barrikaden gehen. Wenn das Schicksal der muslimischen Frauen ihnen so am Herzen liegt, so fragen z.B. Bloggerinnen auf der englischen Website alakhbar, wo bitte schön war Femen dann während der arabischen Revolution? Schließlich haben Frauen in dieser Bewegung eine führende Rolle gespielt. Hier hätte es enorm geholfen den Vorurteilen in westlichen Medien entgegenzuwirken. Stattdessen unterfüttern Femen die gängigen Klischees und diskriminieren Muslima als „unterworfene Kreaturen, die von Männern kontrolliert werden (…) und die von einer Gruppe perfekt herausgeputzter weißer Frauen befreit werden, die sich nackt zur Schau stellen (…).“ (Taz)
Stellvertreterpolitik
An einer realen Verbesserung der Lebenssituation von Muslima ist Femen anscheinend nicht interessiert. Zumindest suchen sie nicht den Dialog mit ihnen. Aber auch an einer Zusammenarbeit mit anderen Gruppen, scheint Femen kein Interesse zu haben. Inhaltlichen Diskussionen gehen sie eher aus dem Weg nach dem Motto: Lasst die anderen diskutieren, wir handeln.
Dabei gibt es durchaus Gruppen, die auch „angezogen“ und gemeinsam mit Männern erfolgreiche Antisexismus-Kampagnen vorzuweisen haben. So machte die Gruppe von Linksjugend [’solid] Kreukölln gemeinsam mit anderen Kräften mit der Kampagne „Occupy Barbie Dreamhouse“ in den letzten Monaten erfolgreich und mit enormer Medienresonanz gegen das Barbie Dreamhouse in Berlin mobil. Auf wöchentlichen Sitzungen, wurden Pro- und Kontra-Argumente diskutiert und Aktionen vorbereitet. Wohlgemerkt mit dem Fokus, junge Frauen zu ermutigen selbst aktiv zu werden und eine gesellschaftliche Diskussion gegen die Pinkifizierung von Kinderzimmern anzuregen. Femen ließ sich in dieser Zeit bei keiner Sitzung blicken.
Bei der Demonstration zur Eröffnung dann allerdings stahl eine einzige halbnackte Femenaktivistin mit brennender Barbie am Kreuz dem gesamten Protest die Show und nahm damit wie erwartet massiven Einfluss auf die Berichterstattung in den Medien. Diese Aktion hat sicherlich nicht dazu beigetragen, dass sich mehr Menschen in Bewegungen gegen Frauendiskriminierung aktivieren und organisieren. Das steht beispielhaft für eine Stellvertreterpolitik von Femen, die auf mediale Aufmerksamkeit und nicht auf den Aufbau einer breiten Massenbewegung setzt.
Wie steht’s mit der Demokratie?
Femen wird strikt hierarchisch geleitet und weitgehend aus der Ukraine gesteuert. Skurrilerweise scheint ein Mann hinter den Kulissen das Sagen zu haben. So soll Wiktor Swjatski die Idee zu den Nacktprotesten gehabt haben und wichtige Anweisungen geben. Femen selbst verleugnet seine Rolle.
Dass ein Mann in einer feministischen Organisation eine wichtige Rolle spielt ist keineswegs ein Problem. Das Beispiel ist aber symptomatisch für den undemokratischen Charakter der Gruppe. Das Sagen haben die Gründerinnen (bzw. Gründer). Über demokratische Strukturen, sich einzubringen, die Möglichkeit Anweisungen in Frage zu stellen oder gar Führungspersonen abzuwählen, dazu findet man nichts auf den Femen-Seiten.
Es herrscht weder Transparenz über die Strukturen, noch über die Forderungen oder die Finanzen. Schließlich kosten die zahlreichen Reisen und Aktionen viel Geld. Auf ihrer Website geben sie an, sich über den Webshop, also ihre T-Shirts und Fotos, sowie über Privatspenden zu finanzieren. Wer aber Großspender ist, darüber schweigt sich die Organisation aus. Auch die Auswahl der Kämpferinnen ist nicht demokratisch organisiert und erfolgt scheinbar über äußerliche Kriterien.
