Hamburg von Massenschulstreik erschüttert
von Corey Snoek und Katharina Doll, Hamburg
Am 12. Dezember wurde Hamburg von einem Massenschulstreik erschüttert. An über dreißig Schulen wurde der eintägige Streik organisiert, ungefähr 5000 Schülerinnen und Schüler blieben der Schule fern und kamen zu einer Demonstration in der Innenstadt. Der Aufruf des Streiks wurde auf englisch übersetzt und vom International Students Movement getwittert. Ein anderer Schulstreik in Wien erklärte sich mit dem Streik solidarisch und sogar in Spanien wurde vom Streik berichtet.
In Hamburg selbst organisierte sich die Flüchtlingsbewegung um die Kampagne “Lampedusa in Hamburg”, einer Gruppe von ungefähr 350 Flüchtlingen, die im Februar aus Italien nach Hamburg kamen. Die italienische Regierung schob sie mit Dokumenten und 500 Euro Taschengeld nach Deutschland ab. Hier wurde ihnen aber jeglicher Zugang zu Unterkünften verwehrt und sie wurden gezwungen auf der Straße zu leben. Obendrein wurde ihnen ab dem ersten Tag durch die SPD-Regierung gedroht, sie abzuschieben und sie waren massiven Repressionen ausgesetzt. Dazu zählte so genanntes “Racial Profiling”, was bedeutete, dass von jeder Person in der Innenstadt mit schwarzer Hautfarbe die Ausweise kontrolliert wurden.
Seit dem hat die Gruppe eine aktive Kampagne für ihr Bleiberecht angeführt, die von Teilen der Gewerkschaften, insbesondere aus ver.di unterstützt wurden, wo ihnen auch erlaubt wurde einzutreten. Obwohl immer noch wöchentliche Proteste stattfinden, begann die Massenunterstützung zu bröckeln, die mit der Großdemonstration am 2. November mit 15.000 TeilnehmerInnen ihren Höhepunkt erreicht hatte.
Deshalb schlug die SAV einen Schulstreik als nächsten Schritt vor, um die Bewegung zu stärken, zu verbreitern und auszuweiten. Mit einem ersten Flugblatt, dass an Schulen der Gegend verteilt wurde, wurde zu einem Treffen eingeladen. Schon beim ersten Treffen waren über siebzig Schülerinnen und Schüler. Eine wachsende Zahl von letztlich über hundert SchülerInnen waren in der Vorbereitung des Streiks involviert.
Mitglieder von drei verschiedenen Gewerkschaftsjugenden unterstützten den Streik aktiv. Die Linksjugend [‘solid], inklusive Mitgliedern der SAV, war ein zentraler Bestandteil der Streikaktion.
Flüchtlinge und die kapitalistische Krise
Der Streik forderte eine faire und humane Behandlung von Flüchtlingen, die nach Deutschland und Europa kommen. Er forderte den Stopp von Abschiebungen, das Recht auf kostenlose Bildung, Ausbildung und das Recht zu arbeiten unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Gleichzeitig verbanden sie auch die Bewegung mit den Fluchtursachen. Deutschland als Hauptexporteuer von Waffen und mit einer stärkeren Rolle in internationalen Konflikten wurde ins Visier genommen.
Die Situation der “Lampedusa in Hamburg”-Flüchtlinge ist typisch für viele, die heutzutage nach Deutschland kommen. Mit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise ist die Wirtschaft in ihren Heimatländern zusammen gebrochen. Die meisten von ihnen kamen ursprünglich aus Ländern, wie Mali, Ghana und der Elfenbeinküste. Als diese Länder in die Krise kamen, suchten sie Zuflucht in Libyen, wo sie für drei Jahre lebten und arbeiteten. Doch als die NATO in Libyen angriff, waren sie wieder gezwungen zu fliehen. Die Flüchtlinge sagen, dass sie gerade dadurch, dass sie in diesem Krieg auf keiner Seite standen, zum Ziel von beiden wurden. Eine ganze Masse von WanderarbeiterInnen wurden gezwungen zu fliehen, als der Krieg in Libyen ausbracht. Für viele bedeutete das die gefährliche Reise über das Mittelmeer.
Nach dem Dublin II Abkommen sind Flüchtlinge gezwungen in dem Land ihrer ersten Ankunft zu bleiben. Theoretisch gibt es Gesetze, die ihnen erlauben sollten, sich in der EU frei zu bewegen. Das ist aber praktisch bedeutungslos aufgrund der gesetzlichen Beschränkungen der deutschen Regierung in Bezug auf das Recht zu arbeiten, Visakontrollen und so weiter. Das bedeutet, dass die Länder, die bereits tief in der Krise sind und denen von der Troika riesige Kürzungen aufgezwungen werden, die Aufgabe bekommen, sich um die Masse der Flüchtlinge zu kümmern, die nach Europa kommen. Doch gerade Länder wie Italien und Griechenland haben keinerlei Hilfssystem. Flüchtlinge sind gewzungen auf der Straße zu schlagen und sind von Hilfsspenden für Essen angewiesen. Den “Lampedusa in Hamburg” Flüchtlingen wurde beispielsweise erlaubt in einem Flüchtlingscamp auf der kleinen Insel Lampedusa zu leben. Als die Regierung das Camp geschlossen hat, wurden sie vor die Wahl gestellt, entweder in Italien auf der Straße zu leben oder nach Deutschland zu kommen.
