Dieser Artikel erschien zuerst am 4. September in englischer Sprache auf socialistworld.net
Seamus Whelan, examinierter Krankenpfleger, Gewerkschaftsaktivist und Mitglied der „Socialist Alternative“ kandidiert bei den Stadtratswahlen in Boston, USA. Dabei leistet sein Wahlkampf auch einen Beitrag zum Aufbau der von den städtischen Beschäftigten organisierten sozialen Kämpfe.
von der „Socialist Alternative“ (US-amerikanische UnterstützerInnen des „Committee for a Workers´ International“ / „Komitee für eine Arbeiterinternationale“, dessen Sektion in Deutschland die SAV ist)
Erst vor kurzem organisierten sich Beschäftigte im Niedriglohnsektor in Boston und führten Aktionen durch, die landesweit die Schlagzeilen bestimmten und in sieben Städten wurden die Fast-Food-Geschäfte lahmgelegt. Bei der Wahlkampfkampagne von Seamus Whelan stehen der Kampf für einen Stundenlohn von 15 US-Dollar und eine Gewerkschaft im Mittelpunkt, die diese Forderung nach einer Verdopplung des Mindestlohns zu ihrem zentralen Anliegen macht. Tausende Flugblätter wurden verteilt und Tausende von Hausbesuchen gemacht, womit in der ganzen Stadt Diskussionen über die Dominanz der Konzerne und die Notwendigkeit, einen erfolgreiche Gegenschlag zu organisieren, in Gang gebracht wurden.
Am Tag, nach dem George Zimmerman im Falle des rassistisch motivierten Mordes an dem Jugendlichen Trayvon Martin für nicht schuldig erklärt wurde, machten wir Hunderte von Hausbesuchen im multi-kulturellen Viertel rund um den Egleston Square, um für eine Kundgebung zu werben, die am selben Abend stattfinden sollte. Dadurch wurden die Leute angespornt und waren überzeugt, dass sich einer der KandidatInnen für den Stadtrat dieses Themas wirklich annahm.
Die „Massachusetts Nurses Association“ (MNA), eine gewerkschaftliche Vereinigung des Krankenhauspersonals, bei der auch Seamus Mitglied ist, begann eine Kampagne für eine rechtlich abgesicherte Mindestbesetzung in Boston, um die Gesundheitsversorgung zu gewährleisten und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Seamus arbeitet aktiv dabei mit, in seinem Krankenhaus den Kampf gegen Kürzungen und Entlassungen zu führen und unser Wahlkampf hilft den KollegInnen dabei, diesen Kampf publik zu machen.
Viele AktivistInnen sagen, dass parlamentarische Arbeit bloß eine Ablenkung ist und dass die Super-Reichen sich den parlamentarischen Prozess nur zurechtgebastelt haben. Sie argumentieren, dass wirkliche Veränderung durch Protest errungen werden kann, durch direkt Aktionen und Streiks aber nicht durch Wahlen. Es ist wahr, dass die „Demokraten“ die sozialen Bewegungen vereinnahmt und die daraus entstandene Dynamik kanalisiert haben, damit am Ende wieder die von den Konzerninteressen geleiteten PolitikerInnen gewählt werden. Wenn man aber mit unabhängigen KandidatInnen aus der Arbeiterklasse antritt, dann kann das ein wertvoller Bestandteil einer Strategie im Kampf gegen die Dominanz der Großkonzerne sein.
Solche KandidatInnen und Wahlkämpfe können ein Licht auf die sozialen Kämpfe werfen, die Aufmerksamkeit der Medien auf den sozialen Widerstand lenken und so die politische Debatte in der Gesellschaft beeinflussen. WahlkämpferInnen, die von Tür zu Tür gehen, werden oftmals ernster genommen als andere.
Leider betrachten die meisten Menschen die Politik in diesem Land als reine Wahlveranstaltung. Zwar können die aktuellen sozialen Bewegungen daran etwas ändern, wir müssen aber auch die Realität anerkennen und deshalb die parlamentarische Ebene, die durchaus auch sinnvoll zu bearbeiten sein kann, nicht vollkommen außer Acht lassen. Wir können Wahlen dazu benutzen, um die sozialen Auseinandersetzungen mehr ins Blickfeld des öffentlichen Interesses zu bringen und in der Praxis zeigen, dass das Zwei-Parteien-System durchaus herausgefordert werden kann. Wir können Forderungen aufstellen, mit denen soziale Kämpfe vorangebracht und die arbeitenden Menschen vereint werden. Das gilt zum Beispiel für die Forderung nach einem Stundenlohn von mindestens 15 Dollar. Unsere Forderungen werden klar machen, welche Grenzen der Kapitalismus aufweist, und dabei können wir gleichzeitig eine sozialistische Alternative zum bestehenden System selbst aufzeigen.
Jetzt geht es darum, sich zu organisieren, um geeignete und unabhängige, linke KandidatInnen aufzustellen. In diesem Prozess kann in der Arbeiterbewegung und unter Bürgerinitiativen über die Notwendigkeit eine Debatte angeheizt werden, dass wir mit den „Demokraten“ brechen müssen. Einhergehend mit einer Stärkung der sozialen Kämpfe und dem andauernden Verrat der Konzern-hörigen PolitikerInnen kann damit die Grundlage für eine neue Massenpartei der ArbeiterInnen gelegt werden. Eine korrekte Partei der Arbeiterklasse in diesem Land stünde für einen massiven Wandel in der politischen Landschaft. Sie würde den Bewegungen neuen Auftrieb verleihen und wäre in der Lage, die derzeitige zügellose Kontrolle der Politik durch die Konzerne aufzuheben.