Das Gerede von der „Erfolgsgeschichte Irlands“ ist nichts als heiße Luft
George Orwell lieferte in seinem Buch „1984“ die perfekte Beschreibung für die Rhetorik, der sich die irische Regierung, die Europäische Kommission und ihre Anhängerschaft zur Zeit bemächtigen, wenn sie Irland über den Klee loben, weil das Land nicht mehr unter dem Rettungsschirm der EU steht. Der Autor schuf für seinen dystopischen Roman den Begriff des „Doppeldenk“ und gab dazu folgende Definition: „Absichtlich Lügen zu erzählen und aufrichtig an sie zu glauben; Tatsachen zu vergessen, die unbequem geworden sind […]“.
von Paul Murphy, MdEP,„Socialist Party“ (Schwesterorganisation der SAV in Irland)
Das ganze Gerede von der „Erfolgsgeschichte“ ist nichts als heiße Luft und basiert auf Übertreibungen und Unwahrheiten. Es wird damit der Zweck verfolgt, der irischen Regierung auf die Schulter zu klopfen und dabei gleichzeitig die Völker Südeuropas im Sinne der Kommission unter Druck zu setzen.
Unbequeme Wahrheiten
Zahllos sind hingegen die unbequemen Wahrheiten, die zeigen, dass nur die Aktienbesitzer und die Reichen von Erfolgen sprechen können. Dazu zählt unter anderem die Tatsache, dass die Profite seit 2007 um 21 Prozent angestiegen sind, die Aktienbesitzer in diesem Jahr 26 Milliarden Euro von den Banken, die Rettungspakete erhalten haben, oder direkt vom Staat bekommen haben, während Irland andererseits die höchste Netto-Auswanderungsrate der ganzen EU aufweist, die Jugendarbeitslosigkeit bei fast 30 Prozent liegt und eine untragbare Schuldenlast von 125 Prozent des Bruttoinlandsprodukts besteht.
Besonders ärgerlich ist, dass ständig Bezug genommen wird auf die Rückkehr zur wirtschaftlichen Souveränität des Landes. Das ist eine selbstgerechte Lüge, die man sich ausgedacht hat, um es der konservativen „Fine Gael“ und der sozialdemokratischen „Labour“-Partei zu ermöglichen, sich in den fünf Monaten bis zu den nächsten Wahlen als unsere großen Retter darzustellen. Die Wahrheit ist, dass der Bevölkerung auch nach dem 16. Dezember nicht das Recht gewährt wird, selbst über ökonomische und andere politische Fragen zu entscheiden.
So begrenzt dieses Recht auch ist in einer Welt, die von den Finanzmärkten dominiert wird, diese und die vorherige Regierung haben es auf unbestimmte Zeit aus der Hand gegeben. Die Institutionen der Troika werden weiterhin die Herrschaft ausüben, wofür sie eine ganze Reihe von Möglichkeiten parat hat, die auf Kosten der demokratischen Rechte der Bevölkerung und ihrer wirtschaftlichen Interessen gehen. Ich habe ein Papier veröffentlicht, in dem die Bedingungen detailliert dargelegt werden, an die diese neoliberale Zwangsjacke aus Kürzungen und Austerität gebunden ist.
Die Troika
Die Troika selbst wird weiterhin vor Ort präsent bleiben. Die Besuche der Herren in Anzügen, die auf der Straße an obdachlosen Menschen vorbeigingen, während sie weitere Kürzungen verfügten, werden auch in den nächsten Jahren fortgesetzt. Der IWF wartet mit einem Verfahren auf, das als „Post-Programme Monitoring“ bezeichnet wird. Es sieht vor, dass bis zu dem Zeitpunkt, an dem sämtliche Schulden an den IWF zurückbezahlt worden sind, pro Jahr zwei Berichte vorgelegt werden müssen. Dass das schon bestehende Büro in Irland weiterhin unterhalten wird, wurde bereits bestätigt. Die Europäische Kommission wird ein ähnliches Verfahren anwenden, das die Bezeichnung „Post-Programme Surveillance“ trägt.
Darüber hinaus ist der irische Staat nun auch das Objekt einer großen Anzahl von neuen, undemokratischen EU-Regelungen. Diese institutionalisieren die Umsetzung der Austerität durch die Übertragung gewichtiger Machtbefugnisse von gewählten Regierungen auf die nicht gewählte Europäische Kommission.
Das bedeutet, dass der Staat mit Strafzahlungen im Umfang von Hunderten von Millionen Euro belegt werden kann, wenn er es nicht schafft, den „Empfehlungen“ der Europäischen Kommission nachzukommen. Diese sogenannten Empfehlungen verlangen nach weiteren Kürzungen und die Einführung von Sondersteuern. Sie verpflichten auch zukünftige Regierungen darauf, für ausgeglichene Haushalte zu sorgen, was von Irlands größtem Vermögensverwalter „Davy Stockbrokers“ als „ein abstraktes ökonomisches Konzept“ beschrieben wurde, „das nicht mit Sicherheit erfüllt werden kann“.
Künftige Haushaltsbudgets
Ausgeglichene Haushalte bedeuten, dass Budget-Vorhaben vorab der Europäischen Kommission und dem Europarat zur Beschlussfassung vorgelegt werden müssen, bevor sie im Dail, dem irischen Parlament, auch nur diskutiert werden können.
Die Entscheidungsmacht über die Wirtschaftspolitik wird weiterhin nicht unter der demokratischen Kontrolle der Mehrheit stehen. Die Zeit nach dem Rettungsschirm bedeutet für Irland weiterhin, dass das Land unter strenger „Überwachung“ steht. Kürzungsdiktate werden an der Tagesordnung bleiben und Irland wird zu Strafzahlungen verpflichtet sein, wenn die Regierung sich dafür entscheiden sollte, nicht Folge zu leisten. Das ist das Gegenteil von wirtschaftspolitischer Souveränität.
Die Europäische Kommission präsentiert diese Maßnahmen als Mittel, mit dem zukünftige Krisen verhindert werden. Das ist Geschichtsklitterung. Die Krise ist nicht durch zu hohe Staatsausgaben verursacht worden oder durch zu hohe öffentliche Schulden. In Wirklichkeit hatte Irland im Jahr 2007 die niedrigsten Schulden in ganz Europa. Erst als überall in Europa die Banken in den Genuss der Rettungspakete kamen, stiegen die öffentlichen Schulden ins unermessliche.
Diese Maßnahmen nun werden stattdessen dafür sorgen, dass die Austerität in ganz Europa auf undemokratische Weise in Stein gemeißelt wird. Sie sind nur der Anfang eines Plans der Kommission, der vorsieht, dass in den nächsten Monaten bindende „vertragliche Regelungen“ für die Austerität eingeführt werden. Es geht um den ersten Teil einer Kampagne, die dafür sorgen soll, dass es alle in Europa mit der Troika zu tun bekommen sollen.
Erwerbslosigkeit
Die sechs Jahre, in denen diese Politik nun schon betrieben wird, haben zur höchsten Arbeitslosenquote in Europa seit Einführung des Euro und der Fortsetzung der Wirtschaftskrise geführt.
Mehr davon wird die Lage der viel zitierten 99 Prozent der Bevölkerung nur weiter verschlechtern und die Situation des einen Prozent verbessern. Einen Nutzen hat das alles für die Konzerne, die von den heruntergefahrenen Lohnkosten profitieren, und für die Aktienbesitzer, die weiterhin ausbezahlt werden.
Natürlich können diese Regelungen gebrochen werden, aber dazu bräuchte es eine wirklich linke Regierung und die Mobilisierung der Bevölkerung, um diese außer Kraft setzen zu können. Während sich das politische Establishment in die Nationalfarben hüllt, sollten wir uns noch einmal die Schriften von James Connolly, dem irischen Revolutionär und Sozialisten, zu Gemüte führen, der schrieb: „Wenn wir morgen die englische Armee aus dem Land entfernen und die grüne Fahne über Dublin Castle hissen, werden alle Errungenschaften keinen Pfifferling wert sein, wenn nicht auch die Sozialistische Republik ausgerufen wird […]. England würde bis zum Letzten weiterhin die Herrschaft über uns ausüben, selbst wenn Lippenbekenntnisse dem Schrein der Freiheit, die verraten wurde, eine scheinheilige Ehrerweisung zuteil werden lassen.“
Was Ministerpräsident Enda Kenny, seinen Vize, den Vorsitzenden der „Irish Labour Party“, Eamon Gilmore, und andere angeht, so trifft der Begriff der „scheinheiligen Ehrerweisung“ den Nagel auf den Kopf. Aber auch das übrige Zitat ist nicht weniger passend für die jetzige Situation. Die Lehre, die daraus folgt, ist eindeutig: Der Troika reicht es nicht, durch die Vordertür zu verschwinden, nur um unmittelbar danach durch die Hintertür wieder zurückzukehren. Ihre Austerität, ihre undemokratischen Maßnahmen und ihr System sollten ebenfalls verschwinden.