Von falschen Freunden und Revolutionsträumen
Auf den ersten Blick sind die Forderungen der Linken hierzulande in Bezug auf Syrien klar: Keine westlichen Militärschläge, Solidarität mit den Flüchtlingen. Doch in der Linken insgesamt und der Partei DIE LINKE läuft eine kontroverse Debatte. Die Haltung eines Teils der Linken läuft faktisch auf eine Akzeptanz des Assad-Regimes hinaus. Andere unterstützen noch immer die inzwischen von rechten islamistischen Kräften dominierte syrische Opposition. Die Parteiführung der LINKEN vertritt eine pazifistische Position. Die beiden ersten Positionen sind problematisch, die pazifistische Haltung greift zu kurz.
von Claus Ludwig, Köln
Die Linksjugend[‘solid] Basisgruppe Duisburg hatte Ende Oktober eine Veranstaltung angekündigt, zu der auch ein Vertreter der in Syrien regierenden Baath-Partei eingeladen war. Nicht etwa als kontroverser Diskussionspartner zu einem syrischen Oppositionellen, sondern als Ergänzung zu zwei anderen Rednern, die auch eher auf Seiten des Assad-Regimes stehen.
In der auf Facebook geposteten Einladung heißt es: „Der syrische Aufstand ist eine getarnte, gut geplante und von außen gesteuerte Militäroperation des Westens … Die Rebellen verüben Terroranschläge, morden, plündern. Sie versuchen diese Taten der syrischen Regierung anzuhängen.“
Derartige offene Propaganda für das Assad-Regime ist eine Ausnahme auf der Linken. Aber eine ganze Reihe von Stellungnahmen aus den Reihen der Linken im Allgemeinen und der Partei DIE LINKE im Besonderen geht in die Richtung, zu den Verbrechen des Assad-Regimes zu schweigen und diejenigen der Opposition stark zu betonen.
Angesichts der Propaganda in den westlichen Medien, das Assad-Regime als allein verantwortlich für die über 100.000 Toten des Bürgerkriegs und eine mögliche westliche Militärintervention als humanitäre Maßnahme darzustellen, ist eine gewisse Überbetonung in die andere Richtung gewiss nachvollziehbar. Die wichtigsten Aufgaben von Linken in Europa und den USA sind das Auftreten gegen die Propaganda der eigenen Regierung, das Aufspüren möglicher Kriegslügen und die Bloßstellung der Heuchelei des Westens.
Aber es ist eine andere Sache, ganz zu schweigen oder mit der Bezugnahme auf das „Völkerrecht“ zu erklären, dass es allein Sache der syrischen Regierung sei, was im Land geschehe. Die US-Regierung hat tatsächlich kein Recht, über Assad zu richten, aber ArbeiterInnen und Jugendliche weltweit haben das Recht und die Pflicht, die Repression und der Terror gegen die syrische Bevölkerung zu kritisieren und eine tatsächlich demokratische und linke Opposition zu unterstützen.
Werner Pirker, Redakteur der Tageszeitung Junge Welt, argumentiert differenzierter als die Duisburger solid-Gruppe und vertritt nicht die These, der Aufstand wäre von Beginn an eine Verschwörung gewesen. Aber auch er streitet für die Legitimität des Assad-Regimes. In einem Kommentar zur Debatte um eine „Versöhnungskonferenz“ im Januar 2013 lehnt er die Forderung syrischer Oppositioneller ab, Baschar-al-Assad solle zurücktreten.
Der Diktator mit den blutigen Händen soll im Amt bleiben dürfen wie ein Kommunalpolitiker, der wegen eines umstrittenen Bauvorhabens kritisiert wird aber dessen Amtszeit noch nicht abgelaufen ist? Deutlicher kann man nicht zeigen, dass man am Ende des Tages das Regime verteidigt.
In einem Flugblatt der LINKEN Bochum, veröffentlicht auf der Website der Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen, heißt es:
„Die katastrophale Lage in Syrien hat ihre Ursache nicht in der ‘Untätigkeit’ des Westens, sondern ganz im Gegenteil. Die NATO-Staaten haben immer wieder bewaffnete Aufstands- und Sezessionsbewegungen unterstützt, um einen völkerrechtswidrigen ‘Regime Change’ durchzusetzen.“
Es ist nicht falsch, dem Westen die Einmischung vorzuwerfen. Aber hier wird das Wühlen der NATO vermischt mit dem Aufstand in Syrien. Dadurch wird diesem jegliche Legitimität abgesprochen. Ein „regime change“ durch imperialistische Regierungen, die nur eigene Interessen verfolgen, ist tatsächlich abzulehnen. Aber durch die Vermischung mit den Auseinandersetzungen innerhalb Syriens wird impliziert, als ob ein Sturz des Assad-Regimes durch eine Bewegung von innen oder durch einen Bürgerkrieg Ähnlichkeit mit einem imperialistischen „regime change“ Marke Irak 2003 hätte.
Wäre das der Fall, so die logische Konsequenz, dürften die Massen niemals gegen ein Regime aufbegehren, welches sich in geostrategischer Konfrontation mit den USA und ihren Verbündeten befindet, weil dies den Interessen der USA, ein gegnerisches durch ein willfähriges Regime zu ersetzen, in die Hände spielen könnte.
Damit würden die sozialen Kämpfe den Bündniskonstellationen von Staaten untergeordnet werden, die allesamt einen reaktionären Charakter haben – ob sie sich im Syrien-Konflikt im Lager der USA befinden wie die Türkei und die Golfstaaten oder auf Seiten Assads wie der Iran oder Russland.
