Dieser Artikel erschien zuerst am 13. September in englischer Sprache auf socialistworld.net
Der Gewerkschaftsbund muss den Termin für einen 24-stündigen Generalstreik festlegen!
von Nick Chaffey, „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales)
Die GewerkschaftsaktivistInnen, die letzten Sonntag zu Hunderten an der Veranstaltung des „National Shop Stewards’ Network (NSSN; „Landesweites Vertrauensleute- und Betriebsräte-Netzwerk“ in Großbritannien) vor dem Kongress des britischen Gewerkschaftsdachverbands TUC teilgenommen haben, machten deutlich, dass die Wut über die regelrechte Flut an Kürzungen und Austerität nach einem heißen Herbst verlangt. Das Signal, das sie aussendeten, lautete: Wir brauchen schlagkräftige Aktionen!
Damit einher ging die immer lauter werdende Forderung an den TUC, ein Datum festzulegen, an dem es zu einem 24-stündigen Generalstreik kommen muss.
„Die NSSN-Kundgebung“, so die Vorsitzende der Gewerkschaft der Staatsbediensteten, PCS, Janice Godrich, „ist zu einem regelmäßigen Ereignis bei TUC-Kongressen geworden, mit der die Richtung vorgegeben und ein kämpferischer Ton angeschlagen wird. Das Signal lautet: Lasst euren Worten noch in diesem Jahr Taten folgen“.
Bei der Kundgebung in der Kongresshalle, die vor der Demonstration vor dem Kongressort stattfand, kamen Delegierte des TUC-Kongresses und bis zu 300 weitere AktivistInnen zusammen. Es gab Beiträge mehrerer Gewerkschaftsvorsitzender: Bob Crow von der Transportarbeiter- und Eisenbahnergewerkschaft RMT, Steve Gillan von der Gewerkschaft der Justizangestellten, POA, Ronnie Draper von der Gewerkschaft der BäckerInnen und Beschäftigen in der Lebensmittelbranche, BFAWU, sowie Ian Lawrence von der Gewerkschaft der BewährungshelferInnen, NAPO. Außerdem sprachen eine Reihe von AktivistInnen, die verschiedenen weiteren Gewerkschaften angehören bzw. an diversen sozialen Initiativen beteiligt sind.
Die Aufgabe, für die NSSN-Aktiven, angesichts der permanenten Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie der sich entwickelnden sozialen Kämpfe besteht darin, die Wut in Widerstand zu verwandeln.
Janice Godrich beendete ihre Rede mit folgendem Satz: „Wenn wir der Regierung klar machen wollen, worum es uns geht, dann brauchen wir Aktionen, in einem Ausmaß, das es so noch nicht gegeben hat“.
Fortgesetzte Austerität
Bob Crow fragte die TeilnehmerInnen der Kundgebung: „Ist es im letzten Jahr etwa besser geworden? Diejenigen, die entlassen worden sind, müssen jetzt 1.500 Pfund fürs Arbeitsgericht bezahlen, um wieder auf Stellensuche gehen zu können“.
Alle RednerInnen listeten nacheinander auf, welche Zumutungen den ArbeiterInnen und ihren Wohnvierteln von den edlen Herren und Damen der „Con-Dem“-Regierungskoalition („to condemn“ = dt.: „verachten“; Ein Wortspiel, mit dem die Haltung gegenüber der konservativ/liberal-demokratischen Regierungskoalition zum Ausdruck gebracht wird; Anm. d. Übers.) angetan werden, während ihre reichen Freunde nur noch profitieren. „Wenn der Mindestlohn an den britischen Börsenindex gekoppelt wäre, dann läge er heute bei 19 Pfund pro Stunde“, rief die Moderatorin der Kundgebung, Linda Taaffe von der „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales).
Wie einige andere RednerInnen auch, stellte Helen Pattison von der Kampagne „Youth Fight for Jobs“ die toxische Wirkung der „zero hour contracts“ (prekäre Beschäftigung; Anm. d. Übers.) heraus, unter der 5,5 Millionen ArbeiterInnen zu leiden haben. „Alle, mit denen ich gesprochen habe, hatten die Schnauze voll von ihrem Chef. In diesen Beschäftigungsverhältnissen wissen die KollegInnen nicht, ob sie in der nächsten Woche noch genug Geld verdienen werden, um die Miete zahlen zu können“.
Teresa McKay von der Gewerkschaft „Unite“ (öffentlicher Dienst) und der TUC-Untergliederung Ipswich, hob hervor: „Die Kinderarmut hat im 21. Jahrhundert ein Ausmaß angenommen, dass in einem der reichsten Länder der Welt eins von drei britischen Kindern in Armut lebt und viele unter Hunger leiden. Acht von zehn Kindern, die in Armut leben, haben einen Elternteil, der Arbeit hat. Das zeigt, wie dringend nötig es ist, einen angemessenen Mindestlohn festzulegen. Mehr als überall sonst in Europa sind in Großbritannien vor allem Mütter von Armut bedroht“.
