Beschäftigte aus dem Sozial- und Erziehungsdienst demonstrierten in Stuttgart
Am Montag, den 20.April,hatten sich in Stuttgart 11 000 Streikende aus Baden-Württemberg und Bayern eingefunden, um vor der 5. Verhandlungsrunde in Offenbach weiter Druck auf die Arbeitgeber auszuüben. Auch in einigen anderen Städten waren die Beschäftigten der Sozial- und Erziehungsberufe an diesem Tag zu Streiks und Demonstrationen aufgerufen. Insgesamt beteiligten sich laut Angaben von ver.di 24.000. Bis dato hatten die Arbeitgeber weder ein Angebot vorgelegt, noch die Bereitschaft gezeigt, sich auch nur annähernd mit dem Thema einer Aufwertung der Sozialen Berufe ernsthaft zu befassen. Es zeigt sich nur allzu offensichtlich, dass sie die, in ihren Augen lästige Angelegenheit aussitzen möchten und auf Zeit spielen, um die KollegInnen zu zermürben und über die mediale Öffentlichkeit zu diskreditieren.
Doch das ging an diesem Tag gründlich daneben! Allein im „Ländle“ legten in 700 Einrichtungen 9 000 KollegInnen die Arbeit nieder.
Ver.di hatte im Vorfeld ernsthaft in den Betrieben mobilisiert, zudem kündigte sich auch Frank Bsirske an, so dass statt der erhofften 8 000 Teilnehmer zu Demo und Kundgebung, dann auf dem Schloßplatz, bis zu 11.000 TeilnehmerInnen gezählt wurden. Dabei muß auch erwähnt werden, dass viele KollegInnen und Azubis aus diakonischen Einrichtungen, die von der SuE-Aufwertung ebenso profitieren würden, aber nicht direkt zum Streik aufgerufen waren, aus ihrem Frei teilgenommen haben, um so direkte Solidarität und Partizipation in einem großen Block gut sicht- und hörbar zu zeigen.
Hansi Weber, eine Erzieherin die schon am 2009er Streik über zehn Wochen teilgenommen hatte, machte den Anwesenden noch einmal Mut und hob hervor, dass wenn man gemeinsam standhaft bleibt und sich nicht einschüchtern lässt, am Ende ein Erfolg zu Buche steht.
Der Demonstrationszug durch Stuttgart war dann lang, bunt und laut. Viele hatten, neben den vielen Gewerkschaftsfahnen von vor allem ver.di aber auch der GEW, selber entworfene Schilder und Transparente dabei, um ihren Forderungen gegen Arbeitshetze und miserablen pädagogischen Arbeitsbedingungen bei zu niederem Stellenschlüssel, so wie für mehr Anerkennung und deutlich besserer Bezahlung, Nachdruck nach außen zu verhelfen. Immer wieder schallten die Rufe nach „Aufwertung jetzt“ durch den nicht enden wollenden Demonstrationszug, der dann auch mit fast 45 Minuten Verspätung auf dem Schloßplatz ankam.
Dort wurden erst bei strahlendem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen auf der Rednertribüne zwei KollegInnen über ihre alltäglichen Bedingungen auf Arbeit interviewt. Das Berufsbild der ErzieherIn hat sich in den letzten Jahren, durch andere Bildungsaufgaben, Dokumentationen und erweiterte Arbeitszeiten so sehr gewandelt, jedoch blieb die Bezahlung auf dem Niveau der 1970er Jahre. Auch in den verschiedenen Behinderteneinrichtungen und Behindertenwerkstätten gab es einen enormen Wandel, der heutzutage klar über die Anforderungen von Betreuung und aufpassen hinausgeht. Zudem wird in beiden Bereichen oft von der Bereitschaft zu verschiedenen Schichtmodellen, häufig rund um die Uhr sowie an 365 Tagen, ausgegangen, welche, im Gegensatz zu anderen Berufen erbärmlich schlecht vergütet werden.
Daran knüpfte auch Frank Bsirske in seiner folgenden sehr langen, aber den Nerv aller Streikenden treffenden Hauptrede an. In vielen Bereichen der Auto-, Metall- und Chemieindustrie würden die KollegInnen oft das doppelte einer Erzieherin verdienen und für deren Gehalt wohl kaum morgens aufstehen. Bsirske wies darauf hin, dass ein Beschäftigter in der bayrischen Metallindustrie, dessen Aufgabe es sei, den Hof zu kehren, 2.194 Euro im Monat verdiene und ein Metaller nach abgeschlossener Berufsausbildung mit mindestens 2.800 Euro Tariflohn in seinen Beruf einsteige. Ein Streikende brachte die Unterbezahlung mit folgenden Worten auf ein Plakat: „Ich kann gar nicht so schlecht arbeiten, wie ich bezahlt werde“. Frank Bsirske erklärte die miserable Bezahlung in den Sozial- und Erziehungsberufen damit, dass es Frauenberufe seien und Frauen nach wie vor unterbezahlt seien. Dies dürfte nicht länger akzeptiert werden: „Es geht darum, die Frauen wie pädagogische Facharbeiterinnen zu bezahlen“. Zuletzt schwor er die Anwesenden auf eine bevorstehende Urabstimmung und einen lang andauernden Streik ein, denn zum einen spielten die Arbeitgeber, wie bei Amazon oder der Post, auf Zeit, andererseits nähmen sie diese Aufwertungsrunde auch nicht ernst, was sich darin zeigt, dass viele von den Arbeitsbedingungen und der Materie keine Ahnung hätten und mit falschen Zahlen und Daten aufwarteten, sowie bis in die laufende fünfte Verhandlungsrunde keinen neuen Termin für ein Folgetreffen vorgeschlagen hätten.
Der Wille dazu war bei allen Streikenden auf dem Stuttgarter Schloßplatz hörbar und spürbar. Frank Bsirske vermittelte mit seiner Rede den Eindruck, als ob es ver.di Ernst meinte, zumal er den Anwesenden die Unterstützung von ganz ver.di versicherte. Aber wie bei allen Tarifrunden zählen Taten, nicht Worte. Eine Koordination mit den am selben Tag streikenden Postbankbeschäftigten blieb aus. Das muss sich in den nächsten Wochen ändern. Wenn Beschäftigte der Postbetriebe, von Amazon, im Einzelhandel gemeinsam streiken und auf die Straße gehen, erhöht das die Kampfkraft für alle. Auch mit den streikenden Lokführern sollte der Schulterschluss gesucht werden.