Mehrere Autoren der Junge Welt, sagen das ganz offen. In der Ausgabe vom 18.10.2013, wendet sich Toto Lyna, vormals in Syrien lebend, heute Mitglied der SDAJ, dagegen, dass sich als links oder kommunistisch verstehende Gruppen in Syrien Teil der Opposition sind:
„Unter den heutigen Umständen ist es die wichtigste Aufgabe für syrische Kommunisten, alle antiimperialistischen Kräfte zur Einheit zu führen und den Imperialismus in seiner Angriffslust zu stoppen.“
Im Klartext: Kommunisten sollen mit dem Regime gegen die vom Westen unterstützte Opposition kämpfen und den Kampf gegen das Regime erst in unbestimmter Zukunft aufnehmen, wenn die „Angriffslust“ des Imperialismus gestoppt wurde.
Nach dieser Logik dürften auch die Massen im Iran nichts tun, was das Mullah-Regime gefährdet, weil dies ein Gegengewicht gegen die Vormachtstellung des Westens in der Region bildet und dessen Sturz zu einer Veränderung der Kräfteverhältnisse zu Gunsten des Imperialismus führen könnte.
Wir wissen nicht, ob die Bochumer LINKE-GenossInnen, die das oben zitierte Flugblatt verfasst haben, die Absicht hatten, sich so zu positionieren. Aber solche Formulierungen sind kein Zufall. Sie finden sich in vielen Aufrufen und Veröffentlichungen zum Thema und sind Ausdruck eines Herangehens an internationale Fragen aus der Perspektive real existierender Machtblöcke und nicht aus der Perspektive der Unterdrückten und Ausgebeuteten.
Den GenossInnen, die solche Positionen vertreten, ist zu Gute zu halten, dass sie sich gegen die Interessen der eigenen herrschenden Klasse wenden und versuchen, deren Heuchelei zu entlarven. Das ist ein guter Ausgangspunkt für eine Haltung zu Kriegen. Aber es ist nicht ausreichend.
Negiert man die Position der eigenen herrschenden Klasse und lässt sich auf ein „Lagerdenken“ nach dem Motto „Der Feind meines Feindes muss mein Freund sein“ (oder zumindest jemand, gegen den ich erst einmal nichts habe) ein, ohne sich auf die Klassenkämpfe der Unterdrückten zu beziehen, landet man in der Konsequenz lediglich dabei, die Position einer anderen, konkurrierenden herrschenden Klasse einzunehmen.
Die VertreterInnen dieses „Lagerdenkens“ verweisen zu Recht darauf, wie der Westen manipuliert und versucht, seinen Einfluss im Nahen Osten zu erweitern. Einige von ihnen scheinen aber die Einmischung Russlands, das versucht, seine Marinebasis und einen Verbündeten zu halten, für nicht problematisch zu halten, und begrüßen die diplomatischen Initiativen Putins, die auf eine Rettung Assads hinaus laufen.
Sie verweisen zu Recht auf die sektiererischen Gräueltaten der Nusra-Front und die Übergriffe auf Alawiten und Christen. Viele schweigen jedoch zum Eingreifen der libanesischen Schiiten-Miliz Hisbollah auf Seiten der Assad-Armee, welche die religiöse Spaltung weiter vertiefen dürfte.
Das Regime von Assad ist kein „Bollwerk“ gegen den Imperialismus im Nahen Osten, geschweige denn ein „sozialistisches“. Das Regime hat immer wieder mit dem Westen zusammengearbeitet, z.B. bei der Unterdrückung der libanesischen Linken 1976 und im Golfkrieg 1991. Noch immer sind die staatsbürokratischen Elemente in Syrien stark, aber das Land ist kapitalistisch, die reiche Clique der Assads hat den Kapitalisten viel Raum gelassen. Eine Koalition von Militärs, Staatsbürokraten und regimetreuen Kapitalisten eignet sich den großen Teil des Vermögens des Landes an.
Revolutionäre Träume
Die von der Duisburger Linksjugend [`solid] vertretene Idee, der syrische Aufstand wäre ein Komplott westlicher Geheimdienste oder rechter islamistischer Sekten, ist bizarr. An den Massendemonstrationen im Frühjahr und Sommer 2011 nahmen Millionen teil, allein in Hama demonstrierten mehrfach über Hunderttausend Menschen. Kein Geheimdienst kann solche Massen in Bewegung setzen, das geht nur, wenn die Massen selbst ihr Leben für unerträglich halten und bereit sind, die bedrückenden Verhältnisse zu beenden.
Die syrische Revolte von 2011 hat die gleichen Wurzeln wie die Aufstände in Ägypten und Tunesien. Sie war eine spontane Reaktion weiter Teile der syrischen Bevölkerung auf repressive Maßnahmen des Regimes, genährt durch lange Jahre der Unzufriedenheit über Korruption, staatliche Gewalt und eine sich verschlechternde ökonomische Lage, ermutigt durch die erst einmal erfolgreichen Revolten des „Arabischen Frühlings“.
Das Assad-Regime antwortete auf Demonstrationen mit polizeilicher und militärischer Gewalt. Die Demonstrationen schlugen rasch in einen Aufstand um. Oppositionelle Kräfte bewaffneten sich, um den Truppen des Regimes entgegen treten zu können. Soweit waren Revolte und auch der bewaffnete Widerstand gegen Assad ursprünglich legitim und seitens der Linken kritisch zu unterstützen.
In dieser Analyse des Beginns des syrischen Dramas dürften wir uns mit anderen sozialistischen Organisationen wie marx21, der internationale sozialistische linke – isl oder der Gruppe Arbeitermacht – GAM weitgehend einig sein.
Seitdem hat sich jedoch Einiges getan. Anders als Tunesien und Ägypten fehlten in Syrien starke klassenbasierte Strukturen der Arbeiterbewegung, welche die Unterschiede zwischen den Regionen, Nationalitäten und Religionen hätten überbrücken können. Das war kein Wunder, angesichts von Jahrzehnten schärfster Repression, durch die jede Form von Selbstorganisation der Bevölkerung direkt niedergeschlagen wurde.
Daher entwickelte sich die syrische Revolte – ähnlich wie Libyen – schnell zu einem Konflikt entlang ethnischer und religiöser Linien. Das Assad-Regime hat die Spaltung entlang dieser Linien voran getrieben. Die Armee und die alawitischen Shabiha-Milizen haben v.a. sunnitische Viertel und Dörfer angegriffen. Die Oppositionellen haben darauf reagiert, indem sie die Spaltung ihrerseits vertieft und sich fast ausschließlich auf den sunnitischen Bevölkerungsteil gestützt haben.
marx21 beschreibt die Entwicklung in Syrien von Aufstand zum von reaktionären Kräften dominierten Bürgerkrieg durchaus zutreffend, landet aber trotzdem bei der Einschätzung:
„Dennoch bleibt der grundlegende Charakter der syrischen Revolte erhalten: Sie ist ein legitimer Aufstand gegen ein repressives und unsoziales Regime, der unsere Solidarität verdient.“
Die GAM zitiert eine Stellungnahme ihrer internationalen Dachorganisation: „Zwar hat sich die syrische Revolution in einen blutigen Bürgerkrieg mit entsetzlichen Gräueln entwickelt, getränkt mit dem Gift religiösen und ethnischen Streits.“ So weit, so richtig. Allerdings ist der Text aus dem September 2013 überschrieben mit der Losung „Sieg der syrischen Revolution!“ – einer Revolution, die, soweit geht ja die Erkenntnis dieser Gruppe, längst vergiftet ist. Wer soll also siegen in dieser „Revolution“?
Diese Gruppen vertreten auch heute noch eine Position, die auf eine kritische Unterstützung der syrischen Opposition hinaus läuft. Das klingt aus sozialistischer Sicht sympathisch, denn immerhin wird so nicht das Recht der syrischen Bevölkerung negiert, sich gegen ein repressives Regime aufzulehnen. Allerdings basiert diese Positionierung auf einer Verkennung der realen Entwicklungen des zweieinhalbjährigen syrischen Bürgerkrieges.
2011, im ersten Jahr des Bürgerkrieges, liefen viele Offiziere und Soldaten der Assad-Armee zur Opposition über, weil sie von einem schnellen Ende des Regimes ausgingen. Sie formierten die Freie Syrische Armee – FSA als bewaffneten Arm der Opposition. Auch viele ArbeiterInnen und Jugendliche schlossen sich der FSA an. Doch die politische Führung der FSA blieb in den Händen bürgerlicher Kräfte.
Die dominanten Teile der syrischen Oppositionellen konnten und wollten kein soziales Programm zur religionsübergreifenden Mobilisierung der Massen entwickeln. Sie wollten von Beginn an das Regime durch eine andere prokapitalistische Regierung ersetzen.
Aus ihrer Sicht waren sie gezwungen, die religiöse Konfrontation voran zu treiben, um eine Basis innerhalb der sunnitischen Gemeinden aufzubauen. Eine gemeinsame soziale Basis der Opposition gab es nicht und konnte es nicht geben. Im zweiten Bürgerkriegsjahr kam es zu einem Patt. Das Regime hatte sich in den alawitischen und christlichen Regionen stabilisiert, die soziale Dynamik der ursprünglichen spontanen Revolte war durch Kämpfe der überwiegend ethnisch-religiös definierten bewaffneten Einheiten weitgehend zum Erliegen gekommen.
In 2012 griffen verstärkt rechte islamistische Kräfte in den Bürgerkrieg ein und veränderten dessen Charakter. Saudi-Arabien, die Golfstaaten und die Türkei rüsteten islamistische Milizen in Syrien aus, schickten Waffen und Berater. El Kaida schickte Kämpfer aus dem Irak und anderen Ländern nach Syrien.
Die Kräfteverhältnisse in der Opposition veränderten sich weiter. Linke Kräfte und ursprüngliche Selbstorganisation wurden an den Rand gedrängt. Die FSA entwickelte sich in Richtung einer sektiererisch-sunnitischen Organisation und verlor zudem politisch und militärisch an Boden gegenüber den Kräften des rechten politischen Islam.
El-Kaida-nahe Milizen wie die Jabhat-a-Nusra oder der Islamische Staat in Irak und Syrien – ISIS führten Massaker an Alawiten, Christen und Kurden durch. Viele christliche Dörfer sahen keine andere Möglichkeit sich zu schützen als beim Assad-Regime um Hilfe zu ersuchen.
