Der „Rumänische Herbst“ ist ausgebrochen. Grund dafür ist die enge Verflechtung von Behörden und Konzerninteressen
Am 1. September sind die größten Proteste, die es in Rumänien in den letzten 20 Jahren gegeben hat, aufgrund der Unterstützung der Regierung für ein sehr strittiges Bergbauprojekt im Herzen der Region Transylvanien entbrannt. Zu Tausenden sind die Menschen in mehreren Städten auf die Straße gegangen (vor allem in der Hauptstadt Bukarest und in der zweitgrößten Stadt des Landes, Cluj-Napoca). Über das endgültige Schicksal dieses Projekts wird in den kommenden Wochen im Parlament entschieden.
von Vladimir Bortun, „Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England & Wales)
Rosia Montana ist eine Region mit 16 Dörfern, die im zweiten vorchristlichen Jahrhundert von den Römern gegründet wurden. Hier soll sich das größte Goldfeld Europas befinden. 1999 erhielt die „Rosia Montana Gold Corporation“ (RMGC) ohne vorherige Ausschreibung eine Bergbau-Lizenz. Das Unternehmen gehört zu 80 Prozent dem kanadischen Konzern „Gabriel Resources“. Dieser hat seinen Sitz in Toronto und wurde von dem in Rumänien geborenen, umstrittenen, australischen Geschäftsmann Frank Timis gegründet, der kürzlich zum reichsten in London lebenden Australier gekürt wurde. 19 Prozent hält „RAC Deva“, ein rumänischer Staatsbetrieb.
Das von RMGC vorangetriebene Bergbauprojekt umfasst den mit der Zyanid-Technologie betriebenen Abbau von 300 Tonnen Gold und 1.600 Tonnen Silber in 16 Jahren. Das führt zur Schaffung von rund 3.600 Arbeitsplätzen und nahezu 7,5 Milliarden US-Dollar an Profiten, wobei die Zahlen kontrovers diskutiert werden (viele sprechen von nur rund 600 neuen Arbeitsplätzen). Im Grunde behaupten die BefürworterInnen des Projekts – darunter auch Ortsansässige, hochrangige Politiker und einige etablierte JournalistInnen, von denen nicht wenige sehr freigiebig Werbung machen –, dass es dabei um die beste Chance Rumäniens gehe, sowohl von den Bergwerken in Rosia Montana zu profitieren als auch die Lebensbedingungen der dort lebenden Menschen zu verbessern.
Die Kritiker des Projekts – unter ihnen hunderte AnwohnerInnen, die Rumänische Akademie, das rumänische Kultur-Institut, die drei großen Kirchen in Rumänien (orthodox, römisch-katholisch und griechisch-katholisch), ein Regierungsausschuss in Ungarn, zahlreiche rumänische wie auch internationale NGOs und 83 rumänische HochschulprofessorInnen für Wirtschaftswissenschaften sowie verschiedene ArchäologInnen aus dem Ausland – beklagen die sozialen, ökologischen, erbrechtlichen, wirtschaftlichen und juristischen Folgen. Sie wenden ein, dass das Bergbauprojekt der RMGC zur Umsiedlung von mehr als 2.000 Menschen und der völligen Auslöschung der vier umliegenden Berge, von fünf Kirchen, vier Friedhöfen und 2000 Jahre alten römischen Anlagen führen wird. Ferner würde der Einsatz von 40 Tonnen Zyanid in den nächsten 16 Jahren das dortige Ökosystem schwer schädigen und ,gelinde gesagt, eine Mond-ähnliche Landschaft zurücklassen. Darüber hinaus würde das Zyanid in einem Becken mit 300 Hektar Oberfläche gelagert. Da fragt sich, wie RMGC garantieren kann, dass es nicht zum möglichen Entweichen von Zyanid kommt? Nicht zuletzt stellen die KritikerInnen auch die Frage, was mit denen geschieht, die sich allein schon wegen der einseitig von der RMGC festgelegten Entschädigungssummen weigern, ihre Häuser und Grundstücke zu verlassen? Wird sie der Staat dann zwingen, hauptsächlich zum Nutzen eines Privatunternehmens zu verschwinden? Um auf den Punkt zu kommen: Weshalb sollte nicht der Staat selbst das Gold abbauen und dabei auf klassische Bergbaumethoden zurückgreifen?