Es wird uns nichts bringen, auf die sozialdemokratische „Labour“-Partei zu setzen
Die Vorstandsmitglieder des TUC, die im vergangenen Jahr gegen die Forderung vieler Delegierter beim letztjährigen TUC-Kongress nach einem 24-stündigen Generalstreik eingetreten sind, haben stattdessen darauf hingewiesen, dass eine Regierung unter „Labour“ möglich ist, die einen Ausweg bieten würde. Doch wer kann es sich angesichts dieser Kürzungen leisten, darauf zu warten? Und was wird sich ändern, wenn „Labour“ selbst erklärt, dass man die Austerität fortsetzen wird?
Bob Crow betonte, wie nötig es ist, Stellung zu beziehen gegen die rechtsgerichtete Anti-EU-Demagogie der UKIP (national-konservative neue Partei in Großbritannien; Erg. d. Übers.) und der regierenden „Tories“. Dies müsse damit einhergehen, dass man gleichzeitig eindeutig Stellung bezieht gegen die EU der Arbeitgeber. Crow rief dazu auf, das Wahlbündnis „No2EU – Yes to Workers’ Rights“ (dt.: „Nein zur EU – Ja zu Arbeitnehmerrechten“) zu unterstützen, das bei den Europawahlen kandidiert.
Einige RednerInnen, darunter auch Ronnie Draper, betonten, wie nötig eine neue Arbeiterpartei ist. Andere sprachen von der Notwendigkeit, in dieser Richtung zu arbeiten und dabei eine sozialistische Alternative aufzubauen. Dies könne am besten erreicht werden, indem man sich der „Trade Unionist and Socialist Coalition“ (TUSC; dt.: „Gewerkschaftliches und sozialistisches Wahlbündnis“) anschließe.
Zunehmende soziale Kämpfe
Martin Powell-Davies vom Bundesvorstand der Lehrergewerkschaft NUT, der auch Mitglied der „Socialist Party“ ist, brachte die Wut der ArbeiterInnen zum Ausdruck, die keine Wahl haben außer Widerstand zu leisten. Er beschrieb, wie die Mitglieder seiner Gewerkschaft sich zu organisieren beginnen, um zurückzuschlagen: „Wir haben jetzt Termine festgelegt, um Aktionen durchzuführen“. „Am 27. Juni hat ein energisch geführter Arbeitskampf in der Region North West dazu geführt, dass die Mehrzahl der Schulen dicht machen musste. Am 1. und 17. Oktober wird es zu weiteren Streikmaßnahmen kommen und noch vor Ende dieses Schuljahres soll es zu einem landesweiten Streik kommen. […] Die Frage, die der TUC zu beantworten hat, lautet: Sind die Angriffe, denen die LehrerInnen ausgesetzt sind, nicht dieselben, unter denen alle Beschäftigten zu leiden haben? Wir sind alle von denselben Kürzungen betroffen. Deswegen müssen wir auch alle gemeinsam auf die Straße gehen!“.
Len Hockey, Vertreter der Gewerkschaft „Unison“ im „Whipps Cross“-Krankenhaus, berichtete von den aktuellen Aktionen in Bezug auf eins der wichtigsten Konfliktfelder, das britische Gesundheitssystem NHS.
Als Privatperson sagte er bei der Kundgebung: „Der Sprecher unserer Gewerkschaftsgliederung ist ins Visier der Geschäftsleitung des Krankenhauses geraten. Die Geschäftsführung für den medizinischen Dienst hat bekannt gegeben, dass „grundlegende Maßnahmen“ nötig seien. Der Unternehmensberater „Price Waterhouse Cooper“ ist eingeschaltet worden, obwohl dieser Verein überhaupt keine Erfahrung mit dem NHS hat. […] Unsere Gewerkschaftsmitglieder haben den Zusammenhang zwischen diesen drei Punkten hergestellt. Wir haben die Initiative ergriffen und zu unserer öffentlichen Versammlung kamen mehr als 100 Leute. Für den 16. und 21. September sind zwei Demonstrationen geplant“.
In der vergangenen Woche haben die Justizangestellten Aktionen durchgeführt. Dabei ging es um die Schließung von Einrichtungen und Überbelegungen. Steve Gillan, Generalsekretär der POA sagte: „Seit 1994 ist es uns untersagt, arbeitsrechtlich legale Maßnahmen zu ergreifen. […] Bei uns gilt das Dogma: Wenn unsere Mitglieder Aktionen durchführen wollen, dann unterstützen wir das. Es hat mich stolz gemacht, Seit´ an Seit´ neben mutigen KollegInnen stehen zu können, die sich vor den Justizvollzugsanstalten zu inoffiziellen Aktionen zusammengefunden haben. […] Sie (die Gefängnisleitungen) konnten das nicht verhindern und haben auch keine Verfahren gegen uns eingeleitet“.
