„Wir hatten morgens vier Stunden Zeit, unsere Computer herunterzufahren, unsere Sachen zu packen und den Arbeitsplatz zu räumen. Am Tag vorher war uns gesagt worden, wie wir vorzugehen hätten, wenn es keine Einigung beider Seiten gäbe. Danach gab es ein kurzes Meeting im Konferenzraum, wo wir aufgefordert wurden, die Medien zu verfolgen, und bei einem entsprechenden Senatsbeschluss wieder an den Arbeitsplatz zurückzukehren.“
So hat Jack Reed aus Minneapolis, der als Biologe im Staatsdienst tätig ist, den ersten Tag der Haushaltssperre in den USA erlebt.
Letzten Dienstag musste die Obama-Regierung den „governmental shutdown“ erklären, da sich Demokraten und Republikaner auf keinen Haushalt für das begonnene Haushaltsjahr 2013/2014 einigen konnten. Seither sind viele Bereichen des bundesweiten öffentlichen Dienstes, Ämter, öffentliche Einrichtungen, Museen und Nationalparks entweder zum Teil oder komplett dicht, viele Bearbeitungsvorgänge ruhen zur Zeit, was Empfänger staatlicher Leistungen besonders in Bedrängnis bringt. Bereits wenige Tage haben für viele Einrichtungen enorme Auswirkungen, zum Beispiel sind die staatlich geförderten Initiativen, Einrichtungen und Reservate für native americans nun akut in ihrer Existenz bedroht. 800 000 Staatsbedienstete in den unbezahlten Zwangsurlaub geschickt, aber mittlerweile sind auch immer mehr KollegInnen aus Bereichen der Privatwirtschaft betroffen, die von Leistungen, Informationen oder Entscheidungen der staatlichen Behörden abhängig sind.
Jack hat allerdings, trotz Lohnausfall, nicht einmal frei.
„Ich wurde zur essential person erklärt, also einer der Menschen, die von der Regierung bestimmt werden, um trotz Haushaltssperre den Laden am Laufen halten. Jeden Tag habe ich für ein paar Stunden in den Betrieb zu kommen und sicherzustellen, dass die Geräte funktionieren, in den Gewächshäusern und Laboren alles in Ordnung ist usw. Sollte das nicht der Fall sein, hätte ich einen Elektriker anzurufen, allerdings sollte ich bitte sicher sein, dass auch ein Notfall vorliegt. Schließlich habe die Regierung ja eigentlich kein Geld, um den Handwerker zu bezahlen.
Welche Folgen hat der shutdown für die KollegInnen an deinem Arbeitsplatz?
Ich arbeite im Bereich der biologischen Forschung, speziell im Bereich parasitären Pilzbefalls bei Nutzpflanzen. Wir liefern Informationen an Bauern, an öffentliche und private Institutionen. An unserer Arbeit hängen auch eine Reihe anderer Forschungen, selbst im Ausland, und damit weitere KollegInnen, die ab nächster Woche womöglich ebenfalls ohne Arbeit und Lohn dastehen, länger kann das hier eigentlich nicht gut gehen.
Die KollegInnen in meinem Bereich unterstützen überwiegend die Demokraten. Jeder, mit dem ich gesprochen habe, hat so etwas Ähnliches gesagt wie: „Ich wünschte, die beiden Parteien würden in einen Raum eingeschlossen, bis sie das Problem geklärt haben, damit ich wieder zur Arbeit gehen kann.“
Die Wissenschaftler bei uns, die zum Teil $100.000 im Jahr verdienen, können den Verdienstausfall evtl. noch verkraften, aber für die Mehrheit meiner KollegInnen ist es eine Katastrophe. Nicht nur der Staat ist überschuldet, sondern auch die meisten Privatleute. In den letzten Jahren haben so viele ihre Pensionsgelder verloren, stecken bis zum Hals in Hypothekenschulden, haben noch zehntausende Dollar Kreditschulden aus ihrem Studium zu begleichen und so weiter. Meine Sekretärin meinte, ab nächster Woche müsse sie womöglich ein weiteres Darlehen aufnehmen, um ihre Wohnung abbezahlen zu können.
Ich selbst verliere am Tag an die $150, bin aber eigentlich berechtigt, zumindest für meine paar Stunden Arbeit hier später noch entlohnt zu werden, wenn die Haushaltssperre aufgehoben ist. Meine KollegInnen im Zwangsurlaub haben nicht einmal gefragt, ob sie eigentlich finanzielle Entschädigung für den Lohnverlust bekommen. Bei der Haushaltssperre Mitte der 90er gab es zumindest eine Teilerstattung, aber ich befürchte, diesmal werden sie keinen Cent sehen. Wenn das noch länger so weitergeht, werden die Leute sich nach einem neuen Job umsehen, aber es gibt ja keine, außer vielleicht Billigjobs im Fastfood- Bereich, und davon kann auch keiner leben. Im Gegensatz zu den Abgeordneten beider Parteien, denen Traumgehälter weiter überwiesen werden!
Es ist wirklich verrückt: Abgesehen davon, dass der shutdown allein schon durch fehlende Einnahmen Geld kostet, aus dem Tourismus zum Beispiel, und insofern der Spareffekt fragwürdig ist, gibt die Regierung durchaus noch weiterhin Geld aus, zum Beispiel für Rüstung und Militär. Staatlich verordnete Zwangsräumungen finden weiterhin statt, selbst Infrastrukturprogramme im Ausland, wo private Bauunternehmen involviert sind, sind noch nicht ausgesetzt. Es ist also weiterhin Geld für Waffen ist noch da, um Menschen zu töten, aber Institutionen wie das National Health Care Center, was wichtige Krebsforschung betreibt, ist lahm gelegt.
Und wer weiß, wie lange.
Bis vor ein paar Wochen konnte ich mir noch gar nicht vorstellen, dass eine Situation wie diese jetzt überhaupt möglich ist, selbst bürgerliche Kommentatoren in den Medien hielten einen shutdown für ausgeschlossen. Und für den 17. Oktober steht die nächste entscheidende Abstimmung an, über die Erhöhung der Schuldengrenze, um eine Staatspleite zu vermeiden. Hier hat Boehner, der Sprecher der Republikaner, ein Einlenken signalisiert, aber diese Hardliner sind so verbissen darin, jeden Ansatz eines öffentlichen Gesundheitswesens zu verhindern, und haben mittlerweile einen so großen Einfluss, dass er wohl Probleme in seiner Partei bekommen wird.
Auf Druck der rechten Tea Party Fraktion hatten die Republikaner ja das Aussetzen der Gesundheitsreform zur Bedingung einer Zustimmung zum Budget gemacht. Wie stehen denn die Massen der US-AmerikanerInnen zu „Obamacare“?
Die meisten betrachten dieses Programm in gewisser Weise als einen Schritt nach vorne. Früher war man ab dem Alter von 21 Jahren nicht mehr über die Eltern versichert, jetzt ist das bis 26 Jahre möglich, was etwas den Druck nimmt. Aber für viele bedeutet es einfach, nun viel Geld, was sie nicht haben, für Krankenversicherung ausgeben zu müssen und keine Wahl mehr zu haben.
Dennoch haben die Großkonzerne Angst, dass Obama damit einem womöglich komplett steuerfinanzierten öffentlichen Gesundheitssystem Tür und Tor öffnet, dass die Leute nach mehr verlangen. Bisher hatte der Druck der Wirtschaftsbosse eine Diskussion über eine staatliche Basisversorgung im kanadischen Stil verhindert. Aber ich denke, auch aus Sicht der Wirtschaftsbosse sind die Abgeordneten von der Tea Party zu weit gegangen, sie hätten einen normalen parlamentarischen Weg, Obamacare zu torpedieren, wohl bevorzugt.
Ich denke, mit weniger Bürokratie, massiver Senkung überflüssiger Ausgaben wie z.B. die Rüstungsausgaben und sehr viel höheren Steuern für die Reichen wäre eine gute öffentliche Gesundheitsversorgung, auch mit staatlichen Krankenhäusern, möglich. Würden die Menschen hier besser verdienen und müssten weniger arbeiten, hätten sie auch Geld für gesündere Ernährung und mehr Zeit für Sport, und viele gesundheitliche Probleme würden direkt vermieden.
Gibt es schon irgendwelchen Widerstand von unten gegen die Auswirkungen des shutdowns?
Bisher sehr wenig, nur einige kleinere Demonstrationen wie die vor dem Weißen Haus. Bei uns wurde so etwas gar nicht diskutiert, aber es gibt auch keinen hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad und die bestehenden Gewerkschaften sind schwach. Dabei bietet die Haushaltssperre ja auch Gelegenheiten, mit Beschäftigten zu diskutieren und sie davon zu überzeugen, dass wir unabhängige Gewerkschaften und Organisationen aufbauen müssen, um uns gegen solche Zustände zu wehren. Schließlich haben die Menschen hier aufgrund ihrer wirtschaftlichen und sozialen Lage, Zwangsräumungen sind ja nur ein Stichwort, sowieso eine große Wut auf die Obama-Regierung und die Politiker der beiden großen Parteien. Nicht nur die Republikaner sind schuld an dem Haushaltsdesaster, sondern auch die Demokraten, die dem ja nicht wirklich etwas entgegen setzen, weil sie es nicht wollen. Denn sie betreiben auch keine Politik, die der Masse der Beschäftigten, Jugendlichen und RentnerInnen hier etwas bringt, sondern handeln genauso im Auftrag von Big Business.
Jetzt ist es doch an der Zeit, für den Aufbau einer dritte Kraft von links zu werben, deswegen engagiere ich mich in der zusätzlichen freie Zeit, die ich jetzt habe, noch mehr für die „Ty Moore for City Council“- Kampagne. Mit Ty wollen wir, unterstützt von der Green Party, der Gewerkschaft SEIU und zahlreichen AktivistInnen aus dem Viertel einen Sozialisten in den Stadtrat von Minneapolis bringen. Wir wollen damit zeigen, dass Bewegungen wie „Occupy Homes“ oder die Fast-Food- Beschäftigten, einfach diejenigen, die sich wehren wollen oder es bereits tun, eine Stimme haben können. Nicht nur hier, im ganzen Land müssen die „99%“dem Politestblishment und den Bossen den Kampf ansagen und diesem Wahnsinn ein Ende bereiten.