Asylsuchende werden mit anti-demokratischen Gesetzen kriminalisiert, was zu Streiks und Massenprotesten führt
„Wir sind vor politischer Verfolgung geflohen, vor Militärdienst, Diktatur, Bürgerkrieg und Völkermord. Doch statt uns als Bewerber für politisches Asyl und wie Flüchtlinge zu behandeln, behandelt uns die Regierung wie Kriminelle.“
von Nof Azran, „Tnua´t Maavak Sozialisti“ / „Harakat Nidal Eshtaraki“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Israel/Palästina)
Am 5. Januar 2014 haben Zehntausende von AsylbewerberInnen einen Streik gegen die rassistische Politik des Innenministeriums und der israelischen Regierung begonnen, der als historisch zu bezeichnen ist. Mehr als 20.000 afrikanische Flüchtlinge (das sind rund 40 Prozent aller Asylsuchenden) haben in Tel Aviv protestiert. Dabei skandierten sie: „Wir wollen Freiheit, nicht schon wieder Knast!“ und „Wir sind Flüchtlinge, keine Spione!“. Am selben Tag begannen 150 sudanesische AsylbewerberInnen, die im Saharonim-Gefängnis einsitzen, einen unbefristeten Hungerstreik. Der Streik wurde fortgesetzt und in Tel Aviv und Jerusalem fanden in der Folgewoche jeden Tag Demonstrationen und Versammlungen mit Tausenden von TeilnehmerInnen statt. Auch in der südisraelischen Grenzstadt Eilat gab es Proteste.
Abgesehen davon, dass diese hervorragende Mobilisierung von Flüchtlingen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund geleistet wurde, hat es diese beispiellose Protestbewegung vermocht, das Leid und die Forderungen der afrikanischen Flüchtlinge publik zu machen. Auf diese Weise sind viele Fragen aufgeworfen und Vorurteile zerschlagen worden. Die Bewegung bekam auch Unterstützung von neuen Schichten der israelischen Öffentlichkeit, die die berechtigten Forderungen der Flüchtlinge gegen die rassistische und pro-kapitalistische israelische Regierung nachvollziehen können.
Am dritten Streiktag wurde der Beschluss gefasst, der Ankündigung von Ministerpräsident Netanjahu zu trotzen, der gesagt hatte, dass er vor den Massenprotesten nicht kapitulieren werde. Am siebten Tag wurde der Streik beendet, weil die Medien nur noch vom Tod Ariel Sharons berichteten und die Sorgen bei den OrganisatorInnen wegen der schwerwiegenden finanziellen Auswirkungen des Streiks auf die Familien der Betroffenen zunahmen. Das Streik-Ende bedeutete jedoch nicht, dass damit auch der Kampf beendet worden wäre. Es kommt immer noch zu Demonstrationen und Versammlungen. Auch wird unter den Flüchtlingen darüber diskutiert, wie man sich auf „die nächste Runde“ vorbereiten kann.
Einer der Haupt-Auslöser für diesen Streik war die anti-demokratische Gesetzgebung, mit der die große Mehrheit der Asylsuchenden kriminalisiert wird. Vergangenen Monat stimmte die Knesset, das israelische Parlament, für einen Zusatz zum Gesetz zur Verhinderng von Einschleusungen, wodurch AsylbewerberInnen bis zu einem Jahr ohne Verhandlung und eine unbestimmte Internierung in „Holot“, einem sogenannten „offenen Internierungseinrichtung“, die mitten in der Wüste liegt. Analog dazu haben die Einwanderungsbehörde und die Grenztruppen damit begonnen, willkürliche Verhaftungen durchzuführen und nicht nur in Tel Aviv sondern in ganz Israel hunderte AsylbewerberInnen in Gewahrsam genommen. Trotz der Versprechungen des Innenministeriums, das keine Familie getrennt würde, Dutzende von verheirateten Männern und Väter von Kindern sind nach „Holot zitiert“ worden, während ihren Ehefrauen und Kindern verboten wurde, sie zu begleiten. Zudem haben die Einwanderungsbehörden die Zahl der Meldestellen, in denen Asylsuchende ihre Visa verlängern können, verringert sowie die Öffnungszeiten verkürzt, was zu noch mehr Ablehnungen von Asylanträgen geführt hat.
Billige Arbeitskräfte
Die Einwanderungsbehörden lehnen Asylanträge regelmäßig ab oder ignorieren sie. Nach einem Bericht des Innenministeriums sind zwischen 2009 und 2012 nur 22 Menschen (von 14.000 AntragstellerInnen) als Flüchtlinge anerkannt worden. Unter diesen anerkannten „Fällen“ kam kein einziger aus dem Sudan oder Eritrea, wobei 90 Prozent der aus Afrika kommenden AsylbewerberInnen aus diesen Ländern stammen. Die offizielle Politik der Regierung besteht darin, den Asylsuchenden „vorübergehenden allgemeinen Schutz“ zu gewähren (so verlangt es die Genfer Flüchtlingskonvention der UNO), was die Gewährung befristeter Duldungen bedeutet. In der Praxis schürt die Regierung auf zynische Weise den Rassismus gegen die Gruppe der „Spione und Infiltrierten“. Darüber hinaus hat die Regierung Netanjahu fast 1,5 Milliarden Shekel in den Bau neuer Grenzanlagen investiert, mit denen verhindert werden soll, dass Asylsuchende die Grenze zwischen Israel und Ägypten überqueren. Obwohl die große Mehrheit der AsylbewerberInnen offiziell nicht arbeiten darf, werden sie von Verleihfirmen als billige Arbeitskräfte angeheuert, so lange sie eine gültige Aufenthaltsgenehmigung haben. Die derzeitige Politik der letzten Wochen bestand darin, eine Verlängerung der Visa von Männern abzulehnen, was dazu führt, dass es leichter ist, einen Grund für eine Inhaftierung anzuführen, sie schneller in die Armut treibt und den Verlust des Arbeitsplatzes nach sich zieht.
Dieses neue Vorgehen der Politik war der Auslöser für eine mutige Demonstration inhaftierter AsylbewerberInnen. Am 15. Dezember marschierten hunderte Häftlinge vom Gefängnis Holot nach Beer Sheva und von dort weiter bis nach Jerusalem, um gegen die Entscheidung der Regierung zu protestieren, die ihre Freilassung verhindern will. Sie hielten eine Demonstration vor der Knesset ab, die von der israelischen Polizei gewaltsam angegangen wurde. Dennoch war dieser Protest Motivation genug für viele andere Asylsuchenden, und es wurden Demonstrationen gegen die Polizeigewalt organisiert. Die Demonstrationen endeten damit, dass massenweise Verhaftungen durchgeführt wurden. Schließlich veröffentlichte das Koordinierungskomitee der afrikanischen Gemeinde der AsylbewerberInnen eine Erklärung und bezeichnete die Massen-Aktionen als „Generalstreik“.
Soziale Krise im Süden von Tel Aviv
Schätzungsweise die Hälfte der AsylbewerberInnen lebt im Süden von Tel Aviv, einem vergleichsweise kleinen Gebiet, das seit Jahrzehnten vernachlässigt und der Verarmung preisgegeben wurde. Die Gegend um den zentralen Omnibusbahnhof im Süden von Tel Aviv wird gemeinhin mit Kriminalität, Drogen, Obdachlosigkeit und Prostitution in Verbindung gebracht. Trotzdem haben die israelischen Behörden die Asylsuchenden, die nach dem Übertritt der Grenze zu Ägypten festgenommen wurden, bewusst dazu angehalten, sich im Süden Tel-Avivs niederzulassen. Seit der Süden von Tel Aviv nicht mehr in der Lage war, 50.000 Flüchtlinge aufzunehmen, die eine Wohnung, Infrastruktur und Schulen brauchen, hat der rapide demographische Wandel in diesem Gebiet dazu geführt, dass einige alteingesessene AnwohnerInnen anfingen, feindliche Gefühle gegenüber den AsylbewerberInnen zu entwickeln.
Mehrere verachtenswerte und reaktionäre Politiker haben Kapital geschlagen aus den Sorgen und der Frustration der EinwohnerInnen des südlichen Tel Aviv. Sie haben einfach ihre Agenda angewendet, die ganz auf das Motto „Teile und Herrsche“ ausgerichtet ist. Einer der provokantesten Kommentare kam von der Parlamentsabgeordneten Miri Regev, die der rechten „Likud“-Partei angehört. Während einer Demonstration gegen AsylbewerberInnen, die im Mai 2012 von der extremen Rechten organisiert wurde, sagte sie: „Die Eindringlinge sind wie ein Krebsgeschwür in unserer Gesellschaft“. Diese Demonstration endete in gewaltsamen Auseinandersetzungen mit demolierten Geschäften und zerbrochenen Fensterscheiben von BesitzerInnen aus Eritrea. Regev reiht sich in eine Reihe mit etlichen anderen rechtspopulistischen Politikern ein, die die Abschiebung der „Eingeschleusten“ in ihre Heimatländer fordern. Die Regierung selbst zieht es zwar vor, aus diplomatischen Überlegungen hinsichtlich möglicher Reaktionen aus dem Ausland nicht darauf einzugehen. Sie strebt jedoch danach, die Asylsuchenden in andere Länder abzuschieben. In diesem Zusammenhang werden die AsylbewerberInnen als demographische Gefahr für den „jüdischen Staat“ dargestellt. Netanjahu drückte es 2012 so aus: „Wenn wir das Problem nicht beheben, können aus 60.000 Eingeschleusten schnell 600.000 werden. Das könnte zur Aufhebung des Staates Israel als jüdischer und demokratischer Staat führen“.
Diese Auslassungen sind ein Beispiel für den zynischen Versuch, die Verantwortung der israelischen Regierung und der Stadtverwaltung von Tel Aviv für die anhaltende soziale Krise im Süden der Stadt zu vertuschen. Seit dieser rapide demografische Wandel eingesetzt hat, ist nicht ein einziger zusätzlicher Shekel in die soziale Sicherung oder Bildungseinrichtungen – weder für alteingesessene EinwohnerInnen Israels noch für Asylsuchende – geflossen. Die Mieten steigen jedes Jahr und der Verfall sowie die Zerstörung von öffentlichen Wohnungen bietet auch keine Alternative. Die kaputten Gehwege, das marode Abwassersystem, die extreme Umweltverschmutzung und die Rattenplage prägen unvermindert das Bild.
In einem Offenen Brief, den die OrganisatorInnen des Streiks an die israelische Öffentlichkeit geschrieben haben, drücken diese ihre Solidarität mit den alteingesessenen AnwohnerInnen aus: „Wir sind uns der schwierigen Lage der AnwohnerInnen von Süd-Tel Aviv sehr wohl bewusst. Wir leben mit ihnen zusammen. Sie sehen, wie die Straßen kaputt gehen und nicht repariert werden und sehen, dass die Anzahl der EinwohnerInnen zu groß wird für das kleine Gebiet, in dem sie leben. Wir erleben die Krise und wir verstehen und sind derselben Ansicht, dass sie nicht die einzigen sein sollen, die die Asylsuchenden in ihren Wohnvierteln aufnehmen müssen. Ihre Rechte und Würde als EinwohnerInnen Israels sind als direkte Folge der Politik der Regierung verletzt worden, die uns nach Süd-Tel Aviv verfrachtet und uns mittellos im Stich lässt“.
„Tnua´t Maavak Sozialisti“ / „Harakat Nidal Eshtaraki“ („Bewegung für sozialistischen Kampf“), die Sektion des CWI in Israel/Palästina, macht im Süden von Tel Aviv seit mehreren Jahren politische Kampagnearbeit. Wir haben an den Demonstrationen und Treffen der Asylsuchenden teilgenommen, die währen des Streiks durchgeführt wurden. Wir haben in einigen Betrieben und Kollegien Diskussionen über die Problematik angestoßen, vor allem dort, wo unsere Mitglieder in Arbeitnehmervertretungen aktiv sind, wie zum Beispiel bei der Tageszeitung „Haaretz“ beziehungsweise deren Wirtschaftsbeilage „The Marker“ und dem dort aktiven Journalisten-Beirat sowie in der Studierendengewerkschaft an der „Hakibbutzim“-Hochschule von Tel-Aviv. Diese waren auch die ersten Arbeitnehmervertretungen/Studierendenorgane, die anlässlich des Streiks der AsylbewerberInnen Solidaritätsschreiben veröffentlicht haben.
Rassistisch motivierte Misshandlungen
Am fünften Tag des Streiks erklärte sich auch die Gewerkschaft „Power to The Workers“, die rund 20.000 ArbeiterInnen vertritt, solidarisch. Das ist ein bedeutsames Beispiel dafür, wie die Isolierung der Bewegung und die „Teile und Herrsche“-Politik überwunden werden kann, mit der die ArbeiterInnen konfrontiert sind. An der Hakibbutzim-Hochschule und der Hebräischen Universität von Jerusalem beteiligte sich „Tnua´t Maavak Sozialisti“ / „Harakat Nidal Eshtaraki“ an der Organisation von Solidaritätsaktionen und Diskussionsrunden auf dem Campus. Ähnliche Aktivitäten wurden auch von Studierenden und DozentInnen an der Universität von Tel Aviv und der Ben Gurion-Hochschule durchgeführt.
Die rassistisch motivierten Misshandlungen gegen die Flüchtlinge dauern zwar an, dasselbe gilt aber auch für den Kampf dagegen. Was gebraucht wird, sind weitere Initiativen von Beschäftigten und Studierenden, um diese Mobilisierung noch zu steigern und die Isoliertheit der Flüchtlingsproteste zu überwinden.
„Tnua´t Maavak Sozialisti“ / „Harakat Nidal Eshtaraki“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Israel/Palästina) fordert:
• Für den vereinten Kampf der Beschäftigten – Jüdinnen, Juden, AraberInnen, Israelis und PalästinenserInnen, EinwanderInnen und Asylsuchende – gegen die rassistische und kapitalistische Regierung von Netanjahu, Lapid und Bennet. Es muss Schluss gemacht werden mit der Aufstachelung von Beschäftigten gegen Beschäftigte und Armen gegen andere Arme. Schluss mit der „Teile und Herrsche“-Politik!
• Für einen Kampf gegen Niedriglöhne und extreme Ausbeutung in den Betrieben. Gleiches Geld für gleiche Arbeit. Der Mindestlohn muss für alle ArbeiterInnen auf 30 Shekel pro Stunde angehoben werden. Dabei darf niemand diskriminiert werden.
• Für massive und umgehende Investitionen durch Kommunen und Landesregierung zur Schaffung von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst, für angemessenen Wohnraum und Infrastrukturmaßnahmen, um alteingesessenen Anwohnern wie auch Asylsuchenden adäquate Wohnungen und Lösungen für ihre täglichen Probleme liefern zu können.
• Schluss mit der Kriminalisierung von Flüchtlingen! Der Gesetzeszusatz zur „Verhinderung von Einschleusungen“ muss zurückgenommen werden. Freilassung aller inhaftierten Asylsuchenden, die sich keines Kriminaldelikts schuldig gemacht haben. Abbau aller Gefangeneneinrichtungen für Flüchtlinge und Beendigung der Polizeischikanen, Verhaftungen und Abschiebeverfahren.
• Volle Anerkennung und Arbeitserlaubnisse für alle Asylsuchenden. Volle und gleiche Rechte für alle Asylsuchenden und ausländischen Arbeitskräfte in Israel.
• Mobilisierung in Solidarität mit den Asylsuchenden durch sämtliche Strukturen der Beschäftigten (vor allem den Gewerkschaftsbund „Histadrut“), Studierendengewerkschaften und andere soziale Bewegungen, um den Kampf der Asylsuchenden zu unterstützen und ein Ergebnis für sie wie auch die alteingesessene Bevölkerung zu erreichen. Diese Institutionen müssen eingreifen, um Asyl-suchende Arbeiterinnen und Arbeiter vor der Gefahr zu schützen, entlassen zu werden.