Interview mit Larissa von Socialist Alternative in den USA. Das Gespräch führte Georg Kümmel
Eine (zwar immer noch kleine, aber zuletzt stark) wachsende Zahl von Jugendlichen in den USA hat großes Interesse an sozialistischen Ideen. Larrissa aus Minneapolis erzählt anhand ihrer persönlichen Geschichte, mit welchen Problemen Jugendliche heute in den USA zu kämpfen haben und berichtet über ihre eigene politische Entwicklung.
Kannst du dich unseren Leserinnen und Lesern bitte kurz vorstellen?
Ich bin Larissa, 22 Jahre alt, aktuell schreibe ich Web-Seiteninhalte für kleine Firmen. Das ist ziemlich langweilig, da geht es um Werbung für Schuhe und so. Es bringt nicht viel Geld, aber ich bin ziemlich flexibel. So kann ich politisch aktiver sein. Ich bin seit ungefähr eineinhalb Jahren Mitglied von Socialist Alternative hier in den USA.
Bevor ich ich eingetreten bin, habe ich in Gainesville in Florida gelebt. Dort hatte ich zusammen mit fünf Mitbewohnerinnen eine Drei-Zimmer-Wohnung und so konnten wir uns die Miete teilen. Ich habe eine Zeit lang bei Walmart gearbeitet. Das habe ich aufgegeben, weil die bei den Arbeitszeiten nie Rücksicht auf meine Termine an der Uni genommen haben. Deshalb habe ich einen Job in einem Fastfood-Laden an der Universität Florida angefangen, aber ich musste zu einer Art Fachhochschule und die war sieben Meilen davon entfernt. Dort habe ich angefangen, Computer-Netzwerke und Computer-Sicherheit zu studieren. Das war aber eher eine sehr elementare Einführung in diese Themen.
Bei meiner Arbeit gab es keine garantierten Wochenstunden. Als ich eine Zeit lang nur noch 20 Stunden arbeiten konnte, hatte ich nicht genug Geld, um die Miete zu bezahlen. Meine Mitbewohner waren auch immer knapp bei Kasse und wir wurden schließlich aus der Wohnung geworfen. Ich habe dann so hier und da gewohnt und bin dann erst mal wieder zu meinen Eltern gezogen. In dieser Zeit habe ich Leute von Socialist Alternative kennengelernt.
Was wurde aus deinem Studium?
Als ich Gainesville verlassen musste, habe ich auch das College abgebrochen. Ich habe also keine abgeschlossene Ausbildung. Das Problem ist, weil das Studium eine Menge Geld kostet, müssen wir einen Kredit aufnehmen. Ich bin ein Jahr zur Fachhochschule gegangen und habe bereits 8.000 Dollar Schulden.
Der Grund, warum ich mein Studium aufgegeben habe, war nicht, weil ich es nicht gemocht hätte, sondern weil ich es mir nicht leisten konnte. Ich habe Teilzeit gearbeitet, aber es war eine unhaltbare Situation, als ich meine Wohnung verlassen musste, musste ich auch die Stadt verlassen, also auch das Studium aufgeben. Die meisten Studierenden nehmen für ihr Studium einen Kredit auf, der kommt entweder vom Staat oder von einem privaten Kreditgeber. Und in meinem Fall musste ich aufhören, bevor die Kurse zu Ende waren. Ich bekomme erst wieder Kredit, wenn ich eine bestimmte Anzahl Kurse absolviert habe, müsste also selber erstmal eine Zeit lang mein Studium anders finanzieren.
Die Studien-Kredite sind ein großes Problem. Wenn ich die Zahlen richtig im Kopf habe, dann ist der Berg an Krediten, die von Studierenden aufgenommen worden sind, höher, als die Kreditkartenschulden in diesem Land. Und das bedeutet auch, dass die meisten ihren Kredit für’s Studium erst abbezahlt haben werden, wenn sie über 50 sind.
Man kann auch (anders als bei anderen Krediten) für diese Schulden keine Privatinsolvenz anmelden. Die Aufnahme eines Studien-Kredits beeinflusst automatisch die persönliche Kreditwürdigkeit, natürlich erst recht, wenn man in Verzug gerät und ein Inkassounternehmen mit der Eintreibung beauftragt wird. Letzteres ist ein riesiges Problem. Also, ich habe Telefonanrufe vom Inkassounternehmen bekommen, das geht dann schon morgens um 7:30 Uhr los. Dann kann man vielleicht eine Gnadenfrist vereinbaren, damit sie einen nicht weiter anrufen. Das ist die Art, wie das System mit Bildungskrediten funktioniert, ich schätze mal, dass man am Ende eines Bachelor-Studiums so zwischen 35.000 und 50.000 Dollar Schulden hat, eher nahe 50.000 Dollar
Ich plane immer noch, das Studium mal zu beenden. Aber das heißt nicht, dass ich dann Geld haben werde. Für Leute, die ihr Studium beendet haben, ist es nichts Ungewöhnliches, erstmal in einer Firma unbezahlt zu arbeiten. Manche machen das für mehrere Monate, um irgendwie einen Fuß in die Tür zu bekommen, was aber selten der Fall ist.
Warum bist du politisch aktiv geworden?
Ich war schon immer irgendwie politisch interessiert, auch wenn das mehr in dem Sinne war, dass ich Nachrichten verfolgt und mich für Wahlen interessiert habe. Ich begann, mich mehr und mehr nach links zu bewegen, als ich noch ein Teenager war, schon allein, weil ich in der Gegend, in der ich gewohnt habe, in Florida, die Ungleichheit zwischen Arm und Reich gesehen habe. Ich war zwar politisch interessiert, aber auch passiv. Ich hatte den Eindruck, dass sich niemand wirklich dafür einsetzt, etwas zu ändern. Meine Freunde und meine Familie waren nicht sonderlich politisch. Ich selber habe mich für die Wahlen in den USA interessiert, aber nicht so richtig dafür, was sonst in der Welt geschieht. Als dann der arabische Frühling losging und Occupy entstand, da wurde mir bewusst, dass sehr, sehr viele Menschen den jetzigen Zustand satt haben, dass ich nicht alleine so denke. Gleichzeitig hatte ich nicht viel Ahnung, zum Beispiel von der Geschichte der Arbeiterbewegung, darüber wurde in der Schule nie gesprochen. Also habe ich selber angefangen was zu lesen. Und mir wurde bewusst, dass es viel mehr Kämpfe gibt und dann, ich sag’s nochmal, mit Occupy habe ich verstanden, dass es noch viel mehr Leute gibt, die über dieselben Sachen wütend sind, über die ich wütend war. Das verwandelte mich von jemandem, der eher passiv war, in jemanden, der den Wunsch hatte, eine aktivere Rolle zu spielen. Das war der Grund, warum ich begann, mich nach politischen Gruppen umzusehen, mit denen ich was machen könnte. Und so kam ich in Kontakt mit Socialist Alternative.
Was hat dich denn am meisten an den bestehenden Zuständen gestört?
Da gibt es nicht nur ein oder zwei Sachen, sondern eine ganze Reihe von Gründen. Aber ein Beispiel: Als Mädchen aufzuwachsen, bedeutete, dass mich Sachen frustrierten, die Erwartungen in dieser Gesellschaft an Frauen etwa.
Es ärgerte mich schon als kleines Mädchen, dass ich nicht zu den Pfadfindern durfte und nicht wie sie dort mit Luftgewehren schießen lernen durfte. Allgemein empfand ich es als frustrierend, was von mir erwartet wurde, wie ich als Mädchen oder Frau zu sein hätte. Das führte dazu, dass ich schon früh einige feministische Ansichten hatte. Zunächst wollte ich zum Beispiel, dass mehr Frauen gewählt werden, aber dann merkte ich, dass es keinen Unterschied macht, ob eine Frau oder ein Mann von den Demokraten oder Republikanern gewählt wird. Damals dachte ich auch noch, es gäbe einen großen Unterschied zwischen Republikanern und Demokraten, und es gibt ja auch noch einen Unterschied, aber keinen großen und das hat mich zum Nachdenken gebracht, über das ganze System, das wir haben, ob die meisten Menschen überhaupt darin repräsentiert werden.
Es gab viele Dinge, Reichtum und Ungleichheit, Rechte von Frauen. Die Ungleichheit ist ziemlich offensichtlich. Die Multi-Millionen-Dollar-Villen am Strand von Florida, die die ganze Sicht auf das Meer einnehmen, und nur 10 oder 15 Minuten Fahrzeit entfernt leben die ärmsten Menschen.
Es ist so offensichtlich, dass es diesen riesigen Reichtum gibt, und in unmittelbarer Nachbarschaft gibt es ganz viele Menschen, die jeden Tag kämpfen müssen, um über die Runden zu kommen. Das hat natürlich eine Menge Fragezeichen in meinem Kopf erzeugt. Nicht aus einem einzelnen Grund, sondern weil mich viele Sachen gleichzeitig aufgeregt haben, deshalb bin ich heute aktiv.
Wofür muss man während des Studiums zahlen? Auch für Studiengebühren?
Wenn man in einem Studentenwohnheim wohnt, ist das billiger als ein normales Appartement und das Essen an der Uni ist billiger. Man muss für alle Bücher zahlen, das geht ins Geld und dann zum Beispiel auch noch für Parkgebühren, die freien Parkplätze sind schnell weg. Ich kann nur über die Fachhochschule sprechen, an der ich studiert habe und die Uni, an der ich gearbeitet habe, aber es ist überall ziemlich ähnlich.
Kannst Du unseren Leserinnen und Lesern einen Eindruck geben, was man so in einem Nebenjob verdient, wie viel Geld hast du bekommen?
Als ich bei Walmart gearbeitet habe, habe ich 7,65 Dollar pro Stunde bekommen. Alle dort arbeiteten nur Teilzeit, außer den Filialleitern und so. Aber es war immer unsicher, wie viele Stunden ich würde arbeite können. Am Ende des Monats hatte ich so zwischen 600 und 800 Dollar netto. In dem Lebensmittelladen an der Uni Florida habe ich für acht Dollar gearbeitet, aber ich konnte weniger Stunden arbeiten, normalerweise nur 15-20 Stunden pro Woche. Ich weiß jetzt nicht mehr, wie hoch meine Miete war, aber ein großes Problem war eher der Strom. In Florida wird es sehr, sehr heiß und der Strom allein für die Klimaanlage konnte für uns zusammen schnell 400 Dollar kosten.
Ich hatte den Vorteil, dass ich mir diese Kosten mit meinen Mitbewohnern teilen konnte, aber ich hatte Kolleginnen, die waren alleinerziehende Mütter. 7,65 oder 8,00 Dollar reichen dann nicht, um Strom und Miete zu bezahlen. Eine Wohnung, selbst eine Einzimmerwohnung, kostet mit Nebenkosten so irgendwo zwischen 700 und 900 Dollar pro Monat. Deshalb fehlte mir am Ende auch das Geld, um weiter zur Uni zu gehen.