Die BewährungshelferInnen stehen kurz davor, zum ersten Mal überhaupt landesweite Streiks durchzuführen. Der Generalsekretär der NAPO, Ian Lawrence, erklärte: „Der Con-Dem-Minister Grayling will die effektiven Angebote dem Ausverkauf preisgeben. Das wird das Leben von tausenden Menschen umkrempeln. Er meint, dass unsere Branche nun so weit ist, endlich privatisiert werden zu können und Profit abzuwerfen. Wir kommen immer mehr zu dem Punkt, an dem wir sagen: Es ist Zeit für Streikmaßnahmen. Das schaffen wir nicht allein, aber zusammen mit den Mitgliedern der POA, der PCS und von >Unison<, die auch in unserer Branche beschäftigt sind, ist das möglich“.
George Osborne hat behauptet, Kürzungen im öffentlichen Dienst würden dazu führen, dass es in der Privatwirtschaft zu mehr Wachstum kommt. Dieses Ammenmärchen nahm Ronnie Draper komplett auseinander: „Wenn wir nicht gekämpft haben, haben wir auch nichts erreichen können. Uns ist noch nie etwas einfach so gegeben worden. […] Die Beschäftigten der Großbäckerei >Hovis< in der Industriestadt Wigan waren eine Woche lang im Streik. Sie haben ihre Arbeitsplätze gegen die Einführung von >zero hour contracts< verteidigt. Sie haben einen Sieg davongetragen, 24 KollegInnen wurden Vollzeitverträge angeboten. Jetzt geht der Kampf weiter, um den Einsatz von VertragsarbeiterInnen zu verhindern, die über >zero hour contracts< eingestellt werden sollen“.
Erfolge sind machbar
Nicht nur die KollegInnen bei „Hovis“ konnten Erfolge verbuchen. Die PCS konnte auf juristischem Wege einen wichtigen Kampf für sich entscheiden. Dabei ging es um neue Attacken auf gewerkschaftliches Engagement.
Dazu noch einmal Janice Godrich: „Damit legt der Oberste Gerichtshof nun den SteuerzahlerInnen die Rechnung in Höhe von 90.000 Pfund dafür vor, dass Eric Pickles, der Minister für kommunlae Angelegenheiten, nicht rechtmäßig gehandelt hat. Er hat einseitig das „check off“-System abgeschafft, mit dem die Gewerkschaftsbeiträge von den Einkommen abgezogen wurden“.
Dave Smith von der Basisgruppe „Blacklist Support Group“ (gegen das Führen „schwarzer Listen“ durch Unternehmensleitungen; Anm. d. Übers.) berichtete vom jüngsten Erfolg dieser Initiative. So musste das „Unite“-Mitglied Frank Morris vom Bahnunternehmen „Crossrail“ in London wiedereingestellt werden. „Sie haben Frank und die Gewerkschaft mundtot gemacht, aber ich bin nicht mundtot. […] Frank Morris kann dank des NSSN und allen, die uns unterstützt haben, morgen wieder zur Arbeit gehen. Das ist ein historischer Sieg für die Gewerkschaften“.
Candy, die Mitlied von „Unite“ ist und sich vor kurzem in einem Programm zur Organisierung von Streiks engagiert hat, sprach bei der Kundgebung, die draußen vor dem TUC-Kongress stattfand. Sie drosch auf ihren Arbeitgeber bei „One Housing“ ein: „Die Profite steigen ins Unendliche. 2011 lagen sie bei vier Millionen Pfund, in diesem Jahr sind sie für diese Londoner Wohnungsbaugesellschaft auf 35 Millionen angestiegen. Gleichzeitig mussten die Beschäftigten, die an der Front ihre Arbeit tun, Lohnkürzungen in Höhe von 8.000 Pfund hinnehmen“.
Die Einführung des neuen Sozialleistungskatalogs mit der Bezeichnung „Universal Credit“ bedeutet, dass nicht nur bei den Erwerbslosen Sozialleistungen gestrichen werden. Auch 40 Prozent des Personals in den entsprechenden Behörden, von denen die meisten niedrige Einkommen haben, weil ihre Arbeitgeber – darunter auch die Regierung – zu denen gehören, die schlechte Löhne zahlen, sind betroffen.
Legt das Datum fest!
