Als am 14. Januar 2014 bekannt wurde, dass die Initiative „100% Tempelhofer Feld“ 233.000 Stimmen für einen Volksentscheid gegen die Bebauung des ehemaligen Flughafen Tempelhof gesammelt hatte, waren selbst die Initiatoren des Volksbegehrens von dem riesigen Erfolg überrascht gewesen. Denn für viele BerlinerInnen ist das Tempelhofer Feld weit weg und ein Erfolg war deshalb nicht garantiert.
von Ronald Luther, Berlin-Neukölln
Letztendlich waren 185.328 Unterschriften gültig, also mehr als die erforderlichen 174.117, aber die Zahl der ungültigen Stimmen war höher als bei anderen Volksbegehren. Das führte dann gleich zur Behauptung von Teilen der Senatsparteien, dass Unterschriften gefälscht worden waren. Damit sollte die Legitimität des Erfolgs in Zweifel gezogen werden. Die LINKE Neukölln wies hingegen darauf hin, dass auch viele BerlinerInnen ohne deutsche Staatsangehörigkeit unterschrieben hatten. Viele dieser Menschen leben seit 20 Jahren und länger in Berlin, sollen aber nicht über wichtige Fragen ihres Lebens mit entscheiden dürfen. Die LINKE Neukölln forderte daher korrekterweise in einer Stellungnahme: „Das aktuelle Volksbegehren sollte deshalb zum Anlass genommen werden, die gesetzlichen Grundlagen dahingehend zu ändern, dass alle Berlinerinnen und Berliner unabhängig von ihrer Nationalität an Volksbegehren und Volksentscheiden teilnehmen können. Das gelte auch für das kommunale Wahlrecht.“
Tempelhofer Freiheit: alles schick?
Der Volksentscheid, der gemeinsam mit den Europawahlen am 25. Mai 2014 stattfindet, wird auch bisher nicht interessierte BerlinerInnen vor die Frage stellen, wie sie abstimmen sollen. Die Propagandamaschine der Bebauungsbefürworter aus dem Berliner Senat, der Wirtschaft und den bürgerlichen Medien läuft jedenfalls bereits auf Hochtouren. Die Initiative wird es schwer haben, bei ihren begrenzten finanziellen Möglichkeiten dagegen zu halten. So wurde durch den Berliner Senat am Rande des Tempelhofer Feldes ein Werbe-Pavillon errichtet, wo die Bebauungspläne des Senats in ein gutes Licht gerückt werden. In seiner Eröffnungsrede behauptete Michael Müller, Senator für Stadtentwicklung und Umwelt (SPD), tatsächlich, es sei nur eine „behutsame Randbebauung“ vorgesehen. So sollen im Quartier Tempelhofer Damm bis zu 1.700 Wohnungen gebaut werden. Zwei städtische Wohnungsbaugesellschaften und eine Wohngenossenschaft würden beauftragt werden, mindestens 50 Prozent der Wohnungen zu bauen. Für diese Wohnungen würde dann nur eine Miete zwischen 6 bis 8 Euro/qm verlangt werden. Diese sei für kleine und mittlere Einkommen bezahlbar. Auch studentisches Wohnen sei geplant. Wie Hartz-IV-EmpfängerInnen und StudentInnen diese Mieten bezahlen sollen, sagte er nicht. Außerdem schwärmte er von von neuen Rad- und Fußwegen, die die Kieze besser anbinden würden, von mehr Freizeitmöglichkeiten auf dem Feld und von neuen Bildungseinrichtungen, einer Schule, Kitas und Sportflächen. Mit keinem Wort ging er auf die Planungen für die Bebauung der Neuköllner Seite des Tempelhofer Feldes ein. Denn hier sollen keine Sozialwohnungen, sondern ein „exklusives Wohnviertel“ von 1660 Wohnungen mit Kaltmieten von 14,- Euro/qm entstehen. Bei der der geplanten Wohnbebauung an der Oderstraße handelt es sich also um teure Luxuswohnungen, die die Mieten in den angrenzenden Kiezen weiter hochtreiben würden. Das ist auch einer der Gründe dafür, dass die Unterstützung des Volksbegehrens in Neukölln mit 32.312 gültigen Unterschriften besonders hoch war.
Hartz IV geht raus aus Neukölln
Viele NeuköllnerInnen haben berechtigte Angst davor, aus ihrem Bezirk vertrieben zu werden. Neukölln war jahrelang als Problembezirk verschrien und viele Wohnungen standen leer. Inzwischen stehen die Leute Schlange, um eine Wohnung zu ergattern. Die Folge ist, dass die Vermieter immer höhere Mieten verlangen können. Durch die Privatisierungen von öffentlichen Wohnraum und der faktischen Einstellung des sozialen Wohnungsbaus in den letzten Jahren hat sich der Berliner Senat immer mehr die Möglichkeit genommen, dem entgegen zu steuern. So stiegen die Mieten in Neukölln zwischen 2007 und 2010 im Schnitt um 23 Prozent, mehr als in allen anderen Bezirken Berlins. Hinzu kommt, dass Imobilienspekulanten Berlin als lukrative Anlagemöglichkeit entdeckt haben, was den Anstieg der Mieten weiter verstärkt. So stieg der Immobilienumsatz in Neukölln 2011 um fast 50 Prozent. „Hier schlagen Käufer blind zu.“ (Die Zeit, 08/2012)
Besonders im Reuterkiez sind die Verdrängungsprozesse sichtbar geworden. In dem Kiez, wo früher viele Arme und MigrantInnen gewohnt hatten, werden inzwischen Kaltmieten von 9,- Euro/qm verlangt: für EmpfängerInnen von Hartz IV unbezahlbar. Der Reuterkiez ist inzwischen die Gegend in Berlin, in der die Mieten so stark steigen wie nirgendwo sonst in der Stadt. (Die Zeit, 08/2012) „Kreuzkölln war gestern, heute wird schon von Prenzlkölln gesprochen.“ schreibt die Berliner MieterGemeinschaft im Mieterecho Nr. 344. Die Welle hat inzwischen auch den Rollbergkiez erfasst. So ist auf dem Gelände der ehemaligen Kindl-Brauerei bis 2016 der Bau von 119 Eigentumswohnungen geplant. „Jetzt steht auch hier eine Aufwertung bevor, die Mieten werden steigen, die Bewohnerstruktur durch die höherwertigen Neubauten heterogener.“ (www.neukoellner.net, 20.01.14). Auch der Schillerkiez, der sich genau neben dem Tempelhofer Feld befindet, ist bereits stark von der Gentrifizierung betroffen. Bis zur Schließung des Flughafen Tempelhof wohnten in dem Kiez fast nur arme Menschen und MigrantInnen. Nur wer aus finanziellen Gründen dazu gezwungen war zog in den Schillerkiez, über dem die Flugzeuge zur Landung auf dem Flughafen ansetzten. Viele Wohnungen standen leer und das Gebiet drohte regelrecht zu verslumen. Nach der Schließung des Flughafen Tempelhof ist der Schillerkiez so attraktiv für Wohnungssuchende geworden, dass Vermieter laut Berliner MieterGemeinschaft bei Neuvermietungen inzwischen teilweise Kaltmieten von 8-9 Euro/qm verlangen können. Gleichzeitig gibt es kaum noch kleine Wohnungen, die mit Hartz IV bezahlbar sind. So traurig es ist: wer Hartz IV bezieht und umziehen möchte oder muss, der findet in Neukölln keine bezahlbare Wohnung mehr. „Hartz IV geht raus aus Neukölln“, brachte der Immobilienmakler Cemal Düz, der im südlichen Schillerkiez ein Büro betreibt, diese Entwicklung auf den Punkt. (Berliner MieterGemeinschaft, Mieterecho Nr. 344).
Randbebauung: Rettung für Geringverdiener?
Die Rettung für Geringverdiener soll nun gerade der Wohnungsbau auf dem Tempelhofer Feld bringen. So jedenfalls schlug es Staatssekretär Gothe auf einer Neuköllner Mieterveranstaltung im März 2012 vor. Allerdings sind die Neubauten nicht für Geringverdiener gedacht. Die neuen Wohnungen mit Blick auf den Rest der Tempelhofer Freiheit sollen lediglich „Druck vom Kessel nehmen“, indem Einkommensstarke in die Neubauten zögen und nicht mehr mit den Schwachen um den Wohnraum konkurrierten. Klar ist jedenfalls, dass der Bau von Wohnungen mit einer Kaltmiete von 14,- Euro/qm auf der Neuköllner Seite des Tempelhofer Feldes zu einer weiteren Aufwertung auch des unmittelbar daneben liegenden Schillerkiezes und damit zu höheren Mieten führen wird. Das wird auch Auswirkungen auf die anliegenden Kieze haben.
Viele BerlinerInnen lassen sich vom Argument des Berliner Senats beeindrucken, dass die Wohnungsknappheit in Berlin durch eine Bebauung des Tempelhofer Feldes wenigstens teilweise zu lösen wäre. Dabei gibt es in Berlin ausreichend innerörtliche, bereits erschlossene Flächen für neue Wohnungen. So stehen laut Flächenentwicklungsplan (Stand 2011) des Berliner Senats 545 Hektar aufgegebene Gewerbeflächen, 415 Hektar Flächen von ehemaligen militärischen Einrichtungen aus Zeiten des Vier-Mächte-Status und der Teilung Berlins, 382 Hektar nicht mehr benötigte Flächen für soziale und technische Infrastruktur, 250 Hektar Bahnflächen und 33 Hektar weitere Verkehrsflächen für Umnutzungen oder Umstrukturierungen zur Verfügung. Davon sind 972 Hektar für den Wohnungsbau vorgesehen. Der Senat erwartet „dass auf absehbare Zeit weitere Potenzialflächen aus dieser Vornutzung hinzukommen.“ Viele unbebaute Flächen wurden bisher allerdings für den Bau von neuen Hotels, Bürohäusern, Einkaufscentern und Eigentums- oder Luxuswohnungen zur Verfügung gestellt, so wie es aktuell zwischen Jannowitzbrücke und Osthafen (Mediaspree), am Alexanderplatz und am Hauptbahnhof (Heidestraße/Europa-City) geschieht oder demnächst im Rollbergkiez ablaufen soll. Der öffentliche soziale Wohnungsbau hingegen wurde und wird stark vernachlässigt. Denn „nach wie vor entstehen Wohnungen hauptsächlich im Eigentumsbereich“, so Reiner Wild vom Berliner Mieterverein (Der Tagesspiegel, 31.01.14)
Die Kosten steigen, die Allgemeinheit zahlt
Auf dem Tempelhofer Feld ist Ähnliches zu befürchten. Dort soll der Bau weiterer Luxuswohnungen sogar auf Kosten aller BerlinerInnen mit öffentlichen Geldern subventioniert werden. So belaufen sich die Erschließungskosten für die Luxusbebauung auf dem Feld bei etwa 300 Millionen Euro, was etwa 60.000 Euro Erschließungskosten je Wohnung sind. Die Erschließungskosten „auf der grünen Wiese“ sind auch deshalb weitaus höher als in erschlossenen Gebieten, weil erhebliche Erweiterungen bei den Netzen der technischen Infrastruktur nötig sind. So muss für jede Wohneinheit ein Straßen-, Wasser-, Abwasser- und Stromanschluss geschaffen werden. Die Kosten dafür werden über kommunale Steuern und über Gebühren und Tarife für die Ver- und Entsorgung mit Wasser, Gas, Strom und Abwasser bezahlt. „Die Allgemeinheit zahlt 20 bis 40 Prozent der Erschließungskosten neuer Baugebiete“ (NABU-Online, Kosten der Zersiedelung). Dagegen liegt die Mitfinanzierung der technischen Infrastruktur bei Baulücken und Nachverdichtungen durch die Allgemeinheit bei nahe Null Prozent, da hier die Hausanschlüsse und privaten Zufahrten zu 100 Prozent durch die Grundstücksbesitzer zu finanzieren sind (NABU-Online, Kosten der Zersiedelung).
Zwei Drittel der aktuellen Bauflächen auf dem Tempelhofer Feld sind für Gewerbeeinrichtungen und die Landesbibliothek vorgesehen. Am 20. Februar 2014 wurde bekannt, dass der Neubau der Landesbibliothek statt 270 Mio Euro nun bis zu 350 Mio Euro kosten könne. Man hätte „die zu erwartenden Baupreissteigerungen bis zur geplanten Fertigstellung der Baumaßnahme“ im Jahr 2021 nicht mit einkalkuliert. Die Präsidentin der Architektenkammer, Christine Edmaier, erwartet sogar einen Anstieg der Baukosten auf bis zu 400 Millionen Euro. „Kostensteigerungen von 15 Prozent seien „normal“, wenn ein Projekt noch am Anfang stehe. Hinzu komme die jährliche Baupreis-Steigerung. „Aufgrund der Marktentwicklung in Berlin müssen wir davon ausgehen, dass die Baupreise in allen Gewerken nach oben gehen“, so Edmayer.“ (Berliner Zeitung, 20.02.14). Es ist also zu erwarten, dass es einen Anstieg der Baukosten auch in den anderen Bereichen geben wird. Bisher lagen die Gesamtkosten der Bebauung laut einem internem Papier des Senats bei 500 Mio Euro. Dabei könnte dieses Geld für den Bau von öffentlichen Wohnungen mit sozialverträglichen Mieten verwendet werden.
Unverständlich ist auch, warum so viel Geld für einen Neubau der Landesbibliothek da ist, während gleichzeitig in etlichen Bezirken wohnortnahe Bibliotheken geschlossen werden sollen. Hieran wird unter anderem deutlich, warum auch ein/e BerlinerIn aus Marzahn oder Spandau ein Interesse daran haben sollte, eine Bebauung des Tempelhofer Feldes zu verhindern. Denn das Geld, was dafür verschwendet wird, wird an anderer Stelle gekürzt. Dabei gibt es Alternativen zu einen Neubau. So wurde bereits vor Jahren überlegt am Standort der Amerika-Gedenkbibliothek (AGB) einen Erweiterungsbau zu errichten oder die Landesbibliothek ins leer stehende Flughafengebäude einziehen zu lassen.
Tempelhofer Freiheit nur für die Reichen?
Eine Bebauung des Tempelhofer Feldes wäre aber auch aus anderen Gründen ein Fehler. So ist das Feld für die Versorgung der anliegenden Bezirke mit frischer Luft und damit für das Klima in Berlin wichtig. Mit seinen rund 300 Hektar unbebauter Freifläche sorgt es für den notwendigen Luftaustausch in den dicht bebauten angrenzenden Stadtquartieren und bietet Pflanzen und Tieren einen Schutz- und Lebensraum. Bisher konnten außerdem alle BerlinerInnen und Berlin-BesucherInnen das Tempelhofer Feld uneingeschränkt und unentgeltlich für Freizeitaktivitäten, Sport und Erholung nutzen. Das ist nun durch die die geplanten Bebauungsvorhaben gefährdet. Das Feld ist also ein wichtiger öffentlicher Freiraum, der nicht privatisiert und bebaut werden darf.
Der Berliner Senat versuchte noch während die Unterschriften für das Volksbegehren gesammelt wurden Fakten zu schaffen und prämierte zwei Entwürfe für den Neubau der Zentral- und Landesbibliothek. Nötig ist daher eine sofortige Aussetzung der Baupläne durch ein Moratorium. Die BerlinerInnen sollen über eine wirkliche demokratische Bürgerbeteiligung über die Zukunft ihres Tempelhofer Feldes selber entscheiden, unabhängig von ihrer Nationalität und Staatsangehörigkeit. Das beinhaltet auch die Berechtigung zur Teilnahme an Volksbegehren und Volksentscheiden als auch das kommunale Wahlrecht. Statt einer Randbebauung des Tempelhofer Feldes sollten alle vorhandenen Bauflächen in Berlin für den öffentlichen sozialen Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden. Statt Bürohochhäuser und Shopping Malls zu errichten ist auf eine gute Mischung von bezahlbaren Wohnungen und Gewerbe nach den Wünschen und Bedürfnissen der MieterInnen zu achten. Die Zweckentfremdung von Wohnungen für Gewerbe oder Ferienwohnungen sollte untersagt beziehungsweise deren Rückumwandlung angewiesen werden. Alle leerstehenden Wohnungen und großen privaten Wohnungsgesellschaften sind entschädigungslos zu rekommunalisieren und unter demokratische Kontrolle und Verwaltung der Beschäftigten, des Senats und der Mietervereine zu stellen. Grund und Boden gehören in kommunales Eigentum. Mieterhöhungen sind grundsätzlich zu verbieten und der Mietanstieg auf 20 Prozent des Einkommens zu begrenzen. Spekulation mit Wohnungen, Grund und Boden gehören verboten.