Interview mit Carsten Becker zum bevorstehenden Streik an der Berliner Charité
Im Tarifkonflikt um mehr Personal am Berliner Uniklinikum Charité will die Gewerkschaft ver.di ihre Mitglieder nun zur Urabstimmung über einen unbefristeten Arbeitskampf aufrufen. Hat der zweitägige Warnstreik Ende April keine Bewegung gebracht?
Der Charité-Vorstand hat danach erneut bestätigt, dass mehr Personal nötig ist. Das ist ja schon mal eine positive Erkenntnis. Der Arbeitgeber hat außerdem zum Ausdruck gebracht, dass er eine Personalquote im Intensivbereich und eine bessere Nachtdienstbesetzung für möglich hält. Die ver.di-Tarifkommission hält aber zum einen die angekündigten Verbesserungen im Pflegebereich für völlig unzureichend, zum anderen liegt für alle anderen Berufsgruppen überhaupt nichts auf dem Tisch. Das muss sich ändern, und zugleich sollte verbindlich festgeschrieben werden, was passiert, wenn zu wenig Personal vorhanden ist. Da der Arbeitgeber hier nicht nachgelegt hat, bleibt uns als Gewerkschaft keine andere Möglichkeit, als die Urabstimmung einzuleiten.
Welche Bilanz ziehen Sie aus den beiden Warnstreiktagen im April?
Die Streikbereitschaft und die Wirkung waren enorm. Was man nicht vergessen darf: Bei dem Warnstreik haben wir uns selbst beschränkt. Es sollte lediglich ein Signal, ein Warnschuss sein. Deshalb haben viele Beschäftigte gearbeitet, obwohl sie zum Streik bereit waren. Wir hätten viele weitere Betten und Stationen dichtmachen können, darauf haben wir bewusst verzichtet. Bei einem unbefristeten Ausstand wäre das anders. Der Warnstreik hat deutlich gemacht: Wir haben einen langen Atem, aber keine Geduld mehr.
Die Klinikleitung hat erklärt, die ver.di-Forderungen entsprächen 600 neuen Stellen und würden Kosten von 36 Millionen Euro im Jahr verursachen – das sei nicht finanzierbar. Was halten Sie dem entgegen?
Auf Bundesebene gibt es in der Frage der Krankenhausfinanzierung durchaus Bewegung. So sollen die Universitätskliniken bessere Möglichkeiten bekommen, die Kosten der Hochschulambulanzen in Rechnung zu stellen. Unsere Forderungen sind daher finanzierbar. Zumal die Charité eine der wenigen Unikliniken ist, die schwarze Zahlen schreibt. Selbst wenn das dann nicht mehr der Fall sein sollte: Die Charité ist eine öffentliche Einrichtung, die nicht einfach pleite geht. Es geht um die Patientensicherheit und um bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten. Dafür muss der Staat Sorge tragen.
Es ist bundesweit der erste Tarifkonflikt dieser Art im Krankenhaus. Zu Beginn hat die Charité-Spitze diese Forderung als grundgesetzwidrig zurückgewiesen, weil sie in die »unternehmerische Freiheit« eingreife. Befürchten Sie jetzt noch Versuche, den Ausstand juristisch zu unterbinden?
Es gibt von ver.di eine klare Gegenposition, sonst würden wir nicht die Urabstimmung einleiten. Auch ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags besagt, dass wir für unsere Forderungen streiken können. Ich will nicht ausschließen, dass die Charité dennoch versucht, zum Arbeitsgericht zu flüchten, um einen Tarifvertrag zu vermeiden. Dem sehe ich aber mit Optimismus entgegen.
Die Charité ist für die Kranken- und Notfallversorgung in Berlin und Umgebung sehr wichtig. Ist ein Erzwingungsstreik überhaupt möglich, ohne diese zu gefährden?
Wir haben schon 2011 bewiesen, dass das geht. Mit langen Ankündigungsfristen ermöglichen wir es dem Arbeitgeber, sich vorzubereiten und eine Patientengefährdung auszuschließen. Wir haben festgestellt: Nicht der Streik, sondern der Normalzustand gefährdet die Patienten. Den wollen wir ändern.
In welchem Zusammenhang steht der Arbeitskampf mit der ver.di-Forderung nach einer gesetzlichen Personalbemessung im Krankenhaus?
Wir wollen per Haustarifvertrag Verbesserungen für die Beschäftigten an der Charité erreichen. Denn wir haben keine Geduld mehr. Angesichts der Bedeutung, der Größe und des Standorts der Berliner Charité hat ein solcher Arbeitskampf naturgemäß eine große Ausstrahlung. Er unterstreicht die ver.di-Forderung nach einer gesetzlichen Personalbemessung und hilft mit, die gesellschaftliche Diskussion darüber zu forcieren.