80. Jahrestag des historischen Streiks in den USA
Vor achtzig Jahren wurde eine kleine Stadt im Mittleren Westen in ihren Grundfesten erschüttert. Der Streik der LKW-FahrerInnen in Minneapolis 1934 war einer der größten Arbeitskämpfe in der Geschichte der USA. Zwei Monate lang gehörten die Straßen der Arbeiterklasse.
von Canyon Lalama, Minneapolis
Mit der Entstehung einer mutigen sozialistischen Führung konnten die ArbeiterInnen von Teamster Local 574 [dem Ortsverband der Gewerkschaft „Internaional Brotherhood of Teamsters“ in Minneapolis, AdÜ] massive Verbesserungen erkämpfen. Der Durchschnittslohn für gewerkschaftlich organisierte LKW-FahrerInnen stieg von 28 Cent pro Stunde auf 52 Cent pro Stunde.
Nach Jahren von harten Niederlagen für die Gewerkschaftsbewegung veränderten 1934 drei große Streiks alles – in Minneapolis, San Francisco und Toledo. Unter der Führung von SozialistInnen, die die Notwendigkeit kämpferischer Massenaktionen gegen die Bosse und die Anti-Gewerkschafts-Gesetze verstanden, lösten diese Streiks die gigantische Erhebung der US-amerikanischen Arbeiterklasse in den folgenden zehn Jahren aus, mit der viele Errungenschaften durchgesetzt wurden, von denen die Arbeitenden bis heute profitieren.
Anfang der 1930er war die Große Depression in vollem Gange. Unternehmen senkten die Löhne und entließen ArbeiterInnen, um ihre hohen Profite zu erhalten. Die ArbeiterInnen litten unter Sweatshop-Bedingungen, niedrigen Löhnen, langen Arbeitszeiten und der ständigen Gefahr, gekündigt zu werden.
Die Bedingungen in der Kohleindustrie in Minneapolis waren für diese Zeit typisch. In seinem außergewähnlichen Buch Teamster Rebellion beschreibt Farrell Dobbs (ein Führer des Streiks 1934) seine eigene Situation: „Meine Arbeitszeit wurde auf 48 Stunden in der Woche gekürzt. Das war eine willkommene körperliche Erleichterung, weil Kohlentrimmer arbeiten mussten wie Maultiere, aber gleichzeitig wurde der Lohn um zwei Dollar in der Woche gekürzt… vorher hatte es gerade so zum Lebensunterhalt gereicht, jetzt kam echte Armut… zudem konnte ich damit rechnen, im Frühjahr gekündigt zu werden… und der Arbeitgeber konnte mich jederzeit ohne Kündigungsschutz nach Belieben feuern.“
Diese Bedingungen führten zu massiver Wut. Immer mehr ArbeiterInnen traten in den Gewerkschaftsbund American Federation of Labor ein, weil sie einen Lösung zur Verbesserung ihrer schwierigen Lebensbedingungen suchten.
Leider hatte die AFL-Führung die Idee des echten Widerstands aufgegeben. Stattdessen versuchte sie, sich bei den Bossen beliebt zu machen indem sie sich auf ihre Seite stellte und gewerkschaftliche Strukturen manipulierte, um ihre privilegierte Position zu erhalten. Dieses Modell der „Unternehmensgewerkschaft“ führte zu massiven Niederlagen.
ArbeiterInnen in Minneapolis hatten es auch mit der sogenannten Citizens Alliance (Bürgerallianz) zu tun, einem Unternehmerverband der von den reichsten Kapitalisten vor Ort dominiert wurde und sich auf Streikbruch spezialisiert hatte. Sie bekam die volle Unterstützung der Polizei, der Lokalpresse und der PolitikerInnen. Die Citizens Alliance rief für die Stadt die „Open Shop“-Policy aus [„Closed Shop“ bedeutete, dass alle ArbeiterInnen in einem Unternehmen verpflichtet waren, einer Gewerkschaft beizutreten, bei „Open Shop“ durfte keine Gewerkschaftsmitgliedschaft verlangt werden, AdÜ] und schrieb allen Unternehmen vor, dass „keine Art von Gewerkschaft benötigt wird, um mit den Beschäftigten zu verhandeln“.
Die sozialistischen GewerkschaftsaktivistInnen glaubten im Gegensatz zu den AFL-FührerInnen, dass die Arbeiterklasse wenn sie mobilisiert wird und sich ihres Status als Klasse bewusst ist, die stärkste Macht in der Gesellschaft ist. Sie erkannten auch, dass selbst die grundlegendsten Verbesserungen für ArbeiterInnen nur durch kompromisslosen Kampf gegen die Bosse und ihrer PolitikerInnen durchgesetzt wurden.
In Local 574 bildeten GewerkschaftsaktivistInnen der Communist League of America die Führung. Die CLA hatte sich auf der Grundlage der Ideen von Leo Trotzki und anderen organisiert, die die verrottete Politik des Stalinismus ablehnten und für echten Marxismus und Arbeiterdemokratie kämpften.
Diese GewerkschafterInnen starteten eine kühne Organisierungskampagne mit einem klaren Forderungskatalog, der durch intensive Diskussionen mit den ArbeiterInnen ausgearbeitet worden war. Anstatt sich darauf zu beschränken, was nach Angabe der Arbeitgeber finanzierbar war, kämpften die Teamsters in Minneapolis für einen guten Lebensstandard für die ArbeiterInnen. Mit diesen Forderungen wuchs Local 574 schnell von nur 75 Mitgliedern im Jahr 1933 auf über 7000 nur ein Jahr später.
Die International Brotherhood of Teamsters wurde von einem zynischen, korrupten Vorsitzenden, Daniel Tobin, beherrscht, der damit prahlte, dass die Teamsters „nicht der Müll, der in andere Organisationen gekommen ist“ seien. Die Gewerkschaft wolle nicht, dass Menschen eintreten „wenn sie morgen anfangen zu streiken.“
Die sozialistischen AktivistInnen änderten das schnell. Local 574 wurde von einem bürokratischen Haufen in eine sehr demokratische, kämpfende Organisation verwandelt. Alle wichtigen Entscheidungen wurden auf Massenversammlungen getroffen und nicht von oben diktiert. Die Mitglieder wählten auch ein Streikkomitee aus 100 Basismitgliedern, um die bevorstehenden Kämpfe vorzubereiten.
Die Schlacht beginnt
Im Januar 1934 wurden die ersten Schüsse des Klassenkrieges abgefeuert. Local 574 sprach sich in einer Urabstimmung für Streik für einen zum Leben reichenden Lohn und Arbeitszeitverkürzung aus. Es gab sofort kämpferische Massen-Streikposten, und alle Kohletransporte in der Stadt wurden gestoppt.
Das Timing war perfekt. Minnesota ist für seine kalten Winter bekannt und die öffentliche Meinung forderte bald eine schnelle Einigung. Die Bosse waren zu Zugeständnissen gezwungen. Sie stimmten einigen Forderungen nach Lohnerhöhungen zu und erkannten die Gewerkschaft offiziell an.
Die Gewerkschaftsmitglieder in der Region gewannen Selbstbewusstsein. Nicht organisierte ArbeiterInnen blickten hoffnungsvoll auf die Gewerkschaftsbewegung. Zum ersten Mal seit Jahren war in Minneapolis ein Streik gewonnen worden. Aber um einen guten Lebensstandard durchzusetzen, musste Local 574 die ganze Transportbranche in der Region organisieren, sonst würden andere ArbeiterInnen mit der Bereitschaft, zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten ihre Kampfkraft untergraben. Eine Organisierungskampagne für die ganze Branche und ein Streik wurden geplant.
Die Citizens Alliance bereitete sich darauf vor, mit Klauen und Zähnen gegen die Gewerkschaft zu kämpfen. Sie verstärkten ihre Verbindungen zum Bürgermeister und zur Polizei und organisierten eine massive Propagandakampagne gegen die wachsende „kommunistische Verschwörung“ in der Lokalpresse.
Die „alte Garde“ der Gewerkschaftsführer fürchtete, dass ein Streik durch Arbeitslose untergraben werden würde. In Minneapolis gab es zu der Zeit etwa 30000 Arbeitslose, fast ein Drittel der Bevölkerung, die versuchten vom mageren Arbeitslosengeld der Regierung zu überleben.
Aber die SozialistInnen in der Gewerkschaft sahen die Arbeitslosen als Verbündete, nicht als Feinde. Local 574 gründete eine Erwerbslosenabteilung in der Gewerkschaft und kämpfte für öffentliche Leistungen für bedürftige Mitglieder. Das trug dazu bei, das Klassenbewusstsein unter den arbeitslosen ArbeiterInnen zu heben und sie zu Streikposten statt Streikbrechern zu machen.
Frauen mussten in dieser Zeit üblicherweise unbezahlte Hausarbeiten verrichten und waren wirtschaftlich von den Männern abhängig, so dass sich der Streik stark auf die Frauen aus der Arbeiterklasse auswirkte. Die sozialistischen Gewerkschaftsführer nutzten die Fähigkeiten der Frauen, indem sie eine gewerkschaftliche Frauengruppe gründeten, die ihren Kampf stark unterstützte.
Die Frauen halfen bei der Besetzung des Streikbüros, stellten die Nahrungsversorgung der Arbeiter und ihrer Familien sicher und leisteten in den kommenden Kämpfen mit der Polizei notwendige Erste Hilfe. Frauen verstärkten auch die Streikposten und nahmen an den späteren Straßenkämpfen teil. Sekretärinnen der Bosse und Politiker dienten als Spioninnen für die Gewerkschaft und kopierten heimlich Briefe und Dokumente, die Local 574 häufig ermöglichten, den Arbeitgebern einen Schritt voraus zu bleiben.
Die gewerkschaftliche Frauengruppe hatte auch einen starken Einfluss auf das Bewusstsein der Männer, von denen viele Gewerkschaftsaktivitäten als „Männerabende“ betrachtet hatten. Diese sexistischen Einstellungen schwanden schnell, als sie die dringend notwendige Unterstützung sahen, die ihre Frauen und Freundinnen für die Bewegung leisteten.
Streik
Bis zum 16. Mai 1934 weigerten sich die Bosse weiterhin, die meisten Forderungen der ArbeiterInnen zu erfüllen und ein weiterer Streik begann. Tausende ArbeiterInnen gingen auf die Straße und im Streikbüro herrschte reger Betrieb. Dank der sorgfältigen Planung und Vorbereitung wurde die gesamte Transportbranche stillgelegt. Nichts bewegte sich ohne Erlaubnis der Gewerkschaft.
Die Basis entwickelte die geniale Idee der fliegenden Streikposten, um einen totalen Stopp der Transportbranche zu erzwingen. Streikende wurden an Telefonzellen in der ganzen Stadt stationiert. Wenn ein LKW ohne ein Schild von der Gewerkschaft gesehen wurde, fuhr ein LKW mit Streikposten hin und blockierte die Streikbrecher und ihre Ladung.
Local 574 produzierte eine tägliche Streikzeitung namens The Organizer. Sie war die erste tägliche Streikzeitung im Land und trug dazu bei, der Propaganda der Konzernzeitungen entgegenzutreten und das Bewusstsein der Arbeiterklasse in der Stadt zu stärken. Sie enthüllte die wahre Rolle der Polizei, der Demokraten und Republikaner und des Justizsystems bei der Verteidigung der Interessen der Bosse.
Die frustrierte Citizens Alliance nutzte ihre Verbindungen zu PolitikerInnen beider Parteien, um einstweilige Verfügungen gegen die Gewerkschaft durchzusetzen, den Streik zu beenden. Sie wurden von den Streikenden ignoriert, die verstanden dass es notwendig war, die Gesetze der Bosse zu verletzen um zu gewinnen.
Polizisten versuchten mit Knüppeln bewaffnet Streikposten zu durchbrechen und das Streikverbot durchzusetzen. Aber die Streikenden und ihre UnterstützerInnen waren ihnen zahlenmäßig weit überlegen. Mehr als einmal konnten mit Stöcken bewaffnete ArbeiterInnen die Polizei auf der Straße besiegen.
Am 20. Juli, bekannt als „Blutiger Freitag“, lockte die Citizens Alliance fliegende Streikposten mittels eines Streikbrecher-LKW in einen Hinterhalt, wo über 100 Polizisten mit voller Kampfausrüstung und Pistolen warteten. Ohne Vorwarnung eröffneten die Bullen das Feuer. Siebenundsechzig Streikende wurden verletzt und ein Gewerkschaftsmitglied, Henry Ness, wurde getötet.
Es wurde offensichtlich, dass in den Straßen ein offener Klassenkrieg ausgefochten wurde. Statt die ArbeiterInnen zu verängstigen und zum Aufgeben zu bringen, steigerte der blutige Freitag ihre Wut und mobilisierte nicht nur Mitglieder von Local 574, sondern auch die ganze Arbeiterklasse von Minneapolis. Andere Gewerkschaften halfen mit Geld- und Sachspenden und traten in Solidaritätsstreiks. An der Beerdigung von Henry Ness nahmen 20000 Menschen teil und die feierliche Prozession durch die Straßen wurde zu einem Massenprotest.
Als er verstand, dass die Polizei mit den Streikenden nicht fertig wurde rief der Gouverneur für die Bosse die Nationalgarde zur Hilfe. Der demokratische Präsident Roosevelt, angeblich ein Freund der ArbeiterInnen, schickte etwa 4000 Soldaten nach Minneapolis.
Die Nationalgarde richtete auf dem staatlichen Messegelände ein Gefangenenlager ein und patroullierte mit Maschinengewehren bewaffnet auf den Straßen. Sie verhafteten die sozialistischen Führer, um der Gewerkschaft den Kopf abzuschneiden, aber dank der Beteiligung und Ausbildung der Basis dazu, sich auf ihre eigene unabhängige Kraft zu verlassen scheiterte diese Taktik total. Eine neue Streikleitung wurde schnell gewählt und der Streik ging mit unverminderter Kraft weiter.
Nach sieben Wochen gaben die Arbeitgeber endlich auf. Die Forderungen der ArbeiterInnen wurden akzeptiert, und Minneapolis wurde zu einer von starken Gewerkschaften geprägten Stadt. Die ArbeiterInnen setzten nicht nur ihre Forderungen nach höheren Löhnen und Anerkennung der Gewerkschaft durch, sondern etablierten auch neue Traditionen der Solidarität und des Widerstands, die für andere ArbeiterInnen in Minneapolis und überall im Land einen Weg nach vorn aufzeigten.
Lehren für heute
Heute sind wir in der Gewerkschaftsbewegung mit Desillusionierung konfrontiert. Weniger als 13% der ArbeiterInnen in den USA sind organisiert, verglichen mit 35% 1955. In dieser Periode des wirtschaftlichen Niedergangs und der Stagnation stehen ArbeiterInnen in allen Bereichen Kürzungen der Löhne und Sozialleistungen gegenüber, ständig drohen Kündigungen und Outsourcing. Über 47 Millionen ArbeiterInnen verdienen weniger als 10$ in der Stunde, sie werden von skrupellosen Konzernen wie Wal-Mart in die Armut gedrängt.
ArbeiterInnen werden aufgefordert, ihre Forderungen darauf zu beschränken, was sich die Konzerne nach eigenen Angaben auf dem „umkämpften Weltmarkt“ leisten können, und die meisten GewerkschaftsführerInnen schließen sich dieser Logik an. Aber die Erfahrung von 1934 zeigt, dass eine kämpferische, klassenbewusste Führung, die für weitgehende Forderungen kämpft um das Leben von arbeitenden Menschen zu verändern, die kollektive Kraft der ArbeiterInnen mobilisieren kann um jedes Hindernis zu überwinden.
Wenn die heutigen Gewerkschaften, die potentiell viel stärker wären als die Arbeiterbewegung von 1934, einen Kampf beginnen würden um die Unorganisierten zu organisieren, für ausreichende Löhne für Alle und eine öffentliche Krankenversicherung zu kämpfen, könnten diese „unmöglichen“ Forderungen durchgesetzt werden. Wie 1934 können sogar einige wenige örtliche Erfolge den Weg nach vorn zeigen. Farrell Dobbs schrieb: „Der Zunder der Unzufriedenheit beginnt sich anzuhäufen. Jeder Funke kann ihn entzünden, und wenn es einmal brennt kann das Feuer sich schnell ausbreiten.“
Aber wir müssen auch sicherstellen, dass das Feuer wenn es wieder angezündet wurde nicht wieder ausgeht. Der ständige Kampf zwischen ArbeiterInnen und Bossen kann im kapitalistischen System nicht gelöst werden. Die einzige Möglichkeit, ArbeiterInnen Jobs, Gesundheitsversorgung und Lebensstandards dauerhaft zu sichern, liegt im Kampf nicht nur gegen die Bosse, sondern auch gegen ihr System als Ganzes. Es ist notwendig, Kämpfe für Reformen heute mit dem breiteren Kampf gegen den Kapitalismus und für demokratischen Sozialismus zu verbinden.