Krise im Nahen Osten
Vorbemerkung: Die aktuellen Ereignisse in Israel und Palästina werfen viele Fragen auf. Wie ist der israelische Staat entstanden? Wie sieht die Geschichte der PalästinenserInnen aus? Welche Alternativen existieren zu Imperialismus, reaktionärer israelischer Regierungspolitik, PLO und Hamas? Was ist die Haltung von SozialistInnen. Mit der Wiederveröffentlichung eines Beitrags von Daniel Hugo 1982 aus dem damaligen Magazin Inqaba ya Basebenzi (Nr. 8, November 1982, Nr. 9, Februar-April 1983) der südafrikanischen CWI-Organisation wollen wir Antworten auf die genannten Fragen geben.
Die israelische Invasion im Libanon hat zu einer niederschmetternden militärischen Niederlage für die Palästinensische Befreiungsorganisation geführt. Sie hat zu 50.000 Toten – meist libanesischen ZivilistInnen – und Hunderttausenden Obdachlosen geführt und zu einer neuen brutalen Wendung in der Spirale von Krise, Unterdrückung und Massenaufruhr im Nahen Osten.
Ein direktes Ergebnis der Invasion war die brutale Ermordung von 2.000 Männern, Frauen und Kindern in den palästinensischen Flüchtlingslagern in Beirut am 16. bis 18. September. Nichts hätte krasser die bitteren Spaltungen und den unter der Herrschaft von Kapitalismus und Imperialismus zwischen den Völkern aufgestauten sektiererischen Hass deutlich machen können.
Die israelische Regierung hat die Verantwortung für das Senden der rechten christlichen („phalangistischen“) Schlächter in die Flüchtlingslager von Sabra und Schatila eingeräumt, um die verbleibenden PLO-Guerillas „wegzuspülen“. Unter den Augen der israelischen Streitkräfte an den Ecken des Lagers schlachteten die Phalangisten die hilflosen BewohnerInnen ab.
Nach zwei Tagen erreichte die Orgie des Tötens einen schauerlichen Höhepunkt:
„LagerbewohnerInnen wurden niedergeschossen, wo immer sie gefunden wurden. Männer wurden aneinander gekettet und hinter einem Jeep her geschleift. Kehlen wurden aufgeschlitzt, Genitalien und Brüste abgeschnitten. Ärzte wurden in den Krankenhäusern und PatientInnen in ihren Betten getötet.“
Ein Journalist der Londoner „Times“, der Schatila am nächsten Tag betrat, beschreibt die Folgen:
„Entlang jeder Straße lagen Leichen – Frauen, junge Männer, Babys und Großeltern – zusammen … dort wo sie mit Messern oder Maschinengewehren getötet worden waren.“ (20. September)
Als diese Enthüllungen in die Außenwelt sickerten verbreiteten sich Empörung und Abscheu unter den Massen in den arabischen Ländern und arbeitenden Menschen auf der ganzen Welt.
Auf der israelisch besetzten Westbank brachen in vielen Gebieten spontane Demonstrationen von Tausenden PalästinenserInnen aus. In Israel selbst brach beispiellose Wut unter der jüdischen Bevölkerung aus und führte zu gewaltsamen Protesten gegen die rechte Regierung von Menachem Begin, die in einer Kundgebung von 400.000 Menschen – einem Siebtel der gesamten Bevölkerung Israels, JüdInnen und AraberInnen zusammengenommen – gipfelten.
Im Ausland mussten die USA und andere westliche Regierungen, die Israel bewaffnen und stützen, „Schock“ über diese Gräueltaten ausdrücken. Eine „Friedenstruppe“ aus US-, französischen und italienischen Truppen wurde nach Beirut geschickt – in Wirklichkeit zur Stützung des neu installierten phalangistischen Regimes der Gemayels.
Die arabischen Regime haben passiv zugeschaut, und Israel von weitem angeprangert. Die syrischen Kräfte im Osten des Libanon machten keine ernsthaften Versuche, die israelische Invasion aufzuhalten.
In Marokko hielt die Arabische Liga (der arabischen Staaten) am 22. September eine Sondersitzung ab – konnte sich aber auf keine Maßnahmen außer einem Protest durch die arabischen Botschafter in Washington einigen.
Die palästinensischen Flüchtlinge im Libanon finden sich jetzt in einer noch verzweifelteren Lage als vorher wieder. Entwaffnet und hilflos sind sie von der Gnade ihrer blutdürstigen Feinde abhängig.
So schrecklich die Rückschläge in den letzten Monaten auch gewesen sind, der nationale Kampf des palästinensischen Volkes wird weitergehen. ArbeiterInnen in Südafrika und überall in der Welt werde ihre palästinensischen Brüder und Schwestern unterstützen, wenn sie einen Weg aus ihrer Sackgasse suchen.
Wie können die Probleme der PalästinenserInnen und aller unterdrückten Völker des Nahen Ostens gelöst werden? Diese Frage kann nur durch eine sorgfältige Untersuchung der Entwicklungen gelöst werden, die zur gegenwärtigen Lage führten.
Die ArbeiterInnen des Nahen Ostens werden bewaffnet mit einem wissenschaftlichen Verständnis der Ereignisse in der Lage sein, Politiken zum Erreichen nationaler und sozialer Befreiung zu entwickeln: und ArbeiterInnen international werden sie wirksam unterstützen, wenn sie die Lehren des Kampfes lernen.
Zionismus
Im Verlauf dieses Jahrhunderts wurde der Nahe Osten zunehmend entscheidend für die imperialistischen Mächte wegen seiner strategischen Lage, aber vor allem wegen seiner enormen Ölreserven.
Bis 1918 bildete der größte Teil des Gebiets einen Teil des türkischen Reichs, das sich im Ersten Weltkrieg auf die Seite Deutschland schlug und von britischen und arabischen Armeen besiegt wurde. In einem Geheimabkommen 1916 wurde die Region zwischen Britannien, Frankreich und den zaristischen Russland aufgeteilt.
Während der zwanziger Jahre spalteten der britische und französische Imperialismus den Nahen Osten weiter auf, indem sie Landstücke an Marionettenherrscher übergaben. In der französischen Zone wurde der Libanon als getrennter Staat errichtet, der von der christlichen Bourgeoisie auf der Grundlage eines Kompromisses mit den Führern der drusischen und moslemischen Bauernschaft beherrscht wurde.
Die britische Zone wurde in drei Teile geteilt – Palästina, Jordanien (ursprünglich Transjordanien genannt) und Irak (Mesopotamien) – wobei in Jordanien und Irak mit Britannien verbundene arabische Fürsten installiert wurden.
Wie im Rest der kolonialen Welt bestand die Massenarmut weiter und verschlimmerte sich unter imperialistischer Vorherrschaft.
In Palästina (dem heutigen Israel) lebte wie in anderen arabischen Länder eine kleine jüdische Minderheit – 1920 etwa 11 Prozent der Bevölkerung – Seite an Seite mit der arabischen Mehrheit. Der Klassenkampf international erzeugte jedoch grässliche Folgen für das Gebiet.
In Europa – und besonders Osteuropa, wo die Mehrheit der jüdischen Weltbevölkerung damals lebte – war der Antisemitismus von den herrschenden Klassen als Mittel zur Spaltung der arbeitenden Massen und zum Kampf gegen die soziale Revolution gepflegt worden. Als Reaktion auf diese Verfolgung entwickelte sich die zionistische Bewegung unter der Führung der jüdischen Bourgeoisie, die ein unabhängiges Heimatland für die JüdInnen forderte.
Palästina, wo die JüdInnen in der Antike gelebt hatten, wurde als Platz für das Heimatland ausgewählt. Die zionistischen Führer kauften mit beträchtlichen Finanzmitteln systematisch Land von den arabischen Grundeigentümern zum Zweck der Schaffung jüdischer Siedlungen.
Anfänglich hatte der Zionismus kein Echo unter den jüdischen ArbeiterInnen, nicht mal im zaristischen Russland. Während Hunderttausende in die Vereinigten Staaten flohen, ging nur eine Handvoll nach Palästina.
Aber in den zwanziger Jahren praktizierte der britische Imperialismus eine klassische Teile-und-Herrsche-Politik und begann, die jüdische Emigration zu ermutigen. Zunehmend wurden palästinensische BäuerInnen vom Land vertrieben, während die hoch organisierten jüdischen SiedlerInnen begannen, die Grundlagen für den künftigen israelischen Staat zu schaffen.
Die arabische herrschende Klasse duldete diesen ganzen Prozess stillschweigend, weil sie von der billigen Arbeit durch die enteigneten BäuerInnen profitierte. Gleichzeitig legte die schleichende Besetzung Palästinas die Grundlage für explosive nationale Spaltungen zwischen den jüdischen und arabischen Massen.
Widerstand
Hartnäckiger Widerstand gegen Enteignung entwickelte sich unter den palästinensischen Massen und führte zu gewaltsamen Erhebungen 1920 und 1929. Mit dem Generalstreik von 1936 lähmte die palästinensische Arbeiterklasse das Land und stellte die Herrscher von Syrien, Libanon und Jordanien vor die Aussicht der Ausbreitung der Revolte.
So trat wie in anderen Kolonialländern die Arbeiterklasse in einem frühen Stadium als Kraft hervor, die die Speerspitze des Kampfs für nationale und soziale Befreiung bilden konnte.
Aber die arabischen Regime, die auf britische Anweisungen handelten, schafften es, die palästinensische Führung zum Abblasen des Generalstreiks zu drängen.
Ohne eine revolutionäre Führung war die Bühne dafür frei, dass nationalistische Führer aus der Mittelschicht die Bewegung auf dem Weg der Klassenkollaboration zum Entgleisen brachten.
Bestrebungen
Die von diesen Führer geforderte Unabhängigkeit hatte nichts mit den nationalen und sozialen Bestrebungen der Massen gemein. Die palästinensischen Führer suchten bei einem instabilen Bündnis von arabischen Königen und Herrschern Unterstützung, die Lippenbekenntnisse zum Kampf des palästinensischen Volkes ablegten.
Falsche Perspektiven führen zu falscher Politik. Diplomatisches Gefeilsche entwickelte sich an Stelle einer revolutionären Kampagne für Unterstützung durch die Arbeiterbewegung international; Guerillaaktion unter Beteiligung einer bewaffneten Minderheit nahm die Stelle von Massenmobilisierung ein.
Das Fehlen einer revolutionären Führung lähmte die palästinensischen ArbeiterInnen und BäuerInnen mehr als jeder andere Faktor und machte die Errichtung eines zionistischen Staats in ihrem Lande möglich.
Der jüdische Staat
Die Hauptsorge der imperialistischen Mächte war immer die Unterdrückung der Bedrohung durch die Revolution der ausgebeuteten arabischen Massen. Der britische und später US-Imperialismus haben zwar ihre Bündnisse mit reaktionären arabischen Herrschern aufrecht erhalten, der Eckpunkt ihrer Politik war aber er Aufbau des jüdischen Staats als Bastion der kapitalistischen Macht in der Region.
Der entscheidende Impuls für die Schaffung Israels kam durch die barbarische Verfolgung der JüdInnen in Europa durch das deutsche Naziregime zwischen 1933 und 1945. Sechs Millionen JüdInnen wurden in dieser Periode abgeschlachtet und weitere Millionen flohen um ihr Leben.
In Palästina stieg die jüdische Emigration in den dreißiger Jahren steil an. Dem folgte nach dem Krieg eine Flut von mittellosen jüdischen Flüchtlingen. 1948 war die jüdische Bevölkerung Palästinas auf 600.000 von insgesamt zwei Millionen Menschen angestiegen.
1947 übertrugen die britischen Behörden die Palästinafrage an die Vereinten Nationen. Die UN empfahl eine Teilung, die Palästina in jüdische und arabische Sektoren aufteilte. Die „Lösung“ besiegelte in Wirklichkeit die Enteignung Hunderttausender AraberInnen.
Mit der Teilung brach aus dem schwelenden nationalen Konflikt – an dessen Wurzel ein Klassenkonflikt zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten war – ein Krieg aus. Massendruck zwang die Regime in Ägypten, Syrien, Jordanien, Irak und Libanon, gegen Israel vorzugehen.
Aber die arabischen Armeen wurden vernichtend geschlagen. Der Krieg 1948-49 endete mit großen territorialen Gewinnen für Israel, während die Überbleibsel des palästinensischen Sektors – die Westbank und der Gazastreifen – von Jordanien und Ägypten besetzt wurden.
Vor 1948 waren 250.000 PalästinenserInnen durch die jüdische Besetzung von ihrem Land vertrieben worden. Der Teilungskrieg wurde von den zionistischen Führern verwendet, um weitere 800.000 zu vertreiben – die große Mehrheit der arabischen Bevölkerung.
Hunderttausende PalästinenserInnen wurden in „provisorische“ Lager in den arabischen Ländern gezwungen, wo diese Regime sie seitdem ständig festgehalten haben. Viele fanden mit der Entwicklung der Ölindustrie Arbeit in den Golfstaaten. Eine kleine bürgerliche Minderheit konnte ins komfortable „Exil“ in den USA und Europa gehen.
Die rücksichtslose Vertreibung des palästinensischen Volkes führte zu akuten neuen Widersprüchen, die den schon krisengeschüttelten Nahen Osten entflammten. Unter den arabischen Massen wurde der Hass auf das israelische Regime und seine imperialistischen Unterstützer verschärft. Das vor allem brachte die altersschwachen arabischen Herrscher in Konflikt mit Israel.
So nahm der Kampf um Palästina die Dimensionen eines Konflikts zwischen Nationen an. Sobald Krieg begonnen wird, entwickelt er eine Eigendynamik. Seit 1948 gab es 1956, 1967 und 1973 große Kriege, abgesehen von zahlreichen Grenzzwischenfällen.
Jede neue Machtprobe hat Israels überwältigende militärische Überlegenheit erneut bestätigt. Diese Überlegenheit entstammte weniger technischen Faktoren als der Zusammensetzung der israelischen Gesellschaft im Vergleich zu den arabischen Staaten.
Von Anfang an war der israelische Staat darauf angelegt, maximale Produktions- und militärische Leistungen zu erbringen. Schon 1920 wurde ein zionistische Miliz gebildet, zusammen mit einem Verwaltungsnetzwerk und einem Gewerkschaftsapparat, um die jüdischen Siedlungen in Palästina zu festigen.
Heute wird jeder israelische Bürger als Soldat mit elf Monaten Urlaub im Jahr betrachtet.
Die Einwanderung aus dem Westen brachte die fortgeschrittensten Fertigkeiten und technische Kenntnisse nach Israel. Der neue Staat war zwar wirtschaftlich bankrott, wurde aber durch massive Dosen Auslandshilfe (hauptsächlich aus den USA) am Laufen gehalten, die zwischen 1948 und 1977 insgesamt 31,5 Milliarden Dollar betrugen. Die Enteignung der Bauernschaft machte Raum für die Entwicklung fortschrittlicher Landwirtschaft.
Diese Faktoren ermöglichten der israelischen Wirtschaft eine viel schnellere Entwicklung als den arabischen Staaten.
Das Wesen der israelischen Militärmacht war jedoch die politische Macht des jüdischen Nationalismus, der die Arbeiterklasse an die herrschende Klasse und den Staat band.
Die Botschaft von „nationaler Einheit“ plus „militärischer Bereitschaft“ wurde von den Führern der Arbeiterbewegung wie von den religiösen und kapitalistischen Führern gepredigt. Denn so lange die wachsende Wirtschaft Verbesserungen im Lebensstandard möglich machte, schien militanter Nationalismus der einzige Weg vorwärts angesichts der bankrotten arabischen Regime. Das Ergebnis war die höchst motivierte Wehrpflichtigenarmee der Welt.
Die arabische Revolution
Die arabischen Staaten genossen nicht die Sonderbedingungen, auf denen das Wachstum und die Stärke Israels beruhte, und blieben in Armut und Rückständigkeit stecken, die der Kapitalismus der kolonialen Welt allgemein aufgezwungen hat. Selbst ihr Ölreichtum wurde in dieser Periode weitgehend von den westlichen Ölgesellschaften abgeschöpft. Was blieb, wurde von den Scheichs und reaktionären herrschenden Klassen gehortet und vergeudet.
Die arabischen Herrscher regierten über Massenelend und jahrhundertealte Unterdrückung und waren viel weniger erfolgreich als ihre israelischen Gegenstücke bei der Übertünchung der Spaltungen zwischen den Klassen. Im Kontrast zu Israel haben die arabischen Länder ständig vor revolutionären Spannungen gebrodelt.
In Ägypten wurde die morsche Monarchie 1952 durch einen Offiziersputsch gestürzt, der (in den Worten seines Führers Oberst Nasser) die „Errichtung einer sauberen, fairen Regierung“ erstrebte, die „ehrlich für das wohl des Volkes arbeiten würde“. Der völlige Bankrott des ägyptischen Kapitalismus, verbunden mit dem Würgegriff des ausländischen Imperialismus, machte es unmöglich, die von den Massen verzweifelt benötigten Reformen durchzuführen.
Etwas Land wurde unter der Bauernschaft verteilt. Aber Nassers Regime hatte kein Programm für die Beseitigung von Kapitalismus und Großgrundbesitz. So saß es zwischen dem widerstreitenden Druck der Kapitalisten, Großgrundbesitzer, ArbeiterInnen und BäuerInnen in der Falle – und konnte keinen befriedigen.
Seine Reaktion, wie die jedes Regimes in der Krise, war die Konzentration von immer mehr Macht in seinen eigenen Händen, als Versuch, der Gesellschaft von oben Stabilität aufzuzwingen. Aber die Schranken von Nassers bonapartistischem Regime wurden nur langsam im Bewusstsein der Massen spürbar. Für eine Periode schien Nassers Botschaft von sozialer Reform und panarabischem Nationalismus einen neuen Weg vorwärts für die herabgedrückten Völker der arabischen Welt zu bieten.
Nach den revolutionären Erschütterungen in Ägypten, erfasste soziale Unruhe nacheinander Jordanien, Syrien, den Libanon und Irak. In Syrien führten diese Kämpfe zum Sturz von Kapitalismus und Großgrundbesitz.
In den ganzen fünfziger und frühen sechziger Jahren war Syrien in einem Zustand großer Instabilität. Ein prokapitalistisches Regime wurde vom nächsten gestürzt, nur um wiederum gestürzt zu werden.
Nachdem jede mögliche Methode kapitalistischer Herrschaft erschöpft war, übernahm 1963 das Regime der Sozialistischen Ba’ath-Partei die Macht und griff zu radikalen Maßnahmen gegen die Monopole. Die Kapitalisten, Großgrundbesitzer und Kaufleute leisteten Widerstand. Nach einem weiteren Putsch 1966 durch linkere Unteroffiziere entwickelte sich eine umfassende revolutionäre Konfrontation.
Angesichts der vom Imperialismus gestürzten militärischen Konterrevolution appellierte das Regime an die Massen um Unterstützung. ArbeiterInnen und BäuerInnen wurden zu Hunderttausenden bewaffnet. Kapitalismus und Großgrundbesitz wurden zerschlagen, 85 Prozent des Lands und 95 Prozent der Industrie durch das Ba’ath-Regime verstaatlicht.
Aber die Macht blieb bei der Militärführung; die ArbeiterInnen und BäuerInnen wurden wieder entwaffnet. Das Regime gestaltete die wirtschaftliche Grundlage des Landes in einen Arbeiterstaat um, der auf Staatseigentum und zentraler Planung beruhte. Aber das Regime selbst war bonapartistisch – in marxistischen Ausdrücken „proletarischer Bonapartismus“ im Unterschied zu den Regimes des „bürgerlichen Bonapartismus“ in den kapitalistischen Staaten wie Ägypten – mit einer engstirnigen nationalistischen Perspektive. Es wurde zunehmend privilegiert und abgehoben vom Volk.
Die syrische Wirtschaft konnte befreit von den kapitalistischen Hemmnissen ein paar Fortschritte machen. Einem Drittel der landlosen BäuerInnen wurde Land gegeben und die Industrie dehnte sich aus. Aber in den Schranken eines rückständigen Landes, unter der Herrschaft einer militärisch-bürokratischen Elite war die Entwicklung der Gesellschaft unausweichlich beschränkt und verzerrt.
Ungleichheit, die Unterdrückung von nationalen Minderheiten und Frauen und alle anderen Probleme von Armut und Diktatur können in Syrien nur durch eine weitere politische Revolution beseitigt werden.
Die Macht muss von den arbeitenden Menschen im Rahmen der Revolution erobert werden, die zum Sturz des Kapitalismus in Israel, der Türkei und international führt. Dies allein kann die Bedingungen für Arbeiterdemokratie und harmonische Entwicklung in einem rückständigen Land wie Syrien schaffen.
Im Vergleich zu den kapitalistischen Ländern wie Ägypten können daher die unmittelbaren Ergebnisse der syrischen Revolution nicht in einem spektakulären wirtschaftlichen Fortschritt gemessen werden. Der grundlegende Unterschied ist vielmehr, dass Syrien mit der entscheidenden Niederlage von Kapitalismus und Großgrundbesitz die Reform nicht mehr ohne umfassende Konterrevolution zurückgedreht werden konnte.
In Ägypten auf der anderen Seite ging Nasser bis an den Rand des Sturzes des Kapitalismus – aber machte dann kehrt. Die Macht der herrschenden Klasse auf der Grundlage von Privateigentum blieb im Wesentlichen intakt. Wie man in den siebziger Jahren sehen konnte, konnte eine Verschiebung der Politik des Regimes sie in ihrer früheren Stellung wieder einsetzen, während die Errungenschaften für die ArbeiterInnen und BäuerInnen zerstört worden sind.
Diese Beispiele zeigen, dass die arabischen Staaten von nationalen Widersprüchen und bitteren sozialen Konflikten gespickt geblieben sind. Der revolutionäre Druck der arbeitenden Menschen, dem eine sozialistische Führung fehlte, konnte die grundlegende Krise in keiner dieser Länder lösen.
Klassenherrschaft und Klassenspaltungen sind unausweichlich in die Streitkräfte übergeschwappt. Selbst in Syrien bleiben wie in den kapitalistischen Staaten die ArbeiterInnen und BäuerInnen in Uniform unter dem Kommando einer Offizierskaste, die sich aus der Oberschicht der Gesellschaft rekrutiert.
Krieg gegen Israel ist für den arabischen Soldaten kein Kampf ums Überleben. Hass auf den Feind wird durch Feindseligkeit gegenüber dem Unterdrücker im Hinterland ausgeglichen. Sieg über Israel ohne soziale Revolution verspricht keine Verbesserung in ihren Lebensbedingungen – in der Tat würde er die Herrschaft ihrer gegenwärtigen Herrscher festigen.
Im Vergleich zu den israelischen Streitkräften sind die arabischen Soldaten kaum ausgebildet, schlecht geführt und politisch unmotiviert und konnten nicht mit dem Elan einer revolutionären Befreiungsarmee kämpfen. Dies war der Hauptgrund für ihre Ohnmacht gegenüber den Israelis.
„Schwarzer September“
Der Vertreibung der PalästinenserInnen aus ihrem Land folgten Repressalien gegen jüdische Gemeinden, die Jahrhunderte lang in arabischen Staaten gelebt hatten. Hunderttausende flohen nach Israel, voll von Furcht und Hass gegen die arabische Herrschaft.
Die jüdische Bevölkerung Israels schwoll zwischen 1948 und 1951 auf 1.300.000 an. Über Nacht war die frühere palästinensische Mehrheit eine unterdrückte Minderheit in Israel geworden. Formell wurden ihnen demokratische Rechte zugestanden; in Wirklichkeit waren sie ohnmächtig und wurden diskriminiert.
Die palästinensische nationalistische Führung blieb jedoch mit der scheinbar „praktischen“ Politik des sich Stützens auf die Unterstützung durch die arabischen Regime verheiratet. Die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die 1964 als Dachorganisation für verschiedene politische und militärische Gruppen gebildet worden war, wurde 1974 von den arabischen Staatschefs als „einzige legale Vertretung des palästinensischen Volkes“ akzeptiert.
Dieser „legale“ Status gab der PLO-Führung zwar diplomatische Anerkennung, fesselte sie aber gleichzeitig an alle Widersprüche, den Bankrott und die Ohnmacht der reaktionärsten arabischen Herrscher.
Der palästinensische Kampf, der in dieser Sackgasse steckte, zog sich lange und qualvoll hin.
Seit den fünfziger Jahren war die palästinensische Kampfbereitschaft, der der Weg das revolutionären Massenkampfs verweigert wurde, in sporadische Guerillaangriffe auf israelische Siedlungen entlang der Grenze Jordaniens, Ägyptens und des Libanon übergegangen. Das israelische Regime entwickelte systematisch seine Militärmaschine und schlug immer bösartiger zurück.
Die arabischen „Front“staaten waren gezwungen, den PalästinenserInnen Zuflucht zu gewähren, konnten sich aber keine langgezogenen Grenzkriege gegen einen weitaus überlegenen Feind leisten. Da sie Israel nicht zurückschlagen konnten, versuchten sie die palästinensischen Guerillas zu beschränken. Die größte Bedrohung für die arabischen Herrschaft war jedoch das mögliche Bündnis zwischen den palästinensischen Flüchtlingen und den ArbeiterInnen und BäuerInnen in den arabischen Staaten selbst. Nichts als die Politik der PLO-Führung hielt sie davon ab, ihren Platz unmittelbar in der Vorhut der arabischen Revolution einzunehmen.
Im Libanon und in Jordanien jedoch konnte selbst diese Politik keine revolutionären Krisen verhindern, die die bewaffneten PalästinenserInnen in Konflikt mit den arabischen Regimes brachten.
In Jordanien war das reaktionäre bonapartistische Regime von König Hussein verachtet und isoliert. Die PalästinenserInnen mit enger Verbindung zur jordanischen Bevölkerung bildeten tatsächlich die Mehrheit des Volkes in Jordanien.
1969 hatte sich ein Zustand von Doppelherrschaft zwischen den palästinensischen Streitkräften und denen des Königs entwickelt. Selbst die jordanische Armee war gespalten zwischen dem Regime und der Anziehungskraft der Massenbewegung.
Objektiv waren alle Bedingungen für den Sturz von Hussein und die Machtübernahme durch die arbeitenden Menschen vorhanden, was den Weg für die Revolution im ganzen Nahen Osten hätte bereiten können.
Aber die PLO-Führer hatten keine Absicht, diesem Weg zu folgen. Im Januar 1970 versuchte Hussein, die Guerilla niederzumachen. In dem Kampf, der folgte, gewannen die Guerillas Kontrolle über die halbe Hauptstadt Amman – aber Hussein wurde die Kontrolle über den Staat gelassen.
Im September war Hussein, ermutigt durch die Schwäche der PLO, bereit für einen Showdown. Demonstrationen und Aufstände in den meisten jordanischen Städten zeigten die Tiefe der revolutionären Gärung. Im Norden übernahmen die PalästinenserInnen Städte und Gebiete, die Stadt Irbid wurde zum „ersten arabischen Sowjet“ erklärt.
Aber die PLO-Führung brachte kein Programm vor und gab keine landesweite Führung, um die jordanischen Soldaten einzubeziehen und die Arbeiterklasse zur Machtübernahme zu führen. Am 17. September warf Hussein seine Beduinen-Elitetruppen gegen die Guerillas (wobei israelische und US-Truppen zu seiner Unterstützung bereitstanden). PLO-Führer Arafat unterzeichnete am 23. September eine Waffenstillstandsvereinbarung – und versöhnte sich öffentlich mit Hussein.
Aber sporadische Kämpfe gingen bis Juli 1971 weiter, als die jordanische Armee zur endgültigen Zerschlagung des palästinensischen Widerstandes geschickt werden konnte. Über 10.000 wurden getötet, einschließlich vieler Flüchtlinge; Tausende Guerillas wurden gefangen oder flohen in den Libanon – ihre letzte Basis für Überfälle über die Grenze nach Israel.
Wie ein israelischer Offizier zusammenfasste, hatte das jordanische Regime „in einem Jahr mehr Guerillas getötet als wir in zehn.“
Die Sackgasse des Terrorismus
Die PLO-Politik der Guerillaangriffe auf Israel hat sich als gleichermaßen vergeblich und verheerend erwiesen.
Militärisch waren diese Überfälle reine Nadelstiche; aber sie dienten der israelischen Armee als Vorwand für massive Vergeltung gegen PalästinenserInnen im Exil und für das enger Ziehen der Schrauben für die in Israel. Politisch konnte Guerillakampf weder mobilisieren noch für die Massen auf der Westbank und in Gaza, die Flüchtlinge oder die palästinensischen ArbeiterInnen in den arabischen Staaten einen Weg vorwärts zeigen.
Er konnte auch nicht zu politischer Isolierung und Niederlage des israelischen Regimes führen. Die PLO-Führung konnte nicht verstehen, dass die Siege der Guerillaarmeen in manchen Dritte-Welt-Ländern – besonders in China und Kuba – nur unter völlig anderen sozialen Bedingungen möglich gewesen waren.
Wenn der Kapitalismus sehr schwach, wenn die Macht in der Hand von schwachen, instabilen Regimes von Kapitalisten und Großgrundbesitzern war und wenn der Imperialismus in der Defensive war, konnten Bauernarmeen diese Regime besiegen. Später in Vietnam konnte nicht einmal die Unterstützung großer US-Kräfte das Thieu-Regime retten.
Das Ergebnis in jedem Fall war der Zusammenbruch von Kapitalismus und Großgrundbesitz und die Machtübertragung an die Guerillaführung. Dies führte zur Entstehung deformierter Arbeiterstaaten nach dem Modell der Sowjetunion, von deren Unterstützung die Guerillaführer abhingen.
Da die PLO jedoch einen entwickelten kapitalistischen Staat bekämpfte, gab es keine Aussicht für den Sieg ihrer Guerillastrategie. Sie setzte eine Reihe von bewaffneten Zusammenstößen zwischen palästinensischen Guerillas und israelischem Militär an die Stelle des sozialen Kampfes und sicherten so die Polarisierung der israelischen Gesellschaft entlang nationaler Linien – so dass die jüdische Mehrheit überwiegend das Regime unterstützte.
Der einzige Weg aus dieser Sackgasse liegt in der Entwicklung eines Programms, einer Strategie und Taktik, die den palästinensischen Kampf mit der einen Kraft verbinden könnte, die das israelische Regime besiegen und die revolutionäre Umgestaltung des Nahen Ostens durchführen könnte – die mobilisierte und bewaffnete Arbeiterklasse innerhalb und außerhalb Israels.
Beim Fehlen einer sozialistischen Führung stoßen die Ideen und Traditionen des Guerillakampfs die palästinensischen AktivistInnen tendenziell weiter entlang der selben in eine Sackgasse führenden Straße. Getrieben von Verzweiflung über die Ineffektivität der Führung griffen manche zu dem, was sie als „revolutionärere“ Taktik sahen – was in der Sprache des Marxismus als individueller Terrorismus bekannt ist.
Eine Serie von Flugzeugentführungen wurde von der „marxistischen“ Volksfront für die Befreiung Palästinas (einer der Gruppen in der PLO) in den späten sechziger Jahren durchgeführt. Das rief gnadenlose israelische Vergeltung hervor und trat eine neue Spirale des Terrors los.
Ein Höhepunkt wurde mit dem Massaker an ZivilistInnen auf dem Lod-Flughafen (nahe Tel Aviv) durch pro-palästinensische japanische Terroristen und den Mord an den israelischen SportlerInnen bei den olympischen Spielen durch palästinensische Terroristen im selben Jahr [1972] erreicht. Dem folgten brutale israelische Überfälle in Syrien und im Libanon, die Tod und Zerstörung unter den Flüchtlingen verbreiteten.
In diesen und späteren Ereignissen wurde die Ohnmacht der terroristischen Gruppen entlarvt. Willkürliche und blutige Angriffe auf ZivilistInnen konnten nie den Platz einer bewaffneten revolutionären Massenbewegung einnehmen. Die PLO-Führung hat selbst zugegeben, dass Terrorismus kontraproduktiv war.
Er reduzierte die palästinensischen ArbeiterInnen zu bloßen ZuschauerInnen beim „bewaffneten Kampf“ und hat die jüdischen ArbeiterInnen mehr denn je zur Unterstützung des Regimes getrieben. Die terroristischen Scheußlichkeiten der frühen siebziger Jahre und nicht das „Kleingedruckte“ der PLO-Satzung über einen demokratischen Staat in Palästina machten einen dauerhaften Eindruck in den Köpfen der jüdischen ArbeiterInnen darüber, wofür die PLO-Führung steht.
Dieses bittere Klima breitete den Weg dafür, dass die reaktionäre Begin-Regierung 1977 an die Macht kam.
Führungskrise
Wenn die Spirale des Terrors einmal begonnen hat, kann sie nur durch große Ereignisse unterbrochen werden. Bombenattentate und Morde durch PalästinenserInnen, auf die israelischer Gegenterror folgte, sind weitergegangen. Politischen oder militärischen Rückschlägen für den palästinensischen Kampf folgten vergebliche „Rache“akte – und noch brutalere israelische Reaktion.
Dies spiegelt die Krise der palästinensischen Führung wider. Die bankrotte Politik der PLO hat eine brodelnde Brutstätte für Wut und Verzweiflung in den Flüchtlingslagern zurückgelassen. Beim Fehlen einer klaren revolutionären Führung, die den nationalen Befreiungskampf des palästinensischen Volkes mit der sozialistischen Umgestaltung des Nahen Ostens verbindet, wird eine Basis für neue Wellen des Terrorismus bleiben.
Die Gefahr ist in der gegenwärtigen Lage nach der demütigenden Niederlage der PLO im Libanon besonders groß. (…)
Teil zwei
(…) Das israelische Regime hat sich als durch die rein militärische Herausforderung der arabischen Staaten, der PLO-Führung und ebenso der terroristischen Gruppen unbesiegbar erwiesen. Aber unter dem Druck von 35 Jahren fortgesetzter Krise haben sich alle Faktoren, die zu Israels militärischer Vormacht führten, zunehmend in Faktoren sozialer Instabilität verwandelt.
Die Politik der massiven Einwanderung, die für die militärischen Leistungen so entscheidend war, hat in Israel eine jüdische Bevölkerung zusammengeworfen, die in sich tief gespalten ist und nur im Krieg gegen die arabischen Regime einig ist.
Die „westlichen“ JüdInnen (aus den USA, Europa etc.) haben die privilegierteste Oberschicht gebildet. Die östlichen JüdInnen, die aus den arabischen Staaten flohen, wurden in Israel zu BürgerInnen zweiter Klasse, die neben den arabischen BürgerInnen „dritter Klasse“ als billige Arbeitskräfte dienten.
Wegen ihrer Erfahrung mit den arabischen Regimes haben die östlichen JüdInnen die rechten zionistischen Parteien unterstützt. Die liberaleren Parteien einschließlich der Arbeiterpartei, die Israel von 1948 bis 1977 regierte, fanden ihre Unterstützung hauptsächlich unter der verwestlichten Mittelschicht und den Oberschichten der ArbeiterInnen.
Der Wahlsieg der rechten Likud-Koalition 1977, die von dem früheren Terroristen Begin geführt wird, spiegelt diese Spaltung wider.
Dreißig Jahre Regierungen unter Führung der Arbeiterpartei haben völlig bei der Lösung irgend eines Problems versagt, vor dem Israel steht. Mit einer Politik, die sich nur minimal von der andrer zionistischer Partien unterscheidet, hat die Arbeiterpartei das Land in einen Zustand ständigen Krieges geführt.
Die Wirtschaft, die von der Weltwirtschaftskrise getroffen und durch ihre militärische Last beansprucht wird, ist in einem Sumpf versunken. Das Gesamtwachstum war 1976-77 bloße 2,6 Prozent, während die Inflation fünf Jahre hintereinander mehr als 30 Prozent war.
Diese Bedingungen belasteten die ArbeiterInnen am meisten. Die Zahl der durch Streiks verlorenen Arbeitstage verdoppelte sich von 1975 auf 1976. 1976 gingen drei Viertel der offiziell registrierten Streiks um Lohnforderungen.
Die Arbeiterpartei war von Korruption befleckt und bot keine Verbesserungsperspektive und verlor massiv Stimmen an den Likud.
Der mächtigste Faktor, der Unterstützung hinter Begin sammelte, war aber die Tätigkeit der palästinensischen Terroristengruppen. Begin stand in den Augen der jüdischen WählerInnen für eine harte politische Linie und schien fähiger, die bewaffnete Festung zu kommandieren, die aus Israel geworden war.
Aber Begins Politik zur Belebung der kapitalistischen Wirtschaft und genauso seine Behandlung der Außenpolitik haben gerade die ärmeren „östlichen“ ArbeiterInnen am meisten belastet, die ihm ihre Stimme gegeben haben. Das Ergebnis waren vertiefte Klassenspannungen und ein Klima von chronischem Arbeitskampf.
Diese Probleme wurden aber überschattet und verstärkt durch die Unfähigkeit der herrschenden Klasse zur Lösung der nationalen Frage. Ihre Politik der bewaffneten Unterdrückung hat den palästinensischen Kampf keineswegs zerschlagen, sondern tatsächlich die Basis für neue und größere revolutionäre Erhebungen in der Zukunft geschaffen.
Durch militärische Siege hat das israelische Regime beträchtliche territoriale Gewinne gemacht. Der Krieg 1967 endete in der Besetzung von Sinai, den Golan-Höhen, der Westbank und des Gazastreifens und brachte das ganze frühere Palästina unter israelische Kontrolle.
Aus militärischem Blickwinkel war die Ausdehnung für die israelischen Herrschenden unverzichtbar. Ihre Grenzen von vor 1967 waren schwierig zu sichern. Besonders die Westbank bildete eine bewaffnete Enklave, die mitten nach Israel ragte und Tel Aviv und Westjerusalem in Reichweite arabischer Gewehre und Geschütze brachte.
SiedlerInnen
Aber nachdem das Regime die Westbank erobert hatte, musste es sie halten. Der anfängliche Vorwand, dass die Besetzung nur vorübergehend sei, wurde fallen gelassen. Tausende jüdische SiedlerInnen wurden auf die Westbank gebracht, die AraberInnen von ihrem Land vertrieben. Begin hat es klar gemacht, dass seine Regierung nie zulassen werde, dass die Westbank arabischer Herrschaft zurückgegeben werde.
Indem die arabischen Kräfte von den Golan-Höhen und über den Jordan vertrieben waren, wurde die Arbeit für die israelischen Generäle vereinfacht. Sozial stand das Regime aber vor neuen Widersprüchen.
1.300.000 PalästinenserInnen, die auf der Westbank und im Gazastreifen wohnen, wurden unter israelische Herschafft gebracht, wodurch das Übergewicht der drei Millionen starken jüdischen Bevölkerung, von der die Macht der herrschenden Klasse abhängt, stark verwässert wurde. Den Leute der besetzten Gebiete wurden demokratische Rechte vorenthalten, zuerst wurden sie unter Militärherrschaft gestellt und später unter eine nicht weniger unterdrückerische Zivilverwaltung.
Diese Maßnahmen haben den Geist der arabischen Bevölkerung keineswegs gebrochen, sondern konnten ihre Ablehnung nur verhärten. Tatsächlich hat das Regime zum ersten Mal seit 1948 eine Basis für einen Massenkampf gegen seine Herrschaft an Israel angeschlossen.
Auf der Westbank und in Israel selbst wurde die „arabische“ Kommunistische Partei Rakah (eine von der „jüdischen“ Kommunistischen Partei getrennte Organisation) der Brennpunkt der arabischen Opposition. Rakah-Bürgermeister und Stadträte (die der willkürlichen Macht der israelischen Verwaltung unterworfen waren) wurden in vielen Städten der Westbank gewählt. In Israel stieg Rakahs Anteil unter den arabischen Stimmen von 11 Prozent 1970 auf 50 Prozent 1977.
1977 bildete Rakah ein Wahlbündnis mit einem Teil der radikalen „Black-Panther“-Bewegung unter den östlichen JüdInnen und vergrößerte ihre Abgeordnetenzahl von vier auf fünf. Dies spiegelt die Möglichkeit für die Vereinigung der Kämpfe der palästinensischen Massen mit denen der unterdrückten JüdInnen wider.
Aber die Rakah-Führung stellte kein sozialistisches Programm für die Umgestaltung Israels und die Befreiung der besetzten Gebiete auf, sondern erklärte ihre Unterstützung für den bankrotten Nationalismus der PLO-Führung.
Diese Politik bot den arabischen Massen keine Perspektive und konnte die große Mehrheit der jüdischen ArbeiterInnen nur entfremden und die nationalen Spaltungen nur vertiefen.
Auf der Westbank ist die Kampfkraft der arabischen Bevölkerung immer wieder in Streiks, Demonstrationen und Aufruhr ausgebrochen. Aber Rakahs Versagen bei der Führung dieser Bewegung und der Entwicklung ihres ungeheuren revolutionären Potenzials hat Rakah unausweichlich zu Rückschlägen und Stagnation verurteilt.
In einer Stadt nach der anderen haben die israelischen Behörden die gewählten kommunalen Führungen abgesetzt und an ihrer Stelle Marionetten-“Stadt-Ligas“ eingesetzt. Die Führer der Stadt-Ligas wurden zum Schutz vor der Wut „ihres“ Volkes bewaffnet.
Trotz dem Heroismus und persönlichen Martyrium vieler örtlicher Führer, trotz der massiven Unterstützung durch die arbeitende Bevölkerung stand Rakah hilflos dabei und ließ das israelische Regime zuschlagen.
Die Politik der PLO selbst hat keineswegs den Massenkampf geführt oder verteidigt, sondern frische Schichten der Jugend in die Sackgasse von Guerillalagern im Exil geführt.
Aber die Möglichkeit bleibt, dass auf der Westbank ein neuer Kampf mit Massenbasis revolutionären Schwung gewinnt, eine neue Führung hervorbringt und die arabischen ArbeiterInnen in Israel und den arabischen Staaten mitnimmt. Diese Perspektive, die für die israelischen Herrschenden ein Albtraum ist, überschattet bei weitem jede militärische Bedrohung ihrer Macht.
Zunehmend haben Israels Militärschläge gegen die PLO im Exil nicht nur auf die PLO selbst, sondern auch auf die Moral der Westbank-Bevölkerung abgezielt.
Dies war bei der Invasion im Libanon letzten Juni klar der Fall. Die Londoner „Times“ berichtete:
„Vom Anfang der Kämpfe an hat Ariel Scharon, der israelische Verteidigungsminister kein Geheimnis daraus gemacht, dass sich die Ziele der Invasion nicht nur auf Israels Nordregion erstrecken, sondern auch auf die Westbank und den Gazastreifen.
„Je größer der Schlag und je mehr Schaden für die PLO-Infrastruktur, desto eher werden die Araber in Judäa und Samaria [der Westbank – Herausgeber] bereit sein, mit uns zu verhandeln und Koexistenz zu schaffen“ sagte Herr Scharon voraus…“ (5. August 1982)
Aber langfristig wird sich der Schock, der unter den palästinensischen Massen durch die rücksichtslose israelische Aktion geschaffen wurde, abnutzen. Für die enteigneten ArbeiterInnen und BäuerInnen gibt es keine Alternative zum Kampf; und jeder vorübergehende Rückschlag wird sie weiter stählen und ausbilden.
Die israelische Invasion im Libanon hat gleichzeitig die Flamme des nationalen Hasses geschürt und die sozialen Widersprüche innerhalb Israels selbst geschürt.
Zu Beginn des Krieges gab es in Israel überwältigende Unterstützung für Begins erklärtes Ziel, die PLO-Raketen und Artillerie aus der Reichweite der nordisraelischen Dörfer zu entfernen. Selbst als es klar wurde, dass Scharon beabsichtigte, bis nach Beirut zu marschieren und die PLO-Kräfte ganz zu vertreiben, blieb ein Bodensatz an Unterstützung.
Aber die Zerstörung von Tyros und Sidon und die brutale Bombardierung Beiruts brachten schreckliche Zahlen an zivilen Opfern und auch wachsende Zahlen von israelischen Toten.
In der israelischen Bevölkerung begannen sich Alarm und Abscheu zu verbreiten, zuerst auf den Universitätsgeländen, später unter Teilen der Arbeiterklasse.
Massive Antikriegsdemonstrationen fanden statt. Sogar das israelische Militär war betroffen, indem Reservisten im Dienst gegen den Krieg protestierten. Antikriegsflugblätter und -zeitungen kursierten unter den Truppen. Der beste junge Kommandeur der Armee trat wegen seiner Ablehnung der Kriegsziele und -führung zurück.
Ein israelischer Soldat beschrieb die Stimmung in der Armee:
„Man säubert einen Wohnblock und bevor man zum nächsten geht bricht während dem Ausruhen eine Diskussion aus: PLO ja, PLO nein, ein gerechter Krieg, kein gerechter Krieg. Mitten während den Kampfhandlungen hatten wir diese Diskussionen.“
Solche Opposition ist in Israel beispiellos, besonders in Kriegszeiten. Dann folgte das Massaker von Sabra und Schatila, das das Land in einen politischen Aufruhr stürzte, wie es ihn nie vorher erlebt hatte.
Dies spiegelte sich zum Beispiel in der erstaunlichen Zahl von höheren Offizieren wider, die überwiegend Scharons Rücktritt forderten.
Selbst wenn sich die unmittelbaren Spannungen verringern, der Krieg hat die Saat für künftige Kämpfe zwischen den Klassen und Schichten der israelischen Gesellschaft gesät.
Wofür die LibanesInnen und PalästinenserInnen mit ihrem Blut zahlen mussten, dafür werden die israelischen ArbeiterInnen mit ihrem Geld, fallendem Lebensstandard und längerem Militärdienst zahlen müssen. Die finanziellen Gesamtkosten des Krieges wurden auf 1.600 Millionen Dollar oder 5 Prozent des israelischen Bruttosozialprodukts geschätzt. Dies ist eine erdrückende Last für eine Wirtschaft, die schon in einer hoffnungslosen Krise ist und durch US-Hilfe am Leben gehalten wird.
Die Inflation ist jetzt bei überwältigenden 130 Prozent. Israels Auslandsschulden belaufen sich auf 18.000 Millionen Dollar, nähern sich also denen Polens, aber bei einer Bevölkerung und Wirtschaft, die nur einen Bruchteil der Größe haben. Zinsen und Tilgungen beliefen sich 1981 auf 2.200 Millionen Dollar – das entspricht der gesamten US-Hilfe.
Um die Rechnung für den Krieg zu zahlen, kürzt die Regierung 200 Millionen Dollar bei den nichtmilitärischen Ausgaben. Die Mehrwertsteuer wurde von 12 Prozent auf 15 Prozent erhöht und es wird eine Zwangs“kriegsanleihe“ in Höhe von 6 Prozent des Nettogehalts geben, die den ArbeiterInnen vom Lohn abgezogen wird.
Aber die israelischen ArbeiterInnen werden nicht bereit sein, endlos Opfer zu bringen. Neue Kämpfe werden ausbrechen, wenn die herrschende Klasse versucht, ihnen die Last der Krise auf die Schultern zu laden.
El-Al-Streik
Diese Spannungen spiegelten sich in den Kämpfe der ArbeiterInnen der nationalen Fluglinie El Al gegen Ende 1982 wider, als die Regierung nach einem fünfwöchigen Kampf versuchte, sie dichtzumachen. Bei einem Zwischenfall stürmten ArbeiterInnen das Gebäude, wo sich das Management traf und hinderten sie daran, die Entscheidung zur Schließung zu treffen.
Bei einem anderen Protest machten ArbeiterInnen den Lod-Flughafen dicht, trieben die Polizeisondereinheiten zurück und zwangen die Regierung zum Rückzug – Ereignisse, die selbst bei den kämpferischen Traditionen der israelischen Arbeitskämpfe bemerkenswert sind.
Die Fluggesellschaft wurde später „gerettet“, als die Gewerkschaftsführung Lohnsenkungen, Arbeitsplatzverlusten und Verlust von Zusatzleistungen zustimmte – ein Rezept für fortgesetzte Bitternis und künftige Kämpfe der ArbeiterInnen. Auf kapitalistischer Grundlage haben die israelischen ArbeiterInnen, die zur Verteidigung imperialistischer Interessen genutzt werden, keine besseren Aussichten als fortgesetzte Kriege und ständigen bewaffneten Belagerungszustand vor sich. Immer mehr unter ihnen werden für sozialistische Ideen empfänglich werden, die ihnen einen Weg zu Frieden, Sicherheit und demokratischen Rechten für die PalästinenserInnen und ebenso für die JüdInnen zeigen – wenn so eine Alternative angeboten würde.
Aber bisher beruhte das einzige Programm, das von einem Teil der israelischen Arbeiterbewegungsführung angeboten wurde, auf einem bösartigen Nationalismus, während die jüdischen ArbeiterInnen auf der anderen Seiten politischen Diktaturen und wirtschaftlicher Rückständigkeit gegenüber stehen, die die arabischen Regime und ihre Schützlinge in der PLO-Führung vertreten.
Die Führungskrise unter den palästinensischen ebenso wie unter den israelischen Massen hat die israelischen ArbeiterInnen weiterhin im Lager der imperialistischen Bourgeoisie gefangengehalten. Nur die Ideen des Marxismus können ihnen einen Ausweg zeigen.
Eine für die Revolution reife Gesellschaft
In jedem arabischen Land sind die Bedingungen reif für die Revolution. Massenarmut, Analphabetismus, Krankheit, Hunger und Obdachlosigkeit Seite an Seite mit spektakulärem Reichtum in den Händen der Herrscher mit ihrem Ölreichtum fassen die hoffnungslose Unfähigkeit des Kapitalismus und Großgrundbesitzes zusammen, die arabischen Länder vorwärts zu bringen.
Selbst im imperialistischen Modellland Israel kann der Kapitalismus für die verhältnismäßig privilegierten jüdischen ArbeiterInnen keine Sicherheit bringen, von den AraberInnen ganz zu schweigen.
Wegen der nationalen, religiösen und zwischen nationalen Gemeinschaften laufenden Spaltungen, die im Nahen Osten durch Jahrhunderte feudale und kapitalistische Herrschaft geschaffen wurden, wird sich die brodelnde Unzufriedenheit unter allen Teilen der Massen tendenziell in Kämpfen entlang von nationalen, religiösen oder sektionalen Linien ausdrücken. Aber jeder Massenkampf wird Bestrebungen ausdrücken, die auf kapitalistischer Grundlage nicht verwirklicht werden können, und wird mit der kapitalistischen Ordnung in Konflikt geraten.
Nirgends ist das revolutionäre Potenzial größer als unter dem palästinensischen Volk, besonders der palästinensischen Arbeiterklasse in der Westbank, in Israel und in den verschiedenen arabischen Staaten.
Eine revolutionäre Bewegung der palästinensischen ArbeiterInnen, die die palästinensischen Massen insgesamt hinter sich herzieht, würde eine Periode entscheidender Kämpfe für eine sozialistische Umgestaltung des Nahen Ostens einleiten.
Das große Hindernis für so einen Kampf war die bestehende PLO-Führung und ihre Politik der Kollaboration mit den arabischen Regimes.
Die arabischen herrschenden Klassen haben sich nie im entferntesten um die Interessen des palästinensischen Volkes gekümmert, genauso wenig wie um die Interessen der ArbeiterInnen und BäuerInnen in ihren eigenen Länder. Von 1949 bis 1967, als die Herrscher von Jordanien und Ägypten die Westbank und Gaza kontrollierten, sperrten sie die palästinensischen Flüchtlinge zynisch in Lager ein, ließen sie als offene Wunden, um die Wut der Massen auf den äußeren Feind Israel abzulenken.
Indem die PLO-Führung Sadat [von Ägypten], König Hussein [von Jordanien] etc. als „Freunde“ des palästinensischen Volkes aufgebaut hat, hat sie die Bewegung über Jahre hinweg entwaffnet und fehlgeleitet. In Jordanien zahlten die palästinensischen Massen im „Schwarzen September“ 1970 (siehe oben) mit Blut für die Weigerung ihrer Führer, einen Kampf auf einer Klassengrundlage zu führen.
Im Libanon begann 1975 wieder eine revolutionäre Krise, die die Aufgaben des Sturzes von Kapitalismus und Großgrundbesitz unmittelbar auf die Tagesordnung stellte. Die brodelnden Klassenspannungen brachen als Bürgerkrieg zwischen den Milizen der überwiegend christlichen Rechten und überwiegend moslemischen Linken aus.
Radikale palästinensische Guerillaeinheiten wurden auf Seiten der Linken in den Kampf verwickelt, aber die PLO-Führung versuchte, sich raus zu halten.
Erst im Januar 1976, als rechte Milizen die palästinensischen Flüchtlingslager angriffen, waren die PLO-Führer zum Kampf gezwungen.
Die rechte Offensive wurde zurückgeschlagen. Die libanesische Arme zerfiel. Ein vollständiger Sieg über die Kräfte der herrschende Klasse war für die PalästinenserInnen und die libanesische Linke zum Greifen nahe.
Diese Aussicht alarmierte das israelische Regime und die kapitalistische Klasse international; aber israelische oder westliche Intervention hätte in diesem Stadium den Kampf nur noch weiter entflammt. Es wurde dem syrischen Regime überlassen, sich mit der Lage zu befassen.
Die syrische herrschende Elite unterstützt die palästinensische Sache dem Namen nach, ist aber noch mehr dem Erhalt des instabilen Status Quo in der Region verpflichtet. Der Sturz des Kapitalismus hätte den Ausbruch eines Vulkans direkt an seiner Grenze bedeutet und sicheren Konflikt mit Israel und verschärfte revolutionäre Spannungen in der ganzen Region bedeutet.
Aus diesen Gründe sorgte sich das syrische Regime nicht weniger als die Kapitalisten, die sich entwickelnde Revolution im Libanon aufzuhalten. Im Januar 1976 wurden mit schweigender Duldung der USA und Israels syrisch-kontrollierte palästinensische Einheiten in den Libanon geschickt, um den Sieg der Linken zu verhindern.
Die Revolution trat jetzt in ihre entscheidende Phase. Die Anziehungskraft der revolutionären Bewegung war so groß, dass die syrisch-kontrollierten palästinensischen Einheiten zerfielen und massenhaft zu ihren Brüdern und Schwestern überliefen.
Die PLO-Führer, die den Hauptteil der linken Einheiten kommandierten, trugen die Hauptverantwortung für das Erreichen des Sieges. Es blieb jetzt keine andere Möglichkeit mehr als die Mobilisierung und Bewaffnung der libanesischen ArbeiterInnen und BäuerInnen für die Enteignung der herrschenden Klasse und die Zerschlagung der rechten Milizen – und gleichzeitig eine umfassende Kampagne für Unterstützung durch die arbeitenden Massen in Syrien und der ganzen arabischen Welt.
Aber so eine Politik war der PLO-Führung fremd. Sie hatten sich nicht nur nicht an den täglichen Kämpfen der libanesischen Bevölkerung beteiligt, ihre Milizen waren von den örtlichen ArbeiterInnen isoliert und wurden praktisch als Besatzungsarmee gesehen.
So stand das Ergebnis schon vorher fest, als die syrische Armee vier Monate spätere einmarschierte. Im September hatte sie den palästinensischen und linken Widerstand zerbrochen und das bürgerliche Regime wieder ins Amt eingesetzt. Die arabischen Staatschefs – die „Verbündeten“ der PLO-Führung – gaben der syrischen Invasion ihren Segen und benannten die syrische Armee im Libanon in „arabische Abschreckungsstreitmacht“ um.
Wenn eine Gelegenheit für die revolutionäre Machteroberung einmal verloren ist, kann sie nicht leicht wieder erlangt werden. Wenn der herrschenden Klasse erlaubt wird, die Kontrolle zurückzuerobern, wird sie die verbliebene Opposition auslöschen wollen. Die fehlgeleiteten und erschütterten ArbeiterInnen und BäuerInnen werden vor sich verschlechternden Bedingungen stehen, wenn die Kräfte der Reaktion in Schwung kommen.
Die Art und Form der Konterrevolution wird wie die der Revolution vom Charakter und der Führung der Klassenkräfte abhängen, die einander gegenüber stehen. Im Libanon hing das bürgerliche Regime weiter in der Luft. Syrische Truppen besetzten das halbe Land. Israel bewachte die Südgrenze. Der Rest war praktisch zwischen den christlichen Milizen und den verbliebenen Gebieten unter palästinensischer Kontrolle, hauptsächlich in den Städten, aufgeteilt.
Die Kräfte der Konterrevolution waren daher gespalten und in einer unsicheren Lage. Das wurde aber durch die noch größere schwäche der PLO-Führung ausgeglichen, die aus den vergangenen Niederlagen nichts gelernt hatte.
Beim Fehlen eines ernsthaften Kampfes zur Umgruppierung der Bewegung und Vorbereitung einer neuen Massenoffensive konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis die Kräfte der Reaktion ihre Arbeit vollenden könnten.
Israel fiel 1978 im Süden des Libanon ein, um palästinensische Stellungen anzugreifen und eine „Pufferzone“ unter der Kontrolle einer rechten libanesischen Privatarmee zu schaffen. Eine UN-“Friedenstruppe“ wurde entlang der Südgrenze [des Libanon] aufgestellt. Im Juni 1982 schaute diese Truppe passiv zu, als die israelischen Panzer vorbeifuhren.
Unter den Geschützen der Israelis wurde die Konterrevolution im Libanon zu ihrem blutigen Höhepunkt geführt, indem die letzten palästinensischen Truppen aus Beirut vertrieben wurden, die Moslemmilizen entwaffnet wurden und in Sabra und Schatila nackter Terror herrschte.
Wie im Libanon sind in den anderen Ländern der Region Revolution – der Sturz von Kapitalismus und Großgrundbesitz – oder Konterrevolution die krassen Alternativen, vor denen die ArbeiterInnen und BäuerInnen in den bevorstehenden Kämpfen stehen.
Die PLO-Führung wendet sich nach rechts
Die Ereignisse in Ägypten 1978-79 zeigten noch klarer den Bankrott der Politik der PLO-Führung. Ägypten, das mächtigste arabische Land, hat immer den Schlüssel in jedem Militärbündnis gegen Israel gebildet. Jetzt brach als Ergebnis des inneren Klassenkampfes die Macht des ägyptischen Regimes zur Bedrohung von Israels Südgrenze zusammen.
Nasser hatte den ägyptischen Kapitalismus geschwächt, ohne ?einen schmarotzerhaften Zugriff auf das Land zu schwächen. Die Wirtschaft war zwar industrialisierter als die anderer arabischer Staaten, blieb aber völlig unzureichend, um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen. In den Großstädten lebten Millionen SlumbewohnerInnen in schrecklicher Armut und Elend.
In der Außenpolitik hatte Nasser zwischen den stalinistischen Mächten und dem Imperialismus balanciert und sich hauptsächlich auf Unterstützung durch die Sowjetunion gestützt. Ende der sechziger Jahre schwenkte das Regime aber zunehmend nach Westen.
Nach Nassers Tod 1970 wischte Sadat die letzten von Nassers Reformen beiseite. Ägypten wurde weit für imperialistische Plünderung geöffnet, die Macht der Kapitalisten und Großgrundbesitzer wurde wieder hergestellt und politische Opposition zerschlagen.
Aber diese Zickzacks setzten Ägypten um so mehr den Verwüstungen durch die kapitalistische Weltwirtschaftskrise aus. Auslandsschulden und ein erdrückendes Zahlungsbilanzdefizit nahmen zu. Auslandsinvestitionen schufen neuen Reichtum für nur eine kleine Elite, während die Masse der Bevölkerung tiefer in albtraumhafte Armut versank.
Die Kosten der ständigen militärischen Bereitschaft gegen Israel waren immer der größte Aderlass für die Wirtschaft gewesen. Aber wiederholte militärische Niederlagen hatten der Autorität des Regimes erschütternde Schläge versetzt.
Nach dem Debakel von 1973 kalkulierte Sadat klar, dass die sozialen Folgen eines erneuten Kampfes zu gefährlich wären. So wie das Regime früher Feindschaft mit Israel gebraucht hatte, um die Massen vom inneren Kampf abzulenken, so brauchte es jetzt Frieden mit Israel aus genau dem selben Grund.
Im Januar 1977 kam Massenunzufriedenheit an die Oberfläche in Form der größten regierungsfeindlichen Streiks und Krawallen seit dem Sturz von König Faruk 1952. Die Bewegung wurde durch die Abschaffung der staatlichen Subventionen für wichtige Nahrungsmittel ausgelöst. Sadat machte schnell einen Rückzug. Auch dann dauerte es noch Tage, bis die Armee die Kontrolle wieder erlangte.
Gleichzeitig waren die USA, die zunehmend von arabischen Öl abhängig sind, in Sorge über die sich vertiefende revolutionäre Gärung in der Region und besorgt, die prokapitalistischen arabischen Regime zu stützen. Sadat kalkulierte, dass er durch die Unterzeichnung eines Friedensabkommens mit Begin wachsende amerikanische Unterstützung bekommen und dies zum Herauspressen von Zugeständnissen aus Israel nutzen könne.
Auf dieser Grundlage wurde nach der Camp-David-Vereinbarung von 1978 der Sinai an Ägypten zurückgegeben.
Vergeblich
Diese Entwicklungen untergruben die Politik er PLO-Führung weiter. Das israelische Regime war jetzt frei, sich auf den Osten und Norden zu konzentrieren. Der Einmarsch im Libanon und die weitere Festigung der überwältigenden militärischen Übermacht Israels zeigten, dass das Sich-Stützen auf entweder den Guerillakampf oder die arabischen Regime völlig vergeblich war, um den palästinensischen Kampf zum Sieg zu führen.
Die arabischen Führer haben klar keine Absicht, eine weitere Konfrontation mit Israel zu riskieren. Selbst der „revolutionäre“ Oberst Gaddafi von Libyen konnte auf dem Höhepunkt des Kampfes um Beirut keine bessere Lösung für die PLO-Führer vorschlagen, als lieber Selbstmord zu begehen als sich an Israel auszuliefern!
Die imperialistischen Mächte hoffen, die gegenwärtige Lage auszubeuten und eine Nahost“lösung“ nach ihren eigenen Interessen aufzuzwingen. Ihre Absichten sind erstens die Wiederherstellung der Stabilität des libanesischen Regimes und die Arrangierung des Abzugs der syrischen und israelischen Truppen. Wichtiger: sie schlagen vor, den palästinensischen Kampf zu „lösen“, indem sie die Westbank und Gaza zur „Heimstätte“ für das palästinensische Volk erklären.
Wie Reagan klargemacht hat, kommt es nicht in Frage, dass diese „Heimstätte“ unabhängig wird. Sie würde nur die Macht örtlicher Selbstverwaltung erhalten – also weniger Unabhängigkeit als ein Bantustan [im südafrikanischen Apartheidregime] – und unter militärischer Kontrolle Israels in Verbindung mit Jordanien bleiben.
Instabil
Diese bankrotten Pläne haben wenig Chance abzuheben. Die Lage im Libanon wird im Fluss bleiben und das Regime dort wird instabil bleiben. Die ArbeiterInnen und BäuerInnen werden sich von ihren Verletzungen erholen, während die herrschende Klasse in einer Periode von Weltwirtschaftskrise unfähig sein wird, die Wirtschaft wieder aufzubauen und ihre Autorität über die Gesellschaft zu errichten.
Reagans Vorschläge für eine palästinensische „Heimstätte“, die für das palästinensische Volk völlig unannehmbar sind, wurden auch von Begin glatt zurückgewiesen.
Unter dem Deckmantel des Krieges im Libanon haben die israelischen Behörden den bisher größten Landraub in der Westbank vorgenommen, genau um ihre Rückkehr in arabische Hände zu verhindern. 40 Prozent des Gebiets, einschließlich fünf arabischer Städte, wurden für jüdische Siedlungen vorgesehen, und 50 Prozent für Landwirtschaft (mit strenger Begrenzung für arabische Gebäude). Nur 10 Prozent werden für arabische Städte und Dörfer bleiben.
Zwischen Reagans Angebot und Begins Ablehnung gibt es keinen Weg vorwärts für das palästinensische Volk. Die PLO-Führer haben aber nichts aus diesen Ereignissen gelernt. Aus den durch ihre Politik des Klassenkompromisses erzeugten Katastrophen sind sie übergegangen zu einer Politik von – mehr Klassenkompromiss.
Arafats Verhandlungen mit König Hussein von Jordanien (dem Schlächter aus den Tagen des „Schwarzen September“) über eine „Föderation“ oder „Konföderation“ der palästinensischen Westbank mit Jordanien kann keine Lösung bieten. Husseins eigene Sorge ist, seine eigene Haut ein bisschen länger vor der ständig drohenden Gefahr der Revolution zu retten.
„Ich habe König Hussein von Jordanien nie so verzweifelt gesehen“, kommentierte der westdeutsche Außenminister während der Kämpfe im Libanon. Hussein hofft, dass ihm ein Bündnis mit Arafat in den Augen seines Volkes Glaubwürdigkeit verleihen werde.
Zugeständnisse
Aber Husseins und Arafats Pläne sind nur der Rat der Verzweiflung und können nur zu einem schlimmeren Fiasko führen. Sie stützen sich keineswegs auf den Kampf der palästinensischen Massen, sondern hoffen darauf, dass der US-Imperialismus Zugeständnisse aus Israel herausholt.
Selbst wenn US-Druck Israel zum Rückzug zwingt, wäre der einzige „Palästinenserstaat“, der vom Imperialismus, Israel und den arabischen Herrschern geduldet würde, ein Marionettenstaat. Die Gespräche zwischen Arafat und Hussein bieten die Aussicht auf jordanische Beteiligung bei der Leitung eines solchen Marionettenstaats – nicht mehr.
Aber auf der Grundlage von Klassenkompromiss mit den arabischen Herrschern, ist ein fauler Kompromiss dieser Art das höchste, was die PLO-Führung gegenwärtig zu erreichen hoffen kann.
Keine Lösung für den palästinensischen Kampf ist möglich, so lange Kapitalismus und Großgrundbesitz, die vom israelischen Militarismus und der korrupten Last der arabischen Regime verkörpert werden, die Region beherrschen. Die arabischen Herrscher, das israelische Regime und der Imperialismus sind gleichermaßen besorgt über den Schwung, den ein palästinensischer Sieg dem Kampf der Massen in allen arabischen Ländern und in Israel geben würde.
Ein unabhängiger palästinensischer Staat würde von Anfang an in revolutionärem Aufruhr sein. Auf kapitalistischer Grundlage könnte er die Forderungen der arbeitenden Menschen nicht befriedigen, die palästinensische Bourgeoisie ist auch nicht fähig, ihn auf einer stabilen Grundlage zu beherrschen.
So ein Staat könnte nur als ein Brennpunkt des Kampfes gegen sowohl Zionismus als auch arabische Reaktion bestehen und würde die Bewegungen von 1970 und 1975 zu ihrem logischen Schluss führen. Aus diesen Gründen legen die arabischen Regime hauptsächlich Lippenbekenntnisse zur Idee eines unabhängigen palästinensischen Staates ab.
Aufgaben der Revolution im Nahen Osten
Israel ist die Hauptbastion der kapitalistischen Reaktion im Nahen Osten, der letzte Verteidiger der imperialistischen Interessen und das mächtigste Hindernis der nationalen und sozialen Befreiung des palästinensischen Volkes. Die Niederlage des israelischen Regimes ist der Schlüssel für den Sieg des palästinensischen Kampfes; der ist wiederum die brennendste Frage im Nahen Osten.
Aber wie kann das israelische Regime besiegt werden?
Militärischer Sieg durch die schwachen arabischen Staaten ist ausgeschlossen.
Für die arabischen Herrscher ist das gegenwärtige Kräfteverhältnis der Eckpunkt ihres politischen Überlebens. Die Drohung mit einem israelischen Angriff ist der Hauptfaktor, der ihre eigene Existenz gegenüber den Massen rechtfertigen und revolutionäre Kampfe vertagen kann (während „Friedensinitiativen“ gemacht werden können, wenn die Völker kriegsmüde werden).
Noch wichtiger ist: keine der großen Supermächte wurde eine größere Eskalation des militärischen Kampfes in der Region unterstützen.
Der US-Imperialismus wird alle seine Ressourcen nutzen, um sich an seine Öl- und strategischen Interessen im Nahen Osten zu klammern und weiterhin Israel zu unterstützen. Gleichzeitig wird er versuchen, die schlimmsten Exzesse des israelischen militaristischen Regimes zu beschränken, die unkalkulierbare Explosionen für die Zukunft vorzubereiten drohen. (Ganz genau so wie die westlichen Regierungen aus Angst vor der herannahenden Revolution in Südafrika versuchen, die Politik des Apartheid-Regimes zu „mäßigen“.)
Die Sowjetbürokratie ist zwar nicht von Nahostöl abhängig und muss die Ausdehnung der US-Macht entlang ihrer südlichen Grenze unter Kontrolle halten und jede ernsthafte Schwächung ihrer internationalen Stellung verhindern. Dies ist der Hauptgrund für die begrenzte Unterstützung, die Russland der PLO und den arabischen Regimes gegeben hat.
Gleichzeitig hat die russische Führung kein Interessen an einem Kampf für einen arabischen Sieg gegen umfassenden imperialistischen Widerstand. Wie die arabischen Herrscher fürchtet sie jede Verschiebung in der gegenwärtigen Lage des bewaffneten Waffenstillstands im Nahen Osten.
Mit dem Krieg im Libanon wurde ihre mangelnde Verpflichtung zu einem palästinensischen Sieg deutlich entlarvt. Selbst die Führer der Demokratischen Front für die Befreiung Palästinas – einer der Sowjetunion freundlichen Gruppe in der PLO – erklärten in einer öffentlichen Stellungnahme:
„Die Sowjetunion kann ihre Solidarität mit uns und mit dem Volk des Libanon nicht sichern, indem sie ihre Unterstützung auf politischen und diplomatischen Druck beschränkt.“
Die Niederlage der israelischen herrschenden Klasse kann nur als Ergebnis einer Klassenbewegung zustande kommen, die die jüdische Mehrheit der israelischen Arbeiterklasse einbezieht. Dieser Umstand ist zentral für den Kampf der palästinensischen ArbeiterInnen und BäuerInnen. Nur auf der Grundlage einer marxistischen Perspektive und eines marxistischen Programms ist es aber möglich, so eine Bewegung zu mobilisieren.
Keine grundlegende Verschiebung in der sozialen Unterstützung für die herrschende Klasse durch die israelischen ArbeiterInnen ist trotz aller wachsenden wirtschaftlichen und politischen Spannungen möglich, so lange der palästinensische Kampf auf einer nationalistischen Grundlage geführt wird. So lange die israelischen ArbeiterInnen – wie sie es sehen – vor der Wahl zwischen dem zionistischen Staat und terroristischer Gewalt stehen, wird die Mehrheit von ihnen weiterhin den kapitalistischen Staat unterstützen.
Die Politik der PLO-Führung, die ihren Kampf an die arabischen Regime bindet und auf eine nationalistische Perspektive beschränkt, garantiert so eine Grundlage von jüdischer Unterstützung für die israelische herrschende Klasse und macht den zionistischen Staat unzerstörbar, außer um den Preis eines unvorstellbaren Blutbads.
Sozialistische Umgestaltung
Nur ein marxistisches Programm, das den nationalen Kampf des palästinensischen Volks mit der sozialistischen Umgestaltung des ganzen Nahen Ostens verbindet, könnte einen Ausweg aus diesem Teufelskreis zeigen.
Mit der Forderung nach dem Sturz der Regime der Kapitalisten und Großgrundbesitzer und der Errichtung von demokratischer Arbeiterherrschaft in jedem Land der Region würde eine entschlossene Kampagne für marxistische Politik eine völlig neue Perspektive für sowohl die israelischen als ach die arabischen ArbeiterInnen eröffnen.
Unter Arbeiterherrschaft könnte man beginnen, alle von Kapitalismus und Großgrundbesitz geschaffenen Probleme zu beseitigen. Die Armut könnte beseitigt und Privilegien abgeschafft werden, indem die Produktion unter der Kontrolle der arbeitenden Menschen auf eine geplante Grundlage gestellt würde.
Das Land könnte den BäuerInnen gegeben werden. Zusammen mit der Arbeiterklasse international könnte der Kampf für den Bruch des Zugriffs des Imperialismus auf die Region geführt werden.
Dies ist die einzige Grundlage, auf der der lange und bittere Kampf für Selbstbestimmung durch die unterdrückten Nationen des Nahen Ostens gelöst und die Interessen der arabischen und israelischen ArbeiterInnen miteinander versöhnt werden können
1948 lehnten MarxistInnen die Schaffung eines gesonderten israelischen Staates ab, weil es von Anfang an klar war, dass dieser künstliche Staat die Quelle von Konflikt und Spaltung unter den ArbeiterInnen würde. Aber bedeutet das, dass Marxistinnen heute für die Zerstörung des Staates Israel stehen sollten?
Die Mehrheit der israelischen JüdInnen heute ist entweder in Israel oder in Palästina vor 1948 geboren; und unter keinen Umständen können SozialistInnen für ihre „Heimschickung“, das heißt ihre Vertreibung sein. Anders als es 1948 war, stellen die mehr als drei Millionen Israelis jetzt eine beträchtliche und eigenständige Nation im Nahen Osten dar.
Unter bestimmten Bedingungen – das heißt Garantien für die Rechte von Minderheiten und zurückkehrenden PalästinenserInnen – muss heute die Notwendigkeit anerkannt werden, dass ein israelischer Staat innerhalb vereinbarter Grenzen besteht. In der Tat ist das heute praktisch die Haltung der PLO.
Aber die Wiederherstellung der Rechte der 1948 vertriebenen palästinensischen AraberInnen und der seit 1967 auf der Westbank Enteigneten wirft unvermeidlich die Frage der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft auf. Der Kapitalismus kann selbst der jüdischen Bevölkerung in Israel nicht Wohnungen, Arbeitsplätze und einen sicheren Lebensstandard bieten, den arabischen Massen schon gar nicht.
Speerspitze
Die israelische Arbeiterklasse wird zwar eine entscheidende Rolle in der sich entfaltenden Revolution im Nahen Osten spielen, die über die Region verstreuten palästinensischen ArbeiterInnen sind aber in einer Schlüsselstellung, um die Speerspitze des Kampfes zu bilden und sich mit den ArbeiterInnen und BäuerInnen in den verschiedenen Ländern zu verbinden.
Wenn die palästinensischen ArbeiterInnen als Klasse organisiert sind, können sie sich mit ihren Brüdern und Schwestern in den Ländern, in denen sie leben und arbeiten, verbinden und jedem Teil der unterdrückten arabischen Massen die Zukunft zeigen, die sie unter Arbeiterherrschaft hätten. Mit richtigen Forderungen und Taktiken könnte eine marxistische Führung der palästinensischen ArbeiterInnen an der Spitze der riesigen revolutionären Bewegung stehen, die den ganzen Nahen Osten umfasst.
Die arabischen Herrscher würden verzweifelt kämpfen, um die Gefahr von unten zu zerschlagen. Der Kampf gegen diese Regime wäre nicht weniger entscheidend als der Kampf zum Sieg über den Zionismus. Aber mit klarer sozialistischer Politik wären die ArbeiterInnen und BäuerInnen in einer unermesslich stärkeren Lage als 1970 oder 1975.
Indem sie den Bauernsoldaten Land und Freiheit anbieten, würden sie die Masse der arabischen Armeen auf die Seite der Revolution gewinnen. Die zerbrechlichen Bande der Tradition und Furcht, die alles sind, was die arabischen Staaten zusammenhalten, würden unter den ersten Bewegungen der Massenrevolution zerfallen – worauf es im Libanon und Jordanien schon einen Vorgeschmack gab.
Unter diesen Umständen wäre das israelische Regime gelähmt. Wenn das Gespenst der arabischen Reaktion weg wäre, wäre es möglich, die israelischen ArbeiterInnen sogar in einem revolutionären Krieg gegen den israelischen kapitalistischen Staat zu gewinnen. Die israelischen Herrscher wären isoliert und unfähig, sich der sozialen Revolution zu widersetzen.
Revolutionäre Staaten der arbeitenden Menschen würden von den imperialistischen und auch stalinistischen Regimes heftig angegriffen werden, die zu Recht den Aufstieg der Arbeiterrevolution als tödliche Bedrohung ihrer privilegierten Stellung sehen würden. Aber mit einer kühnen internationalistischen Politik, die an die ArbeiterInnen über nationale Grenzen hinweg appelliert und gemeinsame Kämpfe organisiert, könnte sich das im Nahen Osten entfachte Feuer um die ganze Welt ausbreiten.
Kapitalismus und Großgrundbesitz wären in der ganzen Region zerstört und in wachsenden Teilen Asiens, Afrikas und Europas bedroht, weil ArbeiterInnen unter der Einwirkung der Revolution im Nahen Osten zum Handeln gezwungen wären.
Das bürokratische Regime in Syrien würde zusammenbrechen und durch demokratische Arbeiterherrschaft ersetzt werden.
Auf der Grundlage von Arbeiterdemokratie könnten nationale Spaltungen, die die Region zersplittern, langsam gelöst werden. Die PalästinenserInnen und andere unterdrückte Völker – wie die KurdInnen – könnten ihre vollen demokratischen Rechte als Nationen ausüben, entweder in gemeinsamen Staaten oder, wenn die Mehrheit es wünscht, in eigenen Staaten.
Die Arbeiterklasse hat keine Eigeninteressen, die durch die Selbstbestimmung der Nationen bedroht wären. Revolutionäre Arbeiterregierungen mit gemeinsamen Interessen an Frieden und wirtschaftlicher Entwicklung könnten die Forderungen nationaler Minderheiten befriedigen und, wenn notwendig, territorialen Aufteilungen zustimmen, um die Grundlagen für wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit zu schaffen.
MarxistInnen würden die Notwendigkeit von engstmöglicher Integration bei der Entwicklung der Ressourcen der Region auf geplanter Grundlage erklären und für eine sozialistische Föderation eintreten als Mittel zur Verbindung unabhängiger Arbeiterstaaten. Dies könnte den weg für die Einheit aller Völker in der Zukunft bereiten.
Verstreute Saat der Revolution
Nach dem Libanonkrieg gibt es die Gefahr einer erneuten Hinwendung zu terroristischer Gewalt unter erbitterten Teilen der palästinensischen Jugend. Zum Beispiel wurden im Januar Granaten in einen Bus in Tel Aviv geworfen, wodurch elf Menschen verwundet wurden. Zur Vergeltung wurden 86 AraberInnen verhaftet.
Auch die PLO-Führung hat als Versuch, ihr Prestige wiederherzustellen, leere Drohungen eines erneuten Guerillakrieges gegen Israel ausgestoßen.
Gleichzeitig können aber, wo die Schrecken und die Vergeblichkeit des Libanonkrieges frisch im Gedächtnis sind, viele PalästinenserInnen und israelische ArbeiterInnen für marxistische Politik gewonnen werden, die ein Alternative zum Teufelskreis aus Leiden und Blutvergießen zeigt.
Die klägliche Verhalten der arabischen Herrscher hat die traditionelle Haltung der PLO-Führung untergraben. Unter den aus Beirut evakuierten PLO-Kämpfern gab es keine Stimmung, das Vertrauen weiter in diese Regime zu setzen.
„Spart eure Tränen“, sagte ein Kämpfer zu einer Gruppe von Frauen die bei seinem Abschied weinten, „spart eure Tränen für die arabischen Führer.“
Ein anderer sagte:
„Wir werden Israel für fünf Jahre beiseite legen und die arabische Welt ausmisten. Alle unsere Führer sind Verräter.“
Selbst das syrische Regime wurde mit tiefen Misstrauen gesehen:
„Wir werden vielleicht als Helden in Damaskus empfangen – obwohl ich es bezweifle“, kommentierte ein palästinensischer Journalist. „Aber dann sollten wir aus den Kasernen herausmarschieren. Die sind so gut wie Gefängnisse.“
Arafats erneutes Gemauschel mit König Hussein hat daher tiefe Wut unter palästinensischen AktivistInnen hervorgebracht. Seine Nummer zwei musste sogar aus Syrien fliehen und im reaktionären Königreich Jordanien um Asyl bitten!
Kronprinz Hassan von Jordanien (Husseins Bruder) fasste die Furcht aller arabischen Herrscher in Worte:
„Wenn die gegenwärtige PLO-Führung beseitigt wird, wird ihr eine andre, vielleicht extremere, radikalere, verzweifeltere folgen, einfach weil der Bedarf immer noch da sein wird.“
Immer mehr palästinensische AktivistInnen werden entschlossen sein, die PLO-Politik des Klassenkompromisses zu ändern, die auf diese Politik verpflichteten Führer zu entfernen und neue Führer nach Vorne zu bringen, die bereit und fähig sind, den nationalen Kampf zu seinen revolutionären Schlussfolgerungen zu führen.
Die Verstreuung der PLO-Kämpfer in der arabischen Welt – die einzige Möglichkeit, die der Imperialismus, Israel und die arabischen Staaten haben – wird gleichzeitig weitreichende Folgen haben. Sie wird die Saat der Revolution im ganzen Nahen Osten verstreuen. Die von ihren Führern verratenen und von ihren „Gastgebern“ unterdrückten PLO-Aktivisten werden Wege suchen, ihre Kämpfe mit denen der ArbeiterInnen und BäuerInnen vor Ort zu verbinden.
In Israel selbst wird sich der Klassenkampf vertiefen. ArbeiteraktivistInnen in Israel und auch in den arabischen Ländern können bewaffnet mit einer klaren marxistischen Perspektive die Grundlage für eine revolutionäre Führung schaffen, die die Massen der Region mobilisieren, nationale Unterdrückung, Kapitalismus und Großgrundbesitz beseitigen und unter Arbeiterherrschaft eine neue Perspektive von Frieden und sozialem Fortschritt einleiten wird.