Vor ähnlichen Situationen stehen zehntausende Flüchtlinge in Europa, während sich die Krise verschärft, von der MigrantInnen und Flüchtlinge meist als erstes betroffen sind. WanderarbeiterInnen und Flüchtlinge in Portugal, Griechenland, Italien und Spanien sind gezwungen, sich zu entscheiden auf der Straße zu leben oder in die “stabileren” Wirtschaftsländer Europas zu fliehen. Dadurch kommt die Flüchtlingsfrage auch wieder stärker nach Deutschland. Sie wird nicht alleine gestellt, sondern geht Hand in Hand mit einem stärkeren Bewusstsein für die sozialen Fragen, die sich durch die kapitalistische Krise und die miserable Situation in Südeuropa verschärft haben.
Verteidigt die Flüchtlinge! Verteidigt GewerkschafterInnen!
Die Massenunterstützung von SchülerInnen und der Hamburger Bevölkerung kam durch das stärkere Aufkommen der Flüchtlingsfrage. Protestcamps von Flüchtlingen wurden in vielen Teilen des Landes aufgebaut. Flüchtlinge führten Hungerstreiks, Besetzungen und Mobilisierungen durch. Aus Protest gegen die Residenzpflicht überquerten sie dabei auch Landesgrenzen. Zusätzlich haben ältere Flüchtlingsinitiativen wie “Die Karavane” und die verschiedenen Protestcamps sich zum Zentrum der Bewegung entwickelt.
Der Aufruf zu einem Schülerstreik brachte einen qualitativ neuen Schritt in die Bewegung ein. Der Schulstreik machte klar, dass nicht nur Wochenenddemonstrationen nötig sind sondern auch stärkere Unterbrechungen des tagtäglichen Lebens, um auf das Thema aufmerksam zu machen. Es geht bei dem Protest nicht nur um die Verteidigung der Rechte der Flüchtlinge sondern auch Fragen, wie der kostenlose Zugang zur Schule für alle und die Lernmittelfreiheit sind nicht nur Forderungen für Flüchtlinge sondern im Interesse von allen. Das gilt auch für Forderungen nach ausreichend Wohnraum, Reisefreiheit und andere soziale Forderungen.
Zusätzlich müssen wir die Verantwortung von Ver.di aufzeigen, ihre Mitglieder zu verteidigen. Es gibt Unterstützung für Flüchtlinge unter GewerkschafterInnen. Durch die gewerkschaftliche Organisierung von “Lampedusa in Hamburg” kann es helfen, Druck auf die Führung zu machen, sie als Gewerkschaftsmitglieder gegen Abschiebungen zu verteidigen und für ihre Forderungen nach Arbeitsrecht und Wohnungen einzutreten. Was wir brauchen, um die Bewegung aufrecht zu erhalten und die SPD dazu zu zwingen, ihnen das Bleiberecht zu gewähren, ist mehr als nur Protest. Eine breitere Streikbewegung zu dem Thema wäre ein massiver Schritt, um die Regierung zu zwingen zu reagieren und das Thema in breitere Schichten zu tragen. So ein Schritt würde auch helfen, eine breitere Flüchtlingsbewegung nicht nur in Hamburg, sondern Deutschland und ganz Europa aufzubauen.
Neben den taktischen Vorschlägen des Schulstreiks gab es auch eine politische Radikalisierung der Bewegung, die sich in verschiedenen Slogans der SchülerInnen ausdrückte. Als die Forderung nach dem Rücktritt des SPD-Innensenators in Hamburg, Michael Neumann, auf einem Treffen der Schülerinitiative diskutiert wurde, war die erste Reaktion vieler SchülerInnen, die Frage aufzuwerfen, ob man nicht auch den Rücktritt des regierenden Bürgermeisters aufwerfen sollte oder die SPD insgesamt angreifen sollte.. Das drückte sich auch bei der Demo am 12. Dezember aus, als es kaum möglich war, andere Sprüche anzubringen, als die SchülerInnen erstmal “Ganz Hamburg hasst die SPD” angestimmt hatten. Zum Schluss der Demonstration streckten fast alle SchülerInnen ihren Mittelfinger zur SPD-Parteizentrale, wo die Demonstration endete. Der Schülerstreik war ein wichtiger Faktor, den Kampf auszuweiten. Die Schulstreikinitiative stellte folgende Forderungen auf:
- Bleiberecht für Alle – Stopp aller Abschiebungen
- Rüstungsexporte, Kriegseinsätze und alle anderen Fluchtursachen stoppen
- Freier Zugang zu Bildung, Ausbildung und Arbeit – unabhängig vom Aufenthaltsstatus
- §23 – Humanitäres Bleiberecht für Lampedusa in Hamburg
- Residenzpflicht abschaffen
- Frontex abschaffen – Stoppt die mörderische Abschottungspolitik Europas
- Für den Rücktritt von Senator Michael Neumann