Die Agenda dieser Kräfte ist zutiefst reaktionär. Eine Machtergreifung der Jabhat-a-Nusra und ähnlicher Gruppierungen wäre ein Alptraum für die Frauen und religiöse und nationale Minderheiten in Syrien. Angesichts dieser Bedrohung ist es nicht verwunderlich, dass Teile der Bevölkerung das Assad-Regime als kleineres Übel ansehen, weil es trotz seines repressiven Charakters ein Mindestmaß an zivilisatorischen Standards zu versprechen scheint.
marx21 und isl halten entgegen, dass es immer noch Strukturen der Selbstorganisation in Syrien gäbe, befreite Gebiete, in denen weder Islamisten noch Assad das Sagen hätten, sondern die Bevölkerung ihr eigener Herr wäre. Die Lokalen Koordinierungskomitees, die sich am Beginn des Aufstandes gebildet hätten, würden nicht überall von bürgerlichen oder gar rechten islamistischen Kräften dominiert, sondern würden auch fortschrittliche Ansätze vertreten.
Die isl berichtet auf ihrer Website von Widerstand gegen die Dominanz-Versuche rechter Islamisten. Sowohl im umkämpften Aleppo als auch in der einzigen von der Opposition kontrollierten Provinzhauptstadt Raqqa sei es mehrfach zu Demonstrationen gegen die Islamisten gekommen. Gerade in Raqqa wäre die Selbstorganisation sehr stark, es gäbe freie Wahlen, Pressefreiheit und die mehrheitliche Überzeugung, weder Assad noch eine religiöse Diktatur zu akzeptieren.
Die Berichte sind glaubwürdig. Ohne Frage ist die Situation in Syrien kompliziert und voller Widersprüche. Ohne selbst im Land gewesen zu sein, fällt es schwer, die Verhältnisse im Detail zu durchschauen. Die Kräfteverhältnisse dürften in unterschiedlichen Städten und Regionen sehr verschieden sein.
Ansätze von Selbstorganisation und demokratischem Widerstand der Massen in Syrien sind unterstützenswert. Allerdings reicht die Existenz dieser Ansätze nicht, um eine allgemeine Losung wie „für den Sieg der syrischen Revolution“ oder „für die Unterstützung der Opposition“ zu vertreten.
Die bestimmenden Kräfte der politischen und militärischen Opposition in Syrien sind inzwischen pro-kapitalistisch bis rechts-islamistisch. Sie stellen keine Alternative zum Assad-Regime dar, sondern stehen für eine Vertiefung des religiösen und ethnischen Bürgerkrieges. Die Drohungen mit der westlichen Intervention und die vorübergehende Übereinkunft der USA und Russlands, die Chemiewaffen-Frage einvernehmlich zu lösen, dürften diese Spaltungslinien eher vertiefen und die diversen reaktionären Kräfte weiter stärken.
Sich die Kräfteverhältnisse innerhalb der syrischen Opposition als offen vorzustellen und davon zu träumen, wenn nur die richtigen Kräfte mit Geld und Waffen ausgestattet würden, würde diese aufhören, reaktionär zu sein, grenzt an Selbstbetrug.
Die Massaker rechter sunnitischer Milizen an Christen, Alawiten und Kurden haben die syrische Revolte beschmutzt. Ohne eine bewusste und klare Neupositionierung der linken Kräfte in der Opposition, ohne ein bewusste Strategie zur Verteidigung aller Gemeinden gegen sektiererische Angriffe, ohne einen klaren Aufruf, sowohl Assad als auch FSA, Islamisten und westliche Angriffe abzulehnen, wird es nicht gelingen, Christen und Alawiten zu erreichen und die Basis des Regimes zu schwächen.
marx21 und isl haben sich gegen eine imperialistische Militärintervention positioniert und wir lehnen eine Denunziation dieser Gruppen als heimliche Helfer des Imperialismus durch die Vertreter des „Lagerdenkens“ ab. Diese Beschimpfung hat es in einer ganzen Reihe von Online-Debatten gegen.
Aber tatsächlich ist die Haltung einiger dieser Gruppen zur militärischen Lage in Syrien problematisch.
Mitglieder der isl haben nach dem C-Waffen-Massaker bei Damaskus eine Stellungnahme der französischen Nouveau Partie Anticapitaliste – NPA (Neue Antikapitalistische Partei) verbreitet, in der ohne jedes Zögern das Assad-Regime für den Chemie-Angriff verantwortlich gemacht und damit die Position der USA übernommen wird. Es ist diesem Regime durchaus zuzutrauen und die Idee, Assad könne es gar nicht gewesen sein, weil die Imperialisten nie die Wahrheit sagen würden, ist eher kindisch. Aber es gibt anders herum auch keinen Grund, den Beschuldigungen der USA Glauben zu schenken, dass es nur das Regime gewesen sein könne.
Die offizielle Stellungnahme der isl formuliert vorsichtiger, versucht sich deutlich von der US-Propaganda abzusetzen. Doch sie fordert Waffen für die „demokratische Opposition“:
„Die Linke hat die Pflicht, die demokratische Opposition in Syrien politisch und materiell zu unterstützen, auch ihr Recht, sich zu bewaffnen. Wenn die Revolution scheitert, wird das Feld der fundamentalistischen Reaktion oder dem mörderischen Assad-Regime überlassen.“
Manuel Kellner, führendes Mitglied der isl, schreibt auf seiner Facebook-Seite am 27.8.2013:
„Die FSA fordert seit langem die Ausstattung mit Flugabwehrraketen und weitreichender Artillerie, um sich und die Zivilbevölkerung schützen zu können. Sie hat diese Waffen nicht bekommen; stattdessen sind islamistische Milizen durch Saudi-Arabien und andere gut ausgerüstet worden.“
Also gehört die FSA zur „demokratischen Opposition“ – trotz ihrer Forderung nach einem westlichen Eingreifen und ihrer zeitweisen Zusammenarbeit mit den rechten islamistischen Milizen? Hätte man ihr bloß die nötigen Waffen geliefert, hätten die Islamisten nicht auftrumpfen können?
