Berliner Charité: Tarifvertrag für mehr Personal gilt als Testlauf für gute Arbeit und Pflege
Carsten Becker ist Sprecher der ver.di-Betriebsgruppe und Mitglied der gewerkschaftlichen Verhandlungskommission am Berliner Uniklinikum Charité. Mit ihm sprach Daniel Behruzi über den Stand des Tarifkonflikts.
Wochenlang hat man in der Öffentlichkeit kaum etwas vom Tarifkonflikt um mehr Personal am Berliner Uniklinikum Charité mitbekommen. Nun gibt es eine Einigung. Wie ist das gekommen?
Der Grund für die relative Stille war das Schlichtungsabkommen, auf das die Arbeitgeber zu Beginn der Verhandlungen bestanden hatten. Während der Schlichtungsphase durfte es demnach keine Kommunikation nach außen geben. Wir hatten in diesen Gesprächen harte Auseinandersetzungen, da die Diskrepanz zwischen den Forderungen von ver.di und den Angeboten des Arbeitgebers sehr groß war. Der Kompromiss sieht vor, in einer nur bis Ende 2014 laufenden Vereinbarung Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zu testen. Die Charité-Leitung sagt verbindlich zu, in dieser Zeit 80 zusätzliche Pflegekräfte einzustellen.
80 neue Stellen bei rund 3.500 Vollkräften im Pflege- und Funktionsdienst der Charité – reicht das aus, um der Überlastung der Beschäftigten ein Ende zu setzen?
Ganz gewiss nicht. Das gibt selbst der Arbeitgeber zu. Die 80 zusätzlichen Vollkräfte können keinesfalls das Ende der Fahnenstange sein, sondern nur der erste Schritt zu einer wirklichen Verbesserung der Situation. Die nun erzielte Vereinbarung ist dennoch ein wichtiger Erfolg: Damit wird weiterem Personalabbau ein Riegel vorgeschoben, die 80 Stellen müssen tatsächlich oben drauf kommen. Wir haben bis Jahresende die Möglichkeit zu erproben, was nötig ist, um die Überlastung im Interesse von Beschäftigten und Patienten zu beenden.
Das ist auch aus einem ganz praktischen Grund sinnvoll: Es gibt bislang in keinem Krankenhaus einen Tarifvertrag über Personalstandards. Nun können wir ausprobieren, wie das funktioniert. Und zum Jahreswechsel haben wir alle Karten in der Hand, auf Grundlage dieser Erfahrungen weitere Verbesserungen durchzusetzen. Dies ist also nicht das Ende der Auseinandersetzung um genügend Personal, sondern ein wichtiger Zwischenschritt.
Was passiert, wenn zum Jahresende klar ist: Die 80 Stellen haben nicht gereicht, um die Arbeitsbedingungen grundlegend zu verbessern?
Dann liegt die Pistole auf dem Tisch. Die Friedenspflicht läuft am 31. Dezember aus. Die von den Schlichtern gesetzte Messlatte ist: Es muss „eine wirksame Entlastung des Personals“ geben. Daran werden wir die Realität messen.
Eine paritätisch besetzte Gesundheitskommission soll über die Verteilung der zusätzlichen Stellen entscheiden. Was hat es damit auf sich?
Das ist ein Novum: Gewerkschaft und Belegschaft können mit darüber entscheiden, wo diese Pflegekräfte eingesetzt werden. Mit Ultimaten und sogenannten Notruf-Aktionen haben in den vergangenen Monaten etliche Stationen und Bereiche dem Arbeitgeber angezeigt, dass sie dringend Entlastung brauchen. Nun bekommen wir Einfluss darauf, dass dort auch wirklich gehandelt wird. Alle Kolleginnen und Kollegen sind jetzt aufgefordert, ihre Bedarfe anzumelden. Sie müssen sagen, wieviel Personal im Früh-, Spät- und Nachtdienst benötigt wird, um gute Arbeit und gute Pflege zu gewährleisten. Das wird der Maßstab für die Verhandlungen über das weitere Vorgehen im kommenden Jahr.
Als ver.di an der Charité die Tarifforderung nach personellen Mindeststandards 2012 aufstellte, hielt die Klinikleitung das noch für einen Verstoß gegen die „unternehmerische Freiheit“ und das Grundgesetz.
Das hat sich nun wohl erledigt. Wir haben bewiesen, dass tarifliche Regelungen für bessere Arbeitsbedingungen möglich und durchsetzbar sind. Jetzt müssen wir ausprobieren, welche Maßnahmen notwendig sind für einen Tarifvertrag, der allen Beschäftigten Entlastung bringt. Zugleich können wir gemeinsam mit anderen Häusern den Druck für eine gesetzliche Personalbemessung erhöhen.
Wir konnten mit dem Tarifkonflikt an der Charité dazu beitragen, das Thema Personalmangel in Krankenhäusern in den Medien und in der Politik zu platzieren. Konkret machen wir Druck dafür, dass das Land Berlin zum Vorreiter wird und gesetzliche Mindeststandards beim Personal festschreibt. Letztlich brauchen wir ein solches Gesetz auf Bundesebene. Betriebliche Auseinandersetzungen wie an der Charité können helfen, dafür Druck zu entwickeln.