Anlässlich eines Troika-Besuchs hatten die Gewerkschaften Anfang November zum Generalstreik gegen Massenentlassungen im Öffentlichen Dienst aufgerufen. Seit Beginn der Krise 2010 war es dazu bereits über 30 Mal gekommen. Dieser Ausstand gab ein symbolisches Bild ab: Es regnete so heftig, dass die zentrale Demonstration in Athen vorzeitig abgebrochen werden musste. 15.000 Menschen gingen nach Hause, wieder ohne einen Sieg errungen zu haben.
von Sebastian Rave, Bremen
Die Verarmungspolitik der Troika (Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank und EU-Kommission) hat tiefe Wunden in der griechischen Gesellschaft hinterlassen. Die Wirtschaft ist seit Beginn der Krise um 25 Prozent geschrumpft.
Laut einem Bericht des Roten Kreuzes müssen PatientInnen inzwischen eigene Spritzen mitbringen, weil die Krankenhäuser Schwierigkeiten bei der Finanzierung der Grundausstattung haben. Die Armut wirkt sich auch auf die psychische Gesundheit aus, die Explosion der Selbstmordrate um 40 Prozent ist nur die Spitze des Eisbergs.
Troika zeigt kein Erbarmen
Die Regierung aus Nea Dimokratia und PASOK überstand zwar mit dem Misstrauensvotum im November eine weitere Krise, ist aber angesichts der Destabilisierung gezwungen, ein Ende der Sparpolitik in Aussicht zu stellen. Die Troika sieht hingegen weiteren „Reformbedarf“. Angesichts der Zinsen für die Schulden wird Griechenland noch Jahre am Tropf der Troika hängen. Analysten gehen davon aus, dass der Schuldenstand im Jahr 2020 immer noch bei 120 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen wird – keine fundamentale Veränderung zu den aktuellen 169 Prozent.
Blick nach links
Mit den Generalstreiks und unzähligen Demonstrationen hat die griechische Arbeiterklasse enorm gekämpft. Was fehlt, ist eine Strategie, wie man aus dem Elend herauskommt. Die beiden kleineren linken Parteien, KKE (Kommunistische Partei) und ANTARSYA (antikapitalistisches Bündnis), befinden sich in internen Auseinandersetzungen darüber, wie viel Zusammenarbeit mit anderen linken Kräften möglich ist.
Auf dem letzten Parteitag von SYRIZA (laut Umfragen die zweitstärkste Kraft) wurde der Bündnischarakter über Bord geworfen. Dahinter stecken politische Konflikte einer Partei, der sich sehr konkrete Fragen stellen: Sollen die Schulden gestrichen werden – oder reichen neue Verhandlungen? Ist man bereit, sich mit den Herrschenden in Europa anzulegen? Die jüngsten Aussagen der SYRIZA-Führung unter Alexis Tsipras lassen das leider unwahrscheinlicher als früher erscheinen.
Blick nach rechts
Erschreckend ist der Aufstieg der Faschisten von „Chrysi Avgi“ („Goldene Morgenröte“) von einer Splitterpartei zur laut Umfragen drittstärksten politischen Kraft (15 Prozent). Dabei ist interessant, mit welchen Beweggründen die Menschen sich zur Wahl von „Chrysi Avgi“ entscheiden: 24 Prozent würden die Faschisten wegen ihrer Ideologie wählen, 25 Prozent auf Basis ihrer Positionen und 50 Prozent aus einem Gefühl der Wut heraus. Die Angst davor, dass sich die faschistischen Kettenhunde unkontrolliert losreißen (der Mord an einen linken Rapper ist eine brutale Warnung) und eine ebenso große Angst vor einer antifaschistischen, sich radikalisierenden Massenbewegung, zwangen den Staat zum Vorgehen gegen die „Goldene Morgenröte“.
Das Attentat auf zwei Faschisten erleichterte es den Herrschenden, linke und rechte „Extremisten“ in einen Topf zu werfen. Eigentlich vorhersehbar – die Attentäter waren also entweder sehr dumm, oder, und das ist alles andere als ausgeschlossen, staatliche oder faschistische Provokateure.
Was kann die EU-Ratspräsidentschaft?
Das sind also die Voraussetzungen, unter denen Griechenland den Vorsitz des Rates der Europäischen Union einnimmt. Dieser rotiert alle sechs Monate. Die Aufgaben der Ratspräsidentschaft bestehen in der Vermittlung bei Streitfragen und der Ausrichtung der Ratstreffen. Das Recht, eigene Gesetze auf den Weg zu bringen, hat diese Institution nicht.
Die Impulse für die entscheidenden, strategischen Leitlinien der EU kommen ohnehin aus Berlin und Paris, wo die Repräsentanten der in Europa mächtigsten Kapitalistenklassen sitzen. Diese sehen die EU als ein Projekt, um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA, Japan und China zu erhöhen. Dafür soll unter anderem der „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ verschärft werden, der in Zukunft automatische Sanktionen für eine Haushaltspolitik vorsieht, die dem neoliberalen Dogma von „marktgerechter“ Deregulierung und einem „schlanken Staat“ nicht entspricht.
Von der griechischen Regierung hat die Troika ohnehin nichts zu befürchten. Europaminister Dimitris Kourkoulas stellte gegenüber der „Welt“ klar: „Wir wollen eine europäische, keine griechische Präsidentschaft. Wir wollen ehrlicher Makler sein und für sechs Monate unsere nationalen Interessen vergessen.“ Mehr zu befürchten haben könnte die Troika davon, dass die Ministerratstreffen während des nächsten halben Jahres in Athen stattfinden werden .