Doch wer hätte diese Waffen liefern können? Die Partei DIE LINKE oder andere linke Gruppen verfügen nicht über Waffen, sondern bürgerliche Staaten. Hätte die kurdische PKK der FSA Waffen liefern sollen, obwohl diese der kurdischen Bewegung immer wieder unterstellt, gar nicht wirklich gegen Assad zu sein und die Angriffe der Jabhat-a-Nusra auf kurdische Siedlungen befürwortet hat?
Am Ende bleiben nur die westlichen Staaten als potenzielle Waffenlieferanten für die FSA übrig. Tatsächlich haben sie geliefert. Die FSA hat US-Waffen und wahrscheinlich auch die Hilfe britischer und französischer „Berater“ bekommen. Das hinderte die Türkei und Saudi-Arabien allerdings nicht daran, die rechten Islamisten ebenso zu bewaffnen.
Waffenlieferungen an die real existierende Opposition in Syrien sind nicht im Interesse der ArbeiterInnen und der Armen. Diese Waffen landen nicht oder nur zu einem minimalen Anteil bei versprengten linken Gruppen oder möglicherweise noch vorhandenen Revolutionskomitees, die für die Verteidigung der BürgerInnen aller Religionen und Ethnien eintreten. Sie landen bei den dominierenden Kräften, nicht zuletzt bei Jabhat-a-Nusra und ISIS. Diese Waffen werden bestenfalls die Agonie der Bevölkerung zwischen den Fronten eines festgefahrenen Bürgerkrieges verlängern und schlimmstenfalls zum Sieg rechter sunnitischer Kräfte im Bürgerkrieg mit allen Folgen für die syrische Bevölkerung führen.
Der Bürgerkrieg in Syrien ist inzwischen auch zu einem Stellvertreter-Krieg anderer regionaler Mächte geworden. Saudi-Arabien und Qatar sehen die Möglichkeit, durch den Sturz Assads die Hisbollah und den Iran, den großen Konkurrenten als Regionalmacht, entscheidend zu schwächen und treiben die Mobilisierung des sektiererischen Sunnitentums in der ganzen Region voran. Damit soll auch ein Gegengewicht gegen die starke Stellung der Schiiten im Irak geschaffen werden.
Allein der reiche Golfstaat Qatar, der auf einem Drittel der weltweiten Gasreserven sitzt, hat mehr als 3 Milliarden Dollar ausgegeben, um die Rebellen zu unterstützen. Jedem Deserteur der syrischen Armee wurden 50.000 Dollar angeboten.
Russland will seinen letzten Stützpunkt im Mittelmeer halten und braucht die Achse Beirut-Damaskus-Teheran als Gegengewicht gegen die mit den Golf-Monarchien verbündete westliche Dominanz in der Region.
Die Massen in Syrien sind aktuell nicht mehr handelnde Kräfte, sie sind vor allem Opfer dieses regionalen Krieges. Keine Seite konnte bisher einen entscheidenden Sieg landen, auch wenn sich das Regime seit der erfolgreichen Rückeroberung von Al-Kusair im Sommer 2013 wieder im Vormarsch befindet. Ein in die Länge gezogener Konflikt – der libanesische Bürgerkrieg dauerte 15 Jahre – ist möglich.
Die Linke in Deutschland und international sollte weder das Assad-Regime noch die Opposition unterstützen. In solch einer verfahrenen Situation kommen SozialistInnen nicht herum, eine notwendigerweise allgemein gehaltene Position einzunehmen und für grundlegende Forderungen wie die Einheit der arbeitenden Menschen und ein Programm der sozialen Revolution zum Sturz des Regimes und gegen die „Opposition“ einzutreten.
Grenzen des Pazifismus
Die führenden Gremien der Partei DIE LINKE nehmen auf den ersten Blick eine korrekte und nachvollziehbare Position ein. Die Partei tritt gegen westliche militärische Einmischung ein, gegen Waffenlieferungen in die Region, kritisiert die Rolle deutscher Konzerne bei der Giftgrasproduktion und fordert eine friedliche Lösung.
Sie vermeiden die beiden Fallen, in die die Vertreter der „Lagerdenkens“ oder die allzu eifrigen „Revolutionäre“, welche den Niedergang der Revolution nicht wahr haben wollen, getappt sind.
DIE LINKE ist glaubwürdig, weil sie nicht zur Gewalt des Assad-Regimes und der Opposition schweigt. Sie hat die Frage der Chemiewaffen differenziert aufgegriffen, hat die eiligen Erklärungen der US-Regierung bezüglich vorhandener Beweise zurück gewiesen, aber auch nicht ausgeschlossen, dass das Regime für den C-Waffen-Einsatz verantwortlich ist.
Insofern bietet die offizielle Position der LINKEN einen guten Ausgangspunkt, um in Deutschland gegen den Syrien-Krieg und das westliche Eingreifen einzutreten.
