Gemeinsam gegen Rassismus und Kapitalismus!
Erklärung von „Gauche Revolutionnaire“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Frankreich)
Beinahe vier Million Menschen sind vergangenes Wochenende in Frankreich auf die Straße gegangen, um ihrer Empörung, Abscheu und Trauer Ausdruck zu verleihen. Anlass dafür waren die Mordanschläge von Paris, bei denen in der letzten Woche 17 Menschen umgebracht worden sind. Aus einem derartigen Grund hat es zuvor noch nie eine solch beeindruckende Mobilisierung gegeben. Es ist klar, dass die große Bevölkerungsmehrheit angesichts der terroristischen Gewalt den Wunsch hat, sich zusammen zu tun, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Persönlichkeitsrechte zu verteidigen. Gleichzeitig ist jedoch festzustellen, dass ein Großteil der Menschen auch gegen Rassismus und Spaltung auf die Straße geht.
Die Winkelzüge der politischen Rechten und der extremen Rechten, die versuchen, aus der sensiblen Atmosphäre und der Wut Kapital zu schlagen, sind fehlgeschlagen. Der rechtspopulistische „Front National“ (FN) ist nicht in der Lage gewesen, mehr als 1.000 seiner Anhänger zu einer Demonstration in Beaucaire dans le Gard antreten zu lassen. Das beeindruckendste an diesen riesigen Demonstrationen, die am Wochenende stattgefunden haben, war hingegen, dass man nicht in die Falle getappt ist, die die Terroristen und Rassisten mit ihrem grausamen Vorgehen aufgestellt haben.
Das Valls-Hollande-Schema
Immer wenn die Rede von der „nationalen Einheit“ ist, gilt es besonders wachsam zu sein. Einerseits versuchen Regierungsvertreter diese sogenannte „Einheit“ stets dafür zu nutzen, um die Opposition der abhängig Beschäftigten, der ArbeiterInnen und aller in der Bevölkerung, die deren Politik ablehnen, zu schwächen. Auf der anderen Seite überbieten sich in solchen Situationen JournalistInnen und PolitikerInnen immer gegenseitig, was das Spiel mit der nationalistischen Karte angeht. Es kommt einer/m dann immer so vor, als würde die Mobilisierung der Armee kurz bevor stehen und man zöge in den Krieg. Vergangenen Sonntag war das vollkommene Gegenteil der Fall: Das Gefühl, das die Trauer- und Protestzüge beherrschte, bestand in allen Städten des Landes oftmals aus Ruhe und Stille. Über allem schwebte eine brüderliche (schwesterliche) Atmosphäre.
Und dennoch haben es einige vorgezogen, angesichts der teilnehmenden führenden Politiker dieser Welt, der Demonstration von Paris lieber fernzubleiben. Die Anwesenheit des Königs von Saudi Arabien, wo die freie Meinungsäußerung eine kriminelle Handlung darstellt, die mit Peitschenhieben bestraft wird, oder des israelischen Premierministers Netanjahu, dessen Armee tausende von toten PalästinenserInnen auf dem Gewissen hat, oder des türkischen Präsidenten Erdogan, bei dem es sich um einen führenden Unterstützer von ISIS in Syrien handelt, und vieler anderer, die die schlimmsten Kriegstreiber und Totengräber der Freiheit in ihren Ländern sind, hat einen großen Teil der Menschen von einer Teilnahme an der Demonstration abgehalten. Dies ist durchaus verständlich. Für unseren Teil müssen wir allerdings sagen, dass wir die Straße nicht den Gesten eines Premierministers Valls überlassen wollten. Wir haben uns daher entschieden, zusammen mit den Millionen zu marschieren, die ausdrücken wollten, dass sie den Hass und den Terrorismus ablehnen. Überall dort, wo wir Ortsgruppen bzw. einzelne GenossInnen haben, haben wir an den Märschen teilgenommen, dabei die Sonder-Ausgabe unserer Zeitung angeboten und sind in keinem Fall auf irgendeine Form von Feindseligkeit oder Anfeindung gestoßen – im Gegenteil!
Vereint gegen Rassismus und Kapitalismus!
Ein bemerkenswert großer Teil der französischen Bevölkerung hat sich für diese Einheit entschieden, hatte offenkundig aber wenig Illusionen in jene, die sich an die Spitze des Zuges gestellt haben. Es kann als sicher angenommen werden, dass eine große Mehrheit der Menschen auch im Jahr 2015 weiterhin die Erwerbslosigkeit als größte Gefahr für sich sieht. Das zeigt auch eine Umfrage vom 3. Januar.
Wir müssen gegen den Rassismus in all seinen Formen vom Antisemitismus bis hin zur Islamophobie kämpfen. Einige Politiker schüren hingegen den Hass – vor allem gegen Menschen islamischen Glaubens. Angaben einer Umfrage zufolge, die am Samstag, dem 10. Januar, veröffentlicht wurde, lehnen 66 Prozent die Gleichsetzung von „MuslimInnen, die in Frankreich friedlich leben“ mit Islamisten ab.
Nach den dramatischen Ereignissen vom 7. und 9. Januar, der überwältigenden Mobilisierung der Massen, zu der es am Wochenende gekommen ist, sowie der brüderlichen (schwesterlichen) Atmosphäre, in der letztere stattgefunden hat, dürfen wir nicht zulassen, dass es zu einer Gegenentwicklung kommt. Unterdessen wird der sozialdemokratische Premier Valls zusammen mit Politikern der konservativen UMP und vom FN damit fortfahren, das Gespenst des Terrorismus an die Wand zu malen, um die eigene Unfähigkeit zu kaschieren, die sozialen und wirtschaftlichen Probleme zu lösen, mit denen die Mehrheit der Bevölkerung zu kämpfen hat. Kriege in Afrika und im Nahen Osten werden weiterhin gerechtfertigt, obwohl diese doch gerade der Grund für das Aufkommen solcher terroristischer Gruppierungen sind, die solche Wahnsinnigen hervorgebracht haben, wie die drei Männer von Paris. Das Ergebnis war der Tod von 17 unschuldigen Menschen.
Abhängig Beschäftigte, ArbeiterInnen und junge Leute müssen vereint werden, um gegen Rassismus zu kämpfen – unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft. Und wenn es darum geht, um die Vereinigung der Kolleginnen und Kollegen, dann dürfen wir nicht auf Valls, Hollande oder Sarkozy setzen! Wir müssen uns zusammenschließen und uns organisieren, um die Wurzel des Übels anzugehen. Das kapitalistische System, die Ausbeutung und Verarmung der Bevölkerungsmehrheit zum Nutzen einer kleinen Minderheit – das ist die Struktur, auf denen das ganze System aufgebaut ist.
Erklärung, die von „Gauche Revolutionnaire“ (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI) als Flugblatt bei den Demonstrationen in ganz Frankreich am Wochenende verteilt wurde:
Keine Einschränkungen bei der Redefreiheit!
Wir dürfen uns nicht spalten lassen! Nein zum Rassismus!
Kein Schulterschluss mit Valls, Merkel, Rajoy, Sarkozy oder Le Pen!
Der Angriff auf die Büroräume der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ durch schwer bewaffnete Männer am Mittwoch, dem 7. Januar, und die Ermordung von 12 Menschen sind ein schockierende Ereignisse, die wir als feige und barbarische Handlungen verurteilen.
Unsere Gedanken und unsere Solidarität gilt denen, die den Opfern nahestanden: Frédéric Boisseau (Reinigungskraft), Bernard Maris (Wirtschaftswissenschaftler), Michel Renaud, Elsa Cayat (Psychoanalytikerin), Mustapha Ourrad (Redakteur), Franck Brinsolaro (Polizeibeamter), Ahmed Merabet (Polizeibeamter), die Karrikaturisten Wolinski, Charb’, Tignous, Cabu und Honoré sowie den weiteren Todesopfern und Verletzten.
Bei dem Überfall auf „Charlie Hebdo“ und bestimmte Menschen wie etwa Wolinski und Cabu hat es sich nicht um einen willkürlichen Akt gehandelt. Für viele Menschen waren sie Journalisten, die über Jahre für ihr Engagement bekannt waren. Auf vielfältige Weise haben sie gegen Intoleranz, Rassismus und Zensur gekämpft. Wir sind schockiert, dass ausgerechnet sie den Kugeln von verrückten und intoleranten Terroristen zum Opfer gefallen sind. Die Tatsache, dass sie auch „einfache“ Arbeitnehmer ins Visier genommen haben, zeigt, dass diejenigen, die diese abscheulichen Mordtaten vollbracht haben, mit dem Kampf gegen Rassismus rein gar nichts zu tun haben. Sie haben nicht die Rechte der MuslimInnen verteidigt oder wollen eine Gesellschaft, die tolerant ist und in der alle einander mit Respekt begegnen.
MuslimInnen in Frankreich werden durch diese Taten in keinster Weise Erleichterung verspüren. Das exakte Gegenteil ist der Fall. Darüber hinaus werden sie es sein, die auf der Straße die Folgen zu spüen bekommen werden. Schließlich ist es das, was jedes mal geschieht, wenn wieder eine dieser blindwütigen und reaktionären Taten verübt wird. Diese Terroristen, die behaupten, sie würden eine „Religion“ verteidigen sind nicht besser als die islamophoben Reaktionäre, die sich nun die Hände reiben und nun ihrerseits gewalttätige Angriffe gegen Muslime planen werden. Beide Gruppen arbeiten Hand in Hand, um Misstrauen und Intoleranz zu sähen. Dieser hasserfüllte und feige Terrorakt stärk all jene reaktionären Trends, die darauf aus sind, die ArbeiterInnen und jungen Leute auf Grundlage ihrer Religionszugehörigkeit oder Ethnie zu spalten.
Keine Einschränkung der Redefreiheit oder des Rechts auf Satire
„Charlie Hebdo“ ist das Ergebnis eines langen Kampfes gegen Zensur, Rassismus und die extreme Rechte (auch wenn die Linke in dem Magazin nie gut weggekommen ist). Man griff auf das Mittel der Provokation und einen extremen Sarkasmus zurück und betrachtete dies als Weg, die „political correctness“ sowie die Manipulation der Medien zu untergraben. Wir verteidigen „Charlie“, weil wir der Ansicht sind, dass die Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt werden darf. Wir wissen, dass die herrschenden Klassen sehr schnell parat stehen, wenn es darum geht, dieses Recht zu beschneiden. Auch wenn wir nicht seiner Meinung waren, so haben wir dieses Recht auch im Falle von Dieudonné (französischer Komiker, Schauspieler und politischer Aktivist; Anm. d. Übers.) verteidigt, obwohl man einige Punkte von dem, was er von ich gegeben hat, als rassistisch bezeichnen kann – vor allem seine vielen antisemitischen Anspielungen. Als „Charlie Hebdo“ die Mohammed-Karikatur abdruckte, so geschah dies als Reaktion auf die Morddrohungen gegen den dänischen Journalisten, der sie gezeichnet hatte. Man wollte damit ausdrücken, das wir das Recht haben, nicht an Gott zu glauben und Religionen kritisieren zu dürfen. Das Problem besteht allerdings darin, dass es keine gute Idee ist, sich auf derart provokative und manchmal auch verletzende Weise mit diesem Thema zu befassen, wenn der gesellschaftspolitische Kontext gerade (und vor allem seit dem 11. September) darin besteht, dass es antiislamischen Rassismus gibt. Vor einem solchen Hintergrund stellt das dann keine Antwort dar und mag sogar den Rassisten in die Hände spielen. Dies war vor allem der Fall, als der Opportunist Philipe Val lange, viel zu lange Zeit der Chefredakteur von „Charlie Hebdo“ war. Er hat sich von einem radikalen Linken in seinen jungen Jahren zu einem Menschen entwickelt, dessen Positionen heute denen eines Herrn Sarkozy sehr nahe kommen. Weil wir das Recht auf freie Meinungsäußerung bis zum letzten verteidigen, möchten wir uns gerade deshalb von einigen Ansichten und Zeichnungen distanzieren, die in „Charlie Hebdo“ abgedruckt worden sind.
Karikaturen mögen eine verstörende Wirkung haben. Dadurch verliert aber niemand sein Leben; ganz im Gegensatz zur realen Welt, in der Karikaturisten wie Cabu oder Wolinski für ihre künstlerische Arbeit gebrandmarkt worden sind. Ihre Karikaturen mögen manchmal „dumm“ oder „fies“ rübergekommen sein, aber ihr Ziel bestand darin, Dummheit und Unterdrückung zu bekämpfen. Von Anfang an in ihrer Karriere haben sie die Kräfte konfrontiert, die die Gesellschaft niederhalten wollten: die Kirche, das Militär, Befürworter des Kolonialismus, die extreme Rechte. Die Terroristen haben bei ihren feigen Attacken nicht die echten Islam-Hasser ins Visier genommen, die der extremen Rechten zuzurechnen sind, sondern Menschen, die die Meinungsfreiheit verteidigen und jene, die gegen Unterdrückung und Totalitarismus kämpfen. Häufig haben sie mit ihren Arbeiten gar nicht den Glauben aufs Korn genommen sondern das, was Rassisten und andere Kräfte aus der Religion gemacht haben.
Keine Zusammenarbeit mit denen, die den Rassismus befördern!
Wenn man nun all diese Politiker sieht, die von „Charlie Hebdo“ kritisiert und karikiert worden sind und die das Magazin nun verteidigen, dann traut man seinen Augen kaum. Die Karikaturisten hätten sich „tot“-gelacht, wenn man ihnen erzählt hätte, dass die Glocken der Kathedrale von Notre Dame 15 Minuten lang zu ihren Ehren geläutet haben … – was für eine Ehre für diese vollkommenen Anti-Klerikalen! Das war wohl das letzte Schnippchen, das sie dem Establishment geschlagen haben, und es ist ein Schande, dass sie sich selbst nicht mehr darüber lustig machen konnten.
Lachhaft ist hingegen die grenzenlose Heuchelei der herrschenden Klassen und ihrer Zuträger von den Medien, und wir dürfen nicht vergessen, wofür sie die Verantwortung tragen. Wir verteidigen zwar kompromisslos das Recht auf freie Meinungsäußerung. Aber wenn wir wissen, dass sich 90 Prozent der Presse in den Händen der großen kapitalistischen Konzerne befinden, die in ihrem Wettlauf um Profite auch vor Zensur nicht haltmachen, dann steht fest, dass sie uns zum Thema „Meinungsfreiheit“ nicht viel zu bieten haben.
Sarkozy, Le Pen und andere haben bei den Trauerveranstaltungen nichts zu suchen!
Noch im November sind unsere Freiheiten durch ein neues „Anti-Terror-Gesetz“ beschnitten worden. Als Grund wurde der Kampf gegen djihadistische Netzwerke genannt, in Wirklichkeit war das aber eine schlechte Ausrede, um die Menschen stärker ausspionieren zu können. Und nun tun die Politiker plötzlich so, als machten sie sich Sorgen wegen unserer Freiheitsrechte!? Vor zwei Monaten ist die Polizei mit Gewalt vorgegangen, um eine friedliche Demonstration in Gedenken an Rémi Fraisse zu stoppen. Fraisse war ein Umweltaktivist, der durch die Polizei ums Leben gekommen ist. Eine Regierung, die GewerkschaftsaktivistInnen attackiert ist aber angeblich in Sorge wegen der Meinungsfreiheit? Die Massenmedien, die nur an Konflikten und Modeerscheinungen interessiert sowie offen für Menschen wie einen Herrn Zemmour (Redakteur bei der Zeitung „Le Figaro“, dem Aufstachelung zum Rassenhass vorgeworfen wird; Erg. d. Übers.) sind, überschütten uns mit verletzenden Beleidigungen und Angriffe gegen MuslimInnen und Immigrantinnen. Aber ausgerechnet sie entdecken gerade ihr Herz für die Meinungsfreiheit und die Toleranz?
Selbst der FN will Teil der „nationalen Einheit“ sein und behauptet, ein Magazin zu verteidigen, das gegen alles steht, was den FN ausmacht: vor allem Rassismus und Islamophobie. Bei den Trauerveranstaltungen für die Toten bei „Charlie Hebdo“ darf es für den FN keinen Platz geben. Dies gilt umso mehr, seit Marine Le Pen die Gelegenheit beim Schopfe zu packen versucht, um die Wiedereinführung der Todesstrafe zu fordern. Das ist etwas, wogegen die Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ stets Stellung bezogen haben.
Die politische Rechte ist auch nicht daran interessiert, den Toten von „Charlie Hebdo“ ihre Ehre zu erweisen. Sarkozy spricht genauso von einem „Krieg der Zivilisation“ wie er zuvor über „Gesindel“ gesprochen hat. Einige rechtsgerichtete Abgeordnete wie Mariani von der UMP behaupten, die Meinungsfreiheit zu verteidigen, waren vor nicht allzu langer Zeit aber noch in der Lage, öffentliche Veranstaltungen und sogar Rap-Stücke verbieten zu wollen. Mit diesen Politikern, die versuchen die momentane Stimmung für ihre rassistischen Ansichten nutzbar zu machen, dürfen wir nicht zusammenarbeiten.
Vor allem dürfen wir nicht mit den führenden Staatsvertretern den Schulterschluss suchen, die von Valls dazu eingeladen worden sind: Rajoy, der spanische Premierminister und Erbe des Diktators Franco, oder Cameron, der britische Premier, der früher der Parteijugend der konservativen Partei vorstand, als diese eine Kampagne führte mit dem Slogan: „Hängt Mandela!“.
Freie Meinungsäußerung als Waffe gegen Reaktion und die herrschende Klasse
Wir werden demonstrieren, die Opfer ehren und damit die freie Meinungsäußerung verteidigen sowie gegen eine gesellschaftlich rückwärtsgewandte Politik Stellung beziehen, die den Boden für Fanatiker und Reaktionäre aller Art bereitet. Um diese Kräfte daran zu hindern, dass sie die Toten ausnutzen, um sich selbst den Anschein zu geben, als hätten sie eine weiße Weste, müssen wir für eine größtmögliche Beteiligung an diesen Kundgebungen sorgen. Ja, wir brauchen die Einheit, aber keine künstliche Einheit, die keine Garantie für unsere Freiheiten bedeuten würde.
Die beste Ehrerweisung, die wir den Opfern zuteil lassen werden können, besteht darin, den Kampf gegen Rassismus, mittelalterliche Vorstellungen und all jene Politiker zu verstärken, die die Spaltung der ArbeiterInnen und jungen Menschen zum Ziel haben. Was wir ganz dringend brauchen (und wofür wir uns seit Jahren einsetzen), ist eine politische Kraft, die die Opfer des Kapitalismus verteidigt, offen für alle ist und die die Einheit der ArbeiterInnen, der jungen Leute, RentnerInnen und Erwerbslosen zum Ziel hat – vollkommen unabhängig von deren Herkunft oder ethnischer Zugehörigkeit. Wir brauchen eine politische Kraft, die den Kampf gegen die Angriffe der Regierung und Arbeitgeber ebenso ernst nimmt wie den Kampf gegen Rassismus und Intoleranz. In den zurückliegenden Jahren hat uns „die politische Linke“ auf vielfältige Weise enttäuscht. Sie hat sich bereit erklärt, innerhalb des kapitalistischen Rahmens mitzuarbeiten, den Kampf gegen Rassismus aufzugeben und Kriege gutgeheißen (zum Beispiel mi Nahen Osten oder in Mali). Eine „linke“ Regierung spricht hierzulande von der „djihadistischen Gefahr“ und unterstützt gleichzeitig ein Land wie die Türkei, in dem die dortige Regierung dem IS bei seinem Vorgehen in Syrien zu Hilfe kommt. Darüber hinaus schließt man Bündnisse mit Ländern wie Katar und Saudi Arabien, deren ultra-reaktionären Regime ebenfalls terroristische Gruppen unterstützen.
Die derzeitige Regierung unter der Führung der sozialdemokratischen PS trägt außerdem die Verantwortung für die vergiftete Atmosphäre der letzten Monate. Ohne mit der Wimper zu zucken ist sie in die Fußstapfen ihres Vorgängers Sarkozy getreten, höhlt den Sozialstaat weiter aus und tritt die demokratischen Rechte mit Füßen. Trotz der aktuellen Ereignisse dürfen wir nicht vergessen, was Finanzminister Macron gesagt hat, dass das einzige Ziel eines jungen Menschen darin bestehen muss, Millionär zu werden. Das bedeutet, dass man auf Kosten der abhängig Beschäftigten und der Mehrheit der Bevölkerung reich werden soll. Auch sollten wir nicht die tausenden von Kürzungen und Streichungen außer Acht lassen, die ultra-liberale Politik, die nur im Sinne der Reichen ist und zu Arbeitslosigkeit führt. Das betrifft uns alle – egal, woher wir stammen. Wenn wir die Massen mobilisieren, um die Toten zu ehren, dann dürfen wir dabei nicht vergessen, dass die wesentliche Aufgabe darin besteht, einen allgemeinen Kampf gegen die Politik dieser Regierung zu führen. Schließlich dient sie nur den Interessen der Reichen und der Bankiers.
Für die Einheit der ArbeiterInnen und anderer gegen Rassismus, Islamophobie und Antisemitismus!
Am Donnerstag, dem 8. Januar, titelte die Tageszeitung „Le Monde“: „Frankreichs 11. September“. Das zeigt, wie sehr sich dieses Blatt weiterhin der Sensationslust der Medien verschrieben hat. Abgesehen davon gibt uns allein die Tatsache, dass man sich traute, diesen Vergleich zu ziehen, einen üblen Geschmack davon, was uns in den bevorstehenden Wochen noch erwarten mag. Wir müssen davon ausgehen, dass die Rechte und die extreme Rechte mehr Raum bekommen werden. Es ist an uns, den Kampf von unten zu organisieren – gegen Rassismus und Kapitalismus, um dagegen vorzugehen. Wir müssen ferner davon ausgehen, dass dieser mörderische Anschlag von der herrschenden Klasse (nicht nur in Frankreich) benutzt werden wird, um drakonische Maßnahmen gegen ImmigrantInnen (oder jene, die wie EinwanderInnen aussehen), gegen politische AktivistInnen und uns alle einzuführen. Geschehen wird dies unter dem Banner der „nationalen Einheit“ und dem „Kampf gegen den Terrorismus“. Der „Vigipirate Plan“ ist in der Pariser Region bereits bis ins Äußerste zum Einsatz gekommen, wodurch Großdemonstrationen verboten werden können und bewaffnete „Sicherheitskräfte“ ermutigt werden, auf Grundlage rassistischer Untersuchungsmethoden hart gegen die Bevölkerung mit nordafrikanischem Hintergrund vorzugehen.
Das Klima wendet sich immer heftiger gegen MuslimInnen. Das gibt einigen MuslimInnen – nachvollziehbarer Weise – das Gefühl ins Visier geraten zu sein. Wir treten allen Formen von Rassismus, Islamophobie, Antisemitismus, Sexismus entgegen und kämpfen für eine Welt der Solidarität, Brüderlichkeit (Schwesterlichkeit) und Toleranz. Mit diesen Irrlichtern haben wir nichts gemein, die meinen, sie könnten das Recht in die eigenen Hände nehmen, und dabei schon Menschen als Feinde ausmachen, die mit nichts anderem als einem Bleistift „bewaffnet“ sind. Die Terroristen haben – ganz wie die Warlords, die in Afrika und dem Nahen Osten vergewaltigend und plündernd ganze wehrlose Bevölkerungen in Angst und Schrecken versetzen – kein Interesse an den sozialen Kämpfen der Völker in diesen Regionen – weder in Palästina noch in Syrien, dem Irak oder in Tunesien bzw. Ägypten, als dort die Revolutionen losbrachen. Ganz zu schweigen von Burkina Faso und dem Senegal, wo es zu sozialen Massenbewegungen gekommen ist. Und auch mit den sozialen Kämpfen der Menschen in Frankreich – egal, ob MuslimInnen oder anderer bzw. gar keiner Religionszugehörigkeit – haben sie nichts zu tun. Die „Religion“ dieser Terroristen besteht aus einem äußerst lukrativen Geschäft wie z.B. dem Waffenhandel oder dem Menschenschmuggel. Das ist die Einnahmequelle von Gruppierungen wie „Boko Haram“ oder dem IS, die unbestreitbar verantwortlich sind für die Ermordung von tausenden von MuslimInnen in Nigeria, Kamerun, dem Irak bzw. Syrien.
Gleichzeitig gilt: Wenn sich junge Menschen in Frankreich in Richtung einer reaktionären Interpretation von Religion radikalisieren und diese Radikalisierung so weit geht, dass sie jedes Gefühl für Menschlichkeit verlieren und zu Terroristen werden, dann hat diese Entwicklung bis zu einem gewissen Punkt auch mit der Politik der Imperialisten zu tun. Imperialistische Politiker bombardieren seit Jahren ganz bestimmte Länder und haben Millionen von Menschen nichts anderes gebracht als Chaos und Krieg. Mit all diesen Zusammenhängen konfrontiert ist es aber nicht der Terrorismus, der diesbezüglich einen Wandel herbeiführen wird. Das genaue Gegenteil ist der Fall, da der Terrorismus nur die Position der herrschenden Klasse stärkt und ganze Bevölkerungen in Angst und Schrecken versetzt. Die Antwort darf nicht darin bestehen, sich nach innen zu kehren und in den eigenen familiären und sozialen Strukturen zu verhaften. Das ist es, was sowohl die traditionelle extreme Rechte Frankreichs als auch einige Religionsgemeinschaften wollen. Was wir ganz im Gegensatz dazu brauchen, ist eine Massenbewegung, die tolerant, dabei aber auch kämpferisch und demokratisch ist!
Gewerkschaften und andere organisierte Bewegungen der Arbeiterschaft sowie Vereinigungen der abhängig Beschäftigten sollten einen Aufruf starten, um die Kolleginnen und Kollegen zu eigenen Kundgebungen und Trauermärschen für die Opfer bei „Charlie Hebdo“ zusammenzubringen. Dabei muss es um die Einheit der Beschäftigten, der jungen Leute und der großen Mehrheit der Bevölkerung gehen. Ganz unabhängig von Glaubens- und Religionsfragen muss es um die Verteidigung der Meinungsfreiheit gehen und wir müssen uns gegen sämtliche reaktionären und fundamentalistischen Terroristen stellen, gegen die rassistische und imperialistische Politik der französischen Regierung, durch die sektiererische Spaltungen, Intoleranz und mittelalterliches Denken verstärkt werden.
Es muss eine vereinte Massenbewegung gegen Rassismus und gegen eine Politik aufgebaut werden, die Millionen von Menschen in prekäre Lebensverhältnisse zwingt. Auf dieser Grundlage müssen wir den JournalistInnen und den anderen Beschäftigten bei „Charlie Hebdo“ unsere Unterstützung zuteil werden lassen. Damit können wir zeigen, dass wir in den kommenden Wochen und Monaten weiter gegen die Austeritäts- und Kürzungespolitik der Regierung kämpfen.
Unser Ziel ist eine tolerante und demokratische Gesellschaft, in der jede und jeder so leben kann, wie sie und er es möchte, und in der jede und jeder frei entscheiden kann, nach welcher Kultur, Philosophie oder Religion er oder sie glücklich werden will. Eine demokratische Gesellschaft, wie diese, ist möglich, macht aber den Kampf von uns allen erforderlich, um gegen die Ursachen von Unterdrückung und Spaltung vorzugehen: gegen Kapitalismus, das Gesetz des Profits und die Ausbeutung der ArbeiterInnen sowie der Naturressourcen zum Nutzen und Vorteil einer winzigen Minderheit von Super-Reichen. Wenn wir den Kapitalisten die grundlegenden Produktionsmittel und das Handelsmonopol aus der Hand nehmen, indem wir auf der Grundlage von öffentlichem Eigentum eine demokratische Gesellschaft organisieren, in der die Arbeiterklasse und die Gesellschaft als ganzes die Kontrolle übernimmt und die Geschäftsführung inne hat, dann können wir Schluss machen mit Ungerechtigkeit, Krieg und Ungleichheit. Für diese Vision einer demokratischen und sozialistischen Gesellschaft stehen wir und diesen Ansatz verteidigen wir. Damit stehen wir in absoluter Opposition zur endlos scheinenden Barbarei, die der Kapitalismus und aufzwingt.
Werdet bei uns Mitglied!