In jedem Redebeitrag wurde die Forderung an den TUC formuliert, die Führung zu übernehmen und entschlossen zu handeln. In ihrer Einleitungsrede zur Kundgebung sagte Linda Taaffe: „Ein 24-stündiger koordinierter Streik ist die deutlichste Aussage, mit der die Regierung unter Druck gesetzt werden kann. Auf Labour zu warten, ist keine gute Idee. Das NSSN fordert den TUC und die Gewerkschaften auf, eine mächtige Kraft aufzubauen, die Ministerpräsident Cameron zum Rückzug zwingen kann. Die Beschlüsse vom vergangenen Jahr müssen jetzt in der Praxis umgesetzt werden, damit wir jede Gewerkschaft hören können: Wir erklären uns mit den LehrerInnen solidarisch!“
Bob Crow erhielt stehende Ovationen für seinen Aufruf, der da lautete: „Um nach dem Treffen hier damit beginnen zu können, einen Generalstreik zu organisieren, müssen wir einen Termin festlegen, rausgehen und zur Tat schreiten!“.
Alle möglichen Kräfte stehen in den Startlöchern: Die PCS setzt ihre landesweiten Aktionen fort, die LehrerInnen planen Streiks, die Gewerkschaft der Feuerwehrleute, FBU, hat mit 78 Prozent für landesweite Streikmaßnahmen gestimmt, und die Mitglieder der Telekommunikationsgewerkschaft CWU bei der Royal Mail (Post) haben sich gegen die Privatisierung ausgesprochen.
Dave Smith berichtete, dass der TUC einen Aktionstag gegen das Führen „schwarzer Listen“ befürworten würde. „Warum ziehen wir nicht Aktionen für Millionen von ArbeiterInnen durch, anstatt nur Aktionen im Sinne von einigen tausend Beschäftigten durchzuführen?“. Helen Pattison von „Youth Fight for Jobs“ sagte: „Wenn der TUC einen Streik ausruft und zeigt, wer in diesem Land bereit ist zu kämpfen, dann wäre den ArbeiterInnen klar, wo sie sich anschließen müssen“.
Die BFAWU hat nicht auf die Entscheidung des TUC warten wollen und die eigene Mitgliedschaft befragt. „70 Prozent der Antworten, die uns erreicht haben, sprachen sich für einen Generalstreik aus“, so das Ergbenis.
Alec McFadden von der Arbeiter-Kammer erklärte, wie die KollegInnen dort im Juni einen Dringlichkeitsantrag beschlossen haben. Der Kernsatz lautete: „Eine Kundgebung vor dem TUC-Kongress 2013 durchführen, um die Entscheidung von 2012aufrecht zu erhalten“.
Am Ende der Veranstaltung im Kongressgebäude und vor Beginn der Kundgebung draußen, um die in Bournemouth ankommenden Delegierten des TUC-Kongresses in Empfang zu nehmen, kritisierte Rob Williams vom NSSN die Inaktivität des TUC: „Eine Woche, so wird behauptet, ist in der Politik eine lange Zeit. Wir haben 52 Wochen gewartet, damit der TUC endlich handelt. Wie ist es möglich, dass der Beschluss vom letzten Jahr in der Schublade verschwunden ist, obwohl die Kürzungen drastischer sind als je zuvor?“. Rob brandmarkte die Ungerechtigkeit, die mit den Massenentlassungen im öffentlichen Dienst einhergehen, das Einfrieren von Löhnen, die „Betten-Steuer“, die Tätigkeit von Kredithaien und ein implodierendes NHS, wofür allzu häufig die Begleichung der Schulden der Aasgeier von PFIs (Private Finanzierungsinitiativen) verantwortlich ist.
Und weiter: „Das NSSN unterstützt den „Marsch zur Verteidigung des NHS“ am 29. September. Aber diese Demonstration wird nicht ausreichen. Die Niederlage von Cameron in puncto Syrien zeigt, dass die da oben nicht allmächtig sind. Sie können zurückgewiesen werden, wenn die dafür nötigen Schritte auch wirklich unternommen werden. Wenn alle ArbeiterInnen am selben Tag gemeinsam die Arbeit niederlegen, dann hätte das eine Wirkung. Darum muss es diese Woche beim TUC-Kongress gehen“.
Dieses Signal muss von den NSSN-Aktiven aufgegriffen und im ganzen Land in alle Gewerkschaftsgliederungen getragen werden. Es müssen NSSN-Versammlungen vorbereitet werden, um Solidarität für die LehrerInnen zu organisieren sowie für alle anderen, die konkrete Aktionen durchführen.
Von unten organisiert, mit zunehmendem Druck auf die Führungsriege des TUC und im Bündnis mit all den Gewerkschaften, die aktiv handeln, kann die Grundlage geschaffen werden für einen historischen Schritt in den kommenden Monaten.