Der stellvertretende Parteivorsitzende Jan van Aken erklärte am 27. Juni 2012: „Die bewaffneten Rebellen und die Truppen der Assad-Regierung repräsentieren die Mehrheit der syrischen Bevölkerung nicht. Die Mehrheit der syrischen Bevölkerung will ein Ende der Gewalt und ein Leben in Frieden und Freiheit. DIE LINKE unterstützt deshalb die friedlichen Proteste für einen gesellschaftlichen, demokratischen Wandel.“
Allerdings beantwortet diese pazifistische Position nicht wirklich die Frage, wie der Krieg beendet und eine Lösung im Interesse der syrischen Massen durchgesetzt werden kann. Außer man sieht die Aufforderung „Hört einfach auf zu schießen“ als reale Option, um einen Krieg zu beenden.
Kriege enden im Allgemeinen, wenn sich eine der beiden Seiten durchsetzt und die andere Seite keine Chance mehr sieht, dagegen zu halten. Oder wenn beide Seiten sich in einem Patt erschöpfen und ihre menschlichen, ökonomischen und sozialen Ressourcen erschöpft sind. Was auf dem Schlachtfeld nicht erreicht wurde, kann durch Verhandlungen nicht nachvollzogen werden.
Stellvertreterkriege dieser Art können zudem beendet werden, wenn die Mächte, für die der Krieg stellvertretend ausgefochten wird, zu dem Schluss gelangen, dass der Krieg ihnen mehr schadet als nützt.
Letztendlich basieren alle Appelle an die UNO, man möge echte Friedensgespräche einleiten und sich endlich einigen auf der Hoffnung, dass genau dies geschehen möge. Das Problem ist allerdings, dass unter diesen Mächten keine Einigkeit besteht. Die USA scheinen den Konflikt am Liebsten beenden zu wollen, sind aber nicht bereit, Russland und Assad Garantien zu geben. Russland würde ihn nur beenden, wenn sich kein dem Westen höriges Regime etablieren würde. Saudi-Arabien, Qatar und die Türkei zeigen keine Anzeichen, dass sie die Kämpfe beendet sehen wollen.
Natürlich ist eine Einigung der Großmächte möglich. Das Zurückfahren der Eskalation nach der Chemiewaffen-Krise im August ist ein Hinweis, dass die USA und Russland sich einigen könnten, den Bürgerkrieg nicht weiter anzuheizen. Das führt jedoch nicht zu dessen Ende, sondern erst einmal zu einer Fortexistenz der grausigen Gleichgewichts der kämpfenden Lager.
Es ist später auch nicht ausgeschlossen, dass die USA und Russland versuchen, den Krieg auszutrocknen und eine Verhandlungslösung durchzusetzen. Genauso wenig ist übrigens eine erneute Eskalation ausgeschlossen.
Ein drohendes Auseinanderbrechen des Landes, eine Fragmentierung in einen alawitischen Küstenstrich, ein faktisch unabhängiges Syrisch-Kurdistan und eine von sunnitisch-islamistischen Warlords kontrollierte Hauptregion könnte die USA und Russland zu einem gemeinsamen Handeln veranlassen.
Im Mitgliedermagazin der LINKEN, Disput, (Ausgabe September 2013) wird die Position, USA und Russland mögen sich einigen, auf den Punkt gebracht:
„Der Ausgang dieses Ringens um Lösungen hat über Syrien hinaus Bedeutung: Bleiben die Vereinten Nationen Beiwerk der internationalen Politik, deren Bedeutung durch die völkerrechtswidrigen Kriege der jüngsten Zeit (besonders Irak) arg ramponiert wurde, oder gibt es die Chance, die UN wieder zu einem wirklich relevanten Akteur für die Weltpolitik zu machen?“
Würden sich USA und Russland im Rahmen der UN einigen und somit diese Organisation zu einem „relevanten Akteur für die Weltpolitik“ machen, wäre den Menschen in Syrien noch nicht geholfen, denn eine Verhandlungslösung der Großmächte würde nicht in ihrem Interesse sein. USA und Russland haben bewiesen, dass sie bereit sind, Gangster und Killer an die Macht zu bringen, wenn es ihren Interessen nützt.
Im Falle Syriens wäre ein Kompromiss vorstellbar, bei dem die korrupten Strukturen des Assad-Regimes, wohl ohne Assad selbst, erhalten bleiben und weitere reaktionären Gruppen wie die FSA und Teile der rechten Islamisten an der Macht beteiligt werden.
Prokapitalistische Kräfte würden sich beeilen, die Wirtschaft für westliche Konzerne zu öffnen und verbliebene Staatsbetriebe zu privatisieren. Unter dem Ruf „weg mit den Privilegien der Staatsbeamten“ würden Teile der Beschäftigten im öffentlichen Sektor entlassen und auch in die Armut gedrückt.
Nach einem solch blutigen Bürgerkrieg wäre für die Menschen in Syrien auch dieser neue Schlamassel erst einmal eine große Erleichterung, wenn nur das Morden aufhören würde. Mittelfristig würden die Konflikte jedoch erneut aufbrechen. Eine grundlegende Verbesserung der sozialen Lage würde es nicht geben. Die verschiedenen Machtcliquen, die – siehe Libyen – ihre Waffen wohl kaum abgeben würden, würden weiterhin versuchen, das Land unter Kontrolle zu bringen. Statt eines offenen Kriegs mit Fronten könnte sich eine Situation wie im Irak entwickeln, wo der ethnisch-religiöse Bürgerkrieg latent und der Terror Alltag geworden ist.
Das pazifistische Agieren der LINKEN reicht aus, um die Position zu formulieren, das es nicht noch schlimmer werden darf – eine gute Grundlage, um in Europa auf die Straße zu gehen und sich gegen die eigene Regierung zu positionieren. Aber es reicht nicht, um eine internationalistische Lösung zu skizzieren.