Mit welchem Programm gegen Frauenunterdrückung?
Sexismus und Frauenunterdrückung gibt es nicht im luftleeren Raum, sondern sie sind Teil des kapitalistischen Systems. Eines Systems, in dem Frauen einen großen Teil der gesellschaftlichen Arbeit unentgeltlich verrichten und das die Spaltung der Geschlechter gezielt zur Teile- und Herrsche-Politik einsetzt. Frauen sind einem Schönheitswahn ausgeliefert sind, der krank macht, sie sind wirtschaftlich benachteiligt und sexueller Gewalt ausgesetzt. Die Spaltung in Männer und Frauen ist eine wesentliche Basis auf der dieses unsoziale System überhaupt überleben kann. Daraus folgen zwei Erkenntnisse:
Erstens: das System gehört abgeschafft und zweitens: Das schaffen wir nur gemeinsam, Frauen und Männer zusammen – und zwar massenhaft. Allerdings wiederum nicht mit allen. Denn es gibt sowohl Männer als auch Frauen, die von diesem System profitieren und die sich gegen jede grundlegende Veränderung stellen werden. Deshalb lohnt es sich nicht mit einer Angela Merkel oder einer Susanne von Klatten zu verbünden.
Es geht darum, die Masse der arbeitenden (und erwerbslosen) Menschen (wir nennen sie Arbeiterklasse) für echte Gleichberechtigung zu gewinnen. Überzeugen kann man diese für einen gemeinsamen Kampf jedoch nur, wenn man glaubhaft für reale Verbesserungen eintritt. Um mehr Freiheit für muslimische Frauen zu kämpfen, bedarf es z. B. gut bezahlter Jobs, kostenlose Beratungsstellen und genügend Frauenhäuser. Das gleiche gilt für Prostituierte. Damit sie aussteigen können, brauchen sie Sicherheit und Perspektiven: Sicherheit vor Zuhältern und Abschiebung, Aussicht auf eine Umschulung, einen guten Job oder zunächst einen Platz in einer Entzugsklinik.
Fazit
Femen schafft es, frauenspezifische Themen in die Öffentlichkeit zu bringen. Von ihren medienwirksamen Auftritten, auch wenn es nicht gleich der Nacktprotest sein muss, können sich linke Organisationen eine Scheibe abschneiden. Insbesondere vielen akademisch-feministischen Gruppen würde es gut zu Gesicht stehen, aus ihren Diskursen auszubrechen und auf die Straße zu gehen.
Ähnlich wie Greenpeace oder andere zentralistische Organisationen sind Femen durch ihre generalstabsmäßigen Aktionen äußerst medienweirksam. Allerdings lassen sie keinerlei demokratische Mitbestimmung zu. Die Stellvertreterpolitik von Femen und ihre Ausgrenzung von Frauen, die nicht in ihre Vorstellung „moralischer und physischer Fitness“ passen, sind kein Beitrag zum Aufbau einer tatsächlichen Bewegung gegen Frauendiskriminierung. Wirkliche Verbesserungen sind auch in der Geschichte nur durch massenhafte Bewegungen und Kämpfe erreicht worden. Deshalb ist Femen auch weder eine linke noch eine wirklich kämpferische Organisation. Denn erst der gemeinsame und konsequente Kampf für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse von Frauen und eine Umwälzung der Gesellschaft im Sinne von Mensch und Natur ist wirklich radikal.
Doch dafür braucht es mehr als hier und da eine viertel Stunde vor den Kameras. Auch wenn das zu komplex ist, um es sich auf die Brust zu schreiben, ist es dennoch der erfolgversprechendere Ansatz.
Leonie Blume lebt in Kassel. Sie ist Mitglied der SAV und der Partei DIE LINKE.