Ende Oktober 2014 erreichte der seit Mai 2013 andauernde Arbeitskampf beim Online-Händler Amazon einen neuen Höhepunkt. Rund 2.000 Beschäftigte in Bad Hersfeld, Leipzig, Graben, Rheinberg und erstmals auch in Werne stellten sich eine Woche lang vor die Betriebstore. Weitere Ausstände sind geplant.
„Work hard. Have fun. Make history“ – das ist das offizielle Motto des Konzerns aus den USA. Die Arbeit ist hart, keine Frage. Spaß macht sie den wenigsten. Aber Geschichte wollen die Beschäftigten schreiben. Das gewerkschaftsfeindliche Unternehmen soll an den Verhandlungstisch gezwungen werden, ein Tarifvertrag abgeschlossen werden.
Streit um Tarifvertrag
Amazon Deutschland behauptet: „Wir sind kein Händler, darum können wir auch keinen Einzel- und Versandhandels-Tarifvertrag unterschreiben.“ Aber auch wenn der Online-Gigant meint, Logistiker zu sein – es werden ebenfalls keine Logistiktarife gezahlt. Man „orientiert“ sich nur grob daran. Mit diesem Streit – Händler oder Logistiker – soll davon abgelenkt werden, dass Amazon überhaupt keinen Tarifvertrag abschließen will.
Gemessen an den Tarifverträgen des Einzel- und Versandhandels würden Beschäftigte durch entsprechend höhere Löhne, Zuschläge, Urlaubs- und Weihnachtsgeld im Jahr bis zu 9.000 Euro mehr verdienen. Bis dahin scheint es indes noch ein harter Weg zu sein.
Gewerkschaftliche Organisierung
Immerhin konnte ver.di mehrere tausend KollegInnen davon überzeugen, in die Gewerkschaft einzutreten. Das ist nicht ohne Folgen geblieben. Ab und an gibt es Lohnanpassungen, LeiharbeiterInnen erhalten den gleichen Einstiegslohn. Darüber hinaus musste Amazon Klimaanlagen und dezentrale Pausenräume einrichten. Nach den Streiks 2013 wurde erstmals in der Firmengeschichte etwas Weihnachtsgeld gezahlt. Und mittlerweile gibt es an allen Standorten Betriebsräte.
Während des Streiks Ende Oktober 2014 war auf einem Transparent in Bad Hersfeld zu lesen: „In jedem Streik steckt ein Traum“. Darunter fand sich die gleiche Losung auf Französisch – weil man damit auch KollegInnen in Frankreich bei einer dortigen Auseinandersetzung unterstützt hatte. Im Übrigen gibt es in der Belegschaft von Bad Hersfeld, aber auch an den anderen der neun Standorte in der Bundesrepublik, eine Vielzahl verschiedener Nationalitäten.
Die Amazon-Oberen lassen sich ein paar Dinge einfallen (die sie möglichst nichts kosten sollen), um die Belegschaften vom Streiken abzuhalten. So wurde Obst verteilt, in Bad Hersfeld zum Beispiel ein Kicker in den Pausenraum gestellt und überall ein kleines Weihnachtsgeld versprochen. „Brot und Spiele“, so der Gewerkschaftsaktive Martin Schierl, „genauso wie im alten Rom“.
Hintergrund I: Rückenprobleme und andere Scherereien
In Bad Hersfeld beträgt das Einstiegsgehalt 10,23 Euro die Stunde. Der Krankenstand angesichts der enormen Belastungen wird auf 20 bis 30 Prozent geschätzt. So gut wie jeder soll sich zum Beispiel mit Rückenproblemen rumplagen.
„Werden Sie offizieller Partner vom Weihnachtsmann“, mit diesem Plakat warb Amazon vor dem Weihnachtsgeschäft um SaisonarbeiterInnen. Ende des Jahres versucht das Unternehmen regelmäßig, bundesweit an die 10.000 zusätzliche Kräfte anzuheuern.
Hintergrund II: Marktmacht in Deutschland
Bundesweit arbeiten etwa 10.000 Festangestellte bei Amazon, 6.000 bis 7.000 mit Befristungen. Deutschland ist der zweitgrößte Markt nach den USA. Hier wuchs der Umsatz 2013 um 20 Prozent, von 6,5 auf 7,8 Milliarden Euro. Die nächstgrößten deutschen Versandhändler Otto und Zalando kommen gerade mal auf 2,2 beziehungsweise 1,8 Milliarden Euro.
Ein Drittel des Geschäfts wickelt der Online-Riese für andere Händler ab. Das birgt Potenzial für Erpressungen. Was auch die Konflikte zwischen Amazon und Buchverlagen um höhere Rabatte belegen.
Insgesamt beherrscht Amazon ein Viertel des deutschen Web-Handels, in einigen Segmenten deutlich mehr. Bei Büchern und CDs sind es beispielsweise bis zu 80 Prozent.