Einheit der Arbeiterklasse
Ohne eine politische Alternative zum Assad-Regime und zur rechten Opposition wird es keine Lösung in Syrien geben. Die Alternative müsste auf den sozialen Interessen der Masse der Bevölkerung, der armen und arbeitenden Menschen aller Religionen und Nationalitäten basieren und sich daher gegen die verschiedenen kapitalistischen Cliquen und Fraktionen wenden.
Das Regime kann nicht durch Wahlen oder friedliche Proteste gestürzt werden. Das Problem war nicht, dass sich die Aufständischen nach der ersten Welle der militärischen Unterdrückung durch das Regime bewaffneten. Das war unverzichtbar. Das Problem war, dass der bewaffnete Kampf nicht auf sozialen Forderungen basiert und nicht demokratisch kontrolliert wurde. Die Milizen entwickelten sich unabhängig von der Protestbewegung, gerieten unter die Führung bürgerlich-reaktionärer und islamistischer Kräfte und stützen sich auf den sunnitischen Teil der Bevölkerung.
Dadurch hatte die Opposition Assads „Einladung“ angenommen und führte einen Territorialkrieg auf der Grundlage von ethnischen und religiösen Differenzen. Die gemeinsamen sozialen Interessen der Bevölkerungsmehrheit waren in diesem Konflikt nicht mehr erkennbar, der Spielraum für soziale Bewegungen und Selbstorganisation extrem schmal. Die Massen waren nicht mehr handelndes Subjekt, sondern überwiegend Opfer der kämpfenden Parteien.
SozialistInnen in Syrien und international müssen diese Frontstellung ablehnen. Im Land müssten nicht-sektiererische Selbstverteidigungskomitees entstehen, welche sich verpflichten, alle Communities gegen religiös und nationalistisch motivierte Angriffe aller Seiten zu verteidigen. Diese Komitees müssten soweit wie in der Bürgerkriegssituation möglich, demokratischer Kontrolle der örtlichen Bevölkerung unterworfen werden.
Aus der Position der Selbstverteidigung heraus wären in der Folge auch Offensivaktionen möglich, um die Truppen des Regimes oder rechte islamistischen Milizen zurückzuschlagen.
Diese Komitees und die ArbeiterInnen brauchen zudem ein politisches Programm, welches dazu dienen kann, die Einheit auf Klassengrundlage zu erreichen. Sie sollten die Rechte von Minderheiten und der Frauen verteidigen und für freie Wahlen, von unten kontrolliert, zu einer revolutionären verfassungsgebenden Versammlung eintreten, ebenso für die Vergesellschaftung der Reichtümer des Landes unter demokratischer Kontrolle der Bevölkerung.
Diese Perspektive ist in einer Situation, in der die normale Bevölkerung von beiden Seiten beschossen wird, erst einmal abstrakt. Aber es gibt keine Abkürzung zu Frieden und Demokratie. Assad wird nicht milde werden, wenn die Opposition aufgibt. Die Führung der Opposition wird keine demokratischen Verhältnisse herstellen, sollte das Regime fallen. Die Großmächte werden keine Lösung zulassen, bei der das syrische Volk wirklich selbst entscheidet.
Ohne den Aufbau einer wahrhaft revolutionären Bewegung der ArbeiterInnen und der Armen, bewaffnet mit einem sozialistischen Programm und vielen Gewehren und Kanonen, gibt es für lange Zeit keinen Ausweg aus der syrischen Katastrophe.
Die Ansätze waren am Beginn des Aufstandes vorhanden. Reste mag es in einigen Regionen noch geben. Sicher gibt es weitergehende Ansätze für eine Lösung im Interesse der arbeitenden Menschen im kurdischen Teil Syriens.
Rojava – Syrisch-Kurdistan
Die Lage in den kurdischen Gebieten, von den KurdInnen selbst Rojava genannt, unterscheidet sich vom Rest Syriens. Dort ist die Bevölkerung homogener zusammengesetzt, es gibt keinen Flickenteppich aus alawitischen, christlichen und sunnitischen Gemeinden wie in großen Teilen des Landes.
Schon vor dem Aufstand gegen Assad existierte dort eine organisierte Opposition mit festen Wurzeln in der Bevölkerung. Die PYD ist der syrische Ableger der in der Türkei und im Nordirak starken Kurdischen Arbeiterpartei PKK.
Die PKK hat in den letzten Jahren keinen konsequent sozialistischen Kurs gefahren, aber sie unterscheidet sich von allen anderen größeren Parteien der Region. Sie hat sich von den Klüngeln der Herrschenden fern gehalten und sich auf die Organisierung der Menschen von unten gestützt. Ihr Nationalismus ist ein echter Befreiungsnationalismus, sie tritt für mehr Rechte für die KurdInnen ein, ohne sich aggressiv gegen Angehörige anderer Völker und Religionen zu gebärden.
Die PKK und die PYD stützen sich vor allem auf die Frauen, die zu den ärmsten und am stärksten unterdrückten Teilen der Bevölkerung in der Region gehören.
Auf dieser Grundlage hat sich in Rojava eine Selbstverwaltung herausgebildet, die sich klar gegen das Assad-Regime positioniert und sich als Teil der Opposition im Land versteht ohne sich den dominanten reaktionären Strömungen der Opposition zu unterwerfen.