Obwohl das Unternehmen in all den Jahren Millionen von Euro für Werbung, Öffentlichkeitsarbeit, Lobbykampagnen und wohl auch für Bestechungsgelder ausgegeben hat, war RMGC aufgrund der Überschreitung rumänischer wie europäischer Umweltbestimmungen nicht in der Lage, mit dem Abbau zu beginnen. Jede Genehmigung, die die RMGC von Seiten der Regierung erhielt, wurde wieder außer Kraft gesetzt; hauptsächlich infolge von durch Umweltgruppen eingeleitete juristische Verfahren. Daher scheiterte das Projekt seit 1999 immer wieder daran, grünes Licht zu bekommen. Das war der Stand bis letzten August, als die sozial-liberale Regierungskoalition, die „Sozial-Liberale Union“ (SLU), das RMGC-Projekt plötzlich bewilligte und es als Thema ins Parlament einbrachte, wo es die nötige Zustimmung bekommen soll. Erwartet wird, dass es von einer erschreckend starken Mehrheit, auf die sich die SLU in beiden Kammern des Parlaments stützen kann, durchgewunken wird. Und all das, obwohl die SLU die Wahlen von 2012 als Teil einer Wahlplattform gewonnen hat, die unter anderem explizit versprochen hat, genau dieses Bergbauprojekt in Rosia Montana aufzugeben!
Der dem Parlament von der Regierung vorgelegte Gesetzentwurf, mit dem das RMGC-Projekt unterstützt wird, beinhaltet einige ziemlich skandalöse Punkte. Zwei davon stechen besonders hervor: Die Umweltgesetze werden den Bedürfnissen und Defiziten des RMGC-Projekts angepasst (statt umgekehrt) und es wird diesem privaten Konzern erlaubt, Menschen zu enteignen, die es ablehnen, ihre Grundstücke zu verlassen. Zusammen mit dem unverhohlenen Bruch der eigenen Wahlversprechen haben diese eklatant verfassungswidrigen Vorschläge der Regierung viele Menschen im Land in Aufruhr versetzt, die zuvor keine wirkliche Meinung zum Fall Rosia Montana hatten.
Am Sonntag, dem 1. September, kam es dann zu ersten Protesten. Dieser Tag war nicht nur der zehnte Jahrestag des Bestehens der „Rettet Rosia Montana“-Initiative, sondern auch der Tag, an dem es zu den größten Straßenprotesten in Rumänien seit zwei Jahrzehnten gekommen ist. Einige sprechen schon vom „Rumänischen Herbst“ und stellen die Proteste in einen Zusammenhang mit einer ganzen Kette von Revolten, die das Land in den vergangenen Jahren erlebt hat. Seit zehn Wochen halten tausende Menschen den größten Platz Bukarests, den Universitätsplatz, besetzt. Dasselbe gilt für die Stadt Cluj-Napoca, wo der Unionsplatz in Beschlag genommen wurde, und andere größere Städte des Landes. Die Anzahl der TeilnehmerInnen an diesen Aktionen steigt von Woche zu Woche. Allein in Bukarest versammeln sich jeden Sonntag 20.000 Menschen. Übliche Sprechchöre wie „Wer unbedingt graben will, soll beim Ausbau der Bukarester U-Bahn anfangen“ oder „Gewinnt euer Gold lieber bei den Olympischen Spielen“ oder „Eine korrupte Regierung betreibt Raubbau an Rumänien“ zeugen von der Kreativität und dem durchgehend friedlichen Charakter der Proteste. Dadurch wurden nicht nur neue Leute angezogen, die zuvor eher gezögert haben, an derlei Protesten teilzunehmen. Auch die Behörden, die die RMGC immer begünstigt haben, waren plötzlich vollkommen verblüfft. Sie warteten förmlich auf erste Anzeichen von Gewaltanwendung, um einen Vorwand zu haben, mit dem man die Proteste hätte unterdrücken können.
Was ihre allgemeine Ausrichtung angeht, so neigt die Bewegung dazu, dem Vorbild der „Occupy“-Bewegung zu folgen: Formell gibt es keine Führungsfiguren und bei den meisten TeilnehmerInnen an den Protesten handelt es sich um Studierende aus der Mittelschicht und um Berufstätige zwischen 20 und 40 Jahren. Die Vorstellung, auch die breitere Arbeiterklasse anzusprechen, indem man sich beispielsweise an die Gewerkschaften wendet, hat bisher nicht Einzug gehalten. Die Aufgaben, die von ihnen bewältigt werden müssen, beschränken sich zwar lange nicht nur auf Problemfälle wie Rosia Montana, reichen aber vom Kampf gegen die Korruption der politischen Elite bis hin zum Einsatz gegen die krassen Austeritäts- und mithin Kürzungsmaßnahmen, durch die die „einfachen“ Leute in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch wenn einige eine antikapitalistische Herangehensweise vertreten, so ist diese dennoch nicht vorherrschend in der Bewegung. Das liegt an der ideologisch sehr gemischten Zusammensetzung der Protestbewegung, die sich mit den Protesten in Istanbul in diesem Sommer vergleichen lässt. Liberale, AnarchistInnen, sehr rechte Nationalisten, Grüne, SozialistInnen oder „unpolitische“ Jugendliche sind vertreten. Ganz abgesehen von den Unterschieden zwischen ihnen sind sie alle vereint im Kampf für die eine Sache: den Schutz von Rosia Montana und – ganz allgemein – des ganzen Landes vor dem grausamen Verbund aus durch und durch marodem politischen System und hemmungslosen Konzerninteressen.
Es kann allerdings auch nicht die Rede davon sein, dass es in der Bewegung harmonisch zugeht. Fälle von Einschüchterungen hat es gegeben und sogar den Überfall einer handvoll rechtsextremer Nationalisten auf eine kleine Gruppe von AnarchistInnen. Die meisten der ProtestteilnehmerInnen meinen, dass dieser Vorfall zu vernachlässigen ist und schnell wieder vergessen werden sollte, der Einheit und des öffentlichen Images wegen. Einige VertreterInnen der Linken sahen darin den Beweis, dass die Proteste einen zunehmend nationalistischen Charakter annehmen. Schließlich wurden einige Tage vorher bei Protesten die Nationalhymne gesungen und eine Menschenmenge kniete sich sogar ziemlich aufsehenerregend nieder zum christlich-orthodoxen Gebet. Reichlich selbstgerecht wird behauptet, dass jede Zusammenarbeit mit Nationalisten an sich nur kurzfristiger Art ist, was sich möglicher Weise zu einem offenen Konflikt ausweiten kann. Es gibt jedenfalls bisher keine Strategie, mit der zukünftige Auseinandersetzungen zwischen ProtestteilnehmerInnen ausgeschlossen werden können. In gewisser Weise deutet dies auch auf den mangelnden Zusammenhalt hin, der die Bewegung auszumachen scheint.
Doch trotz der Heterogenität, die unter den ProtestteilnehmerInnen auszumachen ist, behandeln die Mainstream-Medien sie als homogene Masse. Auf eindeutig herabwürdigende Weise werden sie stets als „Szene“ bezeichnet. Dahinter steht, dass diese jungen Leute aus der städtischen Mittelschicht unverfroren gegen ein lokal existierendes Problem protestieren, das nur die erwerbslosen Bergleute betrifft, die in der Region leben und die – natürlich – dafür sind, dass das RMGC-Projekt losgeht. Einige Stimmen behaupten sogar, die Proteste seien von ausländischen NGOs finanziert, die die wirtschaftlichen Interessen Rumäniens aushöhlen wollen oder von Konkurrenz-Unternehmen der RMGC, die selbst in Rosia Montana zum Zug kommen wollen. Tatsächlich kann die negative Haltung und die im besten Fall als undifferenziert zu bezeichnende Berichterstattung der Mainstream-Medien hinsichtlich dieser Proteste nicht überraschen, da die beträchtlichen Werbeeinnahmen, die die RMGC in den letzten zehn Jahren allen Medienbetrieben beschert hat, mit Sicherheit ihren Teil dazu beigetragen haben. Die Stellen, die am kritischsten berichteten, waren ausgerechnet die, die am meisten von der umfassenden und kostenintensiven Werbekampagne der RMGC profitiert haben.
Dennoch wurden die Proteste trotz dieser Art der Konzern-finanzierten Medienzensur immer sichtbarer und zogen wöchentlich neue TeilnehmerInnen an. Weil sie Sorge vor den Folgen haben, die diese breiten Proteste auf der Wahlebene nach sich ziehen könnten (im Frühjahr stehen die Wahlen zum Europaparlament an), haben sich daher alle drei großen Parteien – darunter die beiden, die die Regierungskoalition bilden – plötzlich gegen das Bergbauprojekt ausgesprochen. Bei der dritten Partei im Bunde handelt es sich um die Liberaldemokratische Partei von Präsident Basescu, der das RMGC-Projekt bisher selbst unterstützt hat. Sogar Premierminister Victor Ponta sagte, die Abgeordneten sollten gegen das Projekt abstimmen. Das stellte sich jedoch nur als verfehlte strategische Wendung heraus, mit der die Menschen ruhiggestellt werden sollten. Bald schon kehrte Ponta zu seiner ursprünglich positiven Haltung gegenüber der RMGC zurück. Ein parlamentarischer Sonderausschuss wurde mit der Prüfung des ganzen Falls beauftragt. Viele sind der Ansicht, dass es sich dabei nur um lächerliches Affentheater handelt, mit dem ein positiver Entscheid zugunsten von RMGC vorbereitet werden soll. Tags darauf stimmte dieser Ausschuss gegen das Projekt, berief sich bei seinem Votum jedoch nur auf zweitrangige Argumente. Die wesentlichen und direkten Folgen des Bergbau-Vorhabens – vor allem die Enteignung der AnwohnerInnen und die unumkehrbaren Schäden für Ökosystem und das kulturelle Erbe – wurden dabei gar nicht in Betracht gezogen. Mit dieser, auf den ersten Blick vielversprechenden Entscheidung wird die Hintertür offen gehalten, um das RMGC-Projekt in geringfügig abgeänderter Form doch noch zu genehmigen. Momentan warten alle auf die ausschlaggebende Abstimmung im Parlament, für die das Votum des Ausschusses die Richtung vorgeben sollte.
Unterdessen hat der US-amerikanische Megakonzern „Chevron“ vor einem Monat seine Pläne aufgegeben, in Pungesti, einem Dorf in Ostrumänien, aufgrund des dort vorhandenen Schiefergases mit dem Fracking zu beginnen. Grund waren Proteste ortsansässiger Bäuerinnen und Bauern, gegen die eine notorisch aggressive Gendarmerie zum Einsatz kam. Der Widerstand der Bevölkerung gegen das Fracking, der landesweiten Charakter angenommen hat, ist nicht nur deswegen so entschlossen, weil es um schreckliche Folgen für Natur und Umwelt geht. Auch die mickrigen Lizenzeinnahmen, die dabei für Rumänien abfallen würden, haben zum Aufruhr beigetragen. Aufgrund eines im Jahr 2010 unterzeichneten Vertrags erhielt „Chevron“ von der rumänischen Regierung Weideland von mehr als 8.094 km². Die Umstände, unter denen dieses Abkommen zustande kam, waren ähnlich dubios wie im Falle von RMGC.
Aktuell versucht die Bewegung der Straße, den Kampf gegen RMGC mit dem gegen „Chevron“ zu vereinen. Schließlich handelt es sich bei beiden um unverblümte Beispiele für die dunkle und über allem schwebende Komplizenschaft zwischen staatlichen Einrichtungen und den Interessen der Konzerne.
Diese Kämpfe finden vor dem Hintergrund eines neuen Erwachens in der rumänischen Gesellschaft statt. Dies gilt vor allem für die jungen und gut ausgebildeten Leute im Land, die angesichts der gescheiterten Restauration des Kapitalismus zu der Erkenntnis gelangen, dass es für die Mehrheit der Bevölkerung nicht zur versprochenen Verbesserung der Lebensbedingungen gekommen ist. Linke Ideen sind kein Tabu mehr und zum wesentlichen Bestandteil dieser Proteste geworden. Dabei ist die Bewegung als ganze jedoch noch weit davon entfernt, einen offen sozialistischen Standpunkt einzunehmen. Es herrscht allerdings eine starke, gegen die Konzerninteressen gerichtete Stimmung, die – vor allem, was die jungen ProtestteilnehmerInnen angeht – teilweise sogar als antikapitalistisch bezeichnet werden und an der die Linke ansetzen kann.
Allgemeiner formuliert muss die im Aufbau begriffene rumänische Linke in naher Zukunft damit beginnen, sich zu einer einzigen landesweiten Bewegung zu vereinen und damit zu beginnen, die Arbeiterklasse für eben diese Bewegung zu gewinnen. Helfen können dabei kämpferische GewerkschafterInnen oder vergleichbare Anknüpfungspunkte. Nur so kann die Linke – in Rumänien und überall sonst – eine Chance haben in ihrem Kampf gegen die Diktatur der Konzerne und ihre politischen Helfershelfer.