Was bringt die Große Koalition für Frauen?
Seit den 1990er Jahren hat sich die soziale Situation des Großteils der lohnabhängigen Bevölkerung und insbesondere die von Frauen fortwährend verschlechtert: Mittlerweile arbeitet die Hälfte aller weiblichen Beschäftigten in Teilzeit oder Minijobs, insgesamt sind acht von zehn Teilzeitbeschäftigten weiblich, der Frauenanteil bei Minijobs beträgt 66 Prozent und stellt für Frauen häufig über lange Zeit die einzige Einkommensquelle dar, 46 Prozent der weiblichen Rentnerinnen erhielten 2011 gesetzliche Alterseinkünfte unterhalb des Brutto-Grundsicherungsbedarfs von 668 Euro im Monat (im Jahr 2000 waren es noch 18 Prozent), Frauen stellen einen Anteil von zwei Dritteln im Niedriglohnsektor, sie verdienen durchschnittlich 22 Prozent weniger als Männer. Die Aufzählung ließe sich beliebig lange weiterführen.
Von Linda Fischer
Angesichts der alarmierenden Situation stellt sich die Frage welche Antworten die Große Koalition darauf gibt. Der 185 Seiten dicke Koalitionsvertrag widmet sich unter dem Punkt „Gleichstellung sicherstellen“ auf zweieinhalb Seiten frauenpolitischen Themen und beschreibt zusätzlich Maßnahmen zur Bekämpfung von Altersarmut (insbesondere von Frauen). Für öffentliche Aufmerksamkeit sorgte die Einführung einer Frauenquote in Aufsichtsräten und die sogenannte Mütterrente. Diese sei ein „Riesenschritt“, so Angela Merkel. Die „weibliche Offensive“ bei den Ministerposten wurde ebenfalls debattiert: Von der Leyen ist Verteidigungsministerin, Nahles Arbeitsministerin und die Hälfte der SPD-Ministerposten ist weiblich besetzt. Haben CDU und SPD ihr soziales Gewissen entdeckt und kämpfen nun für die Befreiung der Frau? Welche Auswirkungen haben Quoten in Aufsichtsräten und weibliche Besetzung von wichtigen politischen Funktionen für die gesamte weibliche, lohnabhängige Bevölkerung?
Die Mütterrente – ein Tröpfchen auf dem heißen Stein
Mit Einführung der Mütterrente sollen Mütter für jedes vor 1992 geborene Kind 28 Euro mehr Rente bekommen. Siebzig Prozent der Frauen erhalten derzeit eine Rente von unter 700 Euro. Die 28 Euro mehr werden der Mehrheit nicht zu einer lebensfähigen Rente verhelfen. Die Abhängigkeit von der Rente des Partners, von Nebeneinkünften oder der Witwenrente bleibt bestehen.
Die Hauptbetroffenen von Altersarmut haben überhaupt nichts von der Reform: Derzeit sind 300.000 Frauen auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Ihnen wird die Mütterrente nicht gezahlt, da diese auf den Grundsicherungsbedarf angerechnet wird.
In den kommenden Jahrzehnten wird die Anzahl derjenigen, die auf Grundsicherung angewiesen sind deutlich steigen. Die neoliberale Offensive: Minijobs, Teilzeit, Niedriglohn, Privatisierung von Pflege, sowie die schlechte Bezahlung in frauendominierten Berufen, entlastet Unternehmen und untergräbt die Rentenansprüche von Frauen (und Männern). LISA, die bundesweite Frauenarbeitsgemeinschaft der LINKEN, zitiert in einer Pressemitteilung den Entwurf des Armutsberichtes der Bundesregierung, indem es heißt, dass „insbesondere NiedrigverdienerInnen, die ihr Leben lang gearbeitet und oftmals nicht zusätzlich vorgesorgt haben, im System der Grundsicherung landen“. Da auch die Renten der Männer sinken und ein größerer Anteil von Frauen nicht mehr in der klassischen Ehe lebt, wird zunehmend auch das System der Mitfinanzierung durch den Partner (welches an sich der Gleichberechtigung entgegen steht) das Abrutschen in die Altersarmut nicht verhindern können. Die Mütterrente bekämpft die Ursachen von Altersarmut nicht. Andere Maßnahmen, wie etwa die „Lebensleistungsrente, setzen weiterhin auf eine Ausbreitung der privaten Altersvorsorge, die sich GeringverdienerInnen in der Regel nicht leisten können.
Frauen in Führungspositionen
Wenn in Deutschland über Gleichberechtigung von Frauen debattiert wird, dann geht es in der Regel um Quoten. Die Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten: „Aufsichtsräte von voll mitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen, die ab dem Jahr 2016 neu besetzt werden, sollen eine Geschlechterquote von mindestens 30 Prozent aufweisen“. In diesem Zusammenhang wurde in den Medien auch die stärkere Bedeutung von Frauen in Ministerposten hervorgehoben. Eine Mehrheit der Kommentatoren spricht sich für die Quote aus: Die Selbstverpflichtung der Unternehmen habe versagt, eine Frauenquote treibe Chancengleichheit voran und Diversität sei ein wichtiger Erfolgsfaktor von Unternehmen.
Wen betrifft die Reform? Die Managerinnen-Initiative „Frauen in die Aufsichtsräte“ (FidAR) hat ausgerechnet, dass in den Kontrollgremien der börsennotierten Unternehmen 258 Frauen fehlen. Ein verschwindend kleiner Anteil der weiblichen Bevölkerung. Für den absoluten Großteil der Frauen hat sie faktisch keine Auswirkungen. Die LINKE im Bundestag hat die Quote dennoch unterstützt und für sie argumentiert: „Es geht um die gesellschaftliche Bewertung sogenannter Frauen- und Männerarbeit, das Aufbrechen von Rollenstereotypen und die gleichberechtigte Teilhabe in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Kultur,“ meint Gregor Gysi in einer Rede im Bundestag. Er und viele andere LINKE bewerten die Frauenquote in Aufsichtsräten als kleinen Türöffner um neue Rollenbilder zu etablieren, in einer Allianz von LINKE, SPD und Grüne gegen Konservative der CDU und des Arbeitgeberlagers. Diese Argumentation läuft Gefahr zu verschleiern, in welchem Interesse die Frauenquote für Aufsichtsräte ist.
Frauenfrage ist Klassenfrage
Als MarxistInnen gehen wir davon aus, dass die Frauenfrage untrennbar mit der Klassenfrage verbunden ist. Im Kapitalismus ist jede Frau aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert, aber das heißt nicht, dass alle Frauen die gleichen Interessen haben. Wenn die Präsidentin von FidAR erklärt: „Das Land wird von einer Frau geführt und von einer Frau verteidigt. Mit den Ministerien für Arbeit, Bildung, Familie und Umwelt werden Schlüsselressorts für die wichtigsten Zukunftsfragen von Frauen geleitet. Das ist ein starkes Zeichen für mehr Gleichberechtigung“, dann meint sie eigentlich, dass dies im Interesse von Frauen aus dem Bürgertum ist. Es werden nicht weniger Frauen in Kriegen getötet, weil die Befehle eine Frau erteilt. Andrea Nahles verteidigt als Arbeitsministerin die Agenda 2010 („Die Agenda 2010 hat das Land vorangebracht“). Diese Gesetze sind hauptverantwortlich für die Verschlechterung der sozialen Situation von Frauen in den letzten zehn Jahren.
Frauen in den Chefetagen führen genau wie ihre männlichen Kollegen Entlassungen durch. Sie haben ein Interesse an Niedriglöhnen, weil es den Profiten der Konzerne dient. Die Initiative für eine Frauenquote in Aufsichtsräten wird von weiblichen Managerinnen voran getrieben, weil sie selber einen Teil der Macht wollen. Teile der Bürgerlichen unterstützen dies, um den Eindruck zu erwecken, es würde etwas für die Gleichberechtigung der Frau getan und weil manche tatsächlich denken, dass gemischte Führungsteams erfolgreicher seien und den Wirtschaftsstandort Deutschland stärken würden.
Doch diese Frauen haben ein anderes Interesse als die Millionen Arbeitnehmerinnen und erwerbslosen oder geringfügig beschäftigten Frauen. Sie handeln in erster Hinsicht entsprechend ihrer Klassenzugehörigkeit. Vor diesem Hintergrund ist die Frauenquote in Aufsichtsräten kein Schritt in Richtung Befreiung der Frau. Sie lenkt von den eigentlichen Problemen der Mehrheit der Frauen in dieser Gesellschaft ab.
Diskriminierung bekämpfen
Um die soziale Situation von Frauen grundlegend zu verbessern ist die Abschaffung der Agenda 2010 Gesetzgebungen, die Umwandlung von Mini-Jobs in voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse, statt Teilzeitarbeit radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, sowie starke Lohnsteigerungen in frauendominierten Branchen notwendig. DIE LINKE betont richtigerweise, dass die Einführung eines Mindestlohns eine wichtige Maßnahme zur Bekämpfung der Schlechterstellung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist. Jedoch sind die von der Großen Koalition geplanten 8,50 Euro ein Niedriglohn und führen unweigerlich in die Altersarmut. Als Niedriglohn gilt, was unter zwei Dritteln vom Medianlohn (Mittelwert aller Löhne) liegt. Im Jahr 2010 waren das 9,54 Euro. Selbst das wäre jedoch zu wenig und würde kein ausgefülltes Leben ermöglichen und nicht verhindern, dass der Anteil der Kapitalisten am gesellschaftlichen Reichtum weiter wächst. Die SAV fordert deshalb die Einführung eines Mindestlohns von 12 Euro und einer Mindestrente von 750 Euro plus Warmmiete. Die Forderung nach mehr Lohn muss einhergehen mit Forderungen nach flächendeckender, kostenloser Kinderbetreuung und einem Nein zur Privatisierung von Pflege.
Um diese Forderungen durchzusetzen werden erbitterte Kämpfe der Arbeiterklasse gegen die Konzernchefs und ihre VertreterInnen in der Regierung notwendig sein. DIE LINKE und die Gewerkschaften sollten im Dienstleistungsbereich und unter prekär Beschäftigten (wo in der Regel mehrheitlich Frauen beschäftigt sind) für bessere Arbeitsbedingungen und deutliche Lohnsteigerungen kämpfen. In diesen Bereichen gibt es eine Zunahme von Arbeitskämpfen. Sei es der Einzelhandelsstreik, Arbeitskämpfe von GebäudereinigerInnen, Kitabeschäftigten oder im Universitätsklinikum Charité. Im Jahr 2012 lagen dem Bundesvorstand der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di 188 neue Anträge auf Arbeitskampfmaßnahmen vor, so viele wie noch nie seit der ver.di-Gründung. Der „Aufschrei“ nach Rainer Brüderles sexistischen Äußerungen und die One Billion Rising-Mobilisierungen gegen Gewalt an Frauen sind erste Anzeichen dafür, dass sich fernab von Quotendiskussionen über Aufsichtsratsposten neue Kämpfe für Frauenrechte entwickeln. Der nächste Ansatzpunkt Kämpfe zusammenzuholen könnte der internationale Frauentag am 8. März sein. Eine Initiative der Linksjugend[`solid] schreibt: „Der März 2014 wird kämpferisch! Am Internationalen Frauen*tag 2014 werden nicht nur Rosen verteilt und Grüße versendet, sondern der 08. März wird wieder zu einem Frauen*kampftag erhoben.“
Linda Fischer ist Mitglied des SAV-Bundesvorstands. Sie lebt in Hamburg.