Die relativ starken kurdischen Selbstverteidigungseinheiten sind ihrem Namen treu. Sie greifen keine nicht-kurdischen Dörfer an, setzen nicht auf Landnahme und militärische Vormarsch, sondern verteidigen die eigenen Communities.
Daher sind diese auch das Angriffsziel von Nusra-Einheiten geworden. Den rechten Islamisten ist die kurdische Selbstorganisation ein Dorn im Auge, weil sie einen Gegenentwurf zur religiösen Spaltung und zum Bürgerkrieg darstellt.
Auf diese Angriffe haben die kurdischen Organisationen mit der Feststellung reagiert, dass sie alle BürgerInnen Syriens, ungeachtet ethnischer oder religiöser Herkunft, gegen sektiererische Angriffe verteidigen würden, es wurden gemeinsame Einheiten aus KurdInnen und AraberInnen gebildet und gemeinsame Proteste in Aleppo durchgeführt.
Dies ist eine natürlich nur eine Momentaufnahme. Der syrische Bürgerkrieg, dessen regionale Ausdehnung, Operationen der türkischen Armee und des Geheimdienstes usw. können auch die Region Rojava tiefer in das blutige Wirrwarr hineinziehen.
Aber in der jetzigen Situation bildet die Lage dort den besten Anknüpfungspunkt für eine Alternative sowohl zu Assad als auch zur rechten islamistischen Opposition.
Für eine echte Debatte
Wir haben in diesem Artikel nicht mit scharfer Kritik an verschiedenen Positionen innerhalb der Linken gespart. Wir lehnen es allerdings ab, die Debatte über die komplizierte Lage in Syrien in denunziatorischem Ton zu führen. Wir wollen eine solidarische Debatte innerhalb der Linken, die einen Beitrag dazu leistet, Positionen zu klären und ggfls. zu überdenken.
Wir halten es für falsch, wenn VertreterInnen des „Lagerdenkens“ denjenigen, die sich positiv auf den ursprünglichen Aufstand beziehen, vorwerfen, sie würden absichtlich oder aus Dummheit das Geschäft des Imperialismus oder rechter islamistischer Terroristen betreiben und sie würden in Wirklichkeit einen westlichen Militärschlag gegen Syrien gutheißen.
Wir lehnen es ebenso ab, wenn diejenigen, die keine Kritik am Assad-Regime formulieren, weil sie meinen, dies würde dem Imperialismus nützen, automatisch für die Verbrechen des Regimes mitverantwortlich gemacht werden.
Diese Aufgeregtheit, dieser Versuch, der anderen Seite das Linkssein abzusprechen, führt in der Syrien-Diskussion nicht zu Erkenntnissen.
Die Situation in Syrien ist verworren und es nicht einfach, zumal ohne bestätigte Informationen aus erster Hand, eine sozialistische Haltung zu entwickeln. Wenn die Waffen und die nationale und religiöse Gegnerschaft dominieren, wenn geschossen und getötet wird und auf beiden Seiten reaktionäre Kräfte führen, dann muss ein Programm zum Aufbau einer sozialen Bewegung notwendigerweise allgemein bleiben.
Aber wir können unser Herangehen konkretisieren, indem wir sagen, dass wir in den kurdischen Gebieten Ansätze für eine Lösung sehen. Hier ist politische Unterstützung angesagt, hier können auch Waffenlieferungen an die Selbstverteidigungskräfte eine positive Rolle spielen.
Trotz aller Differenzen in der Linke hierzulande: Es gibt Gemeinsamkeiten. Gegen die Ausdehnung des Krieges, gegen eine militärische Intervention des Westens. Für mehr Flüchtlingshilfe, gegen die Abschottung Europas. Für mehr Rechte für die Menschen aus Syrien, die es bis nach Deutschland geschafft haben. Das reicht zum gemeinsamen Agieren. Auch die Position, dass weder die jetzige Opposition noch Assad unterstützenswert sind, sollte eine Gemeinsamkeit sein. Alles andere kann diskutiert werden.
Auf die UNO setzen?
In der Partei DIE LINKE werden auch Positionen vertreten, die Hoffnungen in die UNO als kriegsverhindernde Institution setzen. Doch die Vereinten Nationen sind keine Völkergemeinschaft, sondern eine Zusammenkunft der Regierenden der Welt. In ihr versammeln sich Imperialisten, Diktatoren und die VertreterInnen der herrschenden Eliten aller Länder. Auf eine Demokratisierung der UNO oder größeren Einfluss dieser Institution zu setzen, verkennt ihren wahren Charakter. Die Geschichte der UNO zeigt, dass ihre Entschließungen ignoriert werden, wenn sie nicht den Interessen der Großmächte entsprechen – siehe die Reihe von Israel verurteilenden Resolutionen zur Unterdrückung der PalästinenserInnen – oder dass sie einfach umgangen wird, wenn keine gemeinsame Politik der im Sicherheitsrat vertretenen Mächte möglich ist – siehe den Angriff auf Rest-Jugoslawien 1999 oder den Irak-Krieg.
Hoffnungen in die UNO zu setzen, kommt der Hoffnung gleich, dass sich verschiedene Räuberbanden darauf einigen könnten, nicht etwa im eigenen Interesse ihre Streitereien einzustellen, sondern im Interesse der von ihnen Bestohlenen zu handeln. Nicht die Vereinigung der herrschenden Klassen und ihrer Regierungen kann Alternativen zum Krieg durchsetzen, sondern nur der Aufbau einer internationalen Arbeiter- und Antikriegsbewegung.