100.000 demonstrieren in London
Für Samstag, 18. Oktober, hatte der britische Gewerkschaftskongress TUC zu einer Großdemo aufgerufen. In London marschierten gut 100.000 Menschen unter dem Motto „Britain neds a pay rise!“ (Britannien braucht eine Gehaltserhöhung). Dazu kamen zehntausende in Glasgow und Belfast.
Von Jan Rybak, London
Die Großdemonstration am Samstag sollte eigentlich den Abschluss einer Kampf- und Streikwoche bilden. Die großen Gewerkschaften hatten für die ganze Woche mehrere Streiktage angekündigt. Trotz eindeutiger Streikbereitschaft von Seiten der KollegInnen sagte die Gewerkschaftsbürokratie die Streiks aber kurzfristig wegen des Drucks von oben ab. Die Wut vieler KollegInnen auf der Demonstration war eindeutig: „Ist ja schön, wenn wir hier demonstrieren, aber das ist doch nur eine halbe Sache. Wir hätten verdammt noch mal streiken sollen!“, meinte etwa ein Kollege von der städtischen Reinigung zu mir. Damit sprach er vielen aus der Seele.
Aber nicht alle wurden von der Gewerkschaftsführung aufs Marschieren reduziert. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten hatten zu Wochenbeginn die KollegInnen des National Health Service (des staatlichen Gesundheitssystems) für vier Stunden die Arbeit niedergelegt. Ebenso streikten und demonstrierten die KollegInnen aus der Alten- und Krankenpflege und (zum ersten Mal in ihrer Geschichte) die KollegInnen des „Royal College of Midwifes“ (Königliche Hebammenakademie). Die Blöcke der GewerkschafterInnen aus dem Gesundheits- und Sozialbereich waren auf der gesamten Demonstration mit Abstand die kämpferischsten.
Aktuell finden permanent Streiks und Demonstrationen von ArbeiterInnen statt. Die meisten davon sind stark radikalisiert. Seit 20. Oktober streiken die Beschäftigten der Housing Services. Beinahe einstimmig haben sie den Vorschlag der Gewerkschaftsführung für einen fünftägigen Streik zurückgewiesen um ihn (fürs Erste) auf sieben Tage auszuweiten. Dies ist nur ein Beispiel von vielen. All dies findet vor dem Hintergrund stagnierender oder sinkender Löhne und dramatisch steigenden Lebenshaltungskosten statt. Lebensmittel und vor allem Mieten sind besonders in der Hauptstadt kaum mehr leistbar. Vor wenigen Monaten hat London Singapur den Rang als teuerste Stadt der Welt abgenommen. Eine jüngste Studie über die Leistbarkeit von Wohnen in den Londoner Stadtteilen hat ergeben, dass etwa im Stadtviertel Camden (etwa 250.000 EinwohnerInnen) nur eine einzige Wohnung nach den offiziellen Kriterien als „leistbar“ einzustufen ist.
Die Demonstration vom 18. Oktober war ein massives Zeichen der Stärke der britischen ArbeiterInnenschaft. Notwendig wären jetzt vor allem zwei nächste Schritte.
Erstens können die Angriffe der Regierung nicht alleine mit Demonstrationen (so groß sie auch seien) aufgehalten werden. Streiks sind notwendig. Die Socialist Party (die Schwesterorganisation der SAV) hat auf der Demonstration vor allem dazu aufgerufen jetzt Streiks zu organisieren um die Forderungen wirklich durchsetzen zu können. Der Zuspruch zu dieser Forderung war überwältigend. Die KollegInnen zeigen in den verschiedensten Bereichen, dass sie willig und bereit sind zu kämpfen.
Zweitens braucht es eine politische Alternative zu den etablierten Kürzungsparteien. Labour (die britischen SozialdemokratInnen) stellen diese Alternative nicht dar. Sie sind eine ebenso pro-kapitalistische, neoliberale Kürzungspartei wie die konservativen Tories oder die Liberaldemokraten. Zwar versuchten manche Labour-AktivistInnen auf der Demonstration sich als Alternative zu präsentieren, die Ablehnung der Mehrheit der KollegInnen war allerdings eindeutig. Die einzigen, die noch ernsthafte Illusionen in die Labour-Partei haben sind Teile der Gewerkschaftsführung, die auf der Demonstration vor allem dazu aufgerufen haben bei den nächsten Wahlen die Tories abzuwählen. Damit schüren sie Illusionen in Labour und liefern die Gewerkschaften an die Partei aus. Derweil haben in den vergangenen Jahren einige Gewerkschaften mit Labour gebrochen, darunter die starke und traditionell linke TransportarbeiterInnengewerkschaft RMT. Eine echte Alternative zu den Kürzungsparteien ist mehr als notwendig (nicht nur) in Großbritannien.