Interview mit Rob Jones, Mitglied des CWI in Russland
Nach der Ablehnung einer tieferen Integration der Ukraine in die EU sind Hunderttausende auf die Straße gegangen. Was verbinden die Menschen mit der EU, dass sie so um sie kämpfen?
Der abgelehnte Vertrag sah nur eine weitere Annäherung vor, er bedeutete für sich genommen also nicht sehr viel. Was die vielen, besonders jungen, Demonstrantinnen und Demonstranten in der Ukraine mit der EU verbinden, ist wohl im Zusammenhang mit der extrem schlechten wirtschaftlichen Situation in der Ukraine zu verstehen. Sie erhoffen sich durch die EU-Öffnung zusätzliche Investitionen und damit Jobs … für ihr Land. Viele erhoffen sich von der EU auch eine Stärkung demokratischer Freiheiten, nachdem die Regierung besonders in den letzten Jahren immer autoritärer geworden ist und es vermehrt zu brutalen Polizeieinsätzen gekommen ist.
Machst du bei den Protesten irgendeine organisierte Kraft aus? Gibt es jemanden, der/die besonderen Einfluss auf die Bewegung hat?
Die Bewegung ist tatsächlich weitgehend spontan organisiert. Die Wut der Bevölkerung richtet sich nämlich nicht nur gegen die Regierung, sondern zum Teil auch gegen die Oppositionsparteien, die es seit Jahren nicht geschafft haben, eine Alternative aufzuzeigen. Für viele sind sie Teil des Problems.
Wenn es eine organisierte Kraft gibt, dann sind es die ukrainischen Nationalisten, die extreme Rechte. Sie waren auch für einige Aktionen wie die Angriffe auf Gewerkschafts-Infotische auf dem besetzten Platz verantwortlich. Sie kämpfen in diesem Fall für einen Beitritt zur EU, repräsentieren aber sicher nicht die gesamte Bewegung.
Haben sich aus der Bewegung heraus oder an ihrem Rand auch andere Strömungen mit einer kritischeren Haltung zur EU entwickelt?
Nein, bislang nicht. Die ukrainische Linke ist gegen die EU und versteht nicht, was die Leute mit ihr verbinden. Damit stehen sie in der Bewegung am Rand. Auf der anderen Seite haben diverse imperialistische Mächte versucht Einfluss zu nehmen. Die EU und die USA haben beide Geld geboten, damit Präsident Janukowitsch seine Meinung wieder ändert. Kürzlich war Janukowitsch aber auch in China und Russland, die sicher auch weiteren Druck aufgebaut haben. Der Kampf um Einfluss wird immer heftiger.
Was wird wahrscheinlich passieren, wenn der gemeinsame Druck der Demonstrationen und der EU die Regierung tatsächlich erneut zu einem Schwenk hin zur EU zwingt?
Ich glaube, dass das an einem bestimmten Punkt passieren wird. Aber auch wenn das Pendel wieder mehr zur EU schwenkt, werden China und Russland sicherstellen, dass sie auch etwas vom Wohlstand des Landes abbekommen. Aber unabhängig davon ist die Wirtschaftskrise in der Ukraine das eigentliche Problem; es droht sogar eine Zahlungsunfähigkeit. Grundsätzlich kann keine imperialistische Macht, sei es Russland oder die EU, die Krise lösen. Alle werden versuchen, über Privatisierungen und weitere Angriffe auf den Lebensstandard von Jugendlichen und Arbeitern ein möglichst großes Stück vom Wohlstand des Landes abzubekommen. Die EU kann die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen.