Interview mit der Parlamentsabgeordneten Ruth Coppinger
Nachdem der bisherige Amtsinhaber aus der Labour-Party wegen der bekannt gewordenen sexuellen Belästigung einer Minderjährigen im Social Network zurücktreten musste, gab es am 25. 5. 2014, parallel zu den Europa- und Kommunalwahlen, eine Nachwahl für das irische Nationalparlament (Dail Eirean) im Wahlbezirk Dublin-West. Trotz der Dreifachanstrengung eines Kommunal-, Europa und Nationalparlamentswahlkampfes gelang es der Socialist Party (SP), der Schwesterorganisation der SAV, als Teil des Bündnisses „Anti Austerity Alliance“ (kurz: AAA) das Mandat zu holen. Seitdem verfügt die SP neben dem landesweit bekannten Joe Higgins wieder über ein zweite Mandatsträgerin im Dail. Vor dem Hintergrund einer massiven Unzufriedenheit mit dem Establishment wurden dessen Parteien massiv abgestraft. Ruth hingegen hatte sich über Jahre als Stadträtin und Aktivistin in den Kampagnen zu Wohnungsnot und gegen Obdachlosigkeit einen Namen gemacht.
Das folgende Interview mit Ruth wurde auf der Europäischen Sommerschulung des CWI (Komitee für eine Arbeiterinternationale, dem SP und SAV angehören) geführt. Diese fand vom 20.-26. 7. im belgischen Leuven statt.
Ruth, wenn man in den etablierten Medien etwas über Irland hört, fällt immer wieder das Wort „Erholung“. Irland habe die Krise überwunden, es ginge wieder aufwärts. Was sagst Du dazu?
Die Realität ist eine völlig andere. Zumindest was die Lebensrealität der übergroßen Mehrheit angeht. Für die ArbeiterInnen, die Erwerbslosen, die Tausenden die alleine in den letzten Jahren emigrieren mussten sowie für zahlreiche Familien, die in Folge des Platzens der Immobilienblase ihre Häuser verloren haben und nunmehr obdachlos sind, gibt es keine Erholung. Ja, es gibt ein Anwachsen des Reichtums im Lande. Aber dieser Reichtum kommt nur einer winzigen Elite zu Gute, die weiter spekuliert und weiter macht wie vor der Krise. 250 Menschen besitzen so viel Geldvermögen, dass es ein Drittel des gesamten irischen Bruttoinlandsproduktes ausmacht. Zur selben Zeit drücken die etablierten Parteien den Menschen Kürzungen auf. Im Zuge der Troika-diktierten Kürzungsprogramme, die alle großen Parteien im Laufe der Krise umgesetzt haben, gab es viele grundlegende Angriffe auf den Lebensstandard der Mehrheit. So führte man eine Grundsteuer für HausbesitzerInnen ein. [Hintergrundinfo: In Irland leben die Allermeisten in Einfamilienhäusern zum Eigentum und sind – auf Grund der schrecklich hohen Immobilienpresie – zutiefst bei den Banken verschuldet] Jetzt soll die Wassersteuer dazu kommen, die die Haushalte zusätzlich enorm belasten wird. Wenn man sich das alles anschaut, wird schnell klar, dass das kein Ende der Krise ist – zumindest für die arbeitende Klasse. Da frage ich: Wie kann man von „Erholung“ oder „Gesundung“ der Wirtschaft sprechen, wenn die große Mehrheit nicht mal das Allernötigste hat und ihr immer mehr genommen wird?!
Steigende Preise für Häuser und Wohnungen sind in vielen Ländern ein Problem. Wie genau ist die Lage in Irland, wie viele Menschen sind durch die Krise obdachlos geworden und wie läuft der Kampf dieser Menschen, mit denen Du und die SP sich solidarisieren?
Es muss für Menschen außerhalb Irlands merkwürdig und paradox klingen, dass wir ein Problem mit Obdachlosigkeit haben, wo wir doch zur Zeit als Irland noch „Keltischer Tiger“ war, Jahre lang einen Bauboom hatten. Manche dieser Häuser sind ausschließlich zu Spekulationszwecken gebaut worden. Viele in ländlichen Gegenden ohne Arbeitsplätze und Infrastruktur oder in den Randbezirken Dublins, die auch eher ländlich geprägt sind. Viele davon stehen leer und können nicht verkauft werden. Im ganzen Land gibt es etwa 200.000 leerstehende Häuser. In den letzten 5-6 Jahren, also seit Einbruch der Krise, ist der Bauboom zurück gegangen. Viele Bauarbeiter sind arbeitslos geworden oder verließen, so sie Migranten waren, das Land. Die Banken geben keine Kredite mehr an Menschen, die bauen oder ein Haus kaufen wollen. Es fehlen aber vor allem bezahlbare Häuser und Wohnungen. Der ganze Wohnungs- und Immobilienmarkt funktioniert über den freien Markt. Das führt zu einem erneuten Anstieg der Immobilienpreise, die für immer mehr Menschen nicht mehr bezahlbar sind. Es gibt keinen öffentlichen, sozialen Wohnungsbau. Einen solchen aber fordern wir. Wir fordern öffentliche Investitionen in den Wohnungs-/Hausbau. Und zwar da, wo die Menschen wirklich leben und arbeiten. 100.000 Familien in Irland stehen auf Wartelisten für Sozialwohnungen und kriegen keine.
Da viele ihre Hypotheken nicht mehr abbezahlen können, gibt es Zwangsräumungen. Alleine in Dublin sind laut Zahlen von 2013 170 Familien obdachlos, darunter 500 Kinder. Oftmals ist diese Obdachlosigkeit versteckt, da die Familien in Notheimen oder bei Verwandten unterkommen. Betroffene haben Gegenwehr und mehrere Demonstrationen organisiert. Wir von der SP und der AAA haben sie dabei unterstützt und ihren Protesten auch in Stadträten und im Dail eine Stimme gegeben. Dies ist ein Kampf, der leider noch nicht gewonnen ist.
Ruth, das Ergebnis der Wahlen in Irland, kann man getrost als ein politisches Erdbeben bezeichnen. Alle Regierungsparteien, besonders Labour, wurden massiv abgestraft. Zugleich konnten Linke und Unabhängige große Erfolge verzeichnen. Wie kam es dazu?
Die Wut über die Austeritätspolitik, die von allen großen Parteien, also von den regierenden Fine Gael und Labour ebenso wie vom Fianna Fail und den Grünen, durchgedrückt wurde, hat zu enormer Wut und Entfremdung geführt. Alle kürzen bei der Bevölkerungsmehrheit und handeln als Erfüllungsgehilfen der Troika und sagen, es gäbe keine Alternative dazu. Dafür wurden sie abgestraft. Fine Gael und Labour wollen jetzt die Wassersteuer einführen. Bei der Europawahl haben SP und „People Before Profit“ [irische Schwesterorganisation von „marx21“] zusammen mehr Stimmen erhalten als die Labour-Party. Dass „People Before Profit“ bei der Europawahl gegen uns kandidiert hat, hat mit dafür gesorgt, dass Paul Murphy nicht wieder gewählt wurde. Aber die Wahlen, egal ob Europawahl, Kommunalwahl oder die Nachwahl fürs Dail hat auch alle Unabhängigen gestärkt. Unabhängig vom Programm war „unabhängig“ zu sein, etwas was die WählerInnen honoriert haben. Denn Parteien und Etabliertsein sind allgemein verhasst. Ein Stück weit haben auch wir etwas davon abgekriegt, wenngleich wir uns natürlich durch Kampagnenarbeit vor Ort Vertrauen erwerben konnten. Der große Wahlgewinner ist aber zweifellos die linksnationalistische Partei „Sinn Fein“, die sich als Stimme gegen die Troika, gegen Austeritätspolitik und Maßnahmen wie der Wassersteuer positioniert hat.
Wie stehst Du zu Sinn Fein? Wie bewertest Du die Politik dieser Partei, die immerhin Teil der Europäischen Linken ist und damit Schwesterpartei der Partei DIE LINKE in Deutschland?
Die Erfahrungen mit Sinn Fein, die wir immer wieder machen konnten, sind alt und durchweg negativ. Sinn Fein ist eine kleinbürgerlich-nationalistische Partei, die in der Republik Irland zwar sehr links auftritt und über einen große Basis in Arbeitervierteln verfügt. Aber über sozialen Populismus hinaus vertritt die Partei nicht die Klasseninteressen der Arbeiterklasse. Sie verfügt über Beziehungen zu reichen Geldgebern in der irischen Community der USA und ringt sich nicht zuletzt auch deshalb nicht zu grundsätzlicher Kritik am Kapitalismus durch. Von ihrer sektiererischen Haltung in der nationalen Frage ganz zu schweigen. In Nordirland ist Sinn Fein jedenfalls schon seit Jahren Regierungspartei. Dort betreibt diese Partei trotz aller sozialistischen Rhetorik und ihres radikalen Images Kürzungspolitik mit. Mittelfristig strebt Sinn Fein dies auch in der Republik Irland an. Aber gerade wegen ihrer Basis in der Arbeiterklasse und ihrer Wahrnehmung als radikale Anti-Austeritäts-Partei, machen wir immer auch Angebote an Sinn Fein zum gemeinsamen Kampf. Leider bleiben unsere Appelle zumeist ungehört. In der Frage des Kampfes gegen die Wassersteuer hat sich Sinn Fein schon positioniert: Kurz nach der Wahl verkündeten sie, sich nicht an einem Boykott der Wassersteuer zu beteiligen und wollten auch keinen Widerstand gegen die Installation der Wasserzähler in den Haushalten organisieren. Das zeigt, wo letztlich die Reise hingehen wird: Richtung Anpassung.
Die Socialist Party ist Teil der Anti-Austerity-Alliance. Was ist die AAA, wie ist sie zusammengesetzt? Was ist unsere Rolle in dieser Formation und wie meinst Du, könnte sie sich die AAA entwickeln?
Die AAA ist aus den Kämpfen und Kampagnen gegen die Haushaltssteuer entstanden. Im Zuge dieses Kampfes, aber auch anderer Kämpfe gegen die Austeritätspolitik, kam die Idee auf, verschiedene Kräfte aus der Linken, den Gewerkschaften, Menschen aus der Arbeiterklasse und Jugend und aus sozialen Bewegungen politisch-organisatorisch zusammenzubringen und zu Wahlen anzutreten. Denn es gilt, den Kürzungsparteien etwas politisch entgegenzusetzen. Nicht alle Kräfte, mit denen wir damals in der AAA zusammenarbeiteten, stimmten mit uns über diesen Schritt überein. Im letzten Herbst setzten sich auf einer AAA-Konferenz diejenigen durch, die für einen Wahlantritt waren. Darunter wir. Dem waren aber lange Debatten vorangegangen. Die AAA hat ein 10-Punkte-Programm, welches unter anderem wichtige Punkte wie Schuldenstreichung, Verstaatlichung der Banken und Konzerne und höhere Steuern für Konzerne und Superreiche beinhaltet und alle Kürzungen und Massensteuern, die die arbeitenden Menschen treffen, ablehnt. Neben unseren GenossInnen der SP traten 20 KandidatInnen, die nicht der SP angehören, auf den Listen der AAA landesweit an.
Die SP ist eine kleine Partei und kann nicht im ganzen Land flächendeckend antreten. Um dies aber zu bewerkstelligen, aber auch weil eine breite Partei gegen die Austeritätspolitik nötig ist, gibt es die AAA. Mit einem enormen Kraftaufwand und viel Arbeit all unserer Mitglieder, hat das Wahlbündnis signifikante Erfolge erzielen können. Die AAA gewann 14 Kommunalmandate, davon alleine 3 in der Stadt Limerick, was dort ein echter Durchbruch ist. Dieser Erfolg ist ein erster Schritt dahin, ArbeiterInnen und Jugendliche politisch zu aktivieren. Die AAA ist eine kleine Formation, aber sie hat die Chance, ein politisches Vakuum zu füllen und in der Zukunft zu einer starken Kraft in Irland zu werden.
Ich danke Dir für das Interview, Ruth.
Ich danke Dir und allen internationalen Genossinnen und Genossen, die uns bei den Wahlen aktiv und tatkräftig unterstützt haben!
Das Interview führte